Original 1. Auflage 1974 - von A.C. Bhaktivedanta Swami Prabhupāda
- Bhagavad-gītā - Wie Sie Ist -
Drittes Kapitel
Karma-yoga
VERS 1
अर्जुन उवाच ।
ज्यायसी चेत्कर्मणस्ते मता बुद्धिर्जनार्दन ।
तत्किं कर्मणि घोरे मां नियोजयसि केशव ॥१॥
arjuna uvāca
jyāyasī cet karmaṇas te
matā buddhir janārdana
tat kiṁ karmaṇi ghore māṁ
niyojayasi keśava
arjunaḥ – Arjuna; uvāca – sagte; jyāyasī – sehr gehoben sprechend; cet – obwohl; karmaṇaḥ – als fruchtbringende Handlung; te – deine; matā – Meinung; buddhiḥ – Intelligenz; janārdana – O Kṛṣṇa; tat – daher; kim – warum; karmaṇi – in Handlungen; ghore – abscheulich; mām – mich; niyojayasi – beschäftigst mich; keśava – O Kṛṣṇa.
ÜBERSETZUNG
Arjuna sagte: O Janārdana, o Keśava, warum drängst Du mich, an diesem schrecklichen Kriegshandwerk teilzunehmen, wenn Du glaubst, daß Intelligenz besser sei als fruchtbringende Arbeit?
ERKLÄRUNG
Der Höchste Persönliche Gott Śrī Kṛṣṇa hat im vorangegangenen Kapitel sehr ausführlich die Beschaffenheit der Seele beschrieben, um Seinen vertrauten Freund Arjuna aus dem Ozean des materiellen Leids zu erretten. Als Pfad der Verwirklichung wurde buddhi-yoga bzw. Kṛṣṇa-Bewußtsein empfohlen. Manchmal wird Kṛṣṇa-Bewußtsein als Untätigkeit mißverstanden, und wer sich in diesem Irrtum befindet, zieht sich oft an einen einsamen Ort zurück, um dort durch das Chanten der heiligen Namen völlig Kṛṣṇa-bewußt zu werden. Doch ohne mit der Philosophie des Kṛṣṇa-Bewußtseins vertraut zu sein, ist es nicht ratsam, die heiligen Namen Kṛṣṇas an einem abgelegenen Ort zu chanten, wo man nichts weiter als die billige Bewunderung der unschuldigen Öffentlichkeit erlangt. Auch Arjuna dachte, Kṛṣṇa-Bewußtsein, das heißt buddhi-yoga oder Intelligenz im spirituellen Leben, sei so etwas wie das Sich-Zurückziehen vom aktiven Leben und die Auferlegung strenger Bußen und Enthaltsamkeiten an einem abgelegenen Ort. Mit anderen Worten, er wollte, unter dem Vorwand, Kṛṣṇa-bewußt zu handeln, geschickt den Kampf vermeiden, indem er Kṛṣṇa-Bewußtsein als Entschuldigung benutzte. Doch als ernsthafter Schüler brachte er die Angelegenheit vor seinen Meister und fragte Kṛṣṇa, wie er nun am besten handeln solle. Als Antwort erklärte Śrī Kṛṣṇa in diesem Dritten Kapitel ausführlich karma-yoga, Arbeit im Kṛṣṇa-Bewußtsein.
VERS 2
व्यामिश्रेणेव वाक्येन बुद्धिं मोहयसीव मे ।
तदेकं वद निश्चित्य येन श्रेयोऽहमाप्नुयाम् ॥२॥
vyāmiśreṇeva vākyena
buddhiṁ mohayasīva me
tad ekaṁ vada niścitya
yena śreyo ’ham āpnuyām
vyāmiśreṇa – durch zweideutige; iva – wie; vākyena – Worte; buddhim – Intelligenz; mohayasi – verwirrend; iva – wie; me – mein; tat – deshalb; ekam – das einzige; vada – bitte sage; niścitya – festgelegt; yena – durch was; śreyaḥ – wirklicher Nutzen; aham – ich; āpnuyām – erhalten kann.
ÜBERSETZUNG
Meine Intelligenz ist durch Deine zweideutigen Unterweisungen verwirrt. Sage mir deshalb bitte eindeutig, was das beste für mich ist.
ERKLÄRUNG
Im vorherigen Kapitel wurden als Einführung in die Bhagavad-gītā verschiedene Wege erklärt, wie zum Beispiel sāṅkhya-yoga, buddhi-yoga, Kontrolle der Sinne durch Intelligenz und Arbeit ohne das Verlangen nach ihrer Frucht. Auch die Position des Neulings wurde erläutert, doch wurde all dies ungeordnet vorgetragen. Um jedoch verstehen und danach handeln zu können, ist eine geordnetere Beschreibung der Pfade notwendig, und daher wollte Arjuna diese offenbar verwirrenden Unterweisungen klären, so daß jeder gewöhnliche Mensch sie ohne Fehlinterpretation akzeptieren kann. Obwohl Kṛṣṇa nicht die Absicht hatte, Arjuna durch Wortspielereien zu verwirren, konnte Arjuna dennoch nicht den Vorgang des Kṛṣṇa-Bewußtseins verstehen – weder durch Untätigkeit noch durch aktives Dienen. Mit anderen Worten, durch seine Fragen erhellt er den Pfad des Kṛṣṇa-Bewußtseins für alle Schüler, die ernsthaft bemüht sind, das Mysterium der Bhagavad-gītā zu verstehen.
VERS 3
श्रीभगवानुवाच ।
लोकेऽस्मिन्द्विविधा निष्ठा पुरा प्रोक्ता मयानघ ।
ज्ञानयोगेन साङ्ख्यानां कर्मयोगेन योगिनाम् ॥३॥
śrī bhagavān uvāca
loke ’smin dvi-vidhā niṣṭhā
purā proktā mayānagha
jñāna-yogena sāṅkhyānāṁ
karma-yogena yoginām
śrī bhagavān uvāca – der Höchste Persönliche Gott sagte; loke – in der Welt; asmin – dieses; dvi-vidhā – zwei Arten von; niṣṭhā – Glauben; purā – früher; proktā – wurde gesagt; mayā – von Mir; anagha – O Sündloser; jñāna-yogena – durch den Verbindungsvorgang des Wissens; sāṅkhyānām – der empirische Philosoph; karma-yogena – durch den Verbindungsvorgang der Hingabe; yoginām – der Gottgeweihte.
ÜBERSETZUNG
Der Höchste Herr sagte: O sündloser Arjuna, Ich habe bereits erklärt, daß es zwei Gruppen von Menschen gibt, die sich bemühen, das Höchste Selbst zu verwirklichen. Einige wollen Es durch empirische philosophische Spekulationen verstehen, und andere versuchen, Es durch hingebungsvolle Arbeit zu erkennen.
ERKLÄRUNG
Im neununddreißigsten Vers des Zweiten Kapitels erklärt der Herr zwei verschiedene Vorgänge: sāṅkhya-yoga und karma-yoga bzw. buddhi-yoga. In diesem Vers erklärt der Herr diese beiden Pfade deutlicher. Sāṅkhya-yoga, das analytische Studium vom Wesen der spirituellen und der materiellen Natur, ist die Hauptbeschäftigung von Menschen, die geneigt sind, zu spekulieren und die Dinge durch experimentelles Wissen und durch Philosophie zu verstehen. Die andere Gruppe handelt, wie im einundsechzigsten Vers des Zweiten Kapitels erklärt wird, im Kṛṣṇa-Bewußtsein. Im neununddreißigsten Vers hat der Herr erklärt, daß man von den Fesseln des Handelns befreit werden kann, wenn man den Prinzipien des buddhi-yoga bzw. Kṛṣṇa-Bewußtseins folgt, denn dieser Vorgang ist fehlerlos. Das gleiche Prinzip wird im einundsechzigsten Vers noch deutlicher erklärt: dieser buddhi-yoga bedeutet, vollständig vom Höchsten (oder genauer von Kṛṣṇa) abhängig zu sein; auf diese Weise können alle Sinne sehr leicht unter Kontrolle gebracht werden. Deshalb sind beide yogas, genau wie Religion und Philosophie, voneinander abhängig. Religion ohne Philosophie ist sentimental oder zuweilen sogar Fanatismus, wohingegen Philosophie ohne Religion nichts weiter als gedankliche Spekulation ist. Das endgültige Ziel ist Kṛṣṇa, denn auch die Philosophen, die ernsthaft nach der Absoluten Wahrheit suchen, kommen letzten Endes zum Kṛṣṇa-Bewußtsein. Dies wird ebenfalls in der Bhagavad-gītā bestätigt. Das Ziel der Selbstverwirklichung besteht darin, die wirkliche Position des Selbst in Beziehung zum Überselbst zu verstehen. Der indirekte Vorgang ist philosophische Spekulation, durch die man allmählich zum Kṛṣṇa-Bewußtsein kommen kann, und der andere Vorgang besteht darin, durch Kṛṣṇa-Bewußtsein zu allem eine direkte Beziehung herzustellen. Von diesen beiden ist der Pfad des Kṛṣṇa-Bewußtseins der bessere, da dieser Weg nicht davon abhängt, die Sinne durch einen philosophischen Vorgang zu reinigen. Kṛṣṇa-Bewußtsein selbst ist der Reinigungsvorgang, und durch die direkte Methode des hingebungsvollen Dienens ist er einfach und erhaben zugleich.
VERS 4
न कर्मणामनारम्भान्नैष्कर्म्यं पुरुषोऽश्नुते ।
न च संन्यसनादेव सिद्धिं समधिगच्छति ॥४॥
na karmaṇām anārambhān
naiṣkarmyaṁ puruṣo ’śnute
na ca sannyasanād eva
siddhiṁ samadhigacchati
na – ohne; karmaṇām – der vorgeschriebenen Pflichten; anārambhāt – Nichtausführung; naiṣkarmyam – Freiheit von Reaktion; puruṣaḥ – Mensch; aśnute – erreichen; na – auch nicht; ca – auch; sannyasanāt – durch Entsagung; eva – einfach; siddhim – Erfolg; samadhigacchati – erlangen.
ÜBERSETZUNG
Nicht, indem man sich einfach von Arbeit fernhält, kann man von Reaktionen befreit werden, noch kann man allein durch Entsagung Vollkommenheit erlangen.
ERKLÄRUNG
Die Lebensstufe der Entsagung kann man annehmen, wenn man durch die Erfüllung der vorgeschriebenen Pflichten gereinigt worden ist, die in den Schriften niedergelegt sind, um die Herzen der materialistischen Menschen zu reinigen. Ohne gereinigt zu sein, ist es sinnlos, die vierte Stufe des Lebens (sannyāsa) anzunehmen. Nach der Meinung der empirischen Philosophen erhält man augenblicklich die gleichen Eigenschaften wie Nārāyaṇa, wenn man ganz einfach sannyāsa annimmt, das heißt sich von fruchtbringenden Aktivitäten zurückzieht. Śrī Kṛṣṇa jedoch billigt diese Auffassung nicht. Ohne gereinigt zu sein, ist sannyāsa nichts als eine Störung für die soziale Ordnung. Wenn sich jemand jedoch dem transzendentalen Dienst des Herrn widmet, wird jeder kleinste Fortschritt, den er dabei macht, vom Herrn akzeptiert – selbst wenn er seine vorgeschriebenen Pflichten nicht erfüllt (buddhi-yoga). Svalpam apy asya dharmasya trāyate mahato bhayāt. Sogar wenn man diesem Prinzip nur in geringem Maße nachkommt, kann man die größten Schwierigkeiten überwinden.
VERS 5
न हि कश्चित्क्षणमपि जातु तिष्ठत्यकर्मकृत् ।
कार्यते ह्यवशः कर्म सर्वः प्रकृतिजैर्गुणैः ॥५॥
na hi kaścit kṣaṇam api
jātu tiṣṭhaty akarmakṛt
kāryate hy avaśaḥ karma
sarvaḥ prakṛti-jair guṇaiḥ
na – auch nicht; hi – gewiß; kaścit – irgend jemand; kṣaṇam – selbst einen Augenblick; api – auch; jātu – selbst; tiṣṭhati – steht; akarma-kṛt – ohne etwas zu tun; kāryate – gezwungen zu handeln; hi – gewiß; avaśaḥ – hilflos; karma – Handlung; sarvaḥ – alles; prakṛti-jaiḥ – aus den Erscheinungsweisen der materiellen Natur; guṇaiḥ – durch die Erscheinungsweisen.
ÜBERSETZUNG
Alle Menschen sind gezwungen, hilflos nach den Impulsen zu handeln, die aus den Erscheinungsweisen der materiellen Natur geboren werden. Nicht einmal für einen Augenblick kann sich ein Lebewesen davon zurückhalten halten, etwas zu tun.
ERKLÄRUNG
Das Lebewesen ist nicht nur im verkörperten Leben aktiv; vielmehr ist es das Wesen der Seele, immer aktiv zu sein. Ohne die Gegenwart der spirituellen Seele kann sich der materielle Körper nicht bewegen. Der Körper ist nur ein totes Fahrzeug, das von der spirituellen Seele bewegt werden muß, die immer aktiv ist und nicht einmal für einen Augenblick aufhören kann, aktiv zu sein. Daher muß die Seele in den positiven Aktivitäten des Kṛṣṇa-Bewußtseins beschäftigt werden, denn andernfalls wird sie in Tätigkeiten beschäftigt, die ihr die illusionierende Energie diktiert. In Berührung mit der materiellen Energie nimmt die spirituelle Seele materielle Erscheinungsweisen an, und um die Seele von diesen Verbindungen zu reinigen, ist es notwendig, die vorgeschriebenen Pflichten zu erfüllen, die in den śāstras niedergelegt sind. Wenn die Seele in ihrer wesenseigenen Position, das heißt als Diener Kṛṣṇas, beschäftigt ist, ist alles, was sie tut, gut für sie. Dies wird im Śrīmad-Bhāgavatam wie folgt bestätigt:
tyaktvā sva-dharmaṁ caraṇāmbujaṁ harer
bhajann apakvo ’tha patet tato yadi
yatra kva vābhadram abhūd amuṣya kiṁ
ko vārtha āpto ’bhajatāṁ sva-dharmataḥ.
„Wenn jemand mit dem Vorgang des Kṛṣṇa-Bewußtseins beginnt, so entsteht für ihn niemals ein Verlust oder Nachteil – selbst wenn er die vorgeschriebenen Pflichten, die in den śāstras niedergelegt sind, nicht erfüllt und seinen hingebungsvollen Dienst nicht richtig ausführt oder sogar von dieser Stufe herunterfällt. Doch was nützt es ihm, wenn er zwar alle Anweisungen, die in den śāstras zur Reinigung gegeben werden, befolgt, aber nicht Kṛṣṇa-bewußt ist?“ (Bhāg. 1.5.17)
Der Reinigungsvorgang ist also notwendig, um diese Ebene des Kṛṣṇa-Bewußtseins zu erreichen. Daher ist sannyāsa oder irgendein anderer Reinigungsvorgang dazu bestimmt, dem Menschen zu helfen, das endgültige Ziel zu erreichen, nämlich Kṛṣṇa-bewußt zu werden. Andernfalls ist das ganze Leben ein Fehlschlag.
VERS 6
कर्मेन्द्रियाणि संयम्य य आस्ते मनसा स्मरन् ।
इन्द्रियार्थान्विमूढात्मा मिथ्याचारः स उच्यते ॥६॥
karmendriyāṇi saṁyamya
ya āste manasā smaran
indriyārthān vimūḍhātmā
mithyācāraḥ sa ucyate
karma-indriyāṇi – die fünf handelnden Sinnesorgane; saṁyamya – kontrollierend; yaḥ – jeder, der; āste – bleibt; manasā – mit dem Geist; smaran – denkend; indriya-arthān – Sinnesobjekte; vimūḍha – töricht; ātmā – Seele; mithyā-ācāraḥ – Heuchler; saḥ – er; ucyate – wird genannt.
ÜBERSETZUNG
Wer seine Sinne und seine handelnden Organe zurückhält, doch in Gedanken immer noch bei den Sinnesobjekten weilt, betrügt sich selbst und ist ein Heuchler.
ERKLÄRUNG
Es gibt viele Heuchler, die es ablehnen, im Kṛṣṇa-Bewußtsein zu arbeiten, jedoch vorgeben zu meditieren, während sie in Wirklichkeit in Gedanken in Sinnesgenüssen schwelgen. Solche Heuchler sprechen zuweilen auch über trockene Philosophie, um ihre blasierten Anhänger zu bluffen; doch nach der Aussage dieses Verses sind sie die größten Betrüger. Wenn man nur seine Sinne befriedigen will, kann man dies auf jeder Stufe der sozialen Ordnung tun, doch wenn man den Regeln und Regulierungen seines bestimmten Standes folgt, kann man seine Existenz allmählich reinigen. Wer jedoch vorgibt, ein yogī zu sein, während er in Wirklichkeit nach Objekten zur Sinnesbefriedigung Ausschau hält, muß der größte Betrüger genannt werden – auch wenn er manchmal über Philosophie spricht. Das Wissen solch eines sündigen Menschen ist völlig wertlos, weil diesem Wissen von der illusionierenden Energie des Herrn die Wirkung genommen wird. Die Gedanken eines solchen Heuchlers sind immer unrein, und daher hat seine yogī-Meditationsshow keinen Wert.
