Original 1. Auflage 1974 - von A.C. Bhaktivedanta Swami Prabhupāda

Bhagavad Gita wie sie ist   Bhagawad-gita

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Sechstes Kapitel
Sāṅkhya-yoga

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VERS 1

श्रीभगवानुवाच ।
अनाश्रितः कर्मफलं कार्यं कर्म करोति यः ।
स संन्यासी च योगी च न निरग्निर्न चाक्रियः ॥१॥

śrī bhagavān uvāca
anāśritaḥ karma-phalaṁ
kāryaṁ karma karoti yaḥ
sa sannyāsī ca yogī ca
na niragnir na cākriyaḥ

śrī bhagavān uvāca – der Herr sagte; anāśritaḥ – ohne Zuflucht; karma-phalam – das Ergebnis der Arbeit; kāryam – verpflichtend; karma – Arbeit; karoti – verrichtet; yaḥ – jemand, der; saḥ – er; sannyāsī – auf der Stufe der Entsagung; ca – auch; yogī – Mystiker; ca – auch; na – nicht; nir – ohne; agniḥ – Feuer; na – auch nicht; ca – auch; akriyaḥ – ohne Pflicht.

ÜBERSETZUNG

Der Höchste Herr sagte: Wer an den Früchten seiner Arbeit nicht haftet und seine vorgeschriebenen Pflichten erfüllt, befindet sich auf der Lebensstufe der Entsagung. Er ist der wahre Mystiker, und nicht der, der kein Feuer entzündet und keine Arbeit verrichtet.

ERKLÄRUNG

In diesem Kapitel erklärt der Herr, daß der Vorgang des achtfachen yoga-Systems ein Mittel ist, den Geist und die Sinne zu kontrollieren. Dies ist jedoch für die meisten Menschen sehr schwierig, besonders in diesem Zeitalter des Kali. Obwohl das achtfache yoga-System in diesem Kapitel empfohlen wird, betont der Herr, daß der Vorgang des karma-yoga bzw. daß Handeln im Kṛṣṇa-Bewußtsein besser sei. Jeder handelt in dieser Welt, um seine Familie mit allem, was dazu gehört, zu erhalten; doch niemand handelt ohne Selbstinteresse oder den Wunsch nach persönlicher Befriedigung – sei diese nun direkt auf sich selbst bezogen oder indirekt über andere. Das Kriterium der Vollkommenheit besteht darin, im Kṛṣṇa-Bewußtsein zu handeln – und nicht zu handeln, um die Früchte der Arbeit zu genießen. Im Kṛṣṇa-Bewußtsein zu handeln, ist die Pflicht jedes Lebewesens, da alle von Natur aus winzige Bestandteile des Höchsten sind. Die Teile des Körpers wirken für die Zufriedenstellung des gesamten Körpers. Die einzelnen Glieder des Körpers handeln nicht für ihre eigene Befriedigung, sondern für die Zufriedenstellung des vollkommenen Ganzen. Daher ist das Lebewesen, das für die Zufriedenstellung des Höchsten Ganzen, und nicht für seine eigene Befriedigung, handelt, der vollkommene sannyāsī bzw. vollkommene yogī.

Manche sannyāsīs denken irrtümlich, sie seien von allen materiellen Pflichten befreit, und hören deshalb auf, agnihotra yajñas (Feueropfer) darzubringen. In Wirklichkeit jedoch sind sie nur an sich selbst interessiert, da sie das Ziel haben, mit dem unpersönlichen Brahman eins zu werden. Ein solches Verlangen ist größer als irgendein materielles Verlangen, jedoch ist es nicht ohne Selbstinteresse. Auch der mystische yogī, der mit halbgeschlossenen Augen das yoga-System praktiziert und alle materiellen Aktivitäten einstellt, begehrt nur Befriedigung für sein persönliches Selbst. Doch ein Mensch im Kṛṣṇa-Bewußtsein handelt ohne Selbstinteresse für die Zufriedenstellung des Ganzen. Ein Kṛṣṇa-bewußter Mensch hat kein Verlangen, sich selbst zufriedenzustellen. Sein Kriterium für Erfolg ist die Zufriedenstellung Kṛṣṇas, und daher ist er der vollkommene sannyāsī bzw. vollkommene yogī. Śrī Kṛṣṇa Caitanya, das vollkommenste Beispiel für Entsagung, betet:

na dhanaṁ na janaṁ na sundarīṁ kavitāṁ vā jagadīśa kāmaye.
mama janmani janmanīśvare bhavatād bhaktir ahaitukī tvayi.

„O Allmächtiger Herr, Ich begehre weder Reichtum noch schöne Frauen, noch wünsche Ich Mir Anhänger. Alles, was Ich in Meinem Leben wünsche, ist die grundlose Barmherzigkeit Deines hingebungsvollen Dienstes – Geburt auf Geburt.“

VERS 2

यं सन्न्यासमिति प्राहुर्योगं तं विद्धि पाण्डव ।
न ह्यसन्न्यस्तसङ्कल्पो योगी भवति कश्चन
॥२॥

yaṁ sannyāsam iti prāhur
yogaṁ taṁ viddhi pāṇḍava
na hy asannyasta-saṅkalpo
yogī bhavati kaścana

yam – was; sannyāsam – Entsagung; iti – so; prāhuḥ – sie sagen; yogam – sich mit dem Höchsten verbinden; tam – dieses; viddhi – du mußt wissen; pāṇḍava – O Sohn Pāṇḍus; na – niemals; hi – gewiß; asannyasta – ohne aufzugeben; saṅkalpaḥ – Selbstzufriedenheit; yogī – ein mystischer Transzendentalist; bhavati – wird; kaścana – irgend jemand.

ÜBERSETZUNG

Was Entsagung genannt wird, ist das gleiche wie yoga – sich mit dem Höchsten verbinden –, denn niemand kann ein yogī werden, solange er nicht dem Verlangen nach Sinnesbefriedigung entsagt.

ERKLÄRUNG

Wirklicher sannyāsa-yoga oder bhakti bedeutet, daß man seine wesenseigene Position als Lebewesen erkennt und dementsprechend handelt. Das Lebewesen hat keine gesonderte, unabhängige Identität. Es ist die am Rande verlaufende Energie des Höchsten. Wenn es von der materiellen Energie gefangen ist, ist es bedingt, und wenn es Kṛṣṇa-bewußt, das heißt sich der spirituellen Energie bewußt ist, befindet es sich in seinem wirklichen und natürlichen Zustand des Lebens. Wenn man daher im vollkommenen Wissen gründet, beendet man jeglichen materiellen Sinnesgenuß, das heißt, man entsagt allen Arten sinnesbefriedigender Aktivitäten. Dies wird von yogīs praktiziert, die ihre Sinne von materieller Anhaftung zurückhalten. Ein Mensch im Kṛṣṇa-Bewußtsein hat jedoch keine Gelegenheit, seine Sinne mit irgend etwas zu beschäftigen, was nicht im Interesse Kṛṣṇas ist. Daher ist ein Kṛṣṇa-bewußter Mensch gleichzeitig ein sannyāsī und ein yogī. Der Zweck von Wissen und Sinneskontrolle, wie er in den jñāna- und yoga-Vorgängen vorgeschrieben ist, wird automatisch im Kṛṣṇa-Bewußtsein erfüllt. Wenn man unfähig ist, die Aktivitäten seines selbstsüchtigen Wesens aufzugeben, sind jñāna und yoga nutzlos. Das wirkliche Ziel des Lebewesens besteht darin, jede selbstsüchtige Befriedigung aufzugeben und bereit zu sein, den Höchsten zufriedenzustellen. Ein Kṛṣṇa-bewußter Mensch hat kein Verlangen nach irgendeiner Form von Selbstgenuß. Er ist immer damit beschäftigt, den Höchsten zu erfreuen. Wer vom Höchsten nichts weiß, muß deshalb in Aktivitäten beschäftigt sein, die der eigenen Befriedigung dienen, denn niemand kann untätig sein. All diese Ziele werden in vollkommener Weise erfüllt, wenn man Kṛṣṇa-Bewußtsein praktiziert.

VERS 3

आरुरुक्षोर्मुनेर्योगं कर्म कारणमुच्यते ।
योगारूढस्य तस्यैव शमः कारणमुच्यते ॥३॥

ārurukṣor muner yogaṁ
karma kāraṇam ucyate
yogārūḍhasya tasyaiva
śamaḥ kāraṇam ucyate

ārurukṣoḥ – von jemandem, der gerade mit yoga begonnen hat; muneḥ – des Weisen; yogam – das achtfache yoga-System; karma – Arbeit; kāraṇam – die Ursache; ucyate – man sagt, es sei; yoga – achtfacher yoga; ārūḍhasya – jemand, der erreicht hat; tasya – sein; eva – gewiß; śamaḥ – Beendigung aller materiellen Aktivitäten; kāraṇam – die Ursache; ucyate – man sagt, es sei.

ÜBERSETZUNG

Einem Neuling im achtfachen yoga-System wird Arbeit als Weg empfohlen, und für einen, der yoga bereits erreicht hat, ist, wie man sagt, die Beendigung aller materiellen Aktivitäten der Pfad zur Befreiung.

ERKLÄRUNG

Der Vorgang, sich mit dem Höchsten zu verbinden, wird yoga genannt. Yoga wird mit einer Leiter verglichen, mit deren Hilfe man die höchste spirituelle Verwirklichung erreichen kann. Diese Leiter beginnt von der niedrigsten der materiellen Bedingungen des Lebewesens und steigt auf bis zur vollkommenen Selbstverwirklichung im reinen spirituellen Leben. Nach den verschiedenen Graden des spirituellen Fortschritts sind die verschiedenen Stufen der Leiter unter verschiedenen Namen bekannt. Die vollständige Leiter wird yoga genannt und kann in jñāna-yoga, dhyāna-yoga und bhakti-yoga unterteilt werden. Der Anfang der Leiter wird als die yogārurukṣa-Stufe bezeichnet, und die höchste Sprosse wird yogārūdḥa genannt.

Was das achtfache yoga-System betrifft, so werden Versuche am Anfang, durch regulierende Prinzipien und verschiedene Sitzstellungen (die mehr oder weniger körperliche Übungen sind) in Meditation zu versinken, als fruchtbringende, materielle Aktivitäten angesehen. All diese Aktivitäten führen zu vollkommener geistiger Ausgeglichenheit, so daß man die Sinne kontrollieren kann. Wenn jemand die Meditation vollendet beherrscht, beendet er alle störenden Aktivitäten des Geistes.

Ein Kṛṣṇa-bewußter Mensch jedoch befindet sich von Anfang an auf der Ebene der Meditation, weil er fortwährend an Kṛṣṇa denkt. Und da er ständig im Dienste Kṛṣṇas beschäftigt ist, kann man sagen, daß er alle materiellen Aktivitäten beendet hat.

VERS 4

यदा हि नेन्द्रियार्थेषु न कर्मस्वनुषज्जते ।
सर्वसङ्कल्पसंन्यसी योगारूढस्तदोच्यते ॥४॥

yadā hi nendriyārtheṣu
na karmasv anuṣajjate
sarva-saṅkalpa-sannyāsī
yogārūḍhas tadocyate

yadā – wenn; hi – gewiß; na – nicht; indriya-artheṣu – in Sinnesbefriedigung; na – niemals; karmasu – in fruchtbringenden Aktivitäten; anuṣajjate – sich notwendigerweise beschäftigt; sarva-saṅkalpa – alle materiellen Verlangen; sannyāsī – einer, der entsagt; yoga-ārūḍhaḥ – im yoga fortgeschritten; tadā – zu dieser Zeit; ucyate – man sagt, er sei.

ÜBERSETZUNG

Man sagt, ein Mensch habe yoga erreicht, wenn er alle materiellen Verlangen aufgegeben hat und weder zur Sinnesbefriedigung handelt noch fruchtbringende Aktivitäten ausführt.

ERKLÄRUNG

Wenn ein Mensch im transzendentalen liebevollen Dienst des Herrn vollständig beschäftigt ist, ist er in sich selbst zufrieden und ist daher nicht länger an Sinnesbefriedigung oder fruchtbringenden Aktivitäten interessiert. Andernfalls muß man mit Sinnesbefriedigung beschäftigt sein, da man nicht leben kann, ohne tätig zu sein. Ohne Kṛṣṇa-Bewußtsein muß man stets ichbezogene Aktivitäten suchen, die oft auch auf andere ausgedehnt sind. Ein Kṛṣṇa-bewußter Mensch jedoch kann alles für die Zufriedenstellung Kṛṣṇas tun und so von Sinnesbefriedigung völlig losgelöst sein. Wer dies nicht verwirklicht, muß auf mechanische Weise versuchen, den materiellen Verlangen zu entkommen, bevor er auf die höchste Sprosse der yoga-Leiter erhoben werden kann.

VERS 5

उद्धरेदात्मनात्मानं नात्मानमवसादयेत् ।
आत्मैव ह्यात्मनो बन्धुरात्मैव रिपुरात्मनः ॥५॥

uddhared ātmanātmānaṁ
nātmānam avasādayet
ātmaiva hy ātmano bandhur
ātmaiva ripur ātmanaḥ

uddharet – man muß befreien; ātmanā – durch den Geist; ātmānam – die bedingte Seele; na – niemals; ātmānam – die bedingte Seele; avasādayet – auf eine niedrige Stufe zurückfallen; atmā – Geist; eva – gewiß; hi – tatsächlich; ātmanaḥ – der bedingten Seele; bandhuḥ – Freund; ātmā – Geist; eva – gewiß; ripuḥ – Feind; ātmanaḥ – der bedingten Seele.

ÜBERSETZUNG

Der Mensch muß sich durch seinen Geist erheben, und nicht erniedrigen. Der Geist ist der Freund der bedingten Seele, aber auch ihr Feind.

ERKLÄRUNG

Verschiedenen Umständen entsprechend bezeichnet das Wort ātmā Körper, Geist oder Seele. Im yoga-System ist der Geist und die bedingte Seele von besonderer Bedeutung. Da der Geist der Mittelpunkt der yoga-Praxis ist, bezieht sich ātmā hier auf den Geist. Es ist das Ziel des yoga-Systems, den Geist zu kontrollieren und von der Anhaftung an die Sinnesobjekte zurückzuziehen. Es wird hier betont, daß der Geist so geschult werden muß, daß er die bedingte Seele aus dem Sumpf der Unwissenheit retten kann. Im materiellen Dasein unterliegt man dem Einfluß des Geistes und der Sinne. Die reine Seele ist in die materielle Welt verstrickt, weil das Ich des Geistes verlangt, über die materielle Natur zu herrschen. Daher sollte der Geist so geschult werden, daß er nicht vom Geflimmer der materiellen Natur angezogen wird; auf diese Weise kann die bedingte Seele gerettet werden. Man sollte sich nicht durch die Anziehung an die Sinnesobjekte erniedrigen. Je mehr man von den Sinnesobjekten angezogen wird, desto mehr wird man ins materielle Dasein verstrickt. Der beste Weg, sich aus dieser Verstrickung zu lösen, besteht darin, den Geist ständig im Kṛṣṇa-Bewußtsein zu beschäftigen. Das Wort hi wird hier gebraucht, um diesen Punkt hervorzuheben; es bedeutet, daß man in dieser Weise handeln muß. Es wird gesagt:

mana eva manuṣyāṇāṁ kāraṇaṁ bandha-mokṣayoḥ
bandhāya viṣayāsaṅgo muktyai nirviṣayaṁ manaḥ.

„Für den Menschen ist der Geist sowohl die Ursache von Gefangenschaft als auch die Ursache von Befreiung. Der in die Sinnesobjekte versunkene Geist ist die Ursache von Gefangenschaft, und der von den Sinnesobjekten losgelöste Geist ist die Ursache von Befreiung.“

Deshalb ist der Geist, der immer im Kṛṣṇa-Bewußtsein beschäftigt ist, die Ursache höchster Befreiung.

VERS 6

बन्धुरात्मात्मनस्तस्य येनात्मैवात्मना जितः ।
अनात्मनस्तु शत्रुत्वे वर्त्तेतात्मैव शत्रुवत् ॥६॥

bandhur ātmātmanas tasya
yenātmaivātmanā jitaḥ
anātmanas tu śatrutve
vartetātmaiva śatruvat

bandhuḥ – Freund; ātmā – Geist; ātmanaḥ – des Lebewesens; tasya – sein; yena – durch den; ātmā – Geist; eva – gewiß; ātmanā – vom Lebewesen; jitaḥ – bezwungen; anātmanaḥ – von jemandem, der es versäumt hat, den Geist zu kontrollieren; tu – aber; śatrutve – aus Feindschaft; varteta – bleibt; ātmā eva – eben dieser Geist; śatruvat – als Feind.

ÜBERSETZUNG

Für den, der den Geist bezwungen hat, ist der Geist der beste Freund; doch für den, der dies versäumt hat, wird der gleiche Geist zum größten Feind.

ERKLÄRUNG

Es ist das Ziel des achtfachen yoga, den Geist zu kontrollieren, um ihn zu einem Freund zu machen, der dabei hilft, die Aufgabe des menschlichen Lebens zu erfüllen. Solange der Geist nicht kontrolliert ist, ist das Praktizieren von yoga (als Show) nichts als Zeitverschwendung. Wer seinen Geist nicht kontrollieren kann, lebt ständig mit dem größten Feind zusammen, und so wird sein Leben und seine Lebensaufgabe ruiniert. Es ist die wesenseigene Position des Lebewesens, die Anordnungen eines Höheren auszuführen. Solange der Geist ein unbesiegter Feind bleibt, muß man dem Diktat von Lust, Zorn, Gier, Illusion usw. folgen. Wenn der Geist jedoch bezwungen ist, folgt man freiwillig den Anweisungen des Persönlichen Gottes, der im Herzen eines jeden als Paramātmā gegenwärtig ist. Wirkliche yoga-Praxis hat zur Folge, daß man den Paramātmā im Herzen erfährt und daraufhin Seinen Anweisungen folgt. Wer Kṛṣṇa-Bewußtsein direkt annimmt, gibt sich ganz von selbst den Anweisungen des Herrn vollkommen hin.

