Original 1. Auflage 1974 - von A.C. Bhaktivedanta Swami Prabhupāda

Bhagavad Gita wie sie ist   Bhagawad-gita

- Bhagavad-gītā - Wie Sie Ist -

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Zweites Kapitel
Inhalte der Gītā zusammengefaßt

Verse:    1   2   3   4   5   6   7   8   9  10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24
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VERS 1

सञ्जय उवाच ।
तं तथा कृपयाविष्टमश्रुपूर्णाकुलेक्षणम् ।
विषीदन्तमिदं वाक्यमुवाच मधुसूदनः ॥१॥

sañjaya uvāca
taṁ tathā kṛpayāviṣṭam
aśru-pūrṇākulekṣaṇam
viṣīdantam idaṁ vākyam

uvāca madhusūdanaḥ

sañjayaḥ uvaca – Sañjaya sagte; taṁ – zu Arjuna; tathā – so; kṛpayā – von Mitleid; āviṣṭam – überwältigt; aśru-pūrṇa – mit Tränen erfüllt; ākula – niedergeschlagen; īkṣaṇam – Augen; viṣīdantam – klagend; idam – diese; vākyam – Worte; uvāca – sagte; madhusūdanaḥ – der Vernichter Madhus.

ÜBERSETZUNG

Sañjaya sagte: Als Madhusūdana [Kṛṣṇa] Arjuna voller Mitleid und sehr betrübt sah, die Augen gefüllt mit Tränen, sprach Er folgende Worte:

ERKLÄRUNG

Materielles Mitleid, Klagen und Tränen sind ein Zeichen dafür, daß man sich in Unwissenheit über das wirkliche Selbst befindet. Mitleid mit der ewigen Seele zu haben bedeutet, selbstverwirklicht zu sein. Das Wort „Madhusūdana“ ist in diesem Vers von Bedeutung, denn Śrī Kṛṣṇa tötete einstmals den Dämonen Madhu, und nun wollte Arjuna, daß Kṛṣṇa den Dämonen der Täuschung vernichtete, der ihn überkommen hatte und davon abhielt, seine Pflicht zu erfüllen.

Niemand weiß, worauf sich Mitleid richten sollte. Mitleid mit der Kleidung eines Ertrinkenden ist sinnlos. Ein Mensch, der in den Ozean der Unwissenheit gefallen ist, kann nicht dadurch gerettet werden, daß man nur sein äußeres Gewand rettet – den grobstofflichen materiellen Körper. Wer dies nicht weiß und um das äußere Gewand klagt, wird śūdra genannt; einer, der unnötigerweise jammert. Arjuna war ein kṣatriya, und deshalb wurde ein solches Verhalten nicht von ihm erwartet. Śrī Kṛṣṇa jedoch kann das Leid der unwissenden Menschen beenden, und mit diesem Ziel wurde die Bhagavad-gītā von Ihm gesungen. Dieses Kapitel führt uns durch ein analytisches Studium des materiellen Körpers und der Seele zur Selbstverwirklichung, wie sie von der höchsten Autorität, Śrī Kṛṣṇa, dargelegt wird. Diese Verwirklichung wird möglich, wenn die Handlungen in der gefestigten Erkenntnis des wirklichen Selbst gründen.

VERS 2

श्रीभगवानुवाच ।
कुतस्त्वा कश्मलमिदं विषमे समुपस्थितम् ।
अनार्यजुष्टमस्वर्ग्यमकीर्त्तिकरमर्जुन ॥२॥

śrī bhagavān uvāca
kutas tvā kaśmalam idaṁ
viṣame samupasthitam

anārya-juṣṭam asvargyam
akīrti-karam arjuna

śrī bhagavān uvāca – der Höchste Persönliche Gott sagte; kutaḥ – woher; tvā – zu dir; kaśmalam – Unreinheit; idam – dieses Klagen; viṣame – diese kritische Stunde; samupasthitam – kam; anārya – Menschen, die den Wert des Lebens nicht kennen; juṣṭam – ausgeübt von; asvargyam – das, was nicht zu höheren Planeten führt; akīrti – Schande; karam – die Ursache von; arjuna – O Arjuna.