VERS 7
यस्त्विन्द्रियाणि मनसा नियम्यारभतेऽर्जुन ।
कर्मेन्द्रियैः कर्मयोगमसक्तः स विशिष्यते ॥७॥
yas tv indriyāṇi manasā
niyamyārabhate’rjuna
karmendriyaiḥ karma-yogam
asaktaḥ sa viśiṣyate
yaḥ – einer, der; tu – aber; indriyāṇi – Sinne; manasā – durch den Geist; niyamya – regulierend; ārabhate – beginnt; arjuna – O Arjuna; karma-indriyaiḥ – durch die aktiven Sinnesorgane; karma-yogam – Hingabe; asaktaḥ – ohne Anhaftung; saḥ – er; viśiṣyate – weitaus besser.
ÜBERSETZUNG
Wer jedoch seine Sinne durch den Geist beherrscht und seine aktiven Organe, ohne anzuhaften, im hingebungsvollen Dienen beschäftigt, steht auf einer weitaus höheren Stufe.
ERKLÄRUNG
Anstatt ein Pseudo-Transzendentalist zu werden und nach einem ausschweifenden Leben im Sinnesgenuß zu trachten, ist es weitaus besser, in seinem jeweiligen Aufgabenbereich zu bleiben und den Sinn des Lebens zu erfüllen, der darin besteht, von der materiellen Fessel frei zu werden und in das Königreich Gottes zurückzukehren. Das erste svārtha-gati (Ziel des Selbstinteresses) besteht darin, Viṣṇu zu erreichen. Die gesamte Einrichtung von varṇa und āśrama soll uns helfen, dieses Ziel zu erlangen. Auch ein Haushälter kann durch reguliertes Dienen im Kṛṣṇa-Bewußtsein diese höchste Bestimmung erreichen. Um selbstverwirklicht zu werden, sollte man ein kontrolliertes Leben führen, so wie es in den śāstras vorgeschrieben wird. Auf diese Weise kann man, ohne anzuhaften, weiterhin seinen Aufgaben nachgehen und dennoch Fortschritte machen. Ein aufrichtiger Mensch, der dieser Methode folgt, ist weitaus besser als ein falscher Heuchler, der fadenscheinigen Spiritualismus zur Schau stellt, um die unschuldige Öffentlichkeit zu betrügen. Ein ernsthafter Straßenfeger ist weitaus besser als ein Meditationsgaukler, der nur meditiert, um sich auf diese Weise seinen Lebensunterhalt zu verschaffen.
VERS 8
नियतं कुरु कर्म त्वं कर्म ज्यायो ह्यकर्मणः ।
शरीरयात्रापि च ते न प्रसिध्येदकर्मणः ॥८॥
niyataṁ kuru karma tvaṁ
karma jyāyo hy akarmaṇaḥ
śarīra-yātrāpi ca te
na prasiddhyed akarmaṇaḥ
niyatam – vorgeschrieben; kuru – erfülle; karma – Pflichten; tvam – du; karma – Arbeit; jyāyaḥ – besser; hi – als; akarmaṇaḥ – ohne Arbeit; śarīra – körperlich; yātrā – Erhaltung; api – selbst; ca – auch; te – dein; na – niemals; prasiddhyet – bewirkt; akarmaṇaḥ – ohne Arbeit.
ÜBERSETZUNG
Erfülle deine vorgeschriebene Pflicht, denn es ist besser zu handeln, als untätig zu sein. Ohne Arbeit kann ein Mensch nicht einmal seinen physischen Körper erhalten.
ERKLÄRUNG
Es gibt viele Meditationsgaukler, die vorgeben, von einer hohen Familie abzustammen, und viele Pseudo-yogīs, die aus ihrer „Meditation“ einen Beruf gemacht haben und fälschlich behaupten, sie hätten alles für ihren Fortschritt im spirituellen Leben geopfert. Śrī Kṛṣṇa wollte nicht, daß Arjuna ein Heuchler wurde, sondern daß er seine vorgeschriebenen Pflichten so erfüllte, wie sie für kṣatriyas festgelegt sind. Arjuna war Haushälter und General, und deshalb war es für ihn besser, in dieser Position zu bleiben und die religiösen Pflichten zu erfüllen, die einem Haushälter und kṣatriya vorgeschrieben sind. Solche Aktivitäten reinigen allmählich das Herz eines weltlichen Menschen und befreien ihn von der materiellen Verunreinigung. Sogenannte Entsagung, mit dem Ziel, auf diese Weise für seinen Lebensunterhalt zu sorgen, wird niemals vom Herrn oder von den religiösen Schriften gebilligt.
Man muß Körper und Seele durch irgendeine Arbeit zusammenhalten. Man sollte jedoch seine Arbeit nicht aufgrund eines launischen Einfalls aufgeben, ohne zuvor von allen materialistischen Neigungen gereinigt zu sein. Jedes Lebewesen in der materiellen Welt hat mit Sicherheit die unreine Neigung, die materielle Natur zu beherrschen, das heißt nach Sinnesbefriedigung zu streben. Solche unreinen Neigungen müssen gereinigt werden. Ohne seine vorgeschriebenen Pflichten zu erfüllen, sollte man niemals versuchen, ein sogenannter Transzendentalist zu werden, seiner Arbeit zu entsagen und auf Kosten anderer zu leben.
VERS 9
यज्ञार्थात्कर्मणोऽन्यत्र लोकोऽयं कर्मबन्धनः ।
तदर्थं कर्म कौन्तेय मुक्तसङ्गः समाचर ॥९॥
yajñārthāt karmaṇo’nyatra
loko’yaṁ karma-bandhanaḥ
tad-arthaṁ karma kaunteya
mukta-saṅgaḥ samācara
yajña-arthāt – nur für Yajña bzw. Viṣṇu; karmaṇaḥ – Arbeit, die ausgeführt wird; anyatra – sonst; lokaḥ – diese Welt; ayam – diese; karma-bandhanaḥ – Bindung durch Arbeit; tat – Ihn; artham – für; karma – Arbeit; kaunteya – O Sohn Kuntīs; mukta-saṅgaḥ – befreit von der Verbindung; samācara – führe es vollkommen aus.
ÜBERSETZUNG
Man muß seine Arbeit Viṣṇu als Opfer darbringen, denn sonst wird man durch sie an die materielle Welt gebunden. O Sohn Kuntīs, erfülle daher deine vorgeschriebenen Pflichten zu Seiner Zufriedenstellung; auf diese Weise wirst du immer unangehaftet und frei von jeder Fessel bleiben.
ERKLÄRUNG
Man muß sogar für die einfache Versorgung des Körpers arbeiten. Deshalb muß ein Mensch entsprechend seiner sozialen Stellung und seinen Eigenschaften bestimmte Pflichten erfüllen, so daß er seinen Körper erhalten kann. Yajña bedeutet Śrī Viṣṇu bzw. Opferdarbringungen. Alle Opferdarbringungen sind für die Zufriedenstellung Śrī Viṣṇus bestimmt. Die Veden bestätigen dies: yajño vai viṣṇuḥ. Ob man nun die vorgeschriebenen yajñas ausführt oder Śrī Viṣṇu direkt dient – es wird der gleiche Zweck erfüllt. Kṛṣṇa-Bewußtsein bedeutet daher die Ausführung von yajña. Auch die varṇāśrama-Einrichtung hat das Ziel, Viṣṇu zufriedenzustellen. ,,Varṇāśramācāra-vatā puruṣeṇa paraḥ pumān / viṣṇur ārādhyate...“ (Viṣṇu Purāṇa 3.8.8). Deshalb muß man für die Zufriedenstellung Viṣṇus arbeiten. Jede andere Arbeit, die in der materiellen Welt verrichtet wird, ist die Ursache für Bindung; denn sowohl gute als auch schlechte Handlungen bringen Reaktionen mit sich, und jede Reaktion fesselt den Handelnden. Daher muß man im Kṛṣṇa-Bewußtsein handeln, um Kṛṣṇa (oder Viṣṇu) zufriedenzustellen; wenn man sich in diesen Aktivitäten beschäftigt, befindet man sich auf der Stufe der Befreiung. Das ist die große Kunst des Handelns. Am Anfang erfordert dieser Vorgang eine kundige Führung, und daher sollte man sehr besonnen handeln und sich entweder von einem Geweihten Śrī Kṛṣṇas führen lassen oder direkt den Unterweisungen Śrī Kṛṣṇas folgen (Arjuna hatte die Gelegenheit dazu). Nichts sollte getan werden, um die eigenen Sinne zu befriedigen; vielmehr sollte alles getan werden, um Kṛṣṇa zufriedenzustellen. Diese Handlungsweise wird einen Menschen nicht nur vor den Reaktionen bewahren, die auf seine Handlungen folgen, sondern auch allmählich auf die Ebene des transzendentalen liebevollen Dienens für den Herrn erheben. Nur durch hingebungsvolles Dienen kann man in das Königreich Gottes zurückkehren.
VERS 10
सहयज्ञाः प्रजाः सृष्ट्वा पुरोवाच प्रजापतिः ।
अनेन प्रसविष्यध्वमेष वोऽस्त्विष्टकामधुक् ॥१०॥
saha-yajñāḥ prajāḥ sṛṣṭvā
purovāca prajāpatiḥ
anena prasaviṣyadhvam
eṣa vo’stv iṣṭa-kāma-dhuk
saha – zusammen mit; yajñāḥ – Opfern; prajāḥ – Generationen; sṛṣṭvā – durch Erschaffen; purā – vor langer Zeit; uvāca – sagte; prajā-patiḥ – der Herr der Geschöpfe; anena – dadurch; prasaviṣyadhvam – möget ihr immer reicher werden; eṣaḥ – gewiß; vaḥ – dein; astu – es möge geschehen; iṣṭa – alles Wünschenswerte; kāma-dhuk – Versorger.
ÜBERSETZUNG
Am Anfang der Schöpfung sandte der Herr aller Geschöpfe Generationen von Menschen und Halbgöttern zusammen mit Opfern für Viṣṇu aus und segnete sie, indem Er sagte: Möget ihr durch diesen yajña [Opfer] glücklich werden, denn wenn ihr ihn darbringt, wird er euch alle Wünsche erfüllen.
ERKLÄRUNG
Die materielle Schöpfung, die vom Herrn aller Geschöpfe (Viṣṇu) geschaffen wurde, ist eine Möglichkeit, die den bedingten Seelen gegeben wird, zurück nach Hause – zurück zu Gott – zu kommen. Alle Lebewesen in der materiellen Schöpfung sind durch die materielle Natur bedingt, weil sie ihre Beziehung zu Kṛṣṇa, dem Höchsten Persönlichen Gott, vergessen haben. Die vedischen Prinzipien, die auch in der Bhagavad-gītā niedergelegt sind, sollen uns helfen, diese ewige Beziehung zu verstehen: vedaiś ca sarvair aham eva vedyaḥ. Der Herr sagt, daß es das Ziel der Veden ist, Ihn zu verstehen. In den vedischen Hymnen heißt es: patiṁ viśvasyātmeśvaram. Daher ist der Höchste Persönliche Gott, Viṣṇu, der Herr über alle Lebewesen. Auch im Śrīmad-Bhāgavatam beschreibt Śrīla Śukadeva Gosvāmī den Herrn als pati:
śriyaḥ-patir yajña-patiḥ prajā-patir
dhiyāṁ patir loka-patir dharā-patiḥ
patir gatiś cāndhaka-vṛṣṇi-sātvatāṁ
prasīdatāṁ me bhagavān satāṁ patiḥ
„Möge Śrī Kṛṣṇa, der von allen Gottgeweihten verehrt wird, der Beschützer und der Stolz aller Könige wie Andhaka und Vṛṣṇi aus der Yadu-Dynastie, der Gemahl aller Glücksgöttinnen, der Herr aller Opfer und daher der Führer aller Lebewesen, der Kontrollierende aller Intelligenz, der Besitzer aller spirituellen und materiellen Planeten und die höchste Inkarnation auf Erden (der Höchste in allem Sein), möge Er mir gnädig sein.“ (Bhāg. 2.4.20)
Śrī Viṣṇu ist der prajā-pati, und Er ist der Herr über alle lebenden Geschöpfe, alle Welten, alle Herrlichkeiten und der Beschützer eines jeden. Der Herr erschuf die materielle Welt für die bedingten Seelen, damit sie lernen, wie man yajña (Opfer) für die Zufriedenstellung Viṣṇus ausführt, so daß sie bequem und ohne Angst leben können, solange sie sich in der materiellen Welt aufhalten. Wenn sie in diesem Bewußtsein den gegenwärtigen, materiellen Körper verlassen, können sie in das Königreich Gottes eingehen. Dies sollte das Ziel der bedingten Seele sein. Durch die Darbringung von yajña werden die bedingten Seelen allmählich Kṛṣṇa-bewußt und nehmen so in jeder Hinsicht göttliche Eigenschaften an. Für dieses Zeitalter des Kali wird von den vedischen Schriften der saṅkīrtana-yajña (das Chanten der Namen Gottes) empfohlen, und Śrī Kṛṣṇa Caitanya hat diesen transzendentalen Vorgang zur Befreiung aller Menschen in diesem Zeitalter eingeführt. Saṅkīrtana-yajña und Kṛṣṇa-Bewußtsein gehören daher zusammen. Śrī Kṛṣṇa in Seiner Inkarnation als Gottgeweihter (Śrī Kṛṣṇa Caitanya) wird im Śrīmad-Bhāgavatam mit einem besonderen Hinweis auf den saṅkīrtana-yajña erwähnt. Dort heißt es:
kṛṣṇa-varṇaṁ tviṣākṛṣṇāṁ sāṅgopāṅgāstra-pārṣadam
yajñaiḥ saṅkīrtana-prāyair yajanti hi su-medhasaḥ
„Im Zeitalter des Kali werden die Menschen, die genügend Intelligenz besitzen, den Herrn, der von Seinen Gefährten begleitet wird, durch die Ausführung des saṅkīrtana-yajña verehren.“ (Bhāg. 11.5.29)
Im Zeitalter des Kali ist sehr schwierig, die anderen yajñas, die in den Veden vorgeschrieben werden, durchzuführen, doch der saṅkīrtana-yajña ist in jeder Hinsicht einfach und erhaben.
VERS 11
देवान्भावयतानेन ते देवा भावयन्तु वः ।
परस्परं भावयन्तः श्रेयः परमवाप्स्यथ ॥११॥
devān bhāvayatānena
te devā bhāvayantu vaḥ
parasparaṁ bhāvayantaḥ
śreyaḥ param avāpsyatha
devān – Halbgötter; bhāvayata – erfreut worden sein; anena – durch dieses Opfer; te – diejenigen; devāḥ – die Halbgötter; bhāvayanta – werden erfreuen; vaḥ – dich; parasparam – gegenseitig; bhāvayantaḥ – einander erfreuen; śreyaḥ – Segnung; param – die höchste; avāpsyatha – wirst du erreichen.
ÜBERSETZUNG
Wenn die Halbgötter durch Opfer zufriedengestellt sind, werden sie auch dich erfreuen, und wenn so einer den anderen nährt, wird allgemeiner Wohlstand herrschen.
ERKLÄRUNG
Die Halbgötter sind dazu ermächtigt, die materielle Welt zu verwalten. Die Versorgung mit Luft, Licht, Wasser und allen anderen Segnungen zur Erhaltung des Körpers und der Seele jedes Lebewesens ist den Halbgöttern anvertraut, die unzählige Helfer in verschiedenen Teilen des Körpers des Höchsten Persönlichen Gottes sind. Ihre Freuden und ihre Unzufriedenheit hängen davon ab, ob die Menschen yajñas ausführen oder nicht. Einige der yajñas sind dazu bestimmt, einzelne Halbgötter zufriedenzustellen; aber dennoch wird bei allen Opfern letztlich Śrī Viṣṇu als der höchste Genießende verehrt. In der Bhagavad-gītā wird ebenfalls gesagt, daß Kṛṣṇa der Genießende aller Arten von yajñas ist: bhoktāraṁ yajña-tapasām. Deshalb ist die endgültige Zufriedenstellung des yajña-pati das Hauptziel aller yajñas. Wenn diese yajñas vollendet ausgeführt werden, sind selbstverständlich auch die Halbgötter erfreut, die für die verschiedenen Abteilungen der Versorgung verantwortlich sind, und so herrscht kein Mangel an Naturprodukten.
Die Ausführung von yajñas hat noch viele andere Vorteile, die letztlich zur Befreiung von der materiellen Fessel führen. Wie es in den Veden heißt, werden alle Aktivitäten durch die Ausführung von yajñas gereinigt.