VERS 7

जितात्मनः प्रशान्तस्य परमात्मा समाहितः ।
शीतोष्णसुखदुःखेषु तथा मानापमानयोः ॥७॥

jitātmanaḥ praśāntasya
paramātmā samāhitaḥ
śītoṣṇa-sukha-duḥkheṣu
tathā mānāpamānayoḥ

jita-ātmanaḥ – von einem, der seinen Geist bezwungen hat; praśāntasya – von einem, der durch solche Kontrolle über den Geist Ausgeglichenheit erreicht hat; paramātmā – die Überseele; samāhitaḥ – vollständig erreicht; śīta – Kälte; uṣṇa – Hitze; sukha – in Glück; duḥkheṣu – in Leid; tathā – auch; māna – Ehre; apamānayoḥ – in Schmach.

ÜBERSETZUNG

Wer den Geist bezwingen kann, hat die Überseele erreicht, denn er hat Ausgeglichenheit erlangt. Für einen solchen Menschen sind Glück und Leid, Hitze und Kälte, Ehre und Schmach das gleiche.

ERKLÄRUNG

In Wirklichkeit ist jedes Lebewesen dazu bestimmt, den Anweisungen des Höchsten Persönlichen Gottes zu folgen, der als Paramātmā im Herzen eines jeden weilt. Wenn der Geist durch die äußere, illusionierende Energie irregeführt ist, wird man in materielle Aktivitäten verstrickt. Sobald daher der Geist durch eines der yoga-Systeme kontrolliert wird, kann man sagen, daß man das Ziel bereits erreicht hat. Man muß den Anweisungen eines Höheren folgen. Wenn der Geist auf die höhere Natur gerichtet ist, hat er keine andere Möglichkeit, als den Anweisungen des Höchsten zu folgen. Der Geist muß höhere Anweisungen anerkennen und ihnen folgen. Wenn der Geist kontrolliert ist, folgt man automatisch den Anweisungen des Paramātmā, der Überseele. Weil diese transzendentale Position augenblicklich von einem Menschen erreicht wird, der sich im Kṛṣṇa-Bewußtsein befindet, wird der Gottgeweihte von den Dualitäten des materiellen Daseins wie Leid und Glück, Kälte und Hitze usw. nicht beeinflußt. Diese Stufe wird samādhi (Versenkung in den Höchsten) genannt.

VERS 8

ज्ञानविज्ञानतृप्तात्मा कूटस्थो विजितेन्द्रियः ।
युक्त इत्युच्यते योगी समलोष्टाश्मकाञ्चनः ॥८॥

jñāna-vijñāna-tṛptātmā
kūṭastho vijitendriyaḥ
yukta ity ucyate yogī
sama-loṣṭrāśma-kāñcanaḥ

jñāna – erworbenes Wissen; vijñāna – verwirklichtes Wissen; tṛpta – zufrieden; ātmā – Lebewesen; kūṭasthaḥ – in spirituellem Bewußtsein verankert; vijita-indriyaḥ – die Sinne kontrolliert; yuktaḥ – zur Selbstverwirklichung befähigt; iti – so; ucyate – man sagt; yogī – der Mystiker; sama – sieht als gleich an; loṣṭra – Kiesel; aśma – Stein; kāñcanaḥ – Gold.

ÜBERSETZUNG

Ein Mensch gilt als selbstverwirklicht und wird ein yogī oder Mystiker genannt, wenn er durch sein Wissen und seine Verwirklichung völlig zufrieden ist. Solch ein Mensch ist in der Transzendenz verankert und selbstkontrolliert. Für ihn sind Kiesel, Steine oder Gold das gleiche.

ERKLÄRUNG

Buchwissen ohne Verwirklichung der Höchsten Wahrheit ist nutzlos. Dies wird wie folgt bestätigt:

ataḥ śrī-kṛṣṇa-nāmādi na bhaved grāhyam indriyaiḥ
sevonmukhe hi jihvādau svayam eva sphuraty adaḥ.

„Niemand kann das transzendentale Wesen des Namens, der Gestalt, der Eigenschaften und der Spiele Śrī Kṛṣṇas mit seinen materiell verunreinigten Sinnen verstehen. Nur wenn jemand durch den transzendentalen Dienst für den Herrn von spiritueller Energie durchdrungen wird, werden ihm der transzendentale Name, die transzendentale Gestalt, die transzendentalen Eigenschaften und die transzendentalen Spiele des Herrn offenbart.“ (Padma Purāṇa)

Die Bhagavad-gītā ist die Wissenschaft des Kṛṣṇa-Bewußtseins. Niemand kann allein durch weltliche Gelehrtheit Kṛṣṇa-bewußt werden. Man muß das Glück haben, mit einem Menschen zusammenzukommen, der im reinen Bewußtsein verankert ist. Ein Kṛṣṇa-bewußter Mensch verfügt durch die Gnade Kṛṣṇas über verwirklichtes Wissen, da er mit reinem hingebungsvollem Dienen zufrieden ist. Durch verwirklichtes Wissen erreicht man die Vollkommenheit. Durch transzendentales Wissen kann man in seinen Überzeugungen beständig bleiben – durch bloßes akademisches Wissen jedoch kann man leicht durch vermeintliche Widersprüche getäuscht und verwirrt werden. Die verwirklichte Seele ist selbstkontrolliert, weil sie sich Kṛṣṇa hingegeben hat. Sie ist transzendental, da sie nichts mit weltlicher Gelehrtheit zu tun hat. Für die selbstverwirklichte Seele sind weltliche Gelehrtheit und gedankliche Spekulation, die anderen wie Gold erscheinen mögen, nicht mehr wert als Kiesel oder Steine.

VERS 9

सुहृन्मित्रार्युदासीनमध्यस्थद्वेष्यबन्धुषु ।
साधुष्वपि च पापेषु समबुद्धिर्विशिष्यते ॥९॥

suhṛn-mitrāry-udāsīna-
madhyastha-dveṣya-bandhuṣu
sādhuṣv api ca pāpeṣu
sama-buddhir viśiṣyate

suhṛt – von Natur aus ein wohlmeinender Freund; mitra – Wohltäter mit Zuneigung; ari – Feind; udāsīna – neutral zu den Gegnern; madhyastha – Mittelsmann zwischen Gegnern; dveṣya – neidisch; bandhuṣu – unter den Verwandten oder wohlmeinenden Freunden; sādhuṣu – zu den Frommen; api – wie auch; ca – und; pāpeṣu – zu den Sündern; sama-buddhiḥ – einer, der gleiche Intelligenz hat; viśiṣyate – ist weit fortgeschritten.

ÜBERSETZUNG

Man sagt, ein Mensch sei noch weiter fortgeschritten, wenn er sowohl Freunde als auch Feinde, Neidische und Wohlgesinnte, die Frommen, die Sünder und die, die gleichgültig und unparteiisch sind, mit gleichen Augen sieht.

VERS 10

योगी युञ्जीत सततमात्मानं रहसि स्थितः ।
एकाकी यतचित्तात्मा निराशीरपरिग्रहः ॥१०॥

yogī yuñjīta satatam
ātmānaṁ rahasi sthitaḥ
ekākī yata-cittātmā
nirāśīr aparigrahaḥ

yogī – ein Transzendentalist; yuñjīta – muß sich im Kṛṣṇa-Bewußtsein konzentrieren; satatam – fortwährend; ātmānam – sich selbst (durch den Körper, den Geist und das Selbst); rahasi – an einem einsamen Ort; sthitaḥ – wenn er sich so befindet; ekākī – allein; yata-cittātmā – den Geist immer sorgfältig kontrolliert; nirāśīḥ – ohne von irgend etwas anderem angezogen zu sein; aparigrahaḥ – frei von Besitzgier.

ÜBERSETZUNG

Ein Transzendentalist sollte immer versuchen, seinen Geist auf das Höchste Selbst zu konzentrieren; er sollte allein an einem einsamen Ort leben, seinen Geist stets sorgfältig kontrollieren und von Verlangen und Gefühlen der Besitzgier frei sein.

ERKLÄRUNG

Kṛṣṇa wird in verschiedenen Stufen der Erkenntnis als Brahman, Paramātmā und als der Höchste Persönliche Gott verwirklicht. Kurz gesagt bedeutet Kṛṣṇa-Bewußtsein, immer im transzendentalen liebevollen Dienst des Herrn beschäftigt zu sein. Aber auch diejenigen, die sich zum unpersönlichen Brahman oder der lokalisierten Überseele hingezogen fühlen, sind bis zu einem gewissen Grade Kṛṣṇa-bewußt, denn das unpersönliche Brahman ist die spirituelle Ausstrahlung Kṛṣṇas, und die Überseele ist die alldurchdringende Teil-Erweiterung Kṛṣṇas. Daher sind auch der Anhänger der Unpersönlichkeitslehre und der Meditierende indirekt Kṛṣṇa-bewußt. Der direkt Kṛṣṇa-bewußte Mensch ist der höchste Transzendentalist, da solch ein Gottgeweihter weiß, was mit Brahman oder Paramātmā gemeint ist. Seine Erkenntnis der Absoluten Wahrheit ist vollkommen, wohingegen der Unpersönlichkeitsanhänger und der meditierende yogī in ihrem Kṛṣṇa-Bewußtsein unvollkommen sind.

Nichtsdestoweniger wird ihnen allen hiermit geraten, ständig ihren jeweiligen Aktivitäten nachzugehen, so daß sie früher oder später die höchste Vollkommenheit erreichen können. Es ist die erste Pflicht eines Transzendentalisten, seinen Geist unaufhörlich auf Kṛṣṇa zu richten. Man sollte ständig an Kṛṣṇa denken und Ihn nicht einmal für einen Augenblick vergessen. Die Konzentration des Geistes auf den Höchsten wird samādhi (Trance) genannt. Um den Geist zu konzentrieren, sollte man immer an einem einsamen Ort bleiben und jede Störung durch äußere Objekte vermeiden. Man sollte daher sehr vorsichtig sein und Bedingungen, die die Verwirklichung günstig beeinflussen, annehmen, ungünstige Bedingungen hingegen ablehnen. Und in vollkommener Entschlossenheit sollte der Transzendentalist nicht nach unnötigen materiellen Dingen begehren, die ihn durch Gefühle der Besitzgier verstricken würden.

All diese Vorsichtsmaßnahmen werden in vollkommener Weise erfüllt, wenn man sich direkt im Kṛṣṇa-Bewußtsein befindet, denn direktes Kṛṣṇa-Bewußtsein bedeutet Selbstverleugnung, bei der kaum eine Möglichkeit für materielle Besitzgier besteht. Śrīla Rūpa Gosvāmī charakterisiert Kṛṣṇa-Bewußtsein so:

anāsaktasya viṣayān yathārham upayuñjataḥ
nirbandhaḥ kṛṣṇa-sambandhe yuktaṁ vairāgyam ucyate
prāpañcikatayā buddhyā hari-sambandhi-vastunaḥ
mumukṣubhiḥ parityāgo vairāgyaṁ phalgu kathyate.

„Wenn man an nichts haftet, aber gleichzeitig alles, was in Beziehung zu Kṛṣṇa steht, annimmt, ist man frei von jeglicher Besitzgier. Wer jedoch alles zurückweist, ohne die Beziehung der Dinge zu Kṛṣṇa zu kennen, ist in seiner Entsagung nicht so vollkommen.“ (Bhakti-rasāmṛta-sindhu 2.255–256)

Ein Kṛṣṇa-bewußter Mensch weiß sehr wohl, daß alles Kṛṣṇa gehört, und daher ist er stets frei von Gefühlen persönlichen Eigentums. Er begehrt nichts für sich selbst und weiß die Dinge anzunehmen, die für sein Kṛṣṇa-Bewußtsein vorteilhaft sind, und die Dinge abzulehnen, die für seinen spirituellen Fortschritt ungünstig sind. Er steht immer über materiellen Dingen, denn er ist stets transzendental, und er ist immer allein, weil er nichts mit Menschen zu tun hat, die nicht Kṛṣṇa-bewußt sind. Deshalb ist ein Mensch im Kṛṣṇa-Bewußtsein der vollendete yogī.

VERS 11–12

शुचौ देशे प्रतिष्ठाप्य स्थिरमासनमात्मनः ।
नात्युच्छ्रितं नातिनीचं चैलाजिनकुशोत्तरम् ॥११॥

तत्रैकाग्रं मनः कृत्वा यतचित्तेन्द्रियक्रियः ।
उपविश्यासने युञ्ज्याद्योगमात्मविशुद्धये ॥१२॥

śucau deśe pratiṣṭhāpya
sthiram āsanam ātmanaḥ
nāty-ucchritaṁ nātinīcaṁ
cailājina-kuśottaram

tatraikāgraṁ manaḥ kṛtvā
yata-cittendriya-kriyaḥ
upaviśyāsane yuñjyād
yogam ātma-viśuddhaye

śucau – in einem geheiligten; deśe – in dem Land; pratiṣṭhāpya – indem er aufstellt; sthiram – fest; āsanam – Sitz; ātmanaḥ – auf sich selbst gestellt; na – nicht; ati – zu; ucchritam – hoch; na – noch; ati – zu; nīcam – niedrig; caila-ajna – weiches Tuch und Tierhaut; kuśottaram kuśa-Gras; tatra – darüber; ekāgram – Aufmerksamkeit; mahnaḥ – Geist; kṛtvā – wenn man so handelt; yata-citta – den Geist kontrollierend; indriya – Sinne; kriyaḥ – Aktivitäten; upaviśya – wenn man sitzt auf; āsane – auf dem Sitz; yuñjyāt – ausüben; yogam yoga-Praxis; ātma – Herz; viśuddhaye – um zu reinigen.

ÜBERSETZUNG

Um yoga zu praktizieren, sollte man an einen einsamen Ort gehen, kuśa-Gras auf den Boden legen und es mit einer Hirschhaut und einem weichen Tuch bedecken. Der Sitz sollte weder zu hoch noch zu niedrig sein und an einem heiligen Ort liegen. Der yogī sollte in aufrechter Haltung darauf sitzen und yoga praktizieren, indem er den Geist und die Sinne beherrscht, das Herz reinigt und den Geist auf einen Punkt fixiert.

ERKLÄRUNG

„Heiliger Ort“ bezieht sich auf Pilgerstätten. In Indien verlassen die yogīs, Transzendentalisten und Gottgeweihten ihre Heimat und wohnen an heiligen Orten wie Prayāg, Mathurā, Vṛndāvana, Hṛṣīkeśa und Hardwar und praktizieren dort, wo die heiligen Flüsse wie der Yamunā und der Ganges fließen, in Einsamkeit yoga. Oft aber ist dies – besonders für westliche Menschen – nicht möglich. Die sogenannten yoga-Gesellschaften in den großen Städten mögen zwar erfolgreich darin sein, materielle Gewinne zu machen, doch sie sind keineswegs geeignet, echten yoga zu praktizieren. Wer nicht selbstkontrolliert und wessen Geist nicht ungestört ist, kann nicht meditieren. Deshalb wird im Bṛhan-Nāradīya Purāṇa gesagt, daß im Kali-yuga (dem gegenwärtigen yuga oder Zeitalter), wenn die meisten Menschen kurzlebig, langsam in spiritueller Verwirklichung und ständig von verschiedenen Ängsten verfolgt sind, das beste Mittel zur spirituellen Verwirklichung das Chanten der heiligen Namen des Herrn ist.

harer nāma harer nāma harer nāmaiva kevalam
kalau nāsty eva nāsty eva nasty eva gatir anyathā.

„In diesem Zeitalter des Streites und der Heuchelei ist das einzige Mittel zur Befreiung das Chanten der heiligen Namen des Herrn. Es gibt keinen anderen Weg. Es gibt keinen anderen Weg. Es gibt keinen anderen Weg.“

VERS 13–14

समं कायशिरोग्रीवं धारयन्नचलं स्थिरः ।
संप्रेक्ष्य नासिकाग्रं स्वं दिशश्चानवलोकयन् ॥१३॥

प्रशान्तात्मा विगतभीर्ब्रह्मचारिव्रते स्थितः ।
मनः संयम्य मच्चित्तो युक्त आसीत मत्परः ॥१४॥

samaṁ kāya-śiro-grīvaṁ
dhārayann acalaṁ sthiraḥ
samprekṣya nāsikāgraṁ svaṁ
diśaś cānavalokayan

praśāntātmā vigata-bhīr
brahmacāri-vrate sthitaḥ
manaḥ saṁyamya mac-citto
yukta āsīta mat-paraḥ

samam – gerade; kāya-śiraḥ – Körper und Kopf; grīvam – Nacken; dhārayan – haltend; acalam – unbewegt; sthiraḥ – ruhig; samprekṣya – sehend; nāsikā – Nase; agram – Spitze; svam – eigene; diśaḥ – alle Seiten; ca – auch; anavalokayan – nicht sehend; praśānta – ungestört; ātmā – Geist; vigata-bhīḥ – frei von Furcht; brahmacāri-vrate – mit dem Gelübde des Zölibats; sthitaḥ – befindlich; manaḥ – Geist; saṁyamya – vollständig überwunden; mat – zu Mir (Kṛṣṇa); cittaḥ – konzentriert; yuktaḥ – wirklicher yogī; āsīta – so seiend; mat – zu Mir; paraḥ – endgültiges Ziel.

ÜBERSETZUNG

Man sollte Körper, Nacken und Kopf aufrecht, in einer geraden Linie halten und fortwährend auf die Nasenspitze starren. Auf diese Weise sollte man mit ungestörtem, kontrolliertem Geist, ohne Furcht und völlig frei von Sexualität über Mich im Herzen meditieren und Mich zum endgültigen Ziel des Lebens machen.