ÜBERSETZUNG

Die Höchste Person [Bhagavān] sagte: Mein lieber Arjuna, wie konnte diese Unreinheit über dich kommen? Sie ziemt sich in keiner Weise für einen Menschen, der die höheren Werte des Lebens kennt. Sie führt nicht zu höheren Planeten, sondern zu Schande.

ERKLÄRUNG

Kṛṣṇa und der Höchste Persönliche Gott sind identisch. Daher wird Śrī Kṛṣṇa überall in der Gītā als „Bhagavān“ bezeichnet. Bhagavān ist die endgültige Erkenntnis der Absoluten Wahrheit. Die Absolute Wahrheit wird in drei Aspekten verwirklicht: als Brahman, das heißt als die unpersönliche, alldurchdringende spirituelle Natur; als Paramātmā bzw. der lokalisierte Aspekt des Höchsten im Herzen aller Lebewesen, und als Bhagavān, der Höchste Persönliche Gott, Śrī Kṛṣṇa. Im Śrīmad-Bhāgavatam wird diese Erkenntnis der Absoluten Wahrheit auf folgende Weise erklärt.

vadanti tat tattva-vidas tattvam yaj jñānam advayam
brahmeti paramātmeti bhagavān iti śabdyate.

„Die Absolute Wahrheit wird von den weisen Transzendentalisten in drei Aspekten wahrgenommen. Diese Aspekte sind miteinander identisch und als Brahman, Paramātmā und Bhagavāñ manifestiert.“ (Bhāg. 1.2.11)

Diese drei göttlichen Aspekte können am Beispiel der Sonne näher erklärt werden, die ebenfalls drei verschiedene Aspekte hat: den Sonnenschein, die Sonnenoberfläche und den Sonnenplaneten. Wer nur den Sonnenschein studiert, befindet sich auf der ersten Stufe der Verwirklichung; wer etwas von der Oberfläche der Sonne versteht, ist weiter fortgeschritten, und wer in den Sonnenplaneten eingehen kann, befindet sich auf der höchsten Stufe. Gewöhnliche Schüler, die damit zufrieden sind, nur den Sonnenschein zu verstehen – seine universale Ausbreitung und die gleißende Ausstrahlung seines unpersönlichen Wesens – können mit denen verglichen werden, die nur den Brahman-Aspekt der Absoluten Wahrheit erkennen. Der Schüler, der ein wenig fortgeschritten ist, kann die Sonnenscheibe wahrnehmen, was mit dem Wissen über den Paramātmā-Aspekt der Absoluten Wahrheit verglichen wird. Und die Schüler, die in das Herz der Sonne eingehen können, werden mit denen verglichen, die die persönlichen Aspekte der Höchsten Absoluten Wahrheit erkennen. Daher sind die bhaktas bzw. diejenigen, die den Bhagavān-Aspekt der Absoluten Wahrheit verwirklicht haben, die höchsten Transzendentalisten, obwohl alle Schüler, die sich dem Studium der Absoluten Wahrheit widmen, mit dem gleichen Thema beschäftigt sind. Der Sonnenschein, die Sonnenscheibe und das Geschehen im Innern des Sonnenplaneten können nicht voneinander getrennt werden; aber dennoch befinden sich die Schüler, die diese drei Aspekte studieren, nicht auf der gleichen Ebene.

Das Sanskritwort Bhagavān wird von der bedeutenden Autorität Parāśara Muni, dem Vater Vyāsadevas, wie folgt erklärt: „Die Höchste Persönlichkeit, die alle Reichtümer, alle Macht, allen Ruhm, alle Schönheit, alles Wissen und alle Entsagung in Sich birgt, wird Bhagavān genannt.“ Es gibt viele Personen, die sehr reich, sehr mächtig, sehr schön, sehr berühmt, sehr gelehrt und sehr entsagungsvoll sind, aber niemand kann von sich behaupten, daß er alle Reichtümer, alle Macht usw. in vollem Umfang besitzt. Allein Kṛṣṇa kann dies für Sich in Anspruch nehmen, da Er der Höchste Persönliche Gott ist. Kein Lebewesen, einschließlich Brahmā, Śiva oder Nārāyaṇa