āhāra-śuddhau sattva-śuddhiḥ sattva-śuddhau
dhruvā smṛtiḥ smṛti-lambhe sarva-granthīnāṁ vipra-mokṣaḥ
Wie im folgenden Vers erklärt wird, werden durch die Ausführung von yajñas die Speisen geheiligt, und wenn man geheiligte Nahrung zu sich nimmt, reinigt man seine gesamte Existenz. Durch die Reinigung der Existenz werden die feineren Gewebe des Erinnerungsvermögens von Sünden gereinigt, und wenn die Erinnerung gereinigt ist, kann man an den Pfad der Befreiung denken; all dies führt zu Kṛṣṇa-Bewußtsein, der größten Notwendigkeit der heutigen Gesellschaft.
VERS 12
इष्टान्भोगान्हि वो देवा दास्यन्ते यज्ञभाविताः ।
तैर्दत्तानप्रदायैभ्यो यो भुङ्क्ते स्तेन एव सः ॥१२॥
iṣṭān bhogān hi vo devā
dāsyante yajña-bhāvitāḥ
tair dattān apradāyaibhyo
yo bhuṅkte stena eva saḥ
iṣṭān – gewünscht; bhogān – Notwendigkeiten des Lebens; hi – gewiß; vaḥ – dir; devāḥ – die Halbgötter; dāsyante – gewähren; yajña-bhāvitāḥ – da durch Opferdarbringungen zufriedengestellt; taiḥ – von ihnen; dattān – die Dinge, die gegeben sind; apradāya – ohne Opferung; ebhyaḥ – zu den Halbgöttern; yaḥ – derjenige; bhuṅkte – genießt; stenaḥ – Dieb; eva – gewiß; saḥ – ist er.
ÜBERSETZUNG
Die Halbgötter, die für die verschiedenen Notwendigkeiten des Lebens verantwortlich sind, versorgen den Menschen mit allem, was er braucht, wenn sie durch yajñas [Opfer] zufriedengestellt sind. Wer jedoch diese Gaben genießt, ohne sie zuvor den Halbgöttern als Opfer darzubringen, ist gewiß ein Dieb.
ERKLÄRUNG
Die Halbgötter sind autorisierte Bevollmächtigte, die im Auftrag des Höchsten Persönlichen Gottes, Viṣṇu, für die Versorgung zuständig sind. Deshalb müssen sie durch Darbringung der vorgeschriebenen yajñas zufriedengestellt werden. In den Veden werden verschiedene Arten von yajñas für verschiedene Halbgötter vorgeschrieben, doch alle Opfer werden letzten Endes dem Höchsten Persönlichen Gott dargebracht. Einem Menschen, der den Persönlichen Gott nicht verstehen kann, werden Opfer zu den Halbgöttern empfohlen. Den verschiedenen materiellen Erscheinungsweisen der Menschen entsprechend, werden in den Veden verschiedene Arten von yajñas empfohlen. In welcher Weise die verschiedenen Halbgötter verehrt werden richtet sich ebenfalls nach den unterschiedlichen Erscheinungsweisen. Zum Beispiel wird den Fleischessern empfohlen, die Göttin Kali, die grausame Erscheinungsform der materiellen Natur, zu verehren und ihr Tieropfer darzubringen. Denen aber, die sich in der Erscheinungsweise der Reinheit befinden, wird die transzendentale Verehrung Viṣṇus empfohlen. Letztlich jedoch sind alle yajñas dazu bestimmt, den Menschen allmählich auf die transzendentale Ebene zu erheben. Für gewöhnliche Menschen sind mindestens fünf yajñas notwendig – sie sind als pañca-mahā-yajña bekannt.
Man sollte wissen, daß alle Bedürfnisse der menschlichen Gesellschaft von den Beauftragten des Herrn, den Halbgöttern, befriedigt werden. Niemand kann irgend etwas selbst herstellen. Nehmen wir zum Beispiel all die Nahrungsmittel der menschlichen Gesellschaft. Weder die Nahrung der Menschen in der Erscheinungsweise der Reinheit, wie Getreide, Früchte, Gemüse, Milch, Zucker usw., noch die Nahrung der Nichtvegetarier, wie zum Beispiel Fleisch, Fisch oder Eier, kann von Menschen hergestellt werden. Oder nehmen wir zum Beispiel Wärme, Licht, Wasser und Luft, die ebenfalls zum Leben notwendig sind – nichts davon kann von der menschlichen Gesellschaft produziert werden. Ohne den Höchsten Herrn kann es kein Sonnenlicht, kein Mondlicht, keinen Regen und keinen Wind geben, ohne die man nicht leben kann. Offensichtlich hängt unser Leben von der Versorgung durch den Herrn ab. Selbst für unsere Fabriken benötigen wir viele Rohmaterialien, wie Metall, Schwefel, Quecksilber, Mangan und eine Menge anderer unentbehrlicher Dinge, die uns von den Beauftragten des Herrn zur Verfügung gestellt werden, damit wir richtigen Gebrauch davon machen, um uns in einer gesunden Verfassung zu erhalten, so daß wir Fortschritte auf dem Pfad der Selbstverwirklichung machen können; denn nur Selbstverwirklichung führt zum endgültigen Ziel des Lebens, zur Befreiung vom materiellen Kampf ums Dasein. Dieses Ziel des Lebens wird erreicht, wenn man yajñas ausführt. Wenn wir den Sinn des menschlichen Lebens vergessen und uns von den Beauftragten des Herrn nur für die Befriedigung unserer Sinne versorgen lassen und dadurch immer mehr in die materielle Existenz verstrickt werden – was nicht das Ziel des menschlichen Lebens ist –, werden wir ohne Zweifel zu Dieben und werden daher von den Gesetzen der materiellen Natur bestraft. Eine Gesellschaft von Dieben kann niemals glücklich sein, denn sie hat kein Ziel im Leben. Die grobmaterialistischen Diebe kennen kein endgültiges Lebensziel; ihr Interesse gilt einzig und allein der Befriedigung ihrer Sinne – sie wissen nicht das geringste über die Darbringung von yajñas. Śrī Caitanya jedoch führte den einfachsten yajña ein, den saṅkīrtana-yajña, der von jedem, der die Prinzipien des Kṛṣṇa-Bewußtseins akzeptiert, ausgeführt werden kann.
VERS 13
यज्ञशिष्टाशिनः सन्तो मुच्यन्ते सर्वकिल्बिषैः ।
भुञ्जते ते त्वघं पापा ये पचन्त्यात्मकारणात् ॥१३॥
yajña-śiṣṭāśinaḥ santo
mucyante sarva-kilbiṣaiḥ
bhuñjate te tv aghaṁ pāpā
ye pacanty ātma-kāraṇāt
yajña-śiṣṭa – Nahrung, die nach der Darbringung von yajña genommen wird; aśinaḥ – Esser; santaḥ – die Gottgeweihten; mucyante – werden befreit von; sarva – alle Arten von; kilbiṣaiḥ – Sünden; bhuñjate – genießen; te – sie; tu – aber; aghaṁ – schwere Sünden; pāpāḥ – Sünder; ye – diejenigen; pacanti – bereiten Essen zu; ātmā-kāraṇāt – für Sinnesgenuß.
ÜBERSETZUNG
Die Geweihten des Herrn werden von allen Sünden befreit, denn sie nehmen nur Nahrung zu sich, die zuvor als Opfer dargebracht wurde. Andere, die Nahrung zu ihrem eigenen Sinnesgenuß zubereiten, essen wahrlich nur Sünde.
ERKLÄRUNG
Die Gottgeweihten, das heißt die Menschen, die Kṛṣṇa-bewußt sind, werden santas genannt, und wie in der Brahma-saṁhitā beschrieben wird, sind sie immer in Liebe mit dem Herrn verbunden:
premāñjana-cchurita-bhakti-vilocanena
santaḥ sadaiva hṛdayeṣu vilokayanti
yaṁ śyāmasundaram acintya-guṇa-svarupaṁ
govindam ādi-puruṣaṁ tam ahaṁ bhajāmi
„Ich verehre Govinda, den urersten Herrn, der Śyāmasundara, Kṛṣṇa Selbst, mit unvorstellbaren, unzähligen Eigenschaften ist, und den die reinen Gottgeweihten, deren Augen mit dem Balsam der Liebe gesalbt sind, im Innern ihres Herzen sehen.“ (Bs. 5.38)
Die santas, die mit dem Höchsten Persönlichen Gott Govinda (der Quelle aller Freude) bzw. Mukunda (dem Befreier) oder Kṛṣṇa (der alles-anziehenden Person) immer in enger Liebe verbunden sind, können nichts annehmen, ohne es zuvor der Höchsten Person zu opfern. Daher führen solche Gottgeweihte ständig yajñas in den verschiedenen Erscheinungsformen des hingebungsvollen Dienens aus, wie zum Beispiel śravaṇam, kīrtanam, smaraṇam oder arcanam. Diese yajñas bewahren sie stets vor allen Arten der Verunreinigung, die durch sündhaften Umgang in der materiellen Welt entstehen. Andere, die sich Nahrung nur zu ihrer eigenen Sinnesbefriedigung zubereiten, sind nicht nur Diebe, sondern essen auch alle Arten von Sünde. Wie kann ein Mensch glücklich sein, der ein Dieb und ein Sünder ist? Es ist nicht möglich. Damit die Menschen in jeder Hinsicht glücklich werden können, müssen sie darin unterwiesen werden, wie der einfache saṅkīrtana-yajña in völligem Kṛṣṇa-Bewußtsein ausgeführt werden kann. Sonst kann es in der Welt keinen Frieden und kein Glück geben.
VERS 14
अन्नाद्भवन्ति भूतानि पर्जन्यादन्नसम्भवः ।
यज्ञाद्भवति पर्जन्यो यज्ञः कर्मसमुद्भवः ॥१४॥
annād bhavanti bhūtāni
parjanyād anna-sambhavaḥ
yajñād bhavati parjanyo
yajñaḥ karma-samudbhavaḥ
annāt – durch Getreide; bhavanti – wachsen; bhūtāni – die materiellen Körper; parjanyāt – durch Regen; anna – Getreide; sambhavaḥ – werden ermöglicht; yajñāt – durch die Darbringung von Opfern; bhavati – wird ermöglicht; parjanyaḥ – Regen; yajñaḥ – Darbringung von yajña; karma – vorgeschriebene Pflichten; samudbhavaḥ – geboren aus.
ÜBERSETZUNG
Alle lebenden Körper erhalten sich durch Getreide, das nur wachsen kann, wenn Regen fällt. Regen wird durch Darbringungen von yajña [Opfer] hervorgerufen, und yajña wird aus vorgeschriebenen Pflichten geboren.
ERKLÄRUNG
Śrīla Baladeva Vidyābhūṣaṇa, ein großer Kommentator der Bhagavad-gītā, schreibt: ye indrādy-aṅga-tayāvasthitaṁ yajñaṁ sarveśvaraṁ viṣṇum abhyarccya taccheṣam aśnanti tena taddeha-yāntrāṁ sampādayanti, te santaḥ sarveśvarasya bhaktāḥ sarva-kilviṣair anādi-kāla-vivṛddhair ātmānubhava-pratibandhakair nikhilaiḥ pāpair vimucyante.
Der Höchste Herr, der als yajña-puruṣaḥ, als der persönliche Empfänger aller Opfer, bekannt ist, ist der Meister aller Halbgötter, die Ihm dienen wie die verschiedenen Teile des Körpers dem Ganzen. Halbgötter wie Indra, Candra und Varuṇa sind vom Höchsten Herrn ernannte Verwalter, die die Geschehnisse im Universum regeln. Die Veden ordnen Opferdarbringungen zur Zufriedenstellung dieser Halbgötter an, damit sie erfreut werden und für genügend Luft, Licht und Wasser sorgen, so daß Getreide wachsen kann. Wenn Śrī Kṛṣṇa verehrt wird, werden automatisch auch die Halbgötter verehrt, die verschiedene Glieder des Herrn sind; daher ist es nicht notwendig, die Halbgötter gesondert vom Herrn zu verehren. Aus diesem Grunde opfern die Gottgeweihten, die im Kṛṣṇa-Bewußtsein sind, ihre Nahrung erst Kṛṣṇa und nehmen dann die Überreste zu sich; durch diesen Vorgang wird der Körper spirituell ernährt. Auf diese Weise werden nicht nur alle vergangenen sündhaften Reaktionen innerhalb des Körpers vernichtet, sondern der Körper wird auch vor allen Verunreinigungen der materiellen Natur geschützt. Wenn eine gefährliche, ansteckende Krankheit um sich greift, kann man durch einen antiseptischen Impfstoff vor dem Angriff einer solchen Epidemie geschützt werden. In ähnlicher Weise machen uns die Speisen, die zuerst Viṣṇu geopfert und dann von uns gegessen werden, gegen alle materiellen Einwirkungen immun, und wer sich diese Handlungsweise zu eigen gemacht hat, wird als Gottgeweihter bezeichnet. Deshalb kann ein Mensch im Kṛṣṇa-Bewußtsein, der nur Nahrung ißt, die Kṛṣṇa geopfert wurde, allen Reaktionen auf vergangene materielle Ansteckungen entgegenwirken, die Hindernisse auf dem Weg zur Selbstverwirklichung sind. Ein Mensch hingegen, der sein Essen nicht opfert, vergrößert weiterhin die Anzahl seiner sündigen Handlungen, und dies bereitet seinen nächsten Körper vor, der vielleicht dem eines Hundes oder Schweines ähneln wird, so daß er die Reaktionen auf seine sündigen Handlungen erleiden kann. Die materielle Welt ist voller Unreinheiten, doch wer geschützt ist, da er nur prasādam (zu Viṣṇu geopferte Speise) ißt, wird vor diesen Angriffen bewahrt, wohingegen ein anderer, der kein prasādam zu sich nimmt, der Verunreinigung ausgesetzt ist.
Getreide und Gemüse sind die grundlegenden Nahrungsmittel. Der Mensch ißt verschiedene Arten von Getreide, Gemüse, Früchten usw., und die Tiere fressen das, was ihnen an Getreide, Gemüse, Gräsern, Pflanzen usw. übriggelassen wird. Menschen, die gewohnt sind, Fleisch zu essen, hängen letztlich ebenfalls von der Pflanzenwelt ab, um Tiere essen zu können. Daher sind wir letzten Endes auf das angewiesen, was auf den Feldern wächst, und nicht auf das, was in unseren großen Fabriken produziert wird. Die Ernte auf den Feldern wiederum hängt von ausreichendem Regen ab, und dieser Regen wird von Halbgöttern wie Indra, von der Sonne und vom Mond usw. kontrolliert – die alle Diener des Herrn sind. Der Herr kann durch Opfer zufriedengestellt werden; deshalb wird ein Mensch, der Ihm nichts darbringt, Mangel leiden – das ist das Gesetz der Natur. Deshalb müssen yajñas, ganz besonders der für dieses Zeitalter empfohlene saṅkīrtana-yajña, ausgeführt werden, um uns zumindest vor einer Knappheit an Nahrungsmitteln zu bewahren.
VERS 15
कर्म ब्रह्मोद्भवं विद्धि ब्रह्माक्षरसमुद्भवम् ।
तस्मात्सर्वगतं ब्रह्म नित्यं यज्ञे प्रतिष्ठितम् ॥१५॥
karma brahmodbhavaṁ viddhi
brahmākṣara-samudbhavam
tasmāt sarva-gataṁ brahma
nityaṁ yajñe pratiṣṭhitam
karma – Arbeit; brahma – Veden; udbhavam – erzeugt aus; viddhi – man sollte wissen; brahma – die Veden; akṣara – das Höchste Brahman (der Persönliche Gott); samudbhavam – direkt manifestiert; tasmāt – daher; sarva-gatam – alldurchdringend; brahma – Transzendenz; nityam – ewiglich; yajñe – in Opfern; pratiṣṭhitam – befindet sich.
ÜBERSETZUNG
Die Veden, die vom Höchsten Persönlichen Gott geschaffen wurden, schreiben geregelte Aktivitäten vor. Folglich ist die alldurchdringende Transzendenz für ewig in Opferhandlungen gegenwärtig.
ERKLÄRUNG
Yajñārtha karma, die Notwendigkeit von Arbeit zur Zufriedenstellung Kṛṣṇas, wird in diesem Vers noch deutlicher hervorgehoben. Wenn wir also zur Zufriedenstellung des yajña-puruṣa, Viṣṇus, handeln wollen, müssen wir die Anweisungen für das Handeln im Brahman herausfinden, das heißt, wir müssen die transzendentalen Veden zu Rate ziehen. Die Veden enthalten Gesetze, die uns sagen, auf welche Weise wir handeln müssen. Alles, was ohne die Anweisung der Veden getan wird, nennt man vikarma (unautorisiertes bzw. sündiges Handeln). Man sollte daher immer den Unterweisungen der Veden folgen, um vor den Reaktionen auf sein Handeln bewahrt zu werden. Wie man nach den Gesetzen des Staates handeln muß, so muß man auch nach den Gesetzen des höchsten Staates, nach den Gesetzen des Herrn, tätig sein. Diese Unterweisungen sind in den Veden niedergelegt, die direkt durch den Atem des Höchsten Persönlichen Gottes geschaffen wurden. Es wird gesagt:
asya mahato bhūtasya
naśvasitam etad
yad ṛg-vedo yajur-vedaḥ
sāma-vedo ’tharvān girasaḥ.