ERKLÄRUNG

Das Ziel des Lebens besteht darin, Kṛṣṇa zu erkennen, der als Paramātmā, die vierhändige Viṣṇu-Form, im Herzen jedes Lebewesens weilt. Der yoga-Vorgang wird praktiziert, um diese lokalisierte Form Viṣṇus zu entdecken und zu sehen – und mit keinem anderen Ziel. Der lokalisierte Viṣṇu-mūrti ist die vollständige Repräsentation Kṛṣṇas, die im Herzen eines jeden gegenwärtig ist. Ein Mensch, der nicht die Absicht hat, diesen Viṣṇu-mūrti zu erkennen, ist nur mit nutzlosem „Schein-yoga“ beschäftigt und verschwendet seine Zeit. Kṛṣṇa ist das endgültige Ziel des Lebens, und der Viṣṇu-mūrti, der in jedem Herzen weilt, ist das Ziel der yoga-Praxis. Um diesen Viṣṇu-mūrti im Herzen zu erkennen, muß man sich der Sexualität gänzlich enthalten; daher muß man sein Heim verlassen, allein an einem einsamen Ort leben und in der oben beschriebenen Sitzstellung verharren. Man kann nicht täglich zu Hause oder anderswo Sexualität genießen, an einem sogenannten yoga-Kursus teilnehmen und auf diese Weise ein yogī werden. Man muß sich vielmehr darin üben, den Geist zu kontrollieren und alle Arten von Sinnesbefriedigung zu vermeiden, von denen Sexualität an erster Stelle steht. In den Regeln des Zölibats, die von dem großen Weisen Yājñavalkya zusammengestellt wurden, heißt es:

karmaṇa manasā vācā sarvāvasthāsu sarvadā
sarvatra maithuṇa-tyāgo brahmacaryaṁ pracakṣate.

„Das Gelübde des brahmacarya ist dazu bestimmt, einem Menschen zu helfen, sich bei seinen Handlungen, Worten und Gedanken der Sexualität ganz und gar zu enthalten – überall, zu jeder Zeit und unter allen Umständen.“

Niemand kann echten yoga praktizieren und dabei seiner Sexualität freien Lauf lassen. Brahmacarya wird deshalb von Kindheit an gelehrt, wenn man noch nichts von Sexualität weiß. Im Alter von fünf Jahren werden die Kinder zum guru-kula (dem Ort, an dem der geistige Meister lebt) geschickt, und der Meister erzieht die kleinen Jungen in einer strengen Ordnung, damit sie zu brahmacārīs werden. Ohne diese Praxis kann niemand Fortschritt in irgendeinem yoga machen, ganz gleich ob es sich dabei um dhyāna, jñāna oder bhakti handelt. Ein Mensch jedoch, der den Regeln und Regulierungen des verheirateten Lebens folgt und nur mit seiner Frau eine sexuelle Beziehung unterhält (und auch das nur unter Regulierungen), wird ebenfalls brahmacārī genannt. Solch ein regulierter Haushälter-brahmacārī wird von der bhakti-Schule akzeptiert, die jñāna- und die dhyāna-Schule jedoch erkennen nicht einmal einen Haushälter-brahmacārī an. Sie verlangen kompromißlos völlige Enthaltsamkeit. In der bhakti-Schule ist einem Haushälter-brahmacārī ein kontrolliertes Geschlechtsleben erlaubt, denn bhakti-yoga ist so mächtig, daß man von selbst die Anziehung zur Sexualität verliert, da man im höherstehenden Dienst des Herrn beschäftigt ist. In der Bhagavad-gītā wird gesagt:

viṣayā vinivartante nirāhārasya dehinaḥ
rasa-varjaṁ raso ’py asya paraṁ dṛṣṭvā nivartate

„Die verkörperte Seele kann zwar von Sinnesfreuden zurückgehalten werden, doch der Geschmack für die Sinnesobjekte bleibt; wenn sie jedoch solche Neigungen aufgibt, da sie einen höheren Geschmack erfährt, ist sie im transzendentalen Bewußtsein gefestigt.“ (Bg. 2.59)

Während andere gezwungen sind, sich von Sinnesbefriedigung zurückzuhalten, ist ein Gottgeweihter von selbst enthaltsam, da er einen höheren Geschmack entwickelt hat. Außer dem Gottgeweihten hat niemand von diesem höheren Geschmack Kenntnis.

Vigatabhīḥ. Man kann nicht ohne Furcht sein, solange man nicht völlig Kṛṣṇa-bewußt ist. Eine bedingte Seele ist voller Furcht, weil ihr Gedächtnis pervertiert ist, das heißt, weil sie ihre ewige Beziehung zu Kṛṣṇa vergessen hat. Das Bhāgavatam sagt: bhayaṁ dvitīyābhiniveśataḥ syād īśād apetasya viparyayo ’smṛtiḥ: Kṛṣṇa-Bewußtsein ist die einzige Grundlage für Furchtlosigkeit. Deshalb ist es nur einem Kṛṣṇa-bewußten Menschen möglich, yoga in Vollendung zu praktizieren. Und da es das endgültige Ziel des yoga ist, den Herrn im Innern zu sehen, ist ein Kṛṣṇa-bewußter Mensch der beste aller yogīs. Die Prinzipien des yoga-Systems, die hier erwähnt werden, sind von denen der populären, sogenannten yoga-Gesellschaften verschieden.

VERS 15

युञ्जन्नेवं सदात्मानं योगी नियतमानसः ।
शान्तिं निर्वाणपरमां मत्संस्थामधिगच्छति ॥१५॥

yuñjann evaṁ sadātmānaṁ
yogī niyata-mānasaḥ
śāntiṁ nirvāṇa-paramāṁ
mat-saṁsthām adhigacchati

yuñjan – wenn man auf diese Weise praktiziert; evam – wie oben erwähnt; sadā – ständig; ātmānam – Körper, Geist und Seele; yogī – der mystische Transzendentalist; niyata-mānasaḥ – regulierter Geist; śāntim – Friede; nirvāṇa-paramāṁ – Beendigung des materiellen Daseins; mat-saṁsthām – in der spirituellen Welt (dem Königreich Gottes); adhigacchati – erreicht.

ÜBERSETZUNG

Während sich der Transzendentalist somit darin übt, Körper, Geist und Aktivitäten zu kontrollieren, beendet er das materielle Dasein und geht in das Königreich Gottes [das Reich Kṛṣṇas] ein.

ERKLÄRUNG

Das endgültige Ziel beim Praktizieren von yoga ist nun eindeutig erklärt. Yoga ist nicht dazu gedacht, irgendwelche materiellen Annehmlichkeiten zu erlangen; es soll dazu befähigen, das materielle Dasein zu beenden. Wer seine Gesundheit verbessern will und nach materieller Vervollkommnung strebt, ist nach der Bhagavad-gītā kein yogī. Auch bedeutet die Beendigung des materiellen Daseins nicht, daß man in „die Leere“ eingeht, die ohnehin lediglich ein Mythos ist. Nirgendwo in der Schöpfung des Herrn gibt es Leere. Vielmehr geht man nach der Beendigung des materiellen Daseins in den transzendentalen Himmel, das Reich des Herrn, ein. Das Reich des Herrn wird auch in der Bhagavad-gītā eindeutig als der Ort beschrieben, an dem weder Sonne noch Mond, noch Elektrizität notwendig sind. Wie die Sonne im materiellen Himmel, so leuchten auch alle Planeten im spirituellen Königreich aus sich selbst heraus. Das Königreich Gottes ist zwar überall, doch der transzendentale Himmel und seine Planeten werden paraṁ-dhāma (höhere Reiche) genannt.

Wie hier vom Herrn Selbst eindeutig erklärt wird (mat-cittaḥ, mat-paraḥ, mat-sthānam), kann ein vollendeter yogī, der Śrī Kṛṣṇa vollkommen erkennt, wirklichen Frieden finden und letztlich Sein höchstes Reich, Kṛṣṇaloka, erreichen, das als Goloka Vṛndāvana bekannt ist. In der Brahma-saṁhitā wird eindeutig gesagt (goloka eva nivasaty akhilātma-bhūtaḥ), daß der Herr, obwohl Er Sich ständig in Seinem Reich Goloka aufhält, durch Seine höheren, spirituellen Energien das alldurchdringende Brahman wie auch der lokalisierte Paramātmā ist. Niemand kann die spirituelle Welt erreichen oder in das ewige Reich des Herrn (Vaikuṇtha Goloka Vṛndāvana) eingehen, ohne Kṛṣṇa und Seine vollständige Erweiterung Viṣṇu richtig zu verstehen. Deshalb ist ein Mensch, der im Kṛṣṇa-Bewußtsein handelt, der vollkommene yogī, denn sein Geist ist fortwährend in die Aktivitäten Kṛṣṇas vertieft. Sa vai manaḥ kṛṣṇa-padāravindayoḥ. Auch lernen wir aus den Veden: tam eva viditvātimṛtyum eti: „man kann von Geburt und Tod nur frei werden, wenn man den Höchsten Persönlichen Gott, Kṛṣṇa, versteht.“ Mit anderen Worten, die Vollkommenheit des yoga-Systems besteht in der Befreiung vom materiellen Dasein, und nicht in irgendwelchen magischen Wortspielereien oder gymnastischen Kunststücken, die nur dazu dienen, unschuldige Menschen zum Narren zu halten.

VERS 16

नात्यश्नतस्तु योगोऽस्ति न चैकान्तमनश्नतः ।
न चातिस्वप्नशीलस्य जाग्रतो नैव चार्जुन ॥१६॥

nātyaśnatas tu yogo’sti
na caikāntam anaśnataḥ
na cāti svapna-śīlasya
jāgrato naiva cārjuna

na – niemals; ati – zuviel; aśnataḥ – von jemandem, der so ißt; tu – aber; yogaḥ – sich mit dem Höchsten verbinden; asti – es gibt; na – auch nicht; ca – auch; ekāntam – sehr wenig; anaśnataḥ – sich vom Essen zurückhalten; na – und nicht; ca – auch; ati – zuviel; svapna-śīlasya – von einem, der zuviel schläft; jāgrataḥ – oder einem, der die Nacht hindurch wacht; na – nicht; eva – jemals; ca – und; arjuna – O Arjuna.

ÜBERSETZUNG

O Arjuna, es ist nicht möglich, ein yogī zu werden, wenn man zuviel ißt oder zuwenig ißt, wenn man zuviel schläft oder nicht genügend schläft.

ERKLÄRUNG

Hier wird den yogīs empfohlen, Essen und Schlafen zu regulieren. Zuviel zu essen bedeutet, mehr zu essen als notwendig ist, um Körper und Seele zusammenzuhalten. Für die Menschen ist es nicht notwendig, Tiere zu essen, da ein ausreichender Vorrat an Getreide, Gemüse, Früchten und Milch vorhanden ist. Nach den Aussagen der Bhagavad-gīta befinden sich diese einfachen Nahrungsmittel in der Erscheinungsweise der Reinheit. Tierische Nahrung ist für diejenigen bestimmt, die sich in der Erscheinungsweise der Unwissenheit befinden. Daher werden diejenigen, die tierische Nahrung zu sich nehmen, die trinken, rauchen und Nahrung essen, die nicht zuerst Kṛṣṇa geopfert wurde, sündhafte Reaktionen erleiden – denn sie essen nur verunreinigte Dinge. Bhuñjate te tv aghaṁ papa ye pacanty ātma-kāraṇāt. Jeder, der zur Sinnesfreude ißt oder für sich selbst kocht, ißt nur Sünde, weil er seine Nahrung Kṛṣṇa nicht opfert. Wer Sünde ißt und mehr ißt als ihm zusteht, kann keinen vollendeten yoga praktizieren. Das beste ist, nur die Überreste von Speisen zu essen, die Kṛṣṇa geopfert wurden. Ein Mensch im Kṛṣṇa-Bewußtsein ißt nichts, was nicht zuerst Kṛṣṇa geopfert wurde. Deshalb kann nur ein Kṛṣṇa-bewußter Mensch Vollkommenheit im yoga erreichen. Auch kann niemand yoga praktizieren, der sich künstlich vom Essen zurückhält und nach eigenem Gutdünken fastet. Der Kṛṣṇa-bewußte Mensch fastet, wenn es in den Schriften empfohlen wird. Er fastet nicht länger oder ißt nicht mehr als notwendig, und daher ist er fähig, yoga zu praktizieren. Wer zuviel ißt, wird während des Schlafes sehr viel träumen und folglich länger schlafen als notwendig. Man sollte täglich nicht mehr als sechs Stunden schlafen. Wer von den vierundzwanzig Stunden mehr als sechs Stunden schläft, wird zweifellos von der Erscheinungsweise der Unwissenheit beeinflußt. Ein Mensch in der Erscheinungsweise der Unwissenheit ist faul und neigt dazu, sehr viel zu schlafen. Solch ein Mensch kann nicht yoga praktizieren.

VERS 17

युक्ताहारविहारस्य युक्तचेष्टस्य कर्मसु ।
युक्तस्वप्नावबोधस्य योगो भवति दुःखहा ॥१७॥

yuktāhāra-vihārasya
yukta-ceṣṭasya karmasu
yukta-svapnāvabodhasya
yogo bhavati duḥkha-hā

yukta – reguliert; āhāra – Essen; vihārasya – Erholung; yukta – reguliert; ceṣṭasya – von einem, der arbeitet, um für seinen Lebensunterhalt zu sorgen; karmasu – bei der Erfüllung von Pflichten; yukta – reguliert; svapna-avabodhasya – regulierter Schlaf und reguliertes Wachsein; yogaḥ – Praxis von yoga; bhavati – wird; duḥkha-hā – Schmerzen verringernd.

ÜBERSETZUNG

Wer das yoga-System praktiziert und im Essen, Schlafen, Arbeiten und Sich-erholen maßvoll ist, kann alle materiellen Leiden vermindern.

ERKLÄRUNG

Maßlosigkeit im Essen, Schlafen, in der Verteidigung und im Geschlechtsleben – in den grundlegenden Bedürfnissen des Körpers also – kann den Fortschritt im yoga aufhalten. Das Essen kann nur reguliert sein, wenn man gewohnt ist, prasādam (geheiligte Nahrung) zu sich zu nehmen. Nach den Aussagen der Bhagavad-gītā (Bg. 9.26) sollten Śrī Kṛṣṇa Gemüse, Blumen, Früchte, Getreide, Milch usw. geopfert werden. Auf diese Weise wird ein Mensch im Kṛṣṇa-Bewußtsein geschult, keine Nahrung anzunehmen, die nicht für die Ernährung des Menschen bestimmt ist und sich also nicht in der Erscheinungsweise der Reinheit befindet. Was das Schlafen betrifft, so ist ein Kṛṣṇa-bewußter Mensch immer bereit, seine Pflichten im Kṛṣṇa-Bewußtsein zu erfüllen, und deshalb sieht er jede unnötig verschlafene Zeit als großen Verlust an. Ein Kṛṣṇa-bewußter Mensch kann es nicht ertragen, auch nur eine Minute seines Lebens verstreichen zu lassen, ohne im Dienste Kṛṣṇas beschäftigt zu sein. Deshalb ist sein Schlaf auf ein Mindestmaß beschränkt. Sein Vorbild ist in dieser Hinsicht Śrīla Rūpa Gosvāmī; er war ständig im Dienste Kṛṣṇas beschäftigt und konnte nicht länger als zwei Stunden täglich schlafen – und manchmal nicht einmal das. Bevor Thākura Haridāsa nicht täglich dreihunderttausendmal den heiligen Namen auf seiner Gebetskette gechantet hatte, nahm er nicht einmal prasādam zu sich oder schlief auch nur für einen Augenblick. Was Arbeit betrifft, so tut ein Kṛṣṇa-bewußter Mensch nichts, was nicht mit dem Interesse Kṛṣṇas verbunden ist, und daher ist sein Handeln immer reguliert und nicht von Sinnesbefriedigung befleckt. Da ein Mensch im Kṛṣṇa-Bewußtsein mit Sinnesbefriedigung nichts zu tun hat, gibt es für ihn keinen materiellen Müßiggang. Und da er bei all seinem Handeln, Sprechen, Schlafen, Wachsein und allen anderen körperlichen Aktivitäten reguliert ist, gibt es für ihn kein materielles Leid.

VERS 18

यदा विनियतं चित्तमात्मन्येवावतिष्ठते ।
निस्पृहः सर्वकामेभ्यो युक्त इत्युच्यते तदा ॥१८॥

yadā viniyataṁ cittam
ātmany evāvatiṣṭhate
nispṛhaḥ sarva-kāmebhyo
yukta ity ucyate tadā

yadā – wenn; viniyatam – im einzelnen gezügelt; cittam – der Geist und seine Aktivitäten; ātmani – in der Transzendenz; eva – gewiß; avatiṣṭhate – wird verankert; nispṛhaḥ – frei von; sarva – allen Arten von; kāmebhyaḥ – materiellen Verlangen; yuktaḥ – fest im yoga verankert; iti – so; ucyate – man sagt er sei; tadā – zu dieser Zeit.

ÜBERSETZUNG

Wenn der yogī durch das Praktizieren von yoga die Aktivitäten seines Geistes zügelt und, frei von materiellen Verlangen, in der Transzendenz verankert wird, sagt man von ihm, er habe yoga erreicht.