„Die vier Veden – der Ṛg-veda, der Yajur-veda, der Sāma-veda und der Atharva-veda – gehen aus dem Atem des erhabenen Persönlichen Gottes hervor.“
Wie in der Brahma-saṁhitā bestätigt wird, kann der allmächtige Herr sprechen, indem Er ausatmet; denn der Herr hat die Allmacht, mit jedem Seiner Sinne die Funktionen aller anderen Sinne auszuüben. Mit anderen Worten, der Herr kann durch Seinen Atem sprechen, Er kann mit seinen Augen befruchten usw. Und tatsächlich wird gesagt, daß Er über die materielle Natur blickte und auf diese Weise alle Lebewesen erzeugte. Nachdem Er die bedingten Seelen in den Schoß der materiellen Natur gezeugt hatte, gab Er ihnen mit dem vedischen Wissen die Möglichkeit, zurück nach Hause, zurück zu Gott, zu gehen. Wir sollten uns immer bewußt sein, daß alle bedingten Seelen in der materiellen Natur gierig nach materiellem Genuß streben. Aber die vedischen Unterweisungen sind so beschaffen, daß man unter ihrer Führung zuerst seine pervertierten Verlangen befriedigen kann, um dann, nachdem man seinen sogenannten Genuß beendet hat, zu Gott zurückzukehren. Das vedische Wissen bietet den bedingten Seelen die Möglichkeit, Befreiung zu erlangen. Deshalb müssen die bedingten Seelen versuchen, yajñas auszuführen, indem sie Kṛṣṇa-bewußt werden. Selbst diejenigen, die den vedischen Anweisungen nicht folgen können, sollten die Prinzipien des Kṛṣṇa-Bewußtseins annehmen, denn dann ist es nicht mehr notwendig, die vedischen yajñas bzw. karmas auszuführen.
VERS 16
एवं प्रवर्त्तितं चक्रं नानुवर्तयतीह यः ।
अघायुरिन्द्रियारामो मोघं पार्थ स जीवति ॥१६॥
evaṁ pravartitaṁ cakraṁ
nānuvartayatīha yaḥ
aghāyur indriyārāmo
moghaṁ pārtha sa jīvati
evaṁ – so vorgeschrieben; pravartitam – von den Veden festgelegt; cakram – Kreislauf; na – nicht; anuvartayati – annehmen; iha – in diesem Leben; yaḥ – jemand, der; aghāyuḥ – ein Leben voller Sünde; indriya-ārāmaḥ – befriedigt durch Sinnesbefriedigung; mogham – unnütz; pārtha – O Sohn Pṛthās (Arjuna); saḥ – jemand, der so handelt; jīvati – lebt.
ÜBERSETZUNG
Mein lieber Arjuna, ein Mensch, der diesem vorgeschriebenen vedischen System des Opfers nicht folgt, führt ein Leben voller Sünde, da einer, der nur in den Sinnen Freude findet, vergeblich lebt.
ERKLÄRUNG
Die Philosophie des Mammon, schwer zu arbeiten und danach die Befriedigung der Sinne zu genießen, wird hiermit vom Herrn verurteilt. Deshalb ist es für diejenigen, die die materielle Welt genießen wollen, absolut notwendig, die oben erwähnten yajñas durchzuführen. Wer diesen Regulierungen nicht folgt, lebt ein sehr gefährliches Leben, da er mehr und mehr in die Verdammung geht. Durch das Gesetz der Natur ist die menschliche Form des Lebens besonders zur Selbstverwirklichung bestimmt, die auf drei Wegen erreicht werden kann – durch karma-yoga, jñāna-yoga oder bhakti-yoga. Für den Transzendentalisten, der über Laster und Tugend steht, ist es nicht notwendig, den vorgeschriebenen yajñas strikt zu folgen, doch diejenigen, die ihre Sinne befriedigen, müssen sich durch den oben erwähnten Kreislauf von yajña-Darbringungen reinigen. Es gibt verschiedenartige Aktivitäten. Menschen, die nicht Kṛṣṇa-bewußt sind, haben mit Sicherheit ein sinnliches Bewußtsein; deshalb ist die Ausführung frommer Handlungen für sie notwendig. Das yajña-System wurde in solcher Weise geplant, daß Menschen mit einem sinnlichen Bewußtsein ihre Begierden befriedigen können, ohne in die Reaktionen verstrickt zu werden, die auf sinnesbefriedigende Handlungen folgen. Der Wohlstand der Welt hängt nicht von unseren eigenen Anstrengungen ab, sondern vom Plan des Höchsten Herrn, der direkt von den Halbgöttern ausgeführt wird. Deshalb wendet man sich mit den yajñas an den dafür zuständigen Halbgott, der in den Veden erwähnt wird. Indirekt ist auch dies Kṛṣṇa-Bewußtsein, denn wenn man die Durchführung der yajñas beherrscht, ist es sicher, daß man Kṛṣṇa-bewußt wird. Wenn man aber durch die Darbringung von yajñas nicht Kṛṣṇa-bewußt wird, sind solche Prinzipien nichts weiter als nur moralische Verhaltensregeln. Man sollte daher seinen Fortschritt nicht begrenzen und bei moralischen Regeln stehenbleiben, sondern diese transzendieren und die Ebene des Kṛṣṇa-Bewußtseins erreichen.
VERS 17
यस्त्वात्मरतिरेव स्यादात्मतृप्तश्च मानवः ।
आत्मन्येव च सन्तुष्टस्तस्य कार्यं न विद्यते ॥१७॥
yas tv ātma-ratir eva syād
ātma-tṛptaś ca mānavaḥ
ātmany eva ca santuṣṭas
tasya kāryaṁ na vidyate
yaḥ – einer, der; tu – aber; ātma-ratiḥ – sich erfreut; eva – gewiß; syāt – bleibt; ātma-tṛptaḥ – Selbst-erleuchtet; ca – und; mānavaḥ – ein Mensch; ātmani – in sich selbst; eva – nur; ca – und; santuṣṭaḥ – völlig zufriedengestellt; tasya – seine; kāryam – Pflicht; na – nicht; vidyate – existiert.
ÜBERSETZUNG
Wer jedoch im Selbst Freude findet, im Selbst erleuchtet ist, allein im Selbst zufrieden und völlig im Selbst befriedigt ist, hat keine Pflicht zu erfüllen.
ERKLÄRUNG
Ein Mensch, der völlig Kṛṣṇa-bewußt und durch seine Handlungen im Kṛṣṇa-Bewußtsein vollauf zufriedengestellt ist, muß keine Pflichten mehr erfüllen. Da er Kṛṣṇa-bewußt ist, ist alle Unreinheit in seinem Innern fortgewaschen – ein Ergebnis, das sonst nur durch Tausende von yajñas erzielt werden kann. Wenn sich das Bewußtsein auf solche Weise erhellt, erkennt man klar seine ewige Position in Beziehung zum Höchsten. Durch die Gnade des Herrn wird daraufhin die Pflicht von innen her deutlich, und daher ist man nicht länger verpflichtet, den vedischen Unterweisungen zu folgen. Solch ein Kṛṣṇa-bewußter Mensch ist nicht länger an materiellen Aktivitäten interessiert und erfreut sich nicht länger an materiellen Genüssen wie Wein, Frauen und ähnlichen Verlockungen.
VERS 18
नैव तस्य कृतेनार्थो नाकृतेनेह कश्चन ।
न चास्य सर्वभूतेषु कश्चिदर्थव्यपाश्रयः ॥१८॥
naiva tasya kṛtenārtho
nākṛteneha kaścana
na cāsya sarva-bhūteṣu
kaścid artha-vyapāśrayaḥ
na – niemals; eva – gewiß; tasya – seine; kṛtena – durch Pflichterfüllung; arthaḥ – Ziel; na – auch nicht; akṛtena – ohne Pflichterfüllung; iha – in dieser Welt; kaścana – was immer; na – niemals; ca – und; asya – von ihm; sarva-bhūteṣu – in allen Lebewesen; kaścit – irgendeine; artha – Notwendigkeit; vyapa-āśrayaḥ – Zuflucht nehmen bei.
ÜBERSETZUNG
Ein selbstverwirklichter Mensch verfolgt bei der Erfüllung seiner vorgeschriebenen Pflichten keine Absicht, noch hat er einen Grund, diesen Pflichten nicht nachzukommen; auch ist es für ihn nicht notwendig, von anderen Lebewesen abhängig zu sein.
ERKLÄRUNG
Ein selbstverwirklichter Mensch ist nicht länger verpflichtet, irgendeine vorgeschriebene Pflicht außer Aktivitäten in Kṛṣṇa-Bewußtsein zu erfüllen. Wie in den folgenden Versen erklärt werden wird, bedeutet Kṛṣṇa-Bewußtsein keinesfalls Untätigkeit. Ein Kṛṣṇa-bewußter Mensch sucht weder bei einem Menschen noch bei einem Halbgott Zuflucht. Was immer er im Kṛṣṇa-Bewußtsein tut, reicht aus, um seinen Verpflichtungen nachzukommen.
VERS 19
तस्मादसक्तः सततं कार्यं कर्म समाचर ।
असक्तो ह्याचरन्कर्म परमाप्नोति पूरुषः ॥१९॥
tasmād asaktaḥ satataṁ
kāryaṁ karma samācara
asakto hy ācaran karma
param āpnoti pūruṣaḥ
tasmāt – daher; asaktaḥ – ohne Anhaftung; satatam – ständig; kāryam – als Pflicht; karma – Arbeit; samācara – ausführen; asaktaḥ – Loslösung; hi – gewiß; ācaran – ausführen; karma – Arbeit; param – der Höchste; āpnoti – erreicht; pūruṣaḥ – ein Mensch.
ÜBERSETZUNG
Daher sollte man, ohne an den Früchten der Aktivitäten zu haften, aus reiner Pflichterfüllung handeln; denn wenn man ohne Anhaftung arbeitet, erreicht man den Höchsten.
ERKLÄRUNG
Für den Gottgeweihten ist der Persönliche Gott das Höchste, und für den Unpersönlichkeitsanhänger ist es die Befreiung. Ein Mensch, der unter der richtigen Führung, und ohne am Ergebnis seines Handelns zu haften, für Kṛṣṇa bzw. im Kṛṣṇa-Bewußtsein handelt, wird mit Sicherheit Fortschritte auf dem Pfad zum höchsten Ziel machen. Weil es Kṛṣṇas Wunsch war, sollte Arjuna in der Schlacht von Kurukṣetra für Kṛṣṇa kämpfen. Ein guter Mensch oder ein gewaltloser Mensch zu sein, ist eine persönliche Anhaftung; wenn man aber im Auftrage des Höchsten handelt, handelt man, ohne am Ergebnis zu haften. Das ist vollkommenes Handeln; es befindet sich auf der höchsten Stufe und wird deshalb vom Höchsten Persönlichen Gott Śrī Kṛṣṇa empfohlen. Vedische Rituale, wie zum Beispiel vorgeschriebene Opfer, werden vollzogen, um sich von gottlosen Handlungen zu reinigen, die im Bereich der Sinnesbefriedigung begangen wurden. Aber Handeln im Kṛṣṇa-Bewußtsein ist transzendental zu den Reaktionen auf gute oder schlechte Taten. Ein Kṛṣṇa-bewußter Mensch haftet nicht an den Ergebnissen seiner Aktivitäten, sondern handelt ausschließlich für Kṛṣṇa. Er verrichtet die unterschiedlichsten Aktivitäten, bleibt aber völlig unangehaftet.
VERS 20
कर्मणैव हि संसिद्धिमास्थिता जनकादयः ।
लोकसंग्रहमेवापि सम्पश्यन्कर्तुमर्हसि ॥२०॥
karmaṇaiva hi saṁsiddhim
āsthitā janakādayaḥ
loka-saṅgraham evāpi
sampaśyan kartum arhasi
karmaṇā – durch Arbeit; eva – sogar; hi – gewiß; saṁsiddhim – Vollkommenheit; āsthitāḥ – befindlich; janaka-ādayaḥ – Könige wie Janaka; loka-saṅgraham – um die Menschen zu erziehen; eva – auch; api – für; sampaśyan – beachten; kartum – handeln; arhasi – wert sein.
ÜBERSETZUNG
Selbst Könige wie Janaka erreichten die Stufe der Vollkommenheit, indem sie ihre Pflichten erfüllten. Daher solltest du – allein um die Menschen durch dein Beispiel zu lehren – deiner Pflicht nachkommen.
ERKLÄRUNG
Viele Könige, wie zum Beispiel auch Janaka, waren selbstverwirklichte Seelen; folglich waren sie nicht verpflichtet, die in den Veden vorgeschriebenen Pflichten zu erfüllen. Dennoch führten sie alle vorgeschriebenen Aktivitäten aus, um den Menschen ein Beispiel zu geben. Janaka war der Vater Sītās und der Schwiegervater Śrī Rāmas. Als großer Geweihter des Höchsten Herrn war er in der Transzendenz verankert; da er aber zur gleichen Zeit König von Mithilā war (einem Bezirk der Provinz Behar in Indien), mußte er seine Untertanen darin unterweisen, wie man in einer Schlacht ehrenhaft kämpft. Er und seine Untertanen kämpften, um die Menschen zu lehren, daß in einer Situation, in der wohlgemeinte Argumente nichts nützen, auch Gewalt notwendig ist. Vor der Schlacht von Kurukṣetra war, selbst vom Höchsten Persönlichen Gott, jede Anstrengung unternommen worden, um die Schlacht zu vermeiden, doch die Gegenseite war zum Kampf entschlossen. In solch einem Fall ist es also notwendig, um der gerechten Sache willen zu kämpfen. Obwohl ein Mensch, der sich völlig im Kṛṣṇa-Bewußtsein befindet, kein Interesse an der materiellen Welt hat, handelt er dennoch, um die Öffentlichkeit zu lehren, wie man leben und sich verhalten sollte. Im Kṛṣṇa-Bewußtsein erfahrene Menschen können in einer Weise handeln, daß andere ihnen folgen werden; dies wird im folgenden Vers erklärt.
VERS 21
यद्यदाचरति श्रेष्ठस्तत्तदेवेतरो जनः ।
स यत्प्रमाणं कुरुते लोकस्तदनुवर्त्तते ॥२१॥
yad yad ācarati śreṣṭhas
tat tad evetaro janaḥ
sa yat pramāṇaṁ kurute
lokas tad anuvartate
yat – was immer; yat – und wer immer; ācarati – handelt; śreṣṭhaḥ – angesehener Führer; tat – das; tat – und das allein; eva – gewiß; itaraḥ – gewöhnlicher; janaḥ – Mensch; saḥ – er; yat – was immer; pramāṇam – Beweis; kurute – erbringen; lokaḥ – alle Welt; tat – das; anuvartate – folgt dem Beispiel.
ÜBERSETZUNG
Was immer ein bedeutender Mensch tut – gewöhnliche Menschen folgen seinem Beispiel. Und welche Maßstäbe auch immer er durch sein beispielhaftes Verhalten setzt – alle Welt folgt ihm nach.
ERKLÄRUNG
Die meisten Menschen benötigen einen Führer, der sie durch sein beispielhaftes Verhalten lehren kann. Ein Führer kann die Menschen nicht lehren, das Rauchen aufzugeben, wenn er selbst raucht. Śrī Kṛṣṇa Caitanya sagte, daß ein Lehrer erst selbst lernen soll, sich richtig zu verhalten, bevor er beginnt, andere zu belehren. Wer auf diese Weise lehrt, wird ācārya, der ideale Lehrer, genannt. Um den gewöhnlichen Menschen zu erreichen, muß ein Lehrer deshalb den Prinzipien der śāstras (Schriften) folgen. Ein Lehrer kann sich keine Regeln fabrizieren, die den Prinzipien der offenbarten Schriften widersprechen. Die offenbarten Schriften, wie die Manu-saṁhitā und ähnliche, gelten als die maßgebenden Gesetzbücher, denen die menschliche Gesellschaft folgen muß. Die Lehre des Führers sollte auf den grundlegenden Prinzipien beruhen, die von den großen ācāryas praktiziert werden. Auch das Śrīmad-Bhāgavatam bestätigt, daß man dem Beispiel großer Gottgeweihter folgen sollte, um Fortschritte auf dem Pfad der spirituellen Verwirklichung zu machen. Der König bzw. das Oberhaupt eines Staates, der Vater oder der Lehrer, sie alle werden als die natürlichen Führer der gewöhnlichen Menschen angesehen. All diese natürlichen Führer tragen eine große Verantwortung für ihre Abhängigen; daher müssen sie mit den maßgebenden Büchern der moralischen und spirituellen Gesetze vertraut sein.
VERS 22
न मे पार्थास्ति कर्त्तव्यं त्रिषु लोकेषु किञ्चन ।
नानवाप्तमवाप्तव्यं वर्त एव च कर्मणि ॥२२॥
na me pārthāsti kartavyaṁ
triṣu lokeṣu kiñcana
nānavāptam avāptavyaṁ
varta eva ca karmaṇi
na – keine; me – Mein; pārtha – O Sohn Pṛthās; asti – es gibt; kartavyam – irgendeine vorgeschriebene Pflicht; triṣu – in den drei; lokeṣu – Planetensystemen; kiñcana – irgend etwas; na – kein; anavāptam – benötigen; avāptavyam – zu erlangen; varte – beschäftigt; eva – gewiß; ca – auch; karmaṇi – die einem Menschen vorgeschriebene Pflicht.
ÜBERSETZUNG
O Sohn Pṛthās, in allen drei Planetensystemen gibt es keine Arbeit, die Mir vorgeschrieben ist. Es mangelt Mir an nichts, noch benötige Ich irgend etwas – und dennoch bin Ich mit Arbeit beschäftigt.
ERKLÄRUNG
Der Höchste Persönliche Gott wird in den Veden wie folgt beschrieben:
tam īśvarāṇāṁ paramaṁ maheśvaraṁ
taṁ devatānāṁ paramaṁ ca daivatam
patiṁ patīnāṁ paramaṁ parastād
vidāma devaṁ bhuvaneśam īḍyam
na tasya kāryaṁ karaṇaṁ ca vidyate
na tat-samaś cābhyadhikaś ca dṛśyate
parāsya śaktir vividhaiva śrūyate
svā-bhāvikī jñāna-bala-kriyā ca.
„Der Höchste Herr kontrolliert alle anderen Kontrollierenden, und von allen Führern, die über die verschiedenen Planeten herrschen, ist Er der höchste. Jeder wird von Ihm kontrolliert. Alle Lebewesen sind allein vom Höchsten Herrn mit bestimmter Macht versehen worden; sie sind nicht selbst die Höchsten. Er wird sogar von allen Halbgöttern verehrt, und Er ist der höchste Lenker unter allen Lenkern. Deshalb ist Er transzendental zu allen materiellen Führern und Kontrollierenden und muß von ihnen verehrt werden. Es gibt niemanden, der größer ist als Er, und Er ist die höchste Ursache aller Ursachen.
Der Körper des Herrn ist mit dem Körper eines gewöhnlichen Lebewesens nicht zu vergleichen. Zwischen Seinem Körper und Seiner Seele besteht kein Unterschied. Er ist absolut. All Seine Sinne sind transzendental. Jeder Seiner Sinne kann die Funktion jedes anderen Sinnes erfüllen. Daher ist niemand größer als Er oder kommt Ihm gleich. Seine Energien sind mannigfaltig, und so werden all Seine Aktivitäten in einem natürlichen Ablauf ausgeführt.“ (Śvetāśvatara Upaniṣad 6.7–8)
Da alles im Höchsten Persönlichen Gott in Fülle vorhanden ist und in voller Wahrheit existiert, braucht Er keine Pflicht zu erfüllen. Wer auf die Früchte seiner Arbeit angewiesen ist, muß einer bestimmten Pflicht nachkommen; doch jemand, dem es an nichts innerhalb der drei Planetensysteme mangelt, muß auch keine Pflicht erfüllen. Aber dennoch handelt Śrī Kṛṣṇa auf dem Schlachtfeld von Kurukṣetra als Führer der kṣatriyas, weil die kṣatriyas verpflichtet sind, die Leidenden zu schützen. Obwohl Er über allen Regulierungen der überlieferten Schriften steht, tut Er nichts, was den offenbarten Schriften widerspricht.
VERS 23
यदि ह्यहं न वर्त्तेयं जातु कर्मण्यतन्द्रितः ।
मम वर्त्मानुवर्त्तन्ते मनुष्याः पार्थ सर्वशः ॥२३॥
yadi hy ahaṁ na varteyaṁ
jātu karmaṇy atandritaḥ
mama vartmānuvartante
manuṣyāḥ pārtha sarvaśaḥ
yadi – wenn; hi – gewiß; aham – Ich; na – nicht; varteyam – in dieser Weise beschäftigte; jātu – jemals; karmaṇi – in der Erfüllung vorgeschriebener Pflichten; atandritaḥ – mit großer Sorgfalt; mama – Meinem; vartma – Pfad; anuvartante – würden folgen; manuṣyāḥ – alle Menschen; pārtha – O Sohn Pṛthās; sarvaśaḥ – in jeder Hinsicht.
ÜBERSETZUNG
Denn würde ich keine Arbeit verrichten, o Pārtha, würden gewiß alle Menschen Meinem Beispiel folgen.
ERKLÄRUNG
Um den sozialen Frieden für den Fortschritt im spirituellen Leben zu gewährleisten, gibt es traditionelle Familiengebräuche, die für jeden zivilisierten Menschen bestimmt sind. Obwohl solche Regeln und Regulierungen nur für die bedingten Seelen, und nicht für Śrī Kṛṣṇa, gelten, folgte Er dennoch diesen vorgeschriebenen Regeln, da Er erschien, um die Prinzipien der Religion wieder festzulegen. Andernfalls würden gewöhnliche Menschen Seinem Beispiel folgen, denn Er ist die größte Autorität. Aus dem Śrīmad-Bhāgavatam können wir erfahren, daß Śrī Kṛṣṇa sowohl zu Hause als auch außerhalb Seines Hauses alle religiösen Pflichten erfüllte, die einem Haushälter vorgeschrieben sind.
VERS 24
उत्सीदेयुरिमे लोका न कुर्यां कर्म चेदहम् ।
सङ्करस्य च कर्त्ता स्यामुपहन्यामिमाः प्रजाः ॥२४॥
utsīdeyur ime lokā
na kuryāṁ karma ced aham
saṅkarasya ca kartā syām
upahanyām imāḥ prajāḥ
utisīdeyuḥ – ruinieren; ime – alle diese; lokāḥ – Welten; na – nicht; kuryām – erfüllen; karma – vorgeschriebene Pflichten; cet – wenn; aham – Ich; saṅkarasya – unerwünschte Bevölkerung; ca – und; kartā – Schöpfer; syām – werde sein; upahanyām – zerstören; imāḥ – all diese; prajāḥ – Lebewesen.
ÜBERSETZUNG
Würde Ich aufhören zu arbeiten, gingen alle Welten zugrunde. Auch wäre Ich die Ursache für die Erschaffung unerwünschter Bevölkerung und würde dadurch den Frieden aller fühlenden Wesen zerstören.
ERKLÄRUNG
Varṇa-saṅkara bedeutet unerwünschte Bevölkerung, die den Frieden der Gesellschaft stört. Um diese soziale Störung zu vermeiden, gibt es vorgeschriebene Regeln und Regulierungen, durch die die Gesellschaft automatisch friedlich und geordnet werden kann, so daß spiritueller Fortschritt im Leben möglich ist. Wenn Śrī Kṛṣṇa erscheint, richtet Er Sich natürlich nach solchen Regeln und Regulierungen, um das Ansehen und die Notwendigkeit dieser wichtigen Einrichtung zu erhalten. Der Herr ist der Vater aller Lebewesen, und wenn die Lebewesen irregeführt werden, ist Er indirekt dafür verantwortlich. Immer, wenn die regulierenden Prinzipien von den Menschen vernachlässigt werden, erscheint der Herr Selbst und berichtigt die Gesellschaft. Obwohl wir dem Beispiel des Herrn folgen müssen, sollten wir uns stets daran erinnern, daß wir Ihn nicht imitieren können. Folgen und Imitieren befinden sich nicht auf der gleichen Ebene. Kṛṣṇa trug zum Beispiel in Seiner Kindheit den Govardhana-Hügel auf Seinem Finger, doch wir können den Herrn darin nicht imitieren; das ist für jeden Menschen unmöglich. Wir müssen Seinen Anweisungen folgen, doch wir dürfen Ihn niemals imitieren. Das Śrīmad-Bhāgavatam bestätigt dies:
naitat samācarej jātu manasāpi hy anīśvaraḥ
vinaśyaty ācaran mauḍhyād yathā ’rudro ’bdhijaṁ viṣam
īśvarāṇāṁ vacaḥ satyaṁ tathaivācaritaṁ kvacit
teṣāṁ yat sva-vaco yuktaṁ buddhimāṁs tat samācaret
„Man sollte einfach den Anweisungen des Herrn und Seiner ermächtigten Diener folgen. All ihre Anweisungen sind für uns vorteilhaft, und jeder intelligente Mensch wird sich genau nach ihnen richten. Man sollte sich jedoch vor dem Versuch hüten, sie nachzuahmen. Man sollte nicht einen Ozean von Gift austrinken, weil man Śiva imitieren will.“ (Bhāg. 10.33.30)
Wir sollten immer daran denken, daß die īśvaras, diejenigen, die tatsächlich die Bewegungen der Sonne und des Mondes kontrollieren können, eine höhere Position einnehmen als wir. Ohne selbst eine solche Macht zu besitzen, können wir nicht die übermächtigen īśvaras imitieren. Śiva leerte einen Ozean von Gift, aber wenn ein gewöhnlicher Mensch versuchen würde, auch nur einen Tropfen dieses Giftes zu trinken, würde er sterben. Es gibt viele Pseudo-Geweihte Śivas, denen es nur darum geht, gāñjā (Marihuana) und ähnliche berauschende Drogen zu rauchen, und die dabei vergessen, daß sie den Tod herbeirufen, wenn sie in dieser Weise Śiva imitieren. In ähnlicher Weise gibt es einige Pseudo-Geweihte Śrī Kṛṣṇas, die den Herrn in Seinem rāsa-līlā, Seinem Liebestanz, imitieren, aber vergessen, daß sie unfähig sind, den Govardhana-Hügel emporzuheben. Es ist daher das beste, nicht zu versuchen, die Mächtigen nachzuahmen, sondern einfach ihren Anweisungen zu folgen; auch sollte man nicht versuchen, ohne Qualifikationen ihre Posten einzunehmen. Es gibt bereits viele „Inkarnationen“ Gottes, die nicht die Macht des Höchsten besitzen.
VERS 25
सक्ताः कर्मण्यविद्वांसो यथा कुर्वन्ति भारत ।
कुर्याद्विद्वांस्तथासक्तश्चिकीर्षुर्लोकसंग्नहम् ॥२५॥
saktāḥ karmaṇy avidvāṁso
yathā kurvanti bhārata
kuryād vidvāṁs tathāsaktaś
cikīrṣur loka-saṅgraham
saktāḥ – angehaftet sein; karmaṇi – vorgeschriebene Pflichten; avidvāṁsaḥ – die Unwissenden; yathā – soviel wie; kurvanti – tun es; bhārata – O Nachkomme Bharatas; kuryāt – muß; vidvān – der Gelehrte; tathā – somit; asaktaḥ – ohne anzuhaften; cikīrṣuḥ – wünschen; loka-saṅgraham – die Masse der Menschen zu führen.
ÜBERSETZUNG
Im Gegensatz zu den Unwissenden, die ihre Pflichten erfüllen und dabei an den Früchten ihrer Aktivitäten haften, sollte der Weise ohne jede Anhaftung handeln, um somit die Menschen auf den richtigen Pfad zu führen.
ERKLÄRUNG
Ein Kṛṣṇa-bewußter Mensch und einer, der nicht Kṛṣṇa-bewußt ist, unterscheiden sich durch die Verschiedenheit ihrer Verlangen. Ein Kṛṣṇa-bewußter Mensch tut nichts, was ihm nicht hilft, Kṛṣṇa-Bewußtsein zu entwickeln. Er scheint zwar manchmal genau wie ein Unwissender zu handeln, der zu sehr an materiellen Aktivitäten haftet, aber während der materialistische Mensch ausschließlich seine eigenen Sinne befriedigen will, denkt der Gottgeweihte nur daran, wie er Kṛṣṇa zufriedenstellen kann. Daher sind Kṛṣṇa-bewußte Menschen notwendig, um den anderen zu zeigen, wie sie handeln müssen und auf welche Weise sie die Früchte ihrer Aktivitäten in den Dienst des Kṛṣṇa-Bewußtseins stellen können.
VERS 26
न बुद्धिभेदं जनयेदज्ञानां कर्मसङ्गिनाम् ।
योजयेत्सर्वकर्माणि विद्वान्युक्तः समाचरन् ॥२६॥
na buddhi-bhedaṁ janayed
ajñānāṁ karma-saṅginām
joṣayet sarva-karmāṇi
vidvān yuktaḥ samācaran
na – nicht; buddhi-bhedam – die Intelligenz verwirren; janayet – tun; ajñānām – der Unwissenden; karma-saṅginām – die an fruchtbringendem Handeln haften; joṣayet – in Einklang gebracht; sarva – alle; karmāṇi – Handeln; vidvān – gelehrt; yuktaḥ – vollständig beschäftigt; samācaran – praktizierend.
ÜBERSETZUNG
Der Weise sollte den Geist der Unwissenden, die an fruchtbringender Arbeit haften, nicht verwirren. Sie sollten nicht ermutigt werden, sich von ihrer Arbeit zurückzuziehen, sondern dazu bewegt werden, im Geist der Hingabe zu handeln.
ERKLÄRUNG
Vedaiś ca sarvair aham eva vedyaḥ: „Ich bin das Ziel aller vedischen Rituale.“ (Bg. 15.15) Alle Rituale, alle Opferdarbringungen und alle Anweisungen, die in den Veden niedergelegt sind, einschließlich aller Anleitungen zu materiellen Aktivitäten, sind dazu bestimmt, Kṛṣṇa, das endgültige Ziel des Lebens, zu verstehen. Weil die bedingten Seelen nichts anderes als Sinnesbefriedigung kennen, studieren sie die Veden nur insofern, als dieses Thema behandelt wird. Wenn man seine Sinne jedoch reguliert, wird man allmählich auf die Stufe des Kṛṣṇa-Bewußtseins erhoben. Deshalb sollte eine im Kṛṣṇa-Bewußtsein verankerte Seele andere in deren Aktivitäten oder deren Verständnis nicht stören, sondern durch ihr eigenes Beispiel zeigen, wie man die Ergebnisse seiner Arbeit in den Dienst Kṛṣṇas stellen kann. Der gelehrte, Kṛṣṇa-bewußte Mensch sollte so handeln, daß die unwissenden Menschen, die für die Befriedigung ihrer Sinne arbeiten, lernen können, wie sie handeln und sich verhalten sollen. Wenn auch ein unwissender Mensch in seinen Aktivitäten nicht gestört werden darf, so kann doch ein Mensch, der schon ein wenig Kṛṣṇa-Bewußtsein entwickelt hat, direkt im Dienst des Herrn beschäftigt werden, ohne dabei die vedischen Regeln und Regulierungen beachten zu müssen. Für einen solchen vom Glück begünstigten Menschen ist es nicht notwendig, den vedischen Ritualen zu folgen, denn wenn man direkt im Kṛṣṇa-Bewußtsein beschäftigt ist, kann man alle Ergebnisse erreichen, indem man einfach den Anweisungen des geistigen Meisters folgt.
VERS 27
प्रकृतेः क्रियमाणानि गुणैः कर्माणि सर्वशः ।
अहङ्कारविमूढात्मा कर्त्ताहमिति मन्यते ॥२७॥
prakṛteḥ kriyamāṇāni
guṇaiḥ karmāṇi sarvaśaḥ
ahaṅkāra-vimūḍhātmā
kartāham iti manyate
prakṛteḥ – der materiellen Natur; kriyamāṇāni – werden alle ausgeführt; guṇaiḥ – durch die Erscheinungsweisen; karmāṇi – Aktivitäten; sarvaśaḥ – alle Arten von; ahaṅkāra-vimūḍha – durch falsches Ich verwirrt; ātmā – die spirituelle Seele; kartā – Handelnder; aham – ich; iti – so; manyate – denkt.
ÜBERSETZUNG
Die verwirrte Seele hält sich unter dem Einfluß der drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur für den Ausführenden von Aktivitäten, die in Wirklichkeit von der Natur verrichtet werden.