ERKLÄRUNG

Die Aktivitäten eines yogī unterscheiden sich von denen eines gewöhnlichen Menschen dadurch, daß er alle Arten von materiellen Verlangen, von denen Sexualität an erster Stelle steht, aufgegeben hat. Ein vollkommener yogī ist in den Aktivitäten des Geistes so gut kontrolliert, daß er nicht länger von irgendwelchen materiellen Verlangen gestört werden kann. Wie im Śrīmad-Bhāgavatam bestätigt wird, kann diese Stufe der Vollkommenheit von einem Menschen im Kṛṣṇa-Bewußtsein sehr leicht erreicht werden:

sa vai manaḥ kṛṣṇa-padāravindayor vacāṁsi vaikuṇṭha-guṇānavarṇane
karau harer mandira-mārjanādiṣu śrutiṁ cakārācyuta-sat-kathodaye
mukunda-liṅgālaya-darśane dṛśau tad-bhṛtyagātra-sparśe ’ṅga-saṅgamam
ghrāṇaṁ ca tat-pāda-saroja-saurabhe śrīmat tulasyā rasanāṁ tad-arpite
pādau hareḥ kṣetra-padānusarpane śiro hṛṣīkeśa-padābhivandane
kāmaṁ ca dāsye na tu kāma-kāmyayā yathottama-śloka-janāśrayā ratiḥ

„König Ambarīṣa richtete als erstes seinen Geist auf die Lotusfüße Śrī Kṛṣṇas; dann beschrieb er mit seinen Worten die transzendentalen Eigenschaften des Herrn; mit seinen Händen wischte er den Tempel des Herrn; mit seinen Ohren hörte er über die Aktivitäten des Herrn; mit seinen Augen sah er die transzendentalen Formen des Herrn; mit seinem Körper berührte er die Körper der Gottgeweihten; mit seinem Geruchsinn roch er den Duft des Lotus, der dem Herrn dargebracht war; mit seiner Zunge schmeckte er das tulasī-Blatt, das den Lotusfüßen des Herrn geopfert war; mit seinen Beinen ging er zu Pilgerstätten und zu den Tempeln des Herrn; er beugte seinen Kopf, um dem Herrn Ehrerbietungen darzubringen und beschäftigte seine Verlangen darin, die Botschaft des Herrn zu erfüllen. All diese transzendentalen Aktivitäten sind einem reinen Gottgeweihten angemessen.“ (Bhāg. 9.4.18–20)

Den Anhängern der Unpersönlichkeitslehre mag diese transzendentale Stufe unaussprechlich subjektiv erscheinen, doch wie aus der obigen Beschreibung der Beschäftigungen Mahārāja Ambarīṣas eindeutig hervorgeht, ist das Handeln auf dieser Stufe für einen Menschen im Kṛṣṇa-Bewußtsein sehr einfach und praktisch. Wenn die Gedanken durch fortwährende Erinnerung nicht fest auf die Lotusfüße des Herrn gerichtet sind, sind solche transzendentalen Beschäftigungen nicht praktizierbar. Im hingebungsvollen Dienst des Herrn werden diese vorgeschriebenen Aktivitäten daher arcanā genannt, was bedeutet, daß alle Sinne im Dienste des Herrn beschäftigt werden. Die Sinne und der Geist verlangen nach Beschäftigung; sie einfach zu verleugnen ist nicht praktisch. Deshalb ist für die meisten Menschen – besonders für diejenigen, die sich nicht auf der Lebensstufe der Entsagung befinden – die transzendentale Beschäftigung der Sinne und des Geistes, wie oben beschrieben wurde, der vollkommene Vorgang, um die transzendentale Stufe zu erreichen, die in der Bhagavad-gītā yukta genannt wird.

VERS 19

यथा दीपो निवातस्थो नेङ्गते सोपमा स्मृता ।
योगिनो यतचित्तस्य युञ्जतो योगमात्मनः ॥१९॥

yathā dīpo nivātastho
neṅgate sopamā smṛtā
yogino yata-cittasya
yuñjato yogam ātmanaḥ

yathā – wie; dīpaḥ – eine Lampe; nivātasthaḥ – an einem Ort ohne Wind; na – nicht; iṅgate – flackern; sā upamā – damit verglichen; smṛtā – verglichen; yogīnaḥ – des yogīs; yata-cittasya – dessen Geist kontrolliert ist; yuñjataḥ – ständig beschäftigt mit; yogam – Meditation; ātmanaḥ – über die Transzendenz.

ÜBERSETZUNG

Gleich einem Licht, das an einem windstillen Ort nicht flackert, bleibt der Transzendentalist, dessen Geist kontrolliert ist, in seiner Meditation über das transzendentale Selbst immer stetig.

ERKLÄRUNG

Ein wahrhaft Kṛṣṇa-bewußter Mensch, der immer in der Transzendenz verankert und in eine ständige, ungestörte Meditation über seinen verehrungswürdigen Herrn versunken ist, ist so beständig wie ein Licht an einem windstillen Ort.

VERS 20–23

यत्रोपरमते चित्तं निरुद्धं योगसेवया ।
यत्र चैवात्मनात्मानं पश्यन्नात्मनि तुष्यति ॥२०॥

सुखमात्यन्तिकं यत्तद्बुद्धिग्राह्यमतीन्द्रियम् ।
वेत्ति यत्र न चैवायं स्थितश्चलति तत्त्वतः ॥२१॥

यं लब्ध्वा चापरं लाभं मन्यते नाधिकं ततः ।
यस्मिन्स्थितो न दुःखेन गुरुणापि विचाल्यते ॥२२॥

तं विद्याद्दुःखसंयोगवियोगं योगसंज्ञितम् ।
स निश्चयेन योक्तव्यो योगोऽनिर्विण्णचेतसा ॥२३॥

yatroparamate cittaṁ
niruddhaṁ yoga-sevayā
yatra caivātmanātmānaṁ
paśyann ātmani tuṣyati

sukham ātyantikaṁ yat tad
buddhi-grāhyam atīndriyam
vetti yatra na caivāyaṁ
sthitaś calati tattvataḥ

yaṁ labdhvā cāparaṁ lābhaṁ
manyate nādhikaṁ tataḥ
yasmin sthito na duḥkhena
guruṇāpi vicālyate
taṁ vidyād duḥkha-saṁyoga-
viyogaṁ yoga-saṁjñitam

yatra – in diesem Zustand der Dinge; uparamate – wenn man transzendentales Glück fühlt; cittam – geistige Aktivitäten; niruddham – von Materie zurückgehalten; yoga-sevayā – durch das Praktizieren von yoga; yatra – in diesem; ca – auch; eva – gewiß; ātmanā – durch den reinen Geist; ātmānam – Selbst; paśyan – wenn man die Position erkennt; ātmani – im Selbst; tuṣyati – wird zufrieden; sukham – Glück; ātyantikam – höchstes; yat – in welchem; tat – dieses; buddhi – Intelligenz; grāhyam – annehmbar; atīndriyam – transzendental; vetti – kennt; yatra – worin; na – niemals; ca – auch; eva – gewiß; ayam – in diesem; sthitaḥ – befindlich; calati – bewegt; tattvataḥ – von der Wahrheit; yam – das, was; labdhvā – durch Erlangen; ca – auch; aparam – irgendein anderer; lābham – gewinnen; manyate – ist unbedeutend; na – niemals; adhikam – mehr als das; tataḥ – davon; yasmin – in welchem; sthitaḥ – befindlich; na – niemals; duḥkhena – durch Leiden; guruṇāpi – obwohl sehr schwierig; vicālyate – wird erschüttert; tam – dieses; vidyāt – du mußt wissen; duḥkha-saṁyoga – Leiden, die aus der Berührung mit Materie entstehen; viyogam – Ausrottung; yoga-saṁjñitam – Trance in yoga.

ÜBERSETZUNG

Wenn der Geist durch das Praktizieren von yoga von allen Aktivitäten in der Materie vollständig zurückgehalten wird, nennt man diese Stufe der Vollkommenheit Trance oder samādhi. Auf dieser Ebene kann man durch den reinen Geist das Selbst sehen, sich am Selbst erfreuen und im Selbst genießen. In diesem freudigen Zustand erfährt man grenzenloses transzendentales Glück und genießt sich selbst durch transzendentale Sinne. Wenn man diese Stufe erreicht hat, weicht man niemals von der Wahrheit ab und denkt, daß es keinen größeren Gewinn gibt. In einer solchen Position gerät man niemals, nicht einmal inmitten der größten Schwierigkeiten, ins Wanken. Dies ist wirkliche Freiheit von allen Leiden, die aus der Berührung mit der Materie entstehen.

ERKLÄRUNG

Durch das Praktizieren von yoga löst man sich allmählich von materiellen Vorstellungen. Das ist das wesentliche Kennzeichen des yoga-Prinzips. Und daraufhin erreicht man die Stufe der Trance, des samādhi, was bedeutet, daß der yogī die Überseele durch den transzendentalen Geist und die transzendentale Intelligenz erkennt, ohne dem Irrtum zu unterliegen, das Selbst sei mit dem Überselbst identisch. Yoga basiert mehr oder weniger auf den Prinzipien des Patañjali-Systems. Einige unautorisierte Kommentatoren versuchen, die individuelle Seele mit der Überseele zu identifizieren, und die Monisten halten dies für Befreiung; jedoch verstehen sie nicht das wirkliche Ziel des Patañjali-yoga-Systems. Im Patañjali-System wird akzeptiert, daß es transzendentale Freude gibt; die Monisten jedoch akzeptieren diese transzendentale Freude nicht, weil sie befürchten, damit die Theorie des Einsseins zu gefährden. Die Dualität von Erkenntnis und Erkennendem wird von den Nicht-Dualisten nicht akzeptiert, doch in diesem Vers wird bestätigt, daß es transzendentale Freude gibt, die durch transzendentale Sinne erfahren wird. Und das wird auch von Patañjali Muni, dem berühmten Vertreter des yoga-Systems, bestätigt. Der große Weise erklärt in seinen Yoga-sūtras: puruṣārtha-śūnyānāṁ guṇānāṁ pratiprasavaḥ kaivalyaṁ svarūpa-pratiṣṭhā vā citi-śaktir iti.

Diese citi-śakti oder innere Energie ist transzendental. Puruṣārtha bedeutet materielle Religiosität, wirtschaftliche Entwicklung, Sinnesbefriedigung und am Ende der Versuch, mit dem Höchsten eins zu werden. Dieses „Einssein mit dem Höchsten“ wird von den Monisten kaivalyam genannt. Aber nach Patañjali ist dieses kaivalyam eine innere, transzendentale Energie, durch die sich das Lebewesen seiner wesenseigenen Position bewußt wird. Śrī Kṛṣṇa Caitanya nannte diesen Vorgang ceto-darpaṇa-mārjanaṁ, das Reinigen des unreinen Spiegels des Geistes. Dieses „Reinigen“ ist wirkliche Befreiung oder bhava-mahādāvāgni-nirvāpaṇaṁ. Die Theorie des nirvāṇa – ebenfalls eine vorbereitende Stufe der Erkenntnis – stimmt mit diesem Prinzip überein. Im Bhāgavatam wird dies svarūpeṇa vyavasthitiḥ genannt. Auch die Bhagavad-gītā bestätigt das in diesem Vers.

Nach dem nirvāṇa, dem Ende der materiellen Existenz, ist das Lebewesen mit spirituellen Aktivitäten, das heißt im hingebungsvollen Dienst des Herrn, beschäftigt – dies ist Kṛṣṇa-Bewußtsein. Wie das Bhāgavatam sagt: svarūpeṇa vyavasthitiḥ, dies ist das „wirkliche Leben“ des Lebewesens. Māyā (Illusion) ist spirituelles Leben, das durch materielle Infektion verunreinigt ist. Befreiung von dieser materiellen Verseuchung bedeutet nicht die Zerstörung der ursprünglichen, ewigen Position des Lebewesens. Auch Patañjali akzeptiert dies mit seinen Worten kaivalyam svarūpa-pratiṣṭhā vā citi-śaktir iti. Diese citi-śakti oder transzendentale Freude ist wirkliches Leben. In den Vedānta-sūtras wird dies mit den Worten ānandamayo ’bhyāsāt bestätigt. Diese natürliche, transzendentale Freude ist das endgültige Ziel des yoga, und sie wird ganz einfach durch hingebungsvolles Dienen (bhakti-yoga) erreicht. Bhakti-yoga wird im Siebten Kapitel der Bhagavad-gītā eingehend beschrieben.

In dem yoga-System, das in diesem Kapitel beschrieben wird, gibt es zwei Arten von samādhi: samprajñāta-samādhi und asamprajñāta-samādhi. Wenn man durch verschiedene philosophische Forschungen in der transzendentalen Position verankert wird, wird dies samprajñāta-samādhi genannt. In asamprajñāta-samādhi hat man keine Verbindung mehr mit weltlichen Freuden, denn man ist transzendental zu allem Glück, das durch die Sinne erfahren wird. Wenn ein yogī einmal in dieser transzendentalen Position verankert ist, kann er niemals darin erschüttert werden. Wenn der yogī jedoch nicht fähig ist, diese Position zu erreichen, ist er erfolglos. Der sogenannte yoga, der heutzutage praktiziert wird und der verschiedenartige Sinnesfreuden miteinschließt, ist widersprüchlich. Ein der Sexualität und der Berauschung ergebener yogī ist eine Witzfigur. Selbst die yogīs, die von den siddhis (Vollkommenheiten) im yoga angezogen werden, haben nicht die Vollkommenheit erreicht. Wenn die yogīs von den Nebenerscheinungen des yoga angezogen werden, können sie die Stufe der Vollkommenheit, wie sie in diesem Vers beschrieben wird, nicht erreichen. Menschen, die ihre Zeit mit der Zurschaustellung gymnastischer Kunststücke oder siddhis vergeuden, sollten wissen, daß das Ziel des yoga auf diese Weise verlorengeht.

Der beste Weg, in diesem Zeitalter yoga zu praktizieren, ist Kṛṣṇa-Bewußtsein, denn dort wird niemand zum Narren gehalten. Ein Kṛṣṇa-bewußter Mensch ist in seiner Beschäftigung so glücklich, daß er nach keinem anderen Glück begehrt. Beim Praktizieren von haṭha-yoga, dhyāna-yoga, und jñāna-yoga gibt es, gerade in diesem Zeitalter der Heuchelei, viele Hindernisse; bei der Ausübung von karma-yoga oder bhakti-yoga jedoch tauchen solche Schwierigkeiten nicht auf.

Solange der materielle Körper existiert, muß man sich auch mit den Bedürfnissen des Körpers, das heißt mit Essen, Schlafen, Sich-Verteidigen und Sexualität, befassen. Doch ein Mensch in reinem bhakti-yoga (Kṛṣṇa-Bewußtsein) erregt die Sinne nicht, während er die Bedürfnisse des Körpers befriedigt. Er erfüllt vielmehr die bloßen Lebensnotwendigkeiten, indem er das beste aus einem schlechten Geschäft macht, und genießt transzendentales Glück im Kṛṣṇa-Bewußtsein. Er wird von unverhofften Ereignissen wie Unfällen, Krankheiten, Armut und selbst dem Tod eines geliebten Verwandten nicht berührt, sondern ist immer bereit, seine Pflichten im Kṛṣṇa-Bewußtsein (bhakti-yoga) zu erfüllen. Unfälle hindern ihn niemals an der Erfüllung seiner Pflicht. In der Bhagavad-gītā wird dazu gesagt: āgamāpāyino ’nityās tāṁs titikṣasva bhārata. Er duldet diese unerwarteten Ereignisse, weil er weiß, daß sie kommen und gehen und seine Pflichten nicht beeinflussen. Auf diese Weise erreicht er die höchste Vollkommenheit im yoga.

VERS 24

सङ्कल्पप्रभवान्कामांस्त्यक्त्वा सर्वानशेषतः ।
मनसैवेन्द्रियग्रामं विनियम्य समन्ततः ॥२४॥

sa niścayena yoktavyo
yogo ’nirviṇṇa-cetasā
saṅkalpa-prabhavān kāmāṁs
tyaktvā sarvān aśeṣataḥ
manasaivendriya-grāmaṁ
viniyamya samantataḥ

saḥ – dieses yoga-System; niścayena – mit fester Entschlossenheit; yoktavyaḥ – muß praktiziert werden; yogaḥ – in dieser Praxis; anirviṇṇa-cetasā – ohne Abweichung; saṅkalpa – materielle Verlangen; prabhavān – geboren aus; kāmān – Sinnesbefriedigung; tyaktvā – wenn man aufgibt; sarvān – alle; aśeṣatah – vollständig; manasā – durch den Geist; eva – gewiß; indriya-grāmam – alle Sinne; viniyamya – regulierend; samantataḥ – von allen Seiten.

ÜBERSETZUNG

Man sollte yoga mit fester Entschlossenheit und unerschütterlichem Vertrauen praktizieren. Dabei sollte man alle materiellen Verlangen, die aus dem falschen Ich geboren werden, ohne Ausnahme aufgeben und auf diese Weise alle Sinne durch den Geist beherrschen.

ERKLÄRUNG

Wer yoga praktiziert, sollte entschlossen sein und geduldig, ohne abzuweichen, dem vorgeschriebenen Pfad folgen. Man sollte vom letztlichen Erfolg überzeugt sein, diesem Pfad mit großer Ausdauer folgen und nicht entmutigt sein, wenn sich kein augenblicklicher Erfolg einstellt. Einem Menschen, der fest entschlossen und unnachgiebig yoga praktiziert, ist der Erfolg sicher. Rūpa Gosvāmī sagt über bhakti-yoga:

utsāhān niścayād dhairyāt tat tat karma-pravartanāt
saṅga-tyāgāt satovṛtteḥ ṣaḍbhir bhaktiḥ prasidhyati

„Bhakti-yoga kann mit Erfolg praktiziert werden, wenn man mit aufrichtigem Enthusiasmus, mit Ausdauer und Entschlossenheit den vorgeschriebenen Pflichten in der Gemeinschaft von Gottgeweihten folgt und vollständig in Aktivitäten der Reinheit beschäftigt ist.“

Was Entschlossenheit betrifft, so sollte man dem Beispiel des Sperlings folgen, der seine Eier in den Wellen des Ozeans verlor; Ein Sperlingsweibchen hatte seine Eier an den Strand gelegt, woraufhin der weite Ozean die Eier auf seinen Wellen davontrug. Der kleine Vogel wurde sehr aufgeregt und bat den Ozean, die Eier zurückzugeben. Der Ozean jedoch beachtete ihn nicht einmal. Daraufhin entschloß sich das Sperlingsweibchen, den Ozean auszutrocknen. Es begann mit seinem kleinen Schnabel Wasser zu schöpfen, und jeder lachte über seine unmögliche Entschlossenheit. Die Nachricht von seinem Vorhaben verbreitete sich rasch, und schließlich hörte auch Garuḍa davon, der riesige Vogel, der Viṣṇu trägt. Er bekam Mitleid mit seiner kleinen Vogelschwester, und so kam er, um das Sperlingsweibchen zu besuchen. Garuḍa war über die Entschlossenheit des kleinen Sperlings sehr erfreut und versprach, ihm zu helfen. Garuḍa befahl dem Ozean die Eier augenblicklich zurückzugeben und drohte, andernfalls würde er selbst die Arbeit des Sperlings übernehmen. Der Ozean war sehr erschrocken und gab die Eier zurück. Auf diese Weise wurde der Sperling durch die Gnade Garuḍas glücklich.