ERKLÄRUNG
Ein Mensch im Kṛṣṇa-Bewußtsein und ein Mensch im materiellen Bewußtsein, die die gleiche Arbeit verrichten, scheinen auf der gleichen Ebene zu handeln, doch zwischen ihren jeweiligen Positionen besteht ein gewaltiger Unterschied. Der Mensch im materiellen Bewußtsein ist durch sein falsches Ich davon überzeugt, daß er der Handelnde ist. Er weiß nicht, daß der Mechanismus des Körpers ein Produkt der materiellen Natur ist, die unter der Aufsicht des Höchsten Herrn aktiv ist. Der materialistische Mensch weiß nicht, daß er sich letztlich unter der Kontrolle Kṛṣṇas befindet. Der Mensch unter dem Einfluß des falschen Ichs behauptet, alles unabhängig zu tun, doch dies ist nur ein Zeichen seiner Unwissenheit. Er weiß nicht, daß sein grob- und feinstofflicher Körper unter der Anordnung des Höchsten Persönlichen Gottes von der materiellen Natur geschaffen wurde und daß er daher die Aktivitäten seines Körpers und Geistes im Kṛṣṇa-Bewußtsein in den Dienst Kṛṣṇas stellen sollte. Der Unwissende vergißt, daß der Höchste Persönliche Gott als Hṛṣīkeśa (der Meister der Sinne) bekannt ist, denn durch den langen Mißbrauch seiner Sinne zur materiellen Befriedigung ist er vom falschem Ich völlig verwirrt, so daß er seine ewige Beziehung zu Kṛṣṇa vergessen hat.
VERS 28
तत्त्ववित्तु महाबाहो गुणकर्मविभागयोः ।
गुणा गुणेषु वर्त्तन्त इति मत्वा न सज्जते ॥२८॥
tattvavit tu mahā-bāho
guṇa-karma-vibhāgayoḥ
guṇā guṇeṣu vartanta
iti matvā na sajjate
tattvavit – der Kenner der Absoluten Wahrheit; tu – aber; mahā-bāho – O Starkarmiger; guṇa-karma – Handlungen, die unter dem Einfluß der materiellen Natur ausgeführt werden; vibhāgayoḥ – Unterschiede; guṇāḥ – Sinne; guṇeṣu – in Sinnesbefriedigung; vartante – beschäftigt sein; iti – so; matvā – denkend; na – niemals; sajjate – wird angehaftet.
ÜBERSETZUNG
Wer im Wissen über die Absolute Wahrheit gründet, o Starkarmiger, beschäftigt sich nicht mit den Aktivitäten der Sinne und mit Sinnesbefriedigung, da er sehr wohl den Unterschied zwischen Arbeit in Hingabe und Arbeit für fruchtbringende Ergebnisse kennt.
ERKLÄRUNG
Der Kenner der Absoluten Wahrheit ist sich seiner unangenehmen Lage in der materiellen Welt bewußt. Er weiß, daß er ein Bestandteil des Höchsten Persönlichen Gottes und daß die materielle Schöpfung nicht sein wirkliches Zuhause ist. Er erkennt seine wirkliche Identität als Bestandteil des Höchsten, der ewige Glückseligkeit und ewiges Wissen ist, und er erkennt, daß er in irgendeiner Weise von der materiellen Auffassung des Lebens gefangen ist. In seinem reinen Seinszustand ist er dazu bestimmt, seine Aktivitäten im hingebungsvollen Dienen dem Höchsten Persönlichen Gott, Kṛṣṇa, zu weihen. Er beschäftigt sich deshalb in den Aktivitäten des Kṛṣṇa-Bewußtseins und löst sich somit auf ganz natürliche Weise von den umstandsbedingten und zeitweiligen Aktivitäten der materiellen Sinne. Er weiß, daß sich seine materiellen Lebensumstände unter der höchsten Kontrolle des Herrn befinden, und folglich wird er niemals durch materielle Reaktionen, gleich welcher Art, gestört, da er sie als Barmherzigkeit des Herrn betrachtet. Nach dem Śrīmad-Bhāgavatam wird jemand, der die Absolute Wahrheit in Ihren drei verschiedenen Aspekten – als Brahman, Paramātmā und als den Höchsten Persönlichen Gott – kennt, tattvavit genannt, da er auch seine wesenseigene Position in Beziehung zum Höchsten erkannt hat.
VERS 29
प्रकृतेर्गुणसंमूढाः सज्जन्ते गुणकर्मसु ।
तानकृत्स्नविदो मन्दान्कृत्स्नविन्न विचालयेत् ॥२९॥
prakṛter guṇa-saṁmūḍhāḥ
sajjante guṇa-karmasu
tān akṛtsna-vido mandān
kṛtsna-vin na vicālayet
prakṛteḥ – getrieben von den materiellen Erscheinungsweisen; guṇa-saṁmūḍhāḥ – getäuscht durch Identifizierung mit der Materie; sajjante – wird beschäftigt; guṇa-karmasu – in materiellen Aktivitäten; tān – all diejenigen; akṛtsna-vidaḥ – Menschen mit einem geringen Maß an Wissen; mandān – zu träge, um Selbstverwirklichung zu verstehen; kṛtsna-vit – einer, der in tatsächlichem Wissen gründet; na – nicht; vicālayet – versuchen zu erregen.
ÜBERSETZUNG
Verwirrt von den Erscheinungsweisen der materiellen Natur, beschäftigen sich die Unwissenden in materiellen Aktivitäten und haften an ihnen. Doch der Weise sollte sie nicht beunruhigen, obwohl ihre Pflichten aus Unkenntnis von niederer Natur sind.
ERKLÄRUNG
Die Unwissenden identifizieren sich fälschlich mit ihrem groben materiellen Bewußtsein und sind deshalb voller materieller Bezeichnungen. Der Körper ist ein Geschenk der materiellen Natur, und wer zu sehr am körperlichen Bewußtsein haftet, wird mandān genannt, ein Mensch, der träge ist und kein Verständnis von der spirituellen Seele hat. Unwissende halten den Körper für das Selbst, körperliche Verbindungen mit anderen werden für Verwandtschaft gehalten, das Land, in dem der Körper geboren wurde, ist das Objekt der Verehrung, und die formellen religiösen Rituale werden als Ziele der Religion betrachtet. Sozialarbeit, Nationalismus und Altruismus sind einige der Aktivitäten dieser Menschen, die sich mit materiellen Bezeichnungen identifizieren. Unter dem Zauber solcher Bezeichnungen sind sie auf der materiellen Ebene immer sehr beschäftigt; für sie ist die spirituelle Verwirklichung ein Mythos, und daher sind sie nicht an ihr interessiert. Diese verwirrten Menschen beschäftigen sich manchmal sogar mit solch grundlegenden Moralprinzipien wie Gewaltlosigkeit oder ähnlichen, in materieller Hinsicht wohltätigen Aktivitäten. Diejenigen jedoch, die mit spirituellem Wissen erleuchtet sind, sollten nicht versuchen, diese von der Materie gefesselten Menschen zu beunruhigen. Es ist besser, die spirituellen Aktivitäten in aller Stille weiterzuführen.
Menschen, die sich in Unwissenheit befinden, wissen Aktivitäten im Kṛṣṇa-Bewußtsein nicht zu schätzen, und deshalb gibt uns Śrī Kṛṣṇa den Rat, sie nicht zu stören und damit wertvolle Zeit zu verschwenden. Doch die Geweihten des Herrn sind gütiger als der Herr Selbst, weil sie die Absicht des Herrn verstehen. Folglich nehmen sie alle Wagnisse auf sich und gehen sogar so weit, sich unwissenden Menschen zu nähern und zu versuchen, sie in Aktivitäten des Kṛṣṇa-Bewußtseins zu beschäftigen, da dies für jeden Menschen absolut notwendig ist.
VERS 30
मयि सर्वाणि कर्माणि संन्यस्याध्यात्मचेतसा ।
निराशीर्निर्ममो भूत्वा युध्यस्व विगतज्वरः ॥३०॥
mayi sarvāṇi karmāṇi
sannyasyādhyātma-cetasā
nirāśīr nirmamo bhūtvā
yudhyasva vigata-jvaraḥ
mayi – zu Mir; sarvāṇi – alle Arten von; karmāṇi – Aktivitäten; sannyasya – vollständig aufgeben; adhyātma – im vollkommenen Wissen vom Selbst; cetasā – Bewußtsein; nirāśīḥ – ohne Verlangen nach Gewinn; nirmamaḥ – ohne Eigentum; bhūtvā – wenn du in dieser Weise handelst; yudhyasva – kämpfe; vigata-jvaraḥ – ohne gleichgültig zu sein.
ÜBERSETZUNG
Deshalb, o Arjuna, gib all deine Handlungen Mir hin, richte deinen Geist auf Mich und kämpfe, ohne Verlangen nach Gewinn, und frei von Egoismus und Gleichgültigkeit!
ERKLÄRUNG
Dieser Vers weist deutlich auf das Ziel der Bhagavad-gītā. Der Herr unterweist uns, daß man, um völlig Kṛṣṇa-bewußt zu werden, seine Pflicht so erfüllen muß, als würde man im Militär dienen. Eine solche Unterweisung macht die Dinge vielleicht ein wenig schwierig; nichtsdestoweniger müssen die Pflichten in voller Abhängigkeit von Kṛṣṇa ausgeführt werden, weil dies die wesenseigene Position des Lebewesens ist. Das Lebewesen kann nicht unabhängig von der Zusammenarbeit mit dem Höchsten Herrn glücklich sein, weil es die ewige, wesenseigene Position des Lebewesens ist, sich den Wünschen des Herrn unterzuordnen. Śrī Kṛṣṇa gab Arjuna deshalb den Befehl zu kämpfen, gleichsam als wäre Er dessen militärischer Befehlshaber. Man muß alles dem Willen des Höchsten Herrn opfern und zur gleichen Zeit seine vorgeschriebenen Pflichten erfüllen, ohne dabei irgendwelche Ansprüche auf Eigentum zu erheben. Es war nicht Arjunas Angelegenheit, sich über den Befehl des Herrn Gedanken zu machen; seine Aufgabe bestand einzig und allein darin, diesen Befehl auszuführen. Der Höchste Herr ist die Seele aller Seelen; wer daher voll und ganz ohne eigene Überlegung vom Höchsten Herrn abhängt, oder mit anderen Worten, wer völlig Kṛṣṇa-bewußt ist, wird adhyātma-cetasā genannt. Nirāśīḥ bedeutet, daß man nach der Anweisung des Meisters handeln muß. Auch sollte man niemals fruchtbringende Ergebnisse erwarten. Der Kassierer zählt für den Bankdirektor Millionen von Mark, doch er beansprucht nicht einen Pfennig für sich selbst. In ähnlicher Weise muß man auch erkennen, daß nichts in der Welt einem bestimmten Menschen gehört, sondern daß alles das Eigentum des Höchsten Herrn ist. Das ist die wirkliche Bedeutung von mayi, „zu Mir“. Und wenn jemand in solchem Kṛṣṇa-Bewußtsein handelt, beansprucht er ganz sicherlich nichts als sein Eigentum. Dieses Bewußtsein wird nirmama, „nichts gehört Mir“, genannt. Und wenn gegen einen solch strengen Befehl, der keine Rücksicht auf sogenannte Verwandte oder körperliche Beziehungen nimmt, irgendein Widerwille besteht, sollte man diese Abneigung von sich werfen; auf diese Weise kann man vigata-jvara, das heißt frei von fiebriger Mentalität oder Lethargie werden. Jeder muß entsprechend seinen Eigenschaften und seiner Position eine bestimmte Tätigkeit ausüben, und wie oben beschrieben wurde, sollten all diese Pflichten im Kṛṣṇa-Bewußtsein erfüllt werden. Das wird einen Menschen auf den Pfad der Befreiung führen.
VERS 31
ये मे मतमिदं नित्यमनुतिष्ठन्ति मानवाः ।
श्रद्धावन्तोऽनसूयन्तो मुच्यन्ते तेऽपि कर्मभिः ॥३१॥
ye me matam idaṁ nityam
anutiṣṭhanti mānavāḥ
śraddhāvanto’nasūyanto
mucyante te’pi karmabhiḥ
ye – diejenigen; me – Meine; matam – Unterweisungen; idam – diese; nityam – ewige Funktion; anutiṣṭhanti – regelmäßig ausführen; mānavāḥ – Menschheit; śraddhāvantaḥ – mit Glauben und Hingabe; anasūyantaḥ – ohne Neid; mucyante – frei werden; te – sie alle; api – sogar; karmabhiḥ – von der Fessel an das Gesetz der fruchtbringenden Handlung.
ÜBERSETZUNG
Wer seine Pflichten nach Meinen Unterweisungen erfüllt und dieser Lehre ohne Neid und mit Vertrauen folgt, wird von der Fessel der fruchtbringenden Handlungen befreit.
ERKLÄRUNG
Die Unterweisung des Höchsten Persönlichen Gottes, Kṛṣṇas, ist die Essenz aller vedischen Weisheit, und sie ist daher ohne Ausnahme ewiglich wahr. Da die Veden ewig sind, ist auch die Wahrheit des Kṛṣṇa-Bewußtseins ewig. Man sollte festes Vertrauen in diese Unterweisung haben und den Herrn nicht beneiden. Es gibt viele Philosophen, die Kommentare zur Bhagavad-gītā schreiben, doch nicht an Kṛṣṇa glauben. Sie werden niemals von der Fessel der fruchtbringenden Handlungen befreit werden. Aber ein gewöhnlicher Mensch, der festes Vertrauen in die ewigen Unterweisungen des Herrn hat, wird, selbst wenn er unfähig ist, solchen Anweisungen zu folgen, von der Fessel des Gesetzes des karma befreit. Zu Beginn des Kṛṣṇa-Bewußtseins mag man die Anweisungen des Herrn nicht vollständig ausführen können, aber weil man sich diesem Prinzip nicht widersetzt und ernsthaft handelt, ohne Niederlage und Hoffnungslosigkeit zu beachten, wird man mit Sicherheit auf die Ebene des reinen Kṛṣṇa-Bewußtseins erhoben werden.
VERS 32
ये त्वेतदभ्यसूयन्तो नानुतिष्ठन्ति मे मतम् ।
सर्वज्ञानविमूढांस्तान्विद्धि नष्टानचेतसः ॥३२॥
ye tv etad abhyasūyanto
nānutiṣṭhanti me matam
sarva-jñāna-vimūḍhāṁs tān
viddhi naṣṭān acetasaḥ
ye – diejenigen; tu – jedoch; etat – dieses; abhyasūyantaḥ – aus Neid; na – nicht; anutiṣṭhanti – regelmäßig; me – Meine; matam – Unterweisung; sarva-jñāna – alle Arten von Wissen; vimūḍhān – getäuscht; tān – sie sind; viddhi – wisse; naṣṭān – zugrunde gerichtet; acetasaḥ – ohne Kṛṣṇa-Bewußtsein.
ÜBERSETZUNG
Wer aber aus Neid diese Lehren mißachtet und nicht regelmäßig danach handelt, ist allen Wissens beraubt, getäuscht und zu Unwissenheit und Gebundensein verdammt.
ERKLÄRUNG
Der Mangel, nicht Kṛṣṇa-bewußt zu sein, wird hier klar ausgedrückt. Wie Ungehorsam gegenüber dem Befehl des Königs bestraft wird, so wird auch mit Sicherheit Ungehorsam gegenüber der Anordnung des Höchsten Gottes bestraft. Weil sein Herz leer ist, weiß ein Mensch, der nicht gehorsam ist – ganz gleich wie bedeutend er auch sein mag – nichts von seinem Selbst, vom Höchsten Brahman, vom Paramātmā und vom Persönlichen Gott. Daher gibt es für ihn keine Hoffnung, sein Leben zu vervollkommnen.
VERS 33
सदृशं चेष्टते स्वस्याः प्रकृतेर्ज्ञानवानपि ।
प्रकृतिं यान्ति भूतानि निग्रहः किं करिष्यति ॥३३॥
sadṛśaṁ ceṣṭate svasyāḥ
prakṛter jñānavān api
prakṛtiṁ yānti bhūtāni
nigrahah kiṁ kariṣyati
sadṛśam – entsprechend; ceṣṭate – versucht; svasyāḥ – nach seiner eigenen Natur; prakṛteḥ – Erscheinungsweisen; jñānavān – der Gelehrte; api – obwohl; prakṛtim – Natur; yānti – sich unterziehen; bhūtāni – alle Lebewesen; nigrahaḥ – Unterdrückung; kim – was; kariṣyati – kann tun.
ÜBERSETZUNG
Selbst ein Mensch, der in Wissen gründet, handelt nach seinem Wesen, denn jeder folgt seiner Natur. Was könnte Unterdrückung ausrichten?
ERKLÄRUNG
Solange man nicht auf der transzendentalen Ebene des Kṛṣṇa-Bewußtseins verankert ist, kann man nicht vom Einfluß der Erscheinungsweisen der materiellen Natur frei werden; dies wird vom Herrn im vierzehnten Vers des Siebten Kapitels bestätigt. Daher ist es selbst den hochgebildeten Menschen auf der weltlichen Ebene unmöglich, durch theoretisches Wissen oder durch Trennung der Seele vom Körper der Verstrickung māyās zu entkommen. Es gibt viele sogenannte Spiritualisten, die nach außen hin vorgeben, wissenschaftlich sehr weit fortgeschritten zu sein, die aber im Innern oder privat völlig unter dem Einfluß der jeweiligen Erscheinungsweisen der Natur stehen, den sie nicht überwinden können. Akademisch mag man sehr gelehrt sein, aber weil man schon seit unvordenklichen Zeiten mit der materiellen Natur verbunden ist, befindet man sich in ihrer Gefangenschaft. Kṛṣṇa-Bewußtsein hilft dem Menschen, sich aus dieser materiellen Verstrickung zu lösen – selbst wenn er weiterhin seinen vorgeschriebenen Pflichten nachkommt. Deshalb sollte niemand, ohne völlig Kṛṣṇa-bewußt zu sein, plötzlich seine vorgeschriebenen Pflichten aufgeben und künstlich ein sogenannter yogī oder Transzendentalist werden. Es ist besser, in seiner Position zu bleiben und zu versuchen, unter höherer Führung Kṛṣṇa-Bewußtsein zu erreichen. So ist es möglich, aus der Gewalt māyās befreit zu werden.