In ähnlicher Weise mag das Praktizieren von yoga, besonders von bhakti-yoga im Kṛṣṇa-Bewußtsein, sehr schwierig erscheinen, doch wenn jemand den Prinzipien mit großer Entschlossenheit folgt, wird ihm der Herr mit Sicherheit helfen – denn Gott hilft denen, die sich selbst helfen.

VERS 25

शनैः शनैरुपरमेद्बुद्ध्या धृतिगृहीतया ।
आत्मसंस्थं मनः कृत्वा न किञ्चिदपि चिन्तयेत् ॥२५॥

śanaiḥ śanair uparamed
buddhyā dhṛti-gṛhītayā
ātma-saṁsthaṁ manaḥ kṛtvā
na kiñcid api cintayet

śanaiḥ – allmählich; śanaiḥ – Schritt für Schritt; uparamet – verzögert; buddhyā – durch Intelligenz; dhṛti-gṛhītayā – mit der Überzeugung; ātma-saṁstham – in der Transzendenz verankert; manaḥ – Geist; kṛtvā – so handelnd; na – nichts; kiñcit – irgend etwas anderes; api – sogar; cintayet – denken an.

ÜBERSETZUNG

Allmählich, Schritt für Schritt und mit völliger Überzeugung, sollte man mit Hilfe der Intelligenz in Trance versinken und auf dieser Stufe den Geist allein auf das Selbst richten und an nichts anderes mehr denken.

ERKLÄRUNG

Durch echte Überzeugung und Intelligenz sollte man allmählich die Aktivitäten der Sinne beenden. Dies wird pratyāhāra genannt. Der Geist, der durch Überzeugung, Meditation und die Beendigung der Sinnesaktivitäten kontrolliert ist, sollte in Trance bzw. samādhi versenkt werden – dann besteht nicht länger die Gefahr, in der materiellen Auffassung des Lebens aktiv zu werden. Mit anderen Worten, obgleich man in die Materie verwickelt ist, solange der materielle Körper existiert, sollte man nicht an Sinnesbefriedigung denken. Man sollte an keine andere Freude denken, als an die Freude des Höchsten Selbst. Dieser Zustand wird ohne Schwierigkeit erreicht, wenn man Kṛṣṇa-Bewußtsein direkt praktiziert.

VERS 26

यतो यतो निश्चलति मनश्चञ्चलमस्थिरम् ।
ततस्ततो नियम्यैतदात्मन्येव वशं नयेत् ॥२६॥

yato yato niścalati
manaś cañcalam asthiram
tatas tato niyamyaitad
ātmany eva vaśaṁ nayet

yataḥ – was immer; yataḥ – wo immer; niścalati – stark erregt; manaḥ – der Geist; cañcalam – flackernd; asthiram – unstet; tataḥ – von dort; tataḥ – und danach; niyamya – indem man reguliert; etat – dieses; ātmani – im Selbst; eva – gewiß; vaśam – Kontrolle; nayet – muß man bringen unter.

ÜBERSETZUNG

Wohin auch immer der Geist aufgrund seiner flackernden und unsteten Natur wandert – man muß ihn auf jeden Fall zurückziehen und wieder unter die Kontrolle des Selbst bringen.

ERKLÄRUNG

Der Geist ist von Natur aus flackernd und unstet. Ein selbstverwirklichter yogī jedoch muß den Geist kontrollieren; der Geist sollte nicht ihn kontrollieren. Wer den Geist kontrolliert (und damit auch die Sinne), wird gosvāmī oder svāmī genannt, und wer vom Geist kontrolliert wird, wird godāsa (Diener der Sinne) genannt. Ein gosvāmī kennt das Wesen der Sinnesfreude. Transzendentale Sinnesfreude erfährt man, wenn die Sinne im Dienste Hṛṣīkeśas (Kṛṣṇas), des Höchsten Besitzers der Sinne, beschäftigt sind. Kṛṣṇa mit gereinigten Sinnen zu dienen, wird Kṛṣṇa-Bewußtsein genannt. Dies ist der Weg, die Sinne völlig zu kontrollieren. Gibt es einen vollkommeneren yoga?

VERS 27

प्रशान्तमनसं ह्येनं योगिनं सुखमुत्तमम् ।
उपैति शान्तरजसं ब्रह्मभूतमकल्मषम् ॥२७॥

praśānta-manasaṁ hy enaṁ
yoginaṁ sukham uttamam
upaiti śānta-rajasaṁ
brahma-bhūtam akalmaṣam

praśānta – der Geist, der auf die Lotusfüße Kṛṣṇas fixiert ist; manasam – von einem, dessen Geist so fixiert ist; hi – gewiß; enam – dieses; yoginam – der yogī; sukham – Glück; uttamam – das höchste; upaiti – erreicht; śānta-rajasam – besänftigte Leidenschaft; brahma-bhūtam – befreit durch Identifizierung mit dem Absoluten; akalmaṣam – befreit von allen vergangenen sündigen Reaktionen.

ÜBERSETZUNG

Der yogī, dessen Geist fest auf Mich gerichtet ist, erreicht das höchste Glück. Weil er sich mit dem Brahman identifiziert, ist er befreit; sein Geist ist von Frieden erfüllt, seine Leidenschaften sind zur Ruhe gekommen, und er ist frei von allen Sünden.

ERKLÄRUNG

Brahma-bhūta ist der Seinszustand, in dem man von der materiellen Verunreinigung frei und im transzendentalen Dienst des Herrn verankert ist. Mad-bhaktim labhate parām (Bg. 18.54). Solange der Geist nicht fest auf die Lotusfüße des Herrn gerichtet ist, kann man die Eigenschaft des Brahman, des Absoluten, nicht beibehalten. Sa vai manaḥ kṛṣṇa-padāravindayoḥ. Immer im transzendentalen liebevollen Dienst des Herrn beschäftigt zu sein, das heißt im Kṛṣṇa-Bewußtsein zu bleiben, bedeutet, daß man von der Erscheinungsweise der Leidenschaft und allen materiellen Verunreinigungen tatsächlich befreit ist.

VERS 28

युञ्जन्नेवं सदात्मानं योगी विगतकल्मषः ।
सुखेन ब्रह्मसंस्पर्शमत्यन्तं सुखमश्नुते ॥२८॥

yuñjann evaṁ sadātmānaṁ
yogī vigata-kalmaṣaḥ
sukhena brahma-saṁsparśam
atyantaṁ sukham aśnute

yuñjan – wenn man auf diese Weise yoga praktiziert; evam – so; sadā – immer; ātmānam – Selbst; yogī – jemand, der mit dem Höchsten Selbst in Berührung ist; vigata – ist befreit von; kalmaṣaḥ – aller materiellen Verunreinigungen; sukhena – in transzendentalem Glück; brahma-saṁsparśam – da er in ständiger Berührung mit dem Höchsten ist; atyantam – höchstes; sukham – Glück; aśnute – erreicht.

ÜBERSETZUNG

Fest verankert im Selbst und befreit von aller materiellen Verunreinigung, erreicht der yogī, der mit dem Höchsten Bewußtsein verbunden ist, die am höchsten vervollkommnete Stufe des Glücks.

ERKLÄRUNG

Selbstverwirklichung bedeutet, seine wesenseigene Position in Beziehung zum Höchsten zu kennen. Die individuelle Seele ist ein winziges Bestandteil des Höchsten, und es ist ihre Position, dem Herrn transzendentalen Dienst zu leisten. Diese transzendentale Verbindung mit dem Höchsten wird brahma-saṁsparśa genannt.

VERS 29

सर्वभूतस्थमात्मानं सर्वभूतानि चात्मनि ।
ईक्षते योगयुक्तात्मा सर्वत्र समदर्शनः ॥२९॥

sarva-bhūta-stham ātmānaṁ
sarva-bhūtāni cātmani
īkṣate yoga-yukta-ātmā
sarvatra sama-darśanaḥ

sarva-bhūta-stham – die in allen Wesen weilt; ātmānam – die Überseele; sarva – alle; bhūtāni – Lebewesen; ca – auch; ātmani – im Selbst; īkṣate – sieht; yoga-yukta-ātmā – jemand, der sich im Kṛṣṇa-Bewußtsein befindet; sarvatra – überall; sama-darśanaḥ – als gleich ansehen.

ÜBERSETZUNG

Ein wahrer yogī sieht Mich in allen Wesen und alle Wesen in Mir. Wahrlich, die selbstverwirklichte Seele sieht Mich überall.

ERKLÄRUNG

Ein Kṛṣṇa-bewußter yogī ist der vollkommene Seher, da er Kṛṣṇa, den Höchsten, im Herzen eines jeden als Überseele (Paramātmā) sieht. Īśvaraḥ sarva-bhūtānāṁ hṛd-deśe ’rjuna tiṣṭhati. Der Herr in Seinem Paramātmā-Aspekt ist sowohl im Herzen eines Hundes als auch im Herzen eines brāhmaṇa anwesend. Der vollkommene yogī weiß, daß der Herr ewiglich transzendental ist und daß Er, obwohl Er in einem Hund oder einem brāhmaṇa anwesend ist, nicht von der Materie berührt wird. Dies ist die höchste Neutralität des Herrn. Auch die individuelle Seele befindet sich im individuellen Herzen, aber sie ist nicht in allen Herzen gegenwärtig. Das ist der Unterschied zwischen der individuellen Seele und der Überseele. Wer yoga nicht in rechter Weise praktiziert, kann dies nicht erkennen. Ein Kṛṣṇa-bewußter Mensch kann Kṛṣṇa sowohl im Herzen eines Gläubigen als auch im Herzen eines Ungläubigen sehen. In der smṛti wird dies wie folgt bestätigt: ātatatvāc ca mātṛtvād ātmā hi paramo hariḥ.

Weil der Herr der Ursprung aller Wesen ist, ist Er wie die Mutter und der Erhalter. Wie die Mutter gegenüber all ihren verschiedenen Kindern neutral ist, so ist es auch der Höchste Vater bzw. die Höchste Mutter. Folglich ist die Überseele in jedem Lebewesen immer gegenwärtig. Auch nach außen hin befindet sich jedes Lebewesen in der Energie des Herrn. Wie im Siebten Kapitel erklärt wird, hat der Herr zwei hauptsächliche Energien – die spirituelle (oder höhere Energie) und die materielle (oder niedere Energie). Obwohl das Lebewesen ein Teil der höheren Energie ist, wird es von der niederen Energie bedingt; das Lebewesen befindet sich jedoch immer in der Energie des Herrn. Jedes Lebewesen befindet sich auf die eine oder andere Weise in Ihm. Der yogī sieht alle Lebewesen mit gleicher Sicht, denn er sieht, daß sie unter allen Umständen Diener Gottes bleiben, obwohl sie sich, entsprechend der Ergebnisse ihrer fruchtbringenden Arbeit, in verschiedenen Situationen befinden. Während sich die Lebewesen in der materiellen Energie aufhalten, dienen sie den materiellen Sinnen, und wenn sie sich in der spirituellen Energie befinden, dienen sie dem Höchsten Herrn direkt. In jedem Fall aber ist das Lebewesen der Diener Gottes. Diese Sicht der Gleichheit findet in einem Menschen im Kṛṣṇa-Bewußtsein ihre Vollkommenheit.

VERS 30

यो मां पश्यति सर्वत्र सर्वञ्च मयि पश्यति ।
तस्याहं न प्रणश्यामि स च मे न प्रणश्यति ॥३०॥

yo māṁ paśyati sarvatra
sarvaṁ ca mayi paśyati
tasyāhaṁ na praṇaśyāmi
sa ca me na praṇaśyati

yaḥ – wer immer; mām – Mich; paśyati – sieht; sarvatra – überall; sarvam – alles; ca – und; mayi – in Mir; paśyati – er sieht; tasya – sein; aham – Ich; na – nicht; praṇaśyāmi – bin verloren; saḥ – er; ca – auch; me – für Mich; na – auch nicht; praṇaśyāti – ist verloren.

ÜBERSETZUNG

Wer Mich überall und alles in Mir sieht, ist immer mit Mir verbunden und niemals von Mir getrennt.

ERKLÄRUNG

Ein Mensch im Kṛṣṇa-Bewußtsein sieht Śrī Kṛṣṇa überall, und er sieht auch, daß alles in Kṛṣṇa ist. Solch ein Mensch sieht zwar alle verschiedenen Manifestationen der materiellen Natur, doch immer ist er sich über Kṛṣṇa bewußt, da er weiß, daß alles die Manifestation der Energie Kṛṣṇas ist. Nichts kann ohne Kṛṣṇa existieren, und Kṛṣṇa ist der Herr allen Seins – dies ist das grundlegende Prinzip des Kṛṣṇa-Bewußtseins. Kṛṣṇa-Bewußtsein bedeutet, Liebe zu Kṛṣṇa zu entwickeln – eine Position, die selbst zur Befreiung von der Materie transzendental ist. Es ist die Stufe jenseits der Selbstverwirklichung, auf der der Gottgeweihte mit Kṛṣṇa in dem Sinne eins wird, daß Kṛṣṇa alles für den Gottgeweihten wird und den Gottgeweihten Liebe zu Kṛṣṇa erfüllt. Dann besteht zwischen dem Herrn und dem Gottgeweihten eine vertrauliche Beziehung. Auf dieser Stufe erlangt das Lebewesen seine Unsterblichkeit. Auch verschwindet der Persönliche Gott niemals aus der Sicht des Gottgeweihten. Mit Kṛṣṇa zu verschmelzen bedeutet spirituelle Vernichtung, doch ein Gottgeweihter nimmt ein solches Risiko nicht auf sich. In der Brahma-saṁhitā wird gesagt:

premāñjana-cchurita-bhakti-vilocanena
santaḥ sadaiva hṛdayeṣu vilokayanti.
yaṁ śyāmasundaram acintya-guṇa-svarūpaṁ
govindam ādi-puruṣaṁ tam ahaṁ bhajāmi

„Ich verehre den urersten Herrn, Govinda, der immer von dem Gottgeweihten gesehen wird, dessen Augen mit dem Balsam der Liebe gesalbt sind. Er wird in Seiner ewigen Gestalt als Śyāmasundara gesehen, die im Herzen des Gottgeweihten weilt.“ (Bs. 5.38)

Aus dieser Stufe verschwindet Śrī Kṛṣṇa niemals aus der Sicht des Gottgeweihten, noch verliert der Gottgeweihte den Herrn jemals aus den Augen. Das gleiche gilt für einen yogī, der den Herrn als Paramātmā in seinem Herzen sieht. Solch ein yogī wandelt sich sehr bald in einen reinen Gottgeweihten und kann es nicht ertragen, auch nur einen Augenblick zu leben, ohne den Herrn in seinem Innern zu sehen.

VERS 31

सर्वभूतस्थितं यो मां भजत्येकत्वमास्थितः ।
सर्वथा वर्त्तमानोऽपि स योगी मयि वर्त्तते ॥३१॥

sarva-bhūta-sthitaṁ yo māṁ
bhajaty ekatvam āsthitaḥ
sarvathā vartamāno’pi
sa yogī mayi vartate

sarva-bhūta-sthitam – im Herzen eines jeden anwesend; yaḥ – derjenige, der; mām – Mir; bhajati – dient im hingebungsvollen Dienen; ekatvam – Einssein; āsthitaḥ – so befindlich; sarvathā – in jeder Hinsicht; vartamānaḥ – der sich befindet; api – trotz; saḥ – er; yogī – Transzendentalist; mayi – in Mir; vartate – bleibt.

ÜBERSETZUNG

Der yogī, der weiß, daß Ich und die Überseele in allen Geschöpfen eins sind, verehrt Mich und bleibt unter allen Umständen in Mir verankert.

ERKLÄRUNG

Ein yogī, der über die Überseele meditiert, sieht in seinem Innern die vollständige Erweiterung Kṛṣṇas – Viṣṇu – mit vier Händen, die Muschelhorn, Rad, Keule und Lotus halten. Der yogī sollte wissen, daß Viṣṇu von Kṛṣṇa nicht verschieden ist. Kṛṣṇa ist in dieser Form der Überseele in jedem Herzen anwesend. Auch gibt es keinen Unterschied zwischen den unzähligen Überseelen, die in den unzähligen Herzen der Lebewesen gegenwärtig sind. Und es besteht auch kein Unterschied zwischen einem Kṛṣṇa-bewußten Menschen, der ständig im transzendentalen liebevollen Dienst Kṛṣṇas beschäftigt ist, und einem vollkommenen yogī, der über die Überseele meditiert. Der yogī im Kṛṣṇa-Bewußtsein bleibt immer in Kṛṣṇa verankert, obwohl er im materiellen Dasein mit den unterschiedlichsten Aktivitäten beschäftigt sein mag. Dies wird von Śrīla Rūpa Gosvāmī im Bhakti-rasāmṛta-sindhu wie folgt bestätigt:

nikhileṣu avasthāsu jīvanmukta sa ucyate.

„Ein Gottgeweihter, der stets im Kṛṣṇa-Bewußtsein handelt, ist automatisch befreit.“

Im Nārada-pañcarātra wird dies ebenfalls bestätigt:

dik-kālādy-anavacchinne kṛṣṇe ceto vidhāya ca
tanmayo bhavati kṣipraṁ jīvo brahmaṇi yojayet.

„Wenn man seine Aufmerksamkeit auf die transzendentale Gestalt Kṛṣṇas konzentriert, der alldurchdringend ist und Sich jenseits von Raum und Zeit befindet, versinkt man in Gedanken an Kṛṣṇa und erreicht den glücklichen Zustand transzendentaler Gemeinschaft mit Ihm.“

Kṛṣṇa-Bewußtsein ist die höchste Stufe der Trance im yoga. Schon die Erkenntnis, daß Kṛṣṇa als Paramātmā im Herzen eines jeden anwesend ist, macht den yogī fehlerlos. Die Veden bestätigen diese unvorstellbare Macht des Herrn wie folgt:

eko ’pi san bahudhā yo ’vabhāti
aiśvaryād rūpam ekaṁ ca sūryavad bahudheyate.

„Viṣṇu ist eins, und dennoch ist Er alldurchdringend. Durch Seine unvorstellbare Macht ist Er trotz Seiner einen Form überall gegenwärtig. Wie die Sonne erscheint Er an vielen Orten gleichzeitig.“

VERS 32

आत्मौपम्येन सर्वत्र समं पश्यति योऽर्जुन ।
सुखं वा यदि वा दुःखं स योगी परमो मतः ॥३२॥

ātmaupamyena sarvatra
samaṁ paśyati yo’rjuna
sukhaṁ vā yadi vā duḥkhaṁ
sa yogī paramo mataḥ

ātma – Selbst; aupamyena – im Vergleich; sarvatra – überall; samam – Gleichheit; paśyati – sieht; yaḥ – derjenige, der; arjuna – O Arjuna; sukham – Glück; – oder; yadi – wenn; – oder; duḥkham – Leid; saḥ – solch; yogī – Transzendentalist; paramaḥ – vollkommen; mataḥ – wird angesehen.

ÜBERSETZUNG

O Arjuna, ein vollkommener yogī ist, wer im Vergleich mit seinem eigenen Selbst die wahre Gleichheit aller Wesen sowohl in ihrem Glück als auch in ihrem Leid sieht.

ERKLÄRUNG

Wer Kṛṣṇa-bewußt ist, ist ein vollkommener yogī; aufgrund seiner eigenen Erfahrung kennt er das Glück und Leid eines jeden. Die Ursache für das Leid eines Lebewesens liegt im Vergessen seiner Beziehung zu Gott. Und die Ursache für sein Glück liegt im Wissen, daß Kṛṣṇa der höchste Genießende aller Aktivitäten des Menschen ist. Kṛṣṇa ist der Besitzer aller Länder und Planeten. Der vollkommene yogī ist der aufrichtigste Freund aller Lebewesen. Er weiß, daß das Lebewesen, das durch die Erscheinungsweisen der materiellen Natur bedingt ist, den dreifachen materiellen Leiden unterworfen ist, weil es seine Beziehung zu Kṛṣṇa vergessen hat. Weil ein Mensch im Kṛṣṇa-Bewußtsein glücklich ist, versucht er, das Wissen von Kṛṣṇa überall zu verbreiten. Weil der vollkommene yogī die Wichtigkeit, Kṛṣṇa-bewußt zu werden, zu verbreiten sucht, ist er der größte Menschenfreund und der liebste Diener des Herrn. Na tasmāt kaścid me priyakṛt tamaḥ. Mit anderen Worten, ein Gottgeweihter sorgt sich immer um das Wohl aller Lebewesen, und daher ist er der wirkliche Freund eines jeden. Er ist der beste yogī, denn er begehrt nicht nach Vollkommenheit im yoga, um seinen eigenen Nutzen daraus zu ziehen, sondern versucht, anderen zu helfen. Er beneidet seine Mitlebewesen nicht. Hierin unterscheidet sich ein reiner Gottgeweihter von einem yogī, der nur an seinem eigenen Fortschritt interessiert ist. Der yogī, der sich an einen einsamen Ort zurückgezogen hat, um in vollendeter Weise zu meditieren, kann nicht so vollkommen sein wie ein Gottgeweihter, der sein Bestes versucht, um jeden Menschen zum Kṛṣṇa-Bewußtsein zu bringen.

VERS 33

अर्जुन उवाच ।
योऽयं योगस्त्वया प्रोक्तः साम्येन मधुसूदन ।
एतस्याहं न पश्यामि चञ्चलत्वात्स्थितिं स्थिराम् ॥३३॥

arjuna uvāca
yo’yaṁ yogas tvayā proktaḥ
sāmyena madhusūdana
etasyāhaṁ na paśyāmi
cañcalatvāt sthitiṁ sthirām

arjunaḥ uvāca – Arjuna sagte; yaḥ – das System; ayam – dieses; yogaḥ – Mystik; tvayā – von Dir; proktaḥ – beschrieben; sāmyena – im allgemeinen; madhusūdana – O Vernichter des Dämonen Madhu; etasya – von diesem; aham – Ich; na – nicht; paśyāmi – sehen; cañcalatvāt – weil er ruhelos ist; sthitim – Situation; sthirām – fest.

ÜBERSETZUNG

Arjuna sagte: O Madhusūdana, das yoga-System, das Du beschrieben hast, erscheint mir unerträglich und undurchführbar, denn der Geist ist ruhelos und unstet.

ERKLÄRUNG

Das System der Mystik, das Śrī Kṛṣṇa Arjuna beschrieb und das mit den Worten śucau deśe beginnt und mit den Worten yogī paramaḥ endet, wird hier von Arjuna aus einem Gefühl der Unfähigkeit heraus abgelehnt. Im gegenwärtigen Zeitalter des Kali ist es für einen gewöhnlichen Menschen nicht möglich, sein Heim zu verlassen und einen einsamen Ort in den Bergen oder im Dschungel aufzusuchen, um dort yoga zu praktizieren. Das gegenwärtige Zeitalter ist durch einen erbitterten Kampf um ein kurzes Leben gekennzeichnet. Die Menschen sind nicht ernsthaft um Selbstverwirklichung bemüht – nicht einmal mit Hilfe eines einfachen und praktischen Vorganges, und erst recht nicht durch dieses schwierige yoga-System, daß die Lebensgewohnheiten, die Art zu sitzen, die Lage des Ortes und die Loslösung des Geistes von materiellen Beschäftigungen reguliert. Obwohl Arjuna viele hervorragende Fähigkeiten besaß, erschien es ihm, als praktisch denkendem Menschen, dennoch unmöglich, dieses yoga-System zu praktizieren. Er gehörte zur königlichen Familie und war in vieler Hinsicht weit fortgeschritten: er war ein großer Krieger, er hatte ein langes Leben zu erwarten, und vor allem war er der vertrauteste Freund Śrī Kṛṣṇas, des Höchsten Persönlichen Gottes. Vor fünftausend Jahren standen Arjuna also viel bessere Möglichkeiten zur Verfügung als uns heute, und dennoch weigerte er sich, dieses yoga-System zu akzeptieren. Und tatsächlich finden wir nirgendwo in der Geschichte einen Hinweis, daß Arjuna dieses System jemals praktiziert hat. Deshalb ist es im Zeitalter des Kali im allgemeinen unmöglich, diesem yoga-System zu folgen. Für einige sehr wenige, seltene Menschen, mag es natürlich möglich sein, doch für die meisten Menschen ist es ein unmögliches Unterfangen. Wenn dies vor fünftausend Jahren nicht möglich war, wie sollte es dann heute möglich sein? Diejenigen, die dieses yoga-System in verschiedenen sogenannten Schulen und Gesellschaften imitieren, verschwenden – obwohl sie mit sich selbst zufrieden sind – nur ihre Zeit. Sie befinden sich über das eigentliche Ziel in völliger Unwissenheit.

VERS 34

चञ्चलं हि मनः कृष्ण प्रमाथि बलवद्दृढम् ।
तस्याहं निग्रहं मन्ये वायोरिव सुदुष्करम् ॥३४॥

cañcalaṁ hi manaḥ kṛṣṇa
pramāthi balavad dṛḍham
tasyāhaṁ nigrahaṁ manye
vāyor iva suduṣkaram

cañcalam – flackernd; hi – gewiß; manaḥ – Geist; kṛṣṇa – O Kṛṣṇa; pramāthi – erregend; balavat – stark; dṛḍham – widerspenstig; tasya – sein; aham – ich; nigraham – bezwingen; manye – denke; vāyoḥ – an den Wind; iva – wie; suduṣkaram – schwierig.

ÜBERSETZUNG

Der Geist ist ruhelos, stürmisch, widerspenstig und sehr stark, o Kṛṣṇa, und ihn zu kontrollieren erscheint mir schwieriger, als den Wind zu beherrschen.

ERKLÄRUNG

Der Geist ist so stark und widerspenstig, daß er manchmal die Intelligenz überwältigt, obwohl er eigentlich der Intelligenz untergeordnet sein sollte. Für einen Menschen im Alltagsleben, der gegen viele Widerstände kämpfen muß, ist es zweifellos sehr schwierig, den Geist zu kontrollieren. Künstlich mag man zwar eine geistige Ausgeglichenheit gegenüber Freund und Feind entwickeln, doch letzten Endes ist dies keinem weltlichen Menschen möglich, da es schwieriger ist, als den stürmenden Wind zu beherrschen. In den vedischen Schriften wird gesagt:

ātmānaṁ rathinaṁ viddhi śarīraṁ ratham eva ca
buddhintu sārathiṁ viddhi manaḥ pragraham eva ca
indriyāṇi hayānāhur viṣayāṁs teṣu gocarān
ātmendriya-mano-yukto bhoktety āhur manīṣiṇaḥ.

„Das Individuum ist der Reisende im Wagen des materiellen Körpers, und die Intelligenz ist der Fahrer. Der Geist ist der Zügel, und die Sinne sind die Pferde. Das Selbst ist in Verbindung mit dem Geist und den Sinnen entweder der Genießende oder der Leidende. So sehen es die großen Denker.“

Die Intelligenz sollte dem Geist Anweisungen geben, aber der Geist ist so stark und widerspenstig, daß er die Intelligenz oft überwältigt. Da der Geist so stark ist, sollte er durch yoga kontrolliert werden, doch wenn ein solcher yoga für einen weltlichen Menschen wie Arjuna niemals praktizierbar war – wie sollte er dann für den modernen Menschen möglich sein? Der Vergleich, der in diesem Vers gebraucht wird, ist sehr zutreffend; man kann den Wind nicht beherrschen, und noch schwieriger ist es, den stürmischen Geist zu beherrschen. Der einfachste Weg, den Geist zu kontrollieren, ist, wie von Śrī Kṛṣṇa Caitanya empfohlen wurde, das demütige Chanten von „Hare Kṛṣṇa“ – dem großen mantra der Befreiung. Die vorgeschriebene Methode lautet, sa vai manaḥ kṛṣṇa-padāravindayoḥ: man muß seinen Geist völlig in Kṛṣṇa versenken. Nur dann wird es keine anderen Beschäftigungen geben, die den Geist beunruhigen können.

VERS 35

श्रीभगवानुवाच ।
असंशयं महाबाहो मनो दुर्निग्रहं चलम् ।
अभ्यासेन तु कौन्तेय वैराग्येण च गृह्यते ॥३५॥

śrī bhagavān uvāca
asaṁśayaṁ mahā-bāho
mano durnigrahaṁ calam
abhyāsena tu kaunteya
vairāgyeṇa ca gṛhyate

śrī bhagavān uvāca – der Persönliche Gott sagte; asaṁśayam – unzweifelhaft; mahā-bāho – O Starkarmiger; manaḥ – Geist; durnigraham – schwer zu bezwingen; calam – flackernd; abhyāsena – durch Praxis; tu – aber; kaunteya – O Sohn Kuntīs; vairāgyeṇa – durch Loslösung; ca – auch; gṛhyate – kann so kontrolliert werden.

ÜBERSETZUNG

Der Höchste Herr sagte: O starkarmiger Sohn Kuntīs, es ist ohne Zweifel sehr schwierig, den ruhelosen Geist zu zügeln, doch durch ständige Übung und durch Loslösung ist dies möglich.

ERKLÄRUNG

Daß es schwierig ist, den widerspenstigen Geist zu bändigen, wird zwar vom Persönlichen Gott akzeptiert, doch gleichzeitig weist der Herr darauf hin, daß dies durch Übung und Loslösung möglich ist. Worin besteht nun diese Übung? Im gegenwärtigen Zeitalter kann niemand solche strengen Regeln und Regulierungen einhalten, wie sich an einem heiligen Ort niedersetzen, den Geist auf die Überseele konzentrieren, die Sinne und Geist zurückhalten, im Zölibat leben, allein bleiben usw. Im Kṛṣṇa-Bewußtsein jedoch beschäftigt man sich in neun Arten des hingebungsvollen Dienens für den Herrn. An erster Stelle dieser hingebungsvollen Beschäftigungen steht das Hören über Kṛṣṇa. Dies ist eine sehr mächtige, transzendentale Methode, den Geist von allen Befürchtungen zu reinigen. Je mehr man über Kṛṣṇa hört, desto mehr wird man erleuchtet und löst sich von allem, was den Geist von Kṛṣṇa fortzieht. Wenn man den Geist von allen Aktivitäten löst, die nicht dem Herrn geweiht sind, kann man sehr leicht vairāgya erlernen. Vairāgya bedeutet die Lösung des Geistes von der Materie und seine Beschäftigung auf der spirituellen Ebene. Die spirituelle Loslösung der Unpersönlichkeitsanhänger ist weitaus schwieriger, als die Versenkung des Geistes in die Aktivitäten Kṛṣṇas. Dies ist praktisch durchführbar, denn wenn man über Kṛṣṇa hört, fühlt man sich automatisch zum Höchsten Spirituellen Wesen hingezogen. Diese Anhaftung wird pareśānubhūti (spirituelle Zufriedenheit) genannt. Diese Zufriedenheit gleicht dem Gefühl der Zufriedenheit, das ein Hungriger bei jedem Bissen empfindet, den er zu sich nimmt. In ähnlicher Weise empfindet man bei der Ausübung des hingebungsvollen Dienens in dem Maße transzendentale Befriedigung, wie der Geist von materiellen Objekten gelöst wird. Es ist so, als heile man eine Krankheit durch fachkundige Behandlung und geeignete Diät. Über die transzendentalen Aktivitäten Śrī Kṛṣṇas zu hören, ist die fachkundige Behandlung für den verrückten Geist, und Nahrung zu essen, die Kṛṣṇa geopfert wurde, ist die geeignete Diät für den leidenden Patienten. Diese Behandlung ist der Vorgang des Kṛṣṇa-Bewußtseins.

VERS 36

असंयतात्मना योगो दुष्प्राप इति मे मतिः ।
वश्यात्मना तु यतता शक्योऽवाप्तुमुपायतः ॥३६॥

asaṁyatātmanā yogo
duṣprāpa iti me matiḥ
vaśyātmanā tu yatatā
śakyo’vāptum upāyataḥ

asaṁyata – ungezügelt; ātmanā – durch den Geist; yogaḥ – Selbstverwirklichung; duṣprāpaḥ – schwierig zu erreichen; iti – so; me – Meine; matiḥ – Meinung; vaśya – kontrolliert; ātmanā – durch den Geist; tu – aber; yatatā – während man sich bemüht; śakyaḥ – praktisch; avāptum – zu erreichen; upāyataḥ – geeignete Mittel.

ÜBERSETZUNG

Für einen Menschen mit ungezügeltem Geist ist Selbstverwirklichung ein schwieriges Unterfangen. Doch wer den Geist kontrolliert und sich mit rechten Mitteln bemüht, wird mit Sicherheit erfolgreich sein. Das ist Meine Meinung.

ERKLÄRUNG

Der Höchste Persönliche Gott erklärt, daß jemand, der nicht das richtige Verfahren akzeptiert, den Geist von materiellen Beschäftigungen zu lösen, kaum Erfolg in der Selbstverwirklichung haben kann. Der Versuch, yoga zu praktizieren, während man gleichzeitig den Geist mit materiellem Genuß beschäftigt, ist mit dem Versuch zu vergleichen, Feuer zu entzünden, während man Wasser darauf gießt. In ähnlicher Weise ist auch yoga ohne Kontrolle des Geistes nur Zeitverschwendung. Solch eine yoga-Show mag zwar materiell gesehen gewinnbringend sein, doch was spirituelle Verwirklichung betrifft, so ist sie nutzlos. Daher muß der Geist kontrolliert werden, indem man ihn ständig im transzendentalen liebevollen Dienst des Herrn beschäftigt. Solange man nicht im Kṛṣṇa-Bewußtsein beschäftigt ist, kann man den Geist nicht ständig kontrollieren. Ein Kṛṣṇa-bewußter Mensch kann sehr leicht das Ergebnis des yoga erreichen, ohne eine besondere Anstrengung machen zu müssen; wer jedoch yoga praktiziert, ohne Kṛṣṇa-bewußt zu werden, kann keinen Erfolg erzielen.

VERS 37

अर्जुन उवाच ।
अयतिः श्रद्धयोपेतो योगाच्चलितमानसः ।
अप्राप्य योगसंसिद्धिं कां गतिं कृष्ण गच्छति ॥३७॥

arjuna uvāca
ayatiḥ śraddhayopeto
yogāc calita-mānasaḥ
aprāpya yoga-saṁsiddhiṁ
kāṁ gatiṁ kṛṣṇa gacchati

arjunaḥ uvāca – Arjuna sagte; ayatiḥ – erfolgloser Transzendentalist; śraddhayā – mit Glauben; upetaḥ – beschäftigt; yogāt – von der mystischen Verbindung; calita – abgewichen; mānasaḥ – von jemanden mit solchem Geist; aprāpya – scheitern; yoga-saṁsiddhim – höchste Vollkommenheit in der Mystik; kām – was; gatim – Bestimmung; kṛṣṇa – O Kṛṣṇa; gacchati – erreicht.

ÜBERSETZUNG

Arjuna sagte: Was ist das Schicksal eines Gläubigen, der nicht standhaft ist – der den Pfad der Selbstverwirklichung zwar aufnimmt, doch ihn später, aufgrund seiner Weltzugewandtheit, wieder verläßt und daher die Vollkommenheit der Mystik nicht erreicht?