VERS 34
इन्द्रियस्येन्द्रियस्यार्थे रागद्वेषौ व्यवस्थितौ ।
तयोर्न वशमागच्छेत्तौ ह्यस्य परिपन्थिनौ ॥३४॥
indriyasyendriyasyārthe
rāga-dveṣau vyavasthitau
tayor na vaśam āgacchet
tau hy asya paripanthinau
indriyasya – der Sinne; indriyasya arthe – in den Sinnesobjekten; rāga – Anhaftung; dveṣau – auch in Loslösung; vyavasthitau – unter Regulierungen gestellt; tayoḥ – von innen; na – niemals; vaśam – Kontrolle; āgacchet – man sollte kommen; tau – diejenigen; hi – sind gewiß; asya – seine; paripanthinau – Hindernisse.
ÜBERSETZUNG
Die verkörperten Lebewesen empfinden gegenüber den Sinnesobjekten Anziehung und Abneigung, doch sollte man nicht unter die Herrschaft der Sinne und der Sinnesobjekte geraten, denn sie sind Hindernisse auf dem Pfad der Selbstverwirklichung.
ERKLÄRUNG
Denen, die Kṛṣṇa-bewußt sind, widerstrebt es natürlicherweise, sich dem materiellen Sinnesgenuß zu ergeben. Aber diejenigen, die sich nicht in diesem Bewußtsein befinden, sollten den Regeln und Regulierungen der offenbarten Schriften folgen. Ungezügelter Sinnesgenuß ist die Ursache für Gefangenschaft in der Materie, aber ein Mensch, der den Regeln und Regulierungen der offenbarten Schriften folgt, verstrickt sich nicht in die Sinnesobjekte. Sexueller Genuß zum Beispiel ist ein Bedürfnis der bedingten Seele, und in einer ehelichen Verbindung ist Sexualität auch gestattet. Die Anweisungen der Schriften verbieten jedoch die sexuelle Beziehung mit einer anderen Frau als der eigenen. Alle anderen Frauen sollte man als seine Mutter ansehen. Aber trotz solcher Unterweisungen neigt ein Mann dennoch dazu, sexuelle Beziehungen mit anderen Frauen zu unterhalten. Diese Verlangen müssen bezwungen werden; sie werden sonst zu Hindernissen auf dem Pfad der Selbstverwirklichung. Solange man einen materiellen Körper besitzt, ist es erlaubt, die Bedürfnisse dieses Körpers zu befriedigen – jedoch unter Regeln und Regulierungen. Dennoch sollten wir nicht auf die Kontrolle solcher Bewilligungen bauen. Man muß diesen Regeln und Regulierungen folgen, ohne an ihnen zu haften, denn auch Sinnesbefriedigung unter Regulierungen kann einen Menschen vom rechten Weg abbringen – wie auch selbst auf Hauptstraßen immer die Möglichkeit eines Unfalls besteht. Obwohl sich diese stets in gutem Zustand befinden, kann doch niemand garantieren, daß nicht auch auf den sichersten Straßen Gefahr lauert. Das Verlangen nach Sinnesgenuß, das aus der Verbindung des Lebewesens mit der Materie entstanden ist, existiert schon sehr lange Zeit. Aus diesem Grund besteht trotz regulierten Sinnesgenusses immer die Möglichkeit herunterzufallen; jede Anhaftung an regulierten Sinnesgenuß muß deshalb unter allen Umständen vermieden werden. Aber das Handeln im liebevollen Dienst für Kṛṣṇa löst einen von allen Arten sinnlicher Aktivitäten. Man sollte deshalb auf keiner Stufe des Lebens versuchen, sein Kṛṣṇa-Bewußtsein aufzugeben. Das einzige Ziel der Loslösung von allen Arten der Sinnesanhaftung besteht darin, letztlich auf der Ebene des Kṛṣṇa-Bewußtseins verankert zu werden.
VERS 35
श्रेयान्स्वधर्मो विगुणः परधर्मात्स्वनुष्ठितात् ।
स्वधर्मे निधनं श्रेयः परधर्मो भयावहः ॥३५॥
śreyān sva-dharmo viguṇaḥ
para-dharmāt svanuṣṭhitāt
sva-dharme nidhanaṁ śreyaḥ
para-dharmo bhayāvahaḥ
śreyān – weitaus besser; sva-dharmaḥ – seine vorgeschriebenen Pflichten; viguṇaḥ – sogar fehlerhaft; para-dharmāt – von Pflichten, die für andere bestimmt sind; svanuṣṭhitāt – als vollkommen ausgeführt; sva-dharme – in seinen vorgeschriebenen Pflichten; nidhanam – Zerstörung; śreyaḥ – besser; para-dharmaḥ – Pflichten, die anderen vorgeschrieben sind; bhaya-āvahaḥ – gefährlich.
ÜBERSETZUNG
Es ist weitaus besser, die eigenen vorgeschriebenen Pflichten zu erfüllen, als die Pflichten eines anderen. Denn selbst wenn man bei der Erfüllung seiner Pflichten Fehler begeht oder sogar dabei getötet wird, ist dies besser, als den Pflichten eines anderen nachzukommen – denn es ist gefährlich, dem Pfad eines anderen zu folgen.
ERKLÄRUNG
Man sollte daher lieber seine vorgeschriebenen Pflichten in völligem Kṛṣṇa-Bewußtsein erfüllen, als Pflichten nachzugehen, die anderen vorgeschrieben sind. Die vorgeschriebenen Pflichten ergänzen den psychophysischen Zustand des Menschen, der sich im Bann der Erscheinungsweisen der materiellen Natur befindet. Die spirituellen Pflichten, die der geistige Meister anordnet, sind für den transzendentalen Dienst Kṛṣṇas bestimmt. Aber ganz gleich, ob im materiellen oder spirituellen Bereich, man sollte selbst angesichts des Todes lieber zu seinen Pflichten stehen, als sich mit den Pflichten anderer befassen. Pflichten auf der materiellen Ebene und Pflichten auf der spirituellen Ebene mögen zwar voneinander verschieden sein, doch das Prinzip, den autorisierten Anweisungen zu folgen, ist für den Ausführenden immer vorteilhaft. Wenn man im Bann der Erscheinungsweisen der materiellen Natur steht, sollte man den für entsprechende Situationen vorgeschriebenen Regeln folgen, und nicht andere imitieren. Zum Beispiel ist ein brāhmaṇa, der sich in der Erscheinungsweise der Reinheit befindet, gewaltlos, wohingegen es einem kṣatriya, der sich in der Erscheinungsweise der Leidenschaft befindet, erlaubt ist, Gewalt anzuwenden. Daher ist es für einen kṣatriya besser, getötet zu werden und den Regeln der Gewalt zu folgen, als einen brāhmaṇa nachzuahmen, der die Prinzipien der Gewaltlosigkeit befolgt. Jeder muß sein Herz allmählich reinigen, und nicht übereilt. Wenn ein Mensch jedoch die Erscheinungsweisen der materiellen Natur transzendiert und völlig im Kṛṣṇa-Bewußtsein verankert ist, kann er unter der Führung eines echten geistigen Meisters alle nur erdenklichen Aktivitäten ausführen. Auf dieser vollkommenen Stufe des Kṛṣṇa-Bewußtseins kann ein kṣatriya als brāhmaṇa oder ein brāhmaṇa als kṣatriya handeln. Auf der transzendentalen Ebene gibt es die Unterschiede der materiellen Welt nicht mehr. Zum Beispiel war Viśvāmitra ursprünglich ein kṣatriya, doch später handelte er als brāhmaṇa, wohingegen Paraśurāma ein brāhmaṇa war und später als kṣatriya handelte. Dies war ihnen möglich, weil sie in der Transzendenz verankert waren; doch solange man sich auf der materiellen Ebene befindet, muß man seine Pflichten in Entsprechung zu den drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur erfüllen. Zur gleichen Zeit muß man sich über die Bedeutung des Kṛṣṇa-Bewußtseins im klaren sein.
VERS 36
अर्जुन उवाच ।
अथ केन प्रयुक्तोऽयं पापं चरति पूरुषः ।
अनिच्छन्नपि वार्ष्णेय बलादिव नियोजितः ॥३६॥
arjuna uvāca
atha kena prayukto’yaṁ
pāpaṁ carati pūruṣaḥ
anicchann api vārṣṇeya
balād iva niyojitaḥ
arjunaḥ uvāca – Arjuna sagte; atha – danach; kena – durch was; prayuktaḥ – getrieben; ayam – jemand; pāpam – Sünden; carati – handelt; pūruṣaḥ – ein Mensch; anicchan – ohne zu verlangen; api – obwohl; vārṣṇeya – O Nachkomme Vṛṣṇis; balāt – durch Gewalt; iva – als ob; niyojitaḥ – beschäftigt.
ÜBERSETZUNG
Arjuna sagte: O Nachkomme Vṛṣṇis, durch was wird man getrieben, sündig zu handeln – sogar wider Willen, wie unter Zwang?
ERKLÄRUNG
Als Teil des Höchsten ist das Lebewesen ursprünglich spirituell, rein und frei von allen materiellen Verunreinigungen. Deshalb ist es von Natur aus den Sünden der materiellen Welt nicht ausgesetzt. Doch wenn es mit der materiellen Natur in Berührung ist, begeht es, ohne zu zögern, sehr viele Sünden – manchmal sogar gegen seinen Willen. Deshalb ist Arjunas Frage nach der pervertierten Natur des Lebewesens sehr dringlich. Obwohl das Lebewesen manchmal nicht sündig handeln will, wird es dennoch dazu gezwungen. Sündhafte Handlungen werden jedoch nicht von der Überseele im Herzen veranlaßt, sondern haben – wie der Herr im nächsten Vers erklärt – eine andere Ursache.
VERS 37
श्रीभगवानुवाच ।
काम एष क्रोध एष रजोगुणसमुद्भवः ।
महाशनो महापाप्मा विद्ध्येनमिह वैरिणम् ॥३७॥
śrī bhagavān uvāca
kāma eṣa krodha eṣa
rajoguṇa-samudbhavaḥ
mahā-śano mahā-pāpmā
viddhy enam iha vairiṇam
śrī bhagavān uvāca – der Persönliche Gott sagte; kāmaḥ – Lust; eṣaḥ – all diese; krodhaḥ – Wut; eṣaḥ – all diese; rajo-guṇa – die Erscheinungsweise der Leidenschaft; samudbhavaḥ – geboren aus; mahā-śanaḥ – alles-verschlingend; mahā-pāpmā – sehr sündig; viddhi – wisse; enam – dieses; iha – in der materiellen Welt; vairiṇam – größter Feind.
ÜBERSETZUNG
Der Höchste Herr sagte: Es ist Lust allein, o Arjuna, die aus der Berührung mit der materiellen Erscheinungsweise der Leidenschaft geboren wird und die sich später in Zorn wandelt. Sie ist der alles-verschlingende, sündige Feind dieser Welt.
ERKLÄRUNG
Wenn das Lebewesen mit der materiellen Schöpfung in Berührung kommt, wird seine ewige Liebe für Kṛṣṇa durch die Verbindung mit der Erscheinungsweise der Leidenschaft in Lust umgewandelt. Mit anderen Worten, die Liebe zu Gott wird zu Lust, so wie Milch in Berührung mit saurer Tamarinde zu Yoghurt wird. Wenn die Lust unbefriedigt bleibt, wandelt sie sich in Zorn; aus Zorn entsteht Illusion, und wenn man sich in Illusion befindet, ist man gezwungen, das materielle Dasein weiter fortzusetzen. Daher ist die Lust der größte Feind des Lebewesens. Und es ist allein die Lust, die das ursprüngliche reine Lebewesen veranlaßt, weiter in die materielle Welt verstrickt zu bleiben. Wut ist eine Manifestation der Erscheinungsweise der Unwissenheit – diese Erscheinungsweise manifestiert sich als Zorn und andere Folgeerscheinungen. Wenn man daher nach der vorgeschriebenen Methode lebt und handelt, und wenn die Erscheinungsweise der Leidenschaft zur Erscheinungsweise der Reinheit erhoben wird, statt zur Erscheinungsweise der Unwissenheit abzusinken, kann man durch spirituelle Anhaftung vor der Entartung durch die Wut gerettet werden.
Der Höchste Persönliche Gott erweitert Sich zu Seiner ewig anwachsenden spirituellen Glückseligkeit in viele Formen, und die Lebewesen sind Bestandteile dieser spirituellen Glückseligkeit. Auch besitzen sie eine winzige Unabhängigkeit, doch durch den Mißbrauch ihrer Unabhängigkeit – wenn sich ihre dienende Haltung in das Verlangen nach Sinnesgenuß umwandelt – geraten sie unter den Einfluß der Lust. Die materielle Schöpfung ist vom Herrn geschaffen worden, um den bedingten Seelen die Möglichkeit zu geben, ihre lustvollen Neigungen zu befriedigen, und wenn sie von ihren anhaltenden lustvollen Aktivitäten völlig enttäuscht sind, beginnen die Lebewesen, Fragen über ihre wirkliche Position zu stellen.
Mit diesen Fragen beginnen die Vedānta-sūtras – athāto brahma-jijñāsā: man sollte nach dem Höchsten fragen. Und das Höchste wird im Śrīmad-Bhāgavatam als janmādyasya yato ’nvayād itarataś ca definiert. „Der Ursprung allen Seins ist das Höchste Brahman.“ Daher hat auch die Lust ihren Ursprung im Höchsten. Wenn deshalb die Lust in Liebe für den Höchsten umgewandelt wird, das heißt sich zu Kṛṣṇa-Bewußtsein wandelt, oder mit anderen Worten, wenn alle Verlangen auf Kṛṣṇa gerichtet werden, dann werden sowohl Lust als auch Zorn spiritualisiert. Hanumān, der Diener Śrī Rāmas, richtete seine Wut zur Zufriedenstellung des Herrn gegen seine Feinde. Deshalb werden Lust und Wut, wenn sie im Kṛṣṇa-Bewußtsein beschäftigt werden, zu unseren Freunden statt zu unseren Feinden.
VERS 38
धूमेनाव्रियते वह्निर्यथादर्शो मलेन च ।
यथोल्बेनावृतो गर्भस्तथा तेनेदमावृतम् ॥३८॥
dhūmenāvriyate vahnir
yathādarśo malena ca
yatholbenāvṛto garbhas
tathā tenedam āvṛtam
dhumena – von Rauch; āvriyate – bedeckt; vahniḥ – Feuer; yathā – so wie; ādarśaḥ – Spiegel; malena – von Staub; ca – auch; yathā – so wie; ulbena – vom Mutterleib; āvṛtaḥ – ist bedeckt; garbhaḥ – Embryo; tathā – so; tena – durch diese Lust; idam – dies; āvṛtam – ist bedeckt.
ÜBERSETZUNG
Wie Feuer von Rauch, ein Spiegel von Staub und ein Embryo vom Mutterleib bedeckt wird, so wird das Lebewesen von verschiedenen Graden dieser Lust bedeckt.