ERKLÄRUNG

Der Pfad der Selbstverwirklichung bzw. Mystik wird in der Bhagavad-gītā beschrieben. Das grundlegende Prinzip der Selbstverwirklichung ist die Erkenntnis, daß das Lebewesen nicht mit dem materiellen Körper identisch, sondern davon verschieden ist, und daß sein Glück in ewigem Leben, ewiger Glückseligkeit und ewigem Wissen liegt, das heißt, transzendental, jenseits von Körper und Geist. Nach Selbstverwirklichung wird durch den Pfad der Erkenntnis, durch das achtfache yoga-System oder durch bhakti-yoga gesucht. In jedem dieser Vorgänge muß man die wesenseigene Position des Lebewesens erkennen, seine Beziehung zu Gott und die Aktivitäten, durch die man die verlorene Verbindung wiederherstellen und die am höchsten vervollkommnete Stufe des Kṛṣṇa-Bewußtseins erreichen kann. Wenn man einer der oben erwähnten drei Methoden folgt, ist es sicher, daß man früher oder später das höchste Ziel erreicht. Dies wurde vom Herrn im Zweiten Kapitel versichert. Selbst eine kleine Bemühung auf dem transzendentalen Pfad bietet die Aussicht auf Befreiung. Von diesen drei Methoden ist der Pfad des bhakti-yoga für dieses Zeitalter besonders geeignet, da er die unmittelbare Methode der Gottesverwirklichung ist. Um völlig sicher zu gehen, bittet Arjuna Śrī Kṛṣṇa, Seine frühere Aussage noch einmal zu bestätigen. Man mag zwar den Pfad der Selbstverwirklichung mit Aufrichtigkeit beschreiten, jedoch ist es in diesem Zeitalter im allgemeinen sehr schwierig, Wissen zu entwickeln oder das achtfache yoga-System zu praktizieren. Obwohl man sich vielleicht aufrichtig bemüht, kann man dennoch aus vielen Gründen scheitern. Die größte Gefahr liegt darin, daß man vom vorgeschriebenen Pfad abweicht. Dem transzendentalen Pfad zu folgen, bedeutet, der illusionierenden Energie den Krieg zu erklären. Wenn daher ein Mensch versucht, den Klauen der illusionierenden Energie zu entkommen, versucht diese, ihn durch vielfache Verlockungen zu Fall zu bringen. Eine bedingte Seele ist durch die Erscheinungsweisen der materiellen Energie bereits bezaubert, und daher besteht, selbst wenn man transzendentale Aktivitäten ausführt, jederzeit die Möglichkeit, erneut bezaubert zu werden. Dies wird yogāt calita-mānasaḥ genannt: Abweichung vom transzendentalen Pfad. Arjuna fragt nach den Folgen, die entstehen, wenn man vom Pfad der Selbstverwirklichung abweicht.

VERS 38

कच्चिन्नोभयविभ्रष्टश्छिन्नाभ्रमिव नश्यति ।
अप्रतिष्ठो महाबाहो विमूढो ब्रह्मणः पथि ॥३८॥

kaccin nobhaya-vibhraṣṭaś
chinnābhram iva naśyati
apratiṣṭho mahā-bāho
vimūḍho brahmaṇaḥ pathi

kaccit – ob; na – nicht; ubhaya – beide; vibhraṣṭaḥ – abgewichen von; chinna – gefallen; abhram – Wolke; iva – verglichen mit; naśyati – vergeht; aprastiṣthaḥ – ohne irgendeine Position; mahā-bāho – O starkarmiger Kṛṣṇa; vimūdḥaḥ – verwirrt; brahmaṇaḥ – der Transzendenz; pathi – auf dem Pfad.

ÜBERSETZUNG

O starkarmiger Kṛṣṇa, vergeht nicht solch ein Mensch, der vom Pfad der Transzendenz abweicht, wie eine zerrissene Wolke – ohne Halt in irgendeiner Sphäre?

ERKLÄRUNG

Es gibt zwei Wege, Fortschritt zu machen. Die Materialisten haben kein Interesse an der Transzendenz, und deshalb sind sie mehr daran interessiert, durch wirtschaftliche Entwicklung materiellen Fortschritt zu machen oder durch geeignete Aktivitäten zu höheren Planeten erhoben zu werden. Wenn man den Pfad der Transzendenz beschreiten will, muß man alle materiellen Aktivitäten beenden und alle Arten sogenannten materiellen Glücks aufgeben. Wenn der strebende Transzendentalist scheitert, sind ihm offensichtlich beide Wege versperrt; mit anderen Worten, er kann weder materielles Glück noch spirituellen Erfolg genießen. Er ist ohne Position; er gleicht einer zerrissenen Wolke. Eine Wolke löst sich manchmal von einer kleinen Wolke und verbindet sich mit einer großen, doch wenn sie sich nicht mit einer großen Wolke verbinden kann, wird sie vom Wind davongeblasen und wird zum Nichts im weiten Himmel. Der brahmaṇaḥ pathi ist der Pfad der transzendentalen Verwirklichung, auf dem man erkennt, daß man dem Wesen nach spirituell und ein winziges Bestandteil des Höchsten ist, der als Brahman, Paramātmā und Bhagavān manifestiert ist. Śrī Kṛṣṇa ist die vollkommenste Manifestation der Höchsten Absoluten Wahrheit, und deshalb ist derjenige, der der Höchsten Person hingegeben ist, ein erfolgreicher Transzendentalist. Um dieses Ziel des Lebens durch Brahman- und Paramātmā-Verwirklichung zu erreichen, sind sehr viele Geburten notwendig: bahūnāṁ janmanām ante. Deshalb ist bhakti-yoga bzw. Kṛṣṇa-Bewußtsein die höchste transzendentale Verwirklichung – es ist die direkte Methode.

VERS 39

एतन्मे संशयं कृष्ण छेत्तुमर्हस्यशेषतः ।
त्वदन्यः संशयस्यास्य छेत्ता न ह्युपपद्यते ॥३९॥

etan me saṁśayaṁ kṛṣṇa
chettum arhasy aśeṣataḥ
tvad-anyaḥ saṁśayasyāsya
chettā na hy upapadyate

etat – dies ist; me – mein; saṁśayam – Zweifel; kṛṣṇa – O Kṛṣṇa; chettum – zu vertreiben; arhasi – bitten zu tun; aśeṣataḥ – vollständig; tvat – Du selbst; anyaḥ – ohne; saṁśayāsya – des Zweifels; asya – davon; chettā – Vernichter; na – niemals; hi – gewiß; upapadyate – ist zu finden.

ÜBERSETZUNG

Das ist mein Zweifel, o Kṛṣṇa, und ich bitte Dich, ihn völlig zu beseitigen. Außer Dir gibt es niemanden, der diesen Zweifel vertreiben kann.

ERKLÄRUNG

Kṛṣṇa besitzt vollkommenes Wissen über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Am Anfang der Bhagavad-gītā sagt der Herr, daß alle Lebewesen als Individuen in der Vergangenheit existierten, daß sie jetzt in der Gegenwart existieren und daß sie ihre individuelle Identität auch in der Zukunft – selbst nach der Befreiung aus der materiellen Verstrickung – behalten würden. Der Herr hat also die Frage nach der Zukunft des Lebewesens bereits geklärt. Nun möchte Arjuna wissen, wie die Zukunft für den erfolglosen Transzendentalisten aussieht. Niemand kommt Kṛṣṇa gleich oder übertrifft Ihn, und auch die sogenannten Weisen und Philosophen, die von der Barmherzigkeit der materiellen Natur abhängen, können Ihm nicht gleichkommen. Die Aussage Kṛṣṇas ist die endgültige und vollständige Antwort auf alle Zweifel, denn Er kennt Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft vollkommen – doch niemand kennt Ihn. Nur Kṛṣṇa und Kṛṣṇa-bewußte Gottgeweihte können die Dinge im richtigen Licht sehen.

VERS 40

श्रीभगवानुवाच ।
पार्थ नैवेह नामुत्र विनाशस्तस्य विद्यते ।
न हि कल्याणकृत्कश्चिद्दुर्गतिं तात गच्छति ॥४०॥

śrī bhagavān uvāca
pārtha naiveha nāmutra
vināśas tasya vidyate
na hi kalyāṇa-kṛt kaścid
durgatiṁ tāta gacchati

śrī bhagavān uvāca – der Höchste Persönliche Gott sagte; pārtha – O Sohn Pṛthās; na eva – niemals ist es so; iha – in dieser materiellen Welt; na – niemals; amutra – im nächsten Leben; vināśaḥ – Zerstörung; tasya – seine; vidyate – existiert; na – niemals; hi – gewiß; kalyāṇa-kṛt – jemand, der mit glückverheißenden Aktivitäten beschäftigt ist; kaścit – jeder; durgatim – Erniedrigung; tāta – danach; gacchati – gehend.

ÜBERSETZUNG

Der Höchste Herr sagte: O Sohn Pṛthās, ein Transzendentalist, der glückverheißenden Aktivitäten nachgeht, wird weder in der materiellen noch in der spirituellen Welt vergehen; wer Gutes tut, Mein Freund, wird niemals vom Schlechten besiegt.

ERKLÄRUNG

Im Śrīmad-Bhāgavatam gibt Śrī Nārada Muni seinem Schüler Śrīla Vyāsadeva folgende Unterweisung:

tyaktvā sva-dharmaṁ caraṇāmbujaṁ harer
bhajann apakko ’tha patet tato yadi
yatra kva vābhadram abhūd amuṣya kiṁ
ko vārtha āpto ’bhajatām sva-dharmataḥ

„Wenn jemand alle materiellen Vorhaben aufgibt und völlige Zuflucht beim Höchsten Persönlichen Gott sucht, gibt es für ihn weder Verlust noch Erniedrigung. Auf der anderen Seite mag ein Nicht-Gottgeweihter seinen beruflichen Pflichten Tag und Nacht nachkommen und dennoch nichts gewinnen.“ (Bhāg. 1.5.17)

Es gibt viele Aktivitäten, die sowohl von den Schriften als auch von der Tradition vorgeschrieben werden, doch ein Transzendentalist sollte alle materiellen Aktivitäten aufgeben, um spirituellen Fortschritt im Leben zu machen, das heißt um Kṛṣṇa-Bewußtsein zu entwickeln. Man könnte einwenden, daß man durch Kṛṣṇa-Bewußtsein die höchste Vollkommenheit nur erreichen kann, wenn man es vollendet, daß man aber alles – sowohl in materieller als auch in spiritueller Hinsicht – verliert, wenn man diese Stufe nicht erreicht. In den Schriften wird bestätigt, daß man eine Reaktion erleiden muß, wenn man seine vorgeschriebenen Pflichten nicht erfüllt; wer daher seinen transzendentalen Pflichten nicht in rechter Weise nachkommt, ist den Reaktionen, die sein Verhalten nach sich zieht, ausgesetzt. Das Bhāgavatam versichert dem erfolglosen Transzendentalisten jedoch, daß er nichts zu befürchten hat. Selbst wenn er den Reaktionen ausgesetzt ist, die auf unvollkommen ausgeführte vorgeschriebene Pflichten folgen, verliert er dennoch nichts; denn das in jeder Hinsicht günstige Kṛṣṇa-Bewußtsein wird niemals vergessen, und ein Mensch, der einmal in dieser Weise tätig war, wird in seinem nächsten Leben damit fortfahren, selbst wenn er in einer niedrigen Familie geboren wird. Wer hingegen einfach strikt den vorgeschriebenen Pflichten folgt, kann nicht sicher sein – wenn es ihm an Kṛṣṇa-Bewußtsein mangelt –, positive Ergebnisse zu erreichen.

Die Menschen können in zwei Gruppen eingeteilt werden: in die, die reguliert, und die, die unreguliert leben. Diejenigen, die, wie die Tiere, nur ihre Sinne befriedigen, ohne von ihrem nächsten Leben und von spiritueller Erlösung zu wissen, gehören zu den unregulierten Menschen. Im Gegensatz dazu werden diejenigen, die den Prinzipien der in den Schriften vorgeschriebenen Pflichten folgen, zu den regulierten Menschen gezählt. Die unregulierten Menschen – zivilisierte und unzivilisierte, gebildete und ungebildete, starke und schwache – sind voller tierischer Neigungen. Ihre Aktivitäten sind niemals glückverheißend, und weil sie die tierischen Neigungen wie Essen, Schlafen, Sich-Verteidigen und Sexualität genießen, bleiben sie fortwährend im materiellen Dasein, das immer leidvoll ist. Auf der anderen Seite machen diejenigen, die durch die Unterweisungen der Schriften reguliert sind und sich auf diese Weise allmählich zum Kṛṣṇa-Bewußtsein erheben, Fortschritte im Leben.

Diejenigen, die dem glückverheißenden Pfad folgen, können in drei Gruppen eingeteilt werden: 1) die Menschen, die den Regeln und Regulierungen der Schriften folgen und daher materiellen Wohlstand genießen, 2) diejenigen, die die endgültige Befreiung vom materiellen Dasein suchen und 3) die Gottgeweihten im Kṛṣṇa-Bewußtsein. Die Menschen, die den Regeln und Regulierungen der Schriften folgen, um materielles Glück zu erlangen, können in zwei weitere Gruppen eingeteilt werden: in die fruchtbringenden Arbeiter und diejenigen, die nach keiner Frucht für Sinnesbefriedigung begehren. Die Menschen, die nach fruchtbringenden Ergebnissen für Sinnesbefriedigung streben, können zu einer höheren Lebensstufe – selbst zu höheren Planeten – erhoben werden, und demnach folgen sie, weil sie vom materiellen Dasein nicht frei sind, nicht dem wahrhaft glückverheißenden Pfad. Einzig und allein Aktivitäten, die einen Menschen zur Befreiung führen, sind wahrhaft glückverheißend. Jede Aktivität, die als Ziel nicht die endgültige Selbstverwirklichung oder Befreiung von der materiellen, körperlichen Auffassung des Lebens hat, ist in keiner Weise glückverheißend. Aktivität im Kṛṣṇa-Bewußtsein ist die einzige glückverheißende Aktivität, und jeder, der freiwillig alle körperlichen Unbequemlichkeiten auf sich nimmt, um Fortschritt auf dem Pfad des Kṛṣṇa-Bewußtseins zu machen, ist ein vollkommener Transzendentalist, der ein entbehrungsreiches Leben führt. Und weil das achtfache yoga-System auf die endgültige Verwirklichung des Kṛṣṇa-Bewußtseins gerichtet ist, ist es ebenfalls glückverheißend, diesen yoga zu praktizieren, und niemand, der dabei sein Bestes versucht, muß befürchten, wieder herunterzufallen.

VERS 41

प्राप्य पुण्यकृतां लोकानुषित्वा शाश्वतीः समाः ।
शुचीनां श्रीमतां गेहे योगभ्रष्टोऽभिजायते ॥४१॥

prāpya puṇya-kṛtāṁ lokān
uṣitvā śāśvatīḥ samāḥ
śucīnāṁ śrīmatāṁ gehe
yoga-bhraṣṭo’bhijāyate

prāpya – nachdem er erreicht hat; puṇya-kṛtām – von denen, die fromme Aktivitäten ausführten; lokān – Planeten; uṣitvā – nachdem sie weilten; śāśvatīḥ – viele; samāḥ – Jahre; śucīnām – von den Frommen; śrīmatām – von den Reichen; gehe – im Hause von; yoga-bhraṣṭaḥ – jemand, der vom Pfad der Selbstverwirklichung abgekommen ist; abhijāyate – wird geboren.

ÜBERSETZUNG

Nachdem sich der gescheiterte yogī auf den Planeten der frommen Lebewesen erfreut hat, wird er in einer Familie rechtschaffener Menschen oder in einer reichen aristokratischen Familie geboren.

ERKLÄRUNG

Die gescheiterten yogīs werden in zwei Gruppen eingeteilt: der eine ist nach sehr geringem Fortschritt heruntergefallen, und der andere ist gefallen, nachdem er für lange Zeit yoga praktiziert hat. Der yogī, der nach einer kurzen Zeit des Praktizierens herunterfällt, geht zu höheren Planeten, zu denen fromme Lebewesen Zutritt haben. Nachdem er dort ein langes Leben verbracht hat, wird er wieder zur Erde zurückgeschickt, um in der Familie eines rechtschaffenen brāhmaṇa vaiṣṇava oder in der Familie aristokratischer Kaufleute geboren zu werden.

Das wirkliche Ziel des yoga besteht darin, die höchste Vollkommenheit des Kṛṣṇa-Bewußtseins zu erlangen. Aber denen, die nicht durchhalten und aufgrund materieller Verlockungen scheitern, ist es durch die Gnade des Herrn erlaubt, vollen Gebrauch von ihren materiellen Neigungen zu machen. Und danach wird ihnen die Möglichkeit gegeben, ein wohlhabendes Leben in einer rechtschaffenen oder aristokratischen Familie zu führen. Diejenigen, die in solchen Familien geboren werden, können die Möglichkeit nutzen und versuchen, sich zur Stufe des vollkommenen Kṛṣṇa-Bewußtsein zu erheben.

VERS 42

अथवा योगिनामेव कुले भवति धीमताम् ।
एतद्धि दुर्लभतरं लोके जन्म यदीदृशम् ॥४२॥

athavā yoginām eva
kule bhavati dhīmatām
etaddhi durlabhataraṁ
loke janma yad īdṛśam

athavā – oder; yoginām – gelehrter Transzendentalisten; eva – zweifellos; kule – in der Familie von; bhavati – wird geboren; dhīmatām – von denen, die mit großer Weisheit gesegnet sind; etat – dieses; hi – gewiß; durlabhataram – sehr selten; loke – in dieser Welt; janma – Geburt; yat – das was; īdṛśam – wie dieses.

ÜBERSETZUNG

Oder er wird in einer Familie von Transzendentalisten geboren, die von großer Weisheit sind. Wahrlich, solch eine Geburt ist selten in dieser Welt.

ERKLÄRUNG

Die Geburt in einer Familie von yogīs oder Transzendentalisten – die mit großer Weisheit begabt sind – wird hier besonders hoch eingeschätzt, weil das Kind von kleinauf spirituellen Antrieb bekommt. Das ist besonders bei den ācārya- oder gosvāmī-Familien der Fall. Solche Familien stehen auf einer hohen Stufe der Erkenntnis und sind durch Tradition und Übung dem Höchsten Herrn hingegeben, und so werden ihre Kinder zu geistigen Meistern. In Indien gibt es viele solcher ācārya-Familien, aber aufgrund ungenügender Erziehung und Übung sind die meisten in der heutigen Zeit degeneriert. Durch die Gnade des Herrn gibt es jedoch immer noch einige Familien, die Generation auf Generation Transzendentalisten hervorbringen. Zweifellos ist es sehr glückverheißend, in solchen Familien geboren zu werden. Glücklicherweise hatten sowohl unser geistiger Meister, Om Viṣṇupāda Śrī Śrīmad Bhaktisiddhānta Sarasvatī Gosvāmī Mahārāja, als auch ich selbst durch die Gnade des Herrn die Gelegenheit, in solchen Familien geboren zu werden, und beide wurden wir von Kindesbeinen an im hingebungsvollen Dienst des Herrn geschult. Später trafen wir uns durch den Willen des Höchsten Herrn.

VERS 43

तत्र तं बुद्धिसंयोगं लभते पौर्वदैहिकम् ।
यतते च ततो भूयः संसिद्धौ कुरुनन्दन ॥४३॥

tatra taṁ buddhi-saṁyogaṁ
labhate paurva-dehikam
yatate ca tato bhūyaḥ
saṁsiddhau kuru-nandana

tatra – darüber; tam – dies; buddhi-saṁyogaṁ – Wiederbelebung dieses Bewußtseins; labhate – wiedergewinnt; paurva – vorheriges; dehikam – körperliches Bewußtsein; yatate – bemüht; ca – auch; tataḥ – danach; bhūyaḥ – wieder; saṁsiddhau – um Vollkommenheit; kuru-nandana – O Nachkomme Kurus.

ÜBERSETZUNG

O Nachkomme Kurus, wenn er in solch einer Familie geboren wird, wiedererweckt er das göttliche Bewußtsein seines vorherigen Lebens und versucht, weiteren Fortschritt zu machen, um schließlich die Vollkommenheit zu erlangen.

ERKLÄRUNG

König Bharata, der bei seiner dritten Geburt in der Familie eines rechtschaffenden brāhmaṇa geboren wurde, ist das Beispiel einer guten Geburt, durch die das transzendentale Bewußtsein des vorherigen Lebens wiedererweckt wurde. König Bharata war der Herrscher der Welt, und seit seiner Zeit ist dieser Planet unter den Halbgöttern als Bhāratavarṣa bekannt. In früheren Zeiten war er als Ilāvartavarṣa bekannt. Der Herrscher zog sich schon in jungen Jahren zurück, um spirituelle Vollkommenheit zu erlangen, doch er hatte keinen Erfolg. In seinem nächsten Leben wurde er in der Familie eines rechtschaffenen brāhmaṇa geboren, und weil er immer abgesondert war und zu niemandem sprach, war er als Jaḍabharata bekannt. Später wurde er von König Rahūgaṇa als der größte Transzendentalist entdeckt. Durch sein Leben wird deutlich, daß transzendentale Bemühungen oder das Praktizieren von yoga niemals vergeblich sind. Durch die Gnade des Herrn erhält der Transzendentalist wiederholte Gelegenheiten, die höchste Vollkommenheit im Kṛṣṇa-Bewußtsein zu erreichen.

VERS 44

पूर्वाभ्यासेन तेनैव ह्रियते ह्यवशोऽपि सः ।
जिज्ञासुरपि योगस्य शब्दब्रह्मातिवर्त्तते ॥४४॥

pūrvābhyāsena tenaiva
hriyate hy avaśo ’pi saḥ
jijñāsur api yogasya
śabda-brahmātivartate

pūrva – Vorangegangen; abhyāsena – Praktik; tena – durch den Einfluß dieses; eva – gewiß; hriyate – ist angezogen; hi – sicherlich; avaśaḥ – hilflos; api – auch; saḥ – er; jijñāsuḥ – gewillt zu wissen; api – so; yogasya – von yoga; śabda-brahma – rituelle Prinzipien der Schriften; ativartate – überschreitet.

ÜBERSETZUNG

Durch das göttliche Bewußtsein seines vorherigen Lebens fühlt er sich, sogar ohne danach zu streben, zu den Prinzipien des yoga hingezogen. Solch ein wißbegieriger Transzendentalist, der sich bemüht, die Stufe des yoga zu erreichen, steht immer über den rituellen Prinzipien der Schriften.

ERKLÄRUNG

Fortgeschrittene yogīs verspüren keine große Anziehung zu den Ritualen der Schriften; vielmehr werden sie automatisch von den Prinzipien des yoga angezogen, die sie zu vollkommenem Kṛṣṇa-Bewußtsein, der höchsten Vollkommenheit des yoga, erheben können. Im Śrīmad-Bhāgavatam wird solches Außerachtlassen der vedischen Rituale durch die fortgeschrittenen Transzendentalisten wie folgt erklärt:

aho bata śvapaco’to garīyān
yajjihvāgre vartate nāma tubhyam
tepus tapas te juhuvuḥ sasnur āryā
brahmānūcur nāma gṛṇanti ye te

„O mein Herr! Menschen, die Deinen heiligen Namen chanten, sind im spirituellen Leben sehr weit fortgeschritten – selbst wenn sie in den Familien von Hundeessern geboren wurden. Wer chantet, hat zweifellos alle Arten von Entsagungen und Opfern auf sich genommen, an allen heiligen Orten gebadet und das Studium aller Schriften beendet.“ (Bhāg. 3.33.8)

Das berühmteste Beispiel hierfür gab Śrī Kṛṣṇa Caitanya, der Thākura Haridāsa als einen Seiner wichtigsten Schüler annahm. Obwohl Thākura Haridāsa in einer Moslem-Familie geboren war, wurde er von Śrī Kṛṣṇa Caitanya zum nāmācārya erhoben, da er strikt jeden Tag dreihunderttausendmal den heiligen Namen des Herrn chantete: Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare / Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare. Und weil er den heiligen Namen des Herrn fortwährend chantete, kann man folgern, daß er in seinem vorangegangenen Leben alle rituellen Methoden der Veden, die als śabda-brahman bekannt sind, praktiziert haben muß. Solange man nicht gereinigt ist, kann man sich weder dem Prinzip des Kṛṣṇa-Bewußtseins zuwenden noch dem Chanten der heiligen Namen des Herrn, dem Chanten von Hare Kṛṣṇa.

VERS 45

प्रयत्नाद्यतमानस्तु योगी संशुद्धकिल्बिषः ।
अनेकजन्मसंसिद्धस्ततो याति परां गतिम् ॥४५॥

prayatnād yatamānas tu
yogī saṁśuddha-kilbiṣaḥ
aneka-janma-saṁsiddhas
tato yāti parāṁ gatim

prayatnāt – durch strenge Praxis; yatamānaḥ – jemand, der sich bemüht, tu – aber; yogī – solch ein Transzendentalist; saṁśuddha – reingewaschen; kilbiṣaḥ – alle Arten von Sünden; aneka – sehr viele; janma – Geburten; saṁsiddhaḥ – so erreichte Vollkommenheit; tataḥ – danach; yāti – erreicht; parām – höchste; gatim – Bestimmung.

ÜBERSETZUNG

Wenn sich der yogī jedoch ernsthaft bemüht, weiteren Fortschritt zu machen, und von allen Verschmutzungen reingewaschen ist, erreicht er nach vielen Geburten das höchste Ziel.

ERKLÄRUNG

Ein Mensch, der in einer besonders rechtschaffenen, aristokratischen oder geheiligten Familie geboren ist, wird sich der günstigen Lage bewußt, in der er sich befindet, um yoga zu praktizieren. Mit Entschlossenheit widmet er sich daher wieder der unbeendeten Aufgabe und reinigt sich auf diese Weise vollständig von allen materiellen Verschmutzungen. Wenn er schließlich frei von allen Verschmutzungen ist, erreicht er die höchste Vollkommenheit, Kṛṣṇa-Bewußtsein. Kṛṣṇa-Bewußtsein ist die vollkommene Stufe, auf der man von allen Verunreinigungen frei ist. Dies wird auch in der Bhagavad-gītā bestätigt:

yesāṁ tv anta-gataṁ pāpaṁ
janānāṁ puṇya-karmaṇām
te dvandva-moha-nirmuktā
bhajante māṁ dṛḍha-vratāḥ

„Wenn man nach vielen Leben, in denen man fromme Aktivitäten ausgeführt hat, von allen Verunreinigungen und illusionierenden Dualitäten völlig frei ist, wird man im transzendentalen liebevollen Dienst des Herrn beschäftigt.“ (Bg. 7.28)

VERS 46

तपस्विभ्योऽधिको योगी ज्ञानिभ्योऽपि मतोऽधिकः ।
कर्मिभ्यश्चाधिको योगी तस्माद्योगी भवार्जुन ॥४६॥

tapasvibhyo’dhiko yogī
jñānibhyo’pi mato’dhikaḥ
karmibhyaś cādhiko yogī
tasmād yogī bhavārjuna

tapasvibhyaḥ – als der Asket; adhikaḥ – größer; yogī – der yogī; jñānibhyaḥ – als der Weise; api – auch; mataḥ – angesehen; adhikaḥ – größer als; karmibhyaḥ – als der fruchtbringende Arbeiter; ca – auch; adhikaḥ – größer als; yogī – der yogī; tasmāt – deshalb; yogī – ein Transzendentalist; bhava – werde nur; arjuna – O Arjuna.

ÜBERSETZUNG

Ein yogī ist größer als ein Asket, größer als ein Empiriker und größer als ein fruchtbringender Arbeiter. Deshalb, o Arjuna, sei unter allen Umständen ein yogī.

ERKLÄRUNG

Wenn wir von yoga sprechen, so meinen wir damit den Vorgang, durch den unser Bewußtsein mit der Höchsten Absoluten Wahrheit verbunden wird. Dieser Vorgang wird von den verschiedenen Menschen, die ihn ausführen, entsprechend der Methode, die sie angenommen haben, unterschiedlich benannt. Wenn der Vorgang, durch den man sich verbindet, vorwiegend aus fruchtbringenden Aktivitäten besteht, wird er karma-yoga genannt; ist er vorwiegend empirisch, wird er jñāna-yoga genannt, und wenn er vorwiegend in einer hingebungsvollen Beziehung zum Höchsten Herrn besteht, wird er bhakti-yoga genannt. Wie im nächsten Vers erklärt wird, ist bhakti-yoga bzw. Kṛṣṇa-Bewußtsein die höchste Vollkommenheit aller yogas. Der Herr hat hier zwar die Überlegenheit der yoga-Systeme erklärt, aber Er hat nicht gesagt, daß sie besser seien als bhakti-yoga. Bhakti-yoga ist vollkommenes spirituelles Wissen und kann daher von keinem anderen yoga übertroffen werden. Askese ohne Selbsterkenntnis ist unvollkommen; empirisches Wissen ohne Hingabe zum Höchsten Herrn ist ebenfalls unvollkommen, und fruchtbringende Arbeit ohne Kṛṣṇa-Bewußtsein ist Zeitverschwendung. Von allen yogas, die hier erwähnt werden, ist daher bhakti-yoga die höchste Form des yoga, und dies wird noch deutlicher im nächsten Vers erklärt.

VERS 47

योगिनामपि सर्वेषां मद्गतेनान्तरात्मना ।
श्रद्धावान्भजते यो मां स मे युक्ततमो मतः ॥४७॥

yoginām api sarveṣāṁ
mad-gatenāntarātmanā
śraddhāvān bhajate yo māṁ
sa me yuktatamo mataḥ

yoginām – von allen yogīs; api – auch; sarveṣāṁ – alle Arten von; mat-gatena – in Mir verankert sein; antaḥ-ātmanā – immer an Mich im Innern denken; śraddhāvān – in vollkommenem Glauben; bhajate – leistet transzendentalen liebevollen Dienst; yaḥ – jemand, der; mām – Mich (den Höchsten Herrn); saḥ – er; me – Mein; yuktatamaḥ – der größte yogī; mataḥ – wird angesehen.

ÜBERSETZUNG

Von allen yogīs ist der am engsten mit Mir in yoga vereint, der mit großem Vertrauen immer in Mir weilt und Mich im transzendentalen liebevollen Dienst verehrt, und er ist der höchste von allen.

ERKLÄRUNG

Das Wort bhajate ist hier von Bedeutung. Bhajate hat seine Wurzel in dem Verb bhaj, das verwendet wird, wenn Dienen gemeint ist. Das deutsche Wort „verehren“ kann nicht im gleichen Sinn wie bhaja gebraucht werden. Verehren bedeutet bewundern oder einem, der es Wert ist, Respekt und Ehre zu erweisen. Aber wenn vom Dienen in Liebe und Glauben gesprochen wird, ist ganz besonders der Dienst für den Höchsten Persönlichen Gott gemeint. Man kann es umgehen, einen ehrwürdigen Mann oder Halbgott zu verehren, und wird deshalb vielleicht unhöflich genannt, aber man kann den Dienst für den Höchsten Herrn nicht vermeiden, ohne verdammt zu werden. Jedes Lebewesen ist ein winziges Bestandteil des Höchsten Persönlichen Gottes, und daher ist jedes Lebewesen dazu bestimmt, dem Höchsten Herrn entsprechend seiner Veranlagung zu dienen. Wenn das Lebewesen dies unterläßt, fällt es ins materielle Dasein herunter. Das Bhāgavatam bestätigt dies wie folgt:

ya eṣāṁ puruṣaṁ sākṣād ātma-prabhavam īśvaram
na bhajanty avajānanti sthānād bhraṣṭā patanty adhaḥ.

„Jeder, der keinen Dienst leistet und seine Pflicht gegenüber dem Urersten Herrn vernachlässigt, der die Quelle aller Lebewesen ist, wird mit Sicherheit von seiner wesenseigenen Position herunterfallen.“

In diesem Vers wird auch das Wort bhajanti gebraucht. Daher wird das Wort bhajanti nur in Zusammenhang mit dem Höchsten Herrn gebraucht, wohingegen das Wort „verehren“ bei Halbgöttern oder auch bei anderen gewöhnlichen Lebewesen verwendet werden kann. Das Wort avajānanti, das in diesem Vers des Śrīmad-Bhāgavatams vorkommt, kann man auch in der Bhagavad-gītā finden: avajānanti māṁ mūḍhāḥ: „Nur die Dummköpfe und Schurken verlachen den Höchsten Persönlichen Gott Śrī Kṛṣṇa.“ Solche Dummköpfe schreiben Kommentare zur Bhagavad-gītā, ohne dem Herrn auch nur im geringsten zu dienen. Folglich können sie nicht zwischen dem Wort bhajanti und dem Wort „verehren“ unterscheiden.

Die höchste Form des yoga ist bhakti-yoga. Alle anderen yogas sind nichts als Mittel, um zum Punkt der bhakti im bhakti-yoga zu kommen. Yoga bedeutet in Wirklichkeit bhakti-yoga. Alle anderen yogas sind Wege, die zum Ziel des bhakti-yoga führen. Vom Beginn des karma-yoga bis zum Ziel des bhakti-yoga ist es ein langer Weg der Selbstverwirklichung. Karma-yoga ohne fruchtbringende Ergebnisse ist der Anfang dieses Pfades. Wenn karma-yoga zu Wissen und Entsagung heranwächst, wird diese Stufe jñāna-yoga genannt. Wenn sich jñāna-yoga zur Meditation über die Überseele durch verschiedene körperliche Vorgänge steigert, und der Geist auf die Überseele fixiert ist, wird dies aṣṭāṅga-yoga genannt. Und wenn man über aṣṭāṅga-yoga hinausgeht und zum Höchsten Persönlichen Gott gelangt, so wird dies bhakti-yoga, der Höhepunkt, genannt. Bhakti-yoga ist tatsächlich das endgültige Ziel, doch um bhakti-yoga genau analysieren zu können, muß man zuerst einmal die anderen yogas verstehen. Der yogī, der Fortschritt macht, befindet sich daher auf dem wahren Pfad des ewigen Glücks. Wer an einem bestimmten Punkt stehen bleibt und keinen Fortschritt macht, wird dementsprechend karma-yogī, jñāna-yogī oder dhyāna-yogī, rāja-yogī, haṭha-yogī usw. genannt. Wenn man das Glück hat, zu bhakti-yoga zu kommen, kann man sagen, daß man alle anderen yogas hinter sich gelassen hat. Kṛṣṇa-bewußt zu werden, ist daher die höchste Stufe des yoga, wie auch der Mount Everest der höchste Gipfel der Himalayas ist.

Durch großes Glück gelangt man auf dem Pfad des bhakti-yoga zum Kṛṣṇa-Bewußtsein. Der ideale yogī konzentriert seine Aufmerksamkeit auf Kṛṣṇa, der Śyāmasundara genannt wird und wie eine wunderschöne Wolke gefärbt ist, dessen lotusgleiche Antlitz wie die Sonne erstrahlt, dessen Gewand von Juwelen funkelt und dessen Körper von Blumen umkränzt ist. Seine prachtvolle Ausstrahlung, die brahmajyoti genannt wird, erleuchtet alles. Er inkarniert Sich in verschiedenen Formen, wie Rāma, Nṛsimha, Varāha und Kṛṣṇa, der Höchste Persönliche Gott, und Er erscheint wie ein menschliches Wesen, als der Sohn Mutter Yaśodās, und ist als Kṛṣṇa, Govinda und Vāsudeva bekannt. Er ist das vollkommene Kind, der vollkommene Ehemann, der vollkommene Freund und Meister, der alle Reichtümer und alle transzendentalen Eigenschaften in Sich birgt. Wenn man sich über diese Aspekte des Herrn völlig bewußt ist, gilt man als der höchste yogī.

Wie in allen vedischen Schriften bestätigt wird, kann diese Stufe höchster Vollkommenheit im yoga nur durch bhakti-yoga erreicht werden:

yasya deve parā bhaktir yathā deve tathā gurau.
tasyaite kathitā hy arthāḥ prakāśante mahātmanaḥ.

„Nur den großen Seelen, die uneingeschränkten Glauben an den Herrn und den geistigen Meister haben, wird die gesamte Bedeutung des vedischen Wissens von selbst offenbart.“

Bhaktir asya bhajanaṁ tadihāmutropādhi nairāsyenāmuṣmin manaḥ kalpanam; etad eva naiṣkarmyam. „Bhakti bedeutet hingebungsvolles Dienen für den Herrn, das sowohl in diesem als auch im nächsten Leben frei von Begehren nach materiellem Gewinn ist. Frei von solchen Neigungen, sollte man den Geist völlig in den Höchsten versenken. Das ist das Ziel von naiṣkarmya.“

Dies sind einige der Mittel, mit denen man bhakti (Kṛṣṇa-Bewußtsein), die am höchsten vervollkommnete Stufe des yoga-Systems, ausführt.

So enden die Erklärungen Bhaktivedantas zum Sechsten Kapitel der
Śrīmad-Bhagavad-gītā, genannt „Sāṅkhya-yoga“.

Lotus

Bhagavad-gītā (1. Auflage 1974):  [PDF] (60 MB, Bilder, Sanskrit, Lesezeichen)
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