ERKLÄRUNG
Es gibt drei Grade von Bedeckung, die das Lebewesen umhüllen und sein reines Bewußtsein verfinstern. Diese Bedeckung ist nichts anderes als Lust in verschiedenen Manifestationen, die mit dem Rauch eines Feuers, dem Staub auf einem Spiegel oder dem Mutterleib über einem Embryo verglichen werden. Wenn Lust mit Rauch verglichen wird, bedeutet dies, daß das Feuer des lebendigen Funkens ein wenig wahrgenommen werden kann. Mit anderen Worten, wenn das Lebewesen sein Kṛṣṇa-Bewußtsein ein wenig entfaltet, kann es mit dem Feuer verglichen werden, das von Rauch bedeckt wird. Obwohl immer dort, wo Rauch ist, ein Feuer sein muß, manifestiert sich das Feuer für das Auge nicht, wenn es gerade erst entzündet worden ist. Diese Stufe entspricht dem Beginn des Kṛṣṇa-Bewußtseins. Der Staub auf dem Spiegel bezieht sich auf den Spiegel des Geistes, der durch verschiedene spirituelle Methoden gereinigt werden kann. Der beste Vorgang ist das Chanten der heiligen Namen des Herrn. Der vom Mutterleib bedeckte Embryo ist eine Analogie, die eine hilflose Lage illustriert, denn das Kind im Mutterschoß ist so hilflos, daß es sich nicht einmal bewegen kann. Diese Lebenslage kann mit dem Leben der Bäume verglichen werden. Die Bäume sind ebenfalls Lebewesen, aber weil sie in ihrem vorherigen Leben zu sehr der Lust ergeben waren, sind sie in die Form eines Baumes eingeschlossen worden, so daß sie beinahe ohne jedes Bewußtsein sind. Der bedeckte Spiegel wird mit dem Bewußtsein der Vögel und Säugetiere und das von Rauch bedeckte Feuer mit dem der menschlichen Wesen verglichen. In der Form eines menschlichen Wesens kann das Lebewesen sein Kṛṣṇa-Bewußtsein ein wenig wiederbeleben, und wenn es weiteren Fortschritt macht, kann das Feuer des spirituellen Lebens in der menschlichen Form wieder entfacht werden. Wenn man mit dem von Rauch bedeckten Feuer sorgfältig umgeht, kann das Feuer zum Lodern gebracht werden. Deshalb ist die menschliche Form des Lebens eine Gelegenheit für das Lebewesen, der Verstrickung in die materielle Existenz zu entkommen. In der menschlichen Form des Lebens kann man den größten Feind – die Lust – besiegen, indem man unter kundiger Führung Kṛṣṇa-Bewußtsein entwickelt.
VERS 39
आवृतं ज्ञानमेतेन ज्ञानिनो नित्यवैरिणा ।
कामरूपेण कौन्तेय दुष्पूरेणानलेन च ॥३९॥
āvṛtaṁ jñānam etena
jñānino nitya-vairiṇā
kāma-rūpeṇa kaunteya
duṣpūreṇānalena ca
āvṛtam – bedeckt; jñānam – reines Bewußtsein; etena – durch dieses; jñāninaḥ – des Kenners; nitya-vairiṇā – ewiger Feind; kāma-rūpeṇa – in Form von Lust; kaunteya – O Sohn Kuntīs; duṣpūreṇa – niemals zu befriedigen; analena – durch das Feuer; ca – auch.
ÜBERSETZUNG
So wird das reine Bewußtsein des Lebewesens von seiner ewigen Feindin, der Lust, bedeckt, die niemals befriedigt werden kann und die wie Feuer brennt.
ERKLÄRUNG
In der Manu-smṛti wird gesagt, daß die Lust auch mit dem größten Sinnesgenuß nicht befriedigt werden kann, ebensowenig wie Feuer durch die ständige Zufuhr von Öl gelöscht wird. In der materiellen Welt ist Sexualität das Zentrum aller Aktivitäten, und daher wird die materielle Welt maithuṇya-āgāra (die Fessel der Sexualität) genannt. In einem gewöhnlichen Gefängnis werden die Verbrecher hinter Gitter gesperrt; in ähnlicher Weise werden die Verbrecher, die gegen die Gesetze des Herrn verstoßen, durch sexuelle Verlangen gebunden. Fortschritt in der materiellen Zivilisation, die sich auf Sinnesbefriedigung gründet, bedeutet, die Zeit der materiellen Existenz eines Lebewesens zu verlängern. Daher ist die Lust das Symbol der Unwissenheit, durch die das Lebewesen in der materiellen Welt gehalten wird. Während des Genusses sinnlicher Befriedigung mag man so etwas wie Glück empfinden, doch in Wirklichkeit ist dieses sogenannte Glücksgefühl der eigentliche Feind desjenigen, der seine Sinne genießt.
VERS 40
इन्द्रियाणि मनो बुद्धिरस्याधिष्ठानमुच्यते ।
एतैर्विमोहयत्येष ज्ञानमावृत्य देहिनम् ॥४०॥
indriyāṇi mano buddhir
asyādhiṣṭhānam ucyate
etair vimohayaty eṣa
jñānam āvṛtya dehinam
indriyāṇi – die Sinne; manaḥ – der Geist; bhuddhiḥ – die Intelligenz; asya – der Lust; adhiṣṭhānam – Aufenthaltsort; ucyate – genannt; etaiḥ – von all diesen; vimohayati – verwirrt; eṣaḥ – von diesem; jñānam – Wissen; āvṛtya – Bedeckung; dehinam – der Verkörperte.
ÜBERSETZUNG
Die Sinne, der Geist und die Intelligenz sind die Wohnstätten dieser Lust, die das wirkliche Wissen des Lebewesens verschleiert und es verwirrt.
ERKLÄRUNG
Der Feind hat verschiedene strategische Punkte im Körper der bedingten Seele besetzt, und daher weist Śrī Kṛṣṇa auf diese Stellen hin, damit derjenige, der den Feind besiegen will, weiß, wo er ihn finden kann. Der Geist ist das Zentrum aller Sinnesaktivitäten und somit die Quelle aller Pläne für Sinnesbefriedigung; als Folge werden Geist und Sinne zu Sammelplätzen der Lust. Daraus ergibt sich, daß die Intelligenz zum Hauptort solch lustvoller Neigungen wird. Die Intelligenz ist der unmittelbare Nachbar der Seele. Die lustvolle Intelligenz beeinflußt die Seele, das falsche Ich anzunehmen und sich mit Materie und daher auch mit Geist und Sinnen zu identifizieren. Die Seele verfällt dem materiellen Sinnesgenuß und hält diesen fälschlich für wahres Glück. Diese falsche Identifizierung der Seele wird sehr schön im Śrīmad-Bhāgavatam erklärt.
yasyātma-buddhiḥ kuṇāpe tri-dhātuke
sva-dhīḥ kalatrādiṣu bhauma idyadhīḥ
yat-tīrtha-buddhiḥ salite na karhicij
janeṣv abhijñeṣu sa eva gokharaḥ.
„Ein Mensch, der seinen Körper, der aus drei Elementen geschaffen ist, mit dem Selbst identifiziert, die Nebenprodukte des Körpers für seine Verwandten hält, sein Geburtsland als verehrungswürdig betrachtet und nur zu einer Pilgerstätte geht, um dort ein Bad zu nehmen, anstatt Weise mit transzendentalem Wissen aufzusuchen, muß als Esel oder Kuh betrachtet werden.“
VERS 41
तस्मात्त्वमिन्द्रियाण्यादौ नियम्य भरतर्षभ ।
पाप्मानं प्रजहि ह्येनं ज्ञानविज्ञाननाशनम् ॥४१॥
tasmāt tvam indriyāṇy ādau
niyamya bharatarṣabha
pāpmānaṁ prajahi hy enaṁ
jñāna-vijñāna-nāśanam
tasmāt – deshalb; tvam – du; indriyāṇi – Sinne; ādau – am Anfang; niyamya – durch Regulierung; bharatarṣabha – O Höchster unter den Nachkommen Bhāratas; pāpmānam – das große Symbol der Sünde; prajahi – bezwinge; hi – gewiß; enam – dieses; jñāna – Wissen; vijñāna – wissenschaftliches Wissen der reinen Seele; nāśanam – Zerstörer.
ÜBERSETZUNG
Deshalb, o Arjuna, Bester der Bhāratas, bezwinge als erstes dieses große Symbol der Sünde [die Lust], indem du die Sinne regulierst, und erschlage diese Zerstörerin des Wissens und der Selbstverwirklichung.
ERKLÄRUNG
Der Herr gab Arjuna den Rat, die Sinne von Anfang an zu regulieren, so daß er den größten sündigen Feind, die Lust, bezwingen könne, die den Drang nach Selbstverwirklichung und besonders das Wissen vom Selbst zerstört. Jñānam bezieht sich auf das Wissen, das das Selbst vom Nicht-Selbst unterscheidet, oder mit anderen Worten, auf das Wissen darum, daß die spirituelle Seele nicht der Körper ist. Vijñānam bezieht sich auf das besondere Wissen von der spirituellen Seele, auf das Wissen von der wesenseigenen Position und der Beziehung zur Höchsten Seele. Dies wird im Śrīmad-Bhāgavatam wie folgt erklärt:
jñānaṁ parama-guhyaṁ
me yad-vijñāna-samanvitam
sarahasyaṁ tad-aṅgaṁ ca
gṛhāna gaditaṁ mayā
„Das Wissen vom Selbst und vom Höchsten Selbst ist sehr vertraulich und geheimnisvoll, da es von māyā verschleiert wird; doch dieses Wissen und diese Verwirklichung können verstanden werden, wenn sie vom Herrn Selbst erklärt werden.“
Die Bhagavad-gītā gibt uns dieses Wissen – besonders das Wissen vom Selbst. Die Lebewesen sind Bestandteile des Herrn, und daher besteht ihre Aufgabe einfach darin, dem Herrn zu dienen. Dieses Bewußtsein wird Kṛṣṇa-Bewußtsein genannt. Man sollte also vom Beginn des Lebens an dieses Kṛṣṇa-Bewußtsein erlernen und dadurch völlig Kṛṣṇa-bewußt werden und dementsprechend handeln.
Lust ist nichts anderes als nur die verzerrte Spiegelung der Liebe zu Gott, die für jedes Lebewesen natürlich ist. Wenn man von kleinauf im Kṛṣṇa-Bewußtsein erzogen wird, kann diese natürliche Liebe zu Gott nicht in Lust entarten, doch wenn die Liebe zu Gott in Lust entartet ist, ist es sehr schwierig, den normalen Zustand wiederzuerlangen. Nichtsdestoweniger ist Kṛṣṇa-Bewußtsein so mächtig, daß selbst ein Mensch, der spät beginnt, lernen kann, Gott zu lieben, indem er den regulierenden Prinzipien des hingebungsvollen Dienens folgt. Man kann also auf jeder Stufe des Lebens bzw. dann, wenn man die dringende Notwendigkeit einsieht, beginnen, seine Sinne im hingebungsvollen Dienst des Herrn zu kontrollieren, und so die Lust in Liebe zu Gott umwandeln – der höchsten Vollkommenheit des menschlichen Lebens.
VERS 42
इन्द्रियाणि पराण्याहुरिन्द्रियेभ्यः परं मनः ।
मनसस्तु परा बुद्धिर्बुद्धेर्यः परतस्तु सः ॥४२॥
indriyāṇi parāṇy āhur
indriyebhyaḥ paraṁ manaḥ
manasas tu parā buddhir
yo buddheḥ paratas tu saḥ
indriyāṇi – Sinne; parāṇi – höher; āhuḥ – man sagt; indriyebhyaḥ – mehr als die Sinne; param – höher; manaḥ – der Geist; manasaḥ – mehr als der Geist; tu – auch; parā – höher; buddhiḥ – Intelligenz; yaḥ – einer, der; bhuddheḥ – mehr als die Intelligenz; parataḥ – höher; tu – aber; saḥ – er.
ÜBERSETZUNG
Die Sinne sind der toten Materie überlegen; der Geist steht über den Sinnen; die Intelligenz steht über dem Geist, und er [die Seele] befindet sich sogar noch über der Intelligenz.
ERKLÄRUNG
Die Sinne sind verschiedene Ausgänge für die Aktivitäten der Lust. Die Lust sammelt sich im Körper, aber durch die Sinne ist ihr ein Ventil geschaffen. Daher sind die Sinne dem Körper als Ganzem übergeordnet. Diese Ventile sind nicht im Gebrauch, wenn ein höheres Bewußtsein, das heißt Kṛṣṇa-Bewußtsein, vorhanden ist. Im Kṛṣṇa-Bewußtsein stellt die Seele eine direkte Verbindung mit dem Höchsten Persönlichen Gott her. Deshalb enden die Körperfunktionen, wie hier beschrieben wird, letztlich in der Höchsten Seele. Körperliche Tätigkeit bedeutet, daß die Sinne aktiv sind; und die Aktivitäten der Sinne zu beenden bedeutet, alle körperlichen Tätigkeiten zu beenden. Da der Geist jedoch immer aktiv ist, wird er sogar handeln, wenn der Körper still und in Ruhe ist – wie es auch während des Träumens geschieht. Über dem Geist aber steht die Entschlossenheit der Intelligenz, und über der Intelligenz befindet sich die Seele. Wenn daher die Seele direkt mit dem Höchsten beschäftigt ist, werden natürlicherweise alle anderen Untergeordneten – die Intelligenz, der Geist und die Sinne – automatisch mitbeschäftigt. In der Kaṭha Upaniṣad wird gesagt, daß die Objekte der Sinnesbefriedigung den Sinnen überlegen sind und daß der Geist wiederum den Sinnesobjekten überlegen ist. Wenn daher der Geist ständig direkt im Dienst des Herrn beschäftigt ist, gibt es für die Sinne keine Möglichkeit, in anderer Weise aktiv zu werden. Diese Geisteshaltung wurde schon erklärt. Wenn der Geist im transzendentalen Dienst des Herrn beschäftigt ist, hat er keine Möglichkeit, niedrigen Neigungen nachzugehen. In der Kaṭha Upaniṣad wurde die Seele als mahān (die Große) beschrieben. Daher befindet sich die Seele über allen – den Sinnesobjekten, den Sinnen, dem Geist und der Intelligenz. Deshalb ist das direkte Verständnis der wesenseigenen Position der Seele die Lösung all unserer Probleme.
Mit der Intelligenz muß man die wesenseigene Position der Seele herausfinden und daraufhin den Geist immer im Kṛṣṇa-Bewußtsein beschäftigen. Dies löst das ganze Problem. Einem Neuling im Kṛṣṇa-Bewußtsein wird im allgemeinen geraten, sich von den Sinnesobjekten fernzuhalten. Man muß den Geist stärken, indem man die Intelligenz benutzt. Wenn man durch die Intelligenz seinen Geist im Kṛṣṇa-Bewußtsein beschäftigt und sich vollkommen dem Höchsten Persönlichen Gott hingibt, wird der Geist von selbst stärker; und obwohl die Sinne stark wie Schlangen sind, werden sie nicht wirksamer sein als Schlangen mit gebrochenen Giftzähnen. Aber obwohl die Seele Herr über die Intelligenz, den Geist und auch die Sinne ist, besteht doch immer die Gefahr, durch den in Erregung geratenen Geist herunterzufallen, solange die Seele nicht durch die Verbindung mit Kṛṣṇa im Kṛṣṇa-Bewußtsein gestärkt ist.
VERS 43
एवं बुद्धेः परं बुद्ध्वा संस्तभ्यात्मानमात्मना ।
जहि शत्रुं महाबाहो कामरुपं दुरासदम् ॥४३॥
evaṁ buddheḥ paraṁ buddhvā
saṁstabhyātmānam ātmanā
jahi śatruṁ mahā-bāho
kāma-rūpaṁ durāsadam
evam – also; bhuddheḥ – der Intelligenz; param – höher; buddhvā – wenn man weiß; saṁstabhya – durch Festigen; ātmānam – der Geist; ātmanā – mit besonnener Intelligenz; jahi – besiegen; śatrum – der Feind; mahā-bāho – O Starkarmiger; kāma-rūpam – in der Form von Lust; durāsadam – furchtbar.
ÜBERSETZUNG
Wenn man also weiß, daß man transzendental zu den materiellen Sinnen, dem Geist und der Intelligenz ist, sollte man das niedere Selbst durch das höhere Selbst beherrschen und auf diese Weise – durch spirituelle Stärke – diese unersättliche Feindin, die Lust, besiegen.
ERKLÄRUNG
Dieses Dritte Kapitel der Bhagavad-gītā führt logisch zum Kṛṣṇa-Bewußtsein, indem man sich als der ewige Diener des Höchsten Persönlichen Gottes erkennt – und nicht die unpersönliche Leere als das endgültige Ziel betrachtet. Im materiellen Leben wird man mit Sicherheit von der Lust und dem Verlangen beeinflußt, die Reichtümer der materiellen Natur zu beherrschen. Das Verlangen nach Herrschaft und das Begehren von Sinnesgenuß sind die größten Feinde der bedingten Seele; doch durch die Stärke des Kṛṣṇa-Bewußtseins kann man die materiellen Sinne, den Geist und die Intelligenz beherrschen. Man sollte seine Arbeit und seine vorgeschriebenen Pflichten nicht plötzlich aufgeben, doch wenn man allmählich Kṛṣṇa-Bewußtsein entwickelt, kann man durch stetige Intelligenz, die auf die reine Identität gerichtet ist, in einer transzendentalen Position verankert werden und wird nicht mehr von den materiellen Sinnen und dem Geist beeinflußt. Das ist die Essenz dieses Kapitels. Philosophische Spekulationen und künstliche Versuche, die Sinne durch sogenannte yogā-Praktiken zu kontrollieren, können dem Menschen nicht helfen, spirituelles Leben zu erlangen. Er muß durch höhere Intelligenz im Kṛṣṇa-Bewußtsein unterwiesen werden.
So enden die Erklärungen Bhaktivedantas zum Dritten Kapitel der
Śrīmad-Bhagavad-gītā, genannt ,,Karma-yoga“.
Bhagavad-gītā (1. Auflage 1974): [PDF] (60 MB, Bilder, Sanskrit, Lesezeichen)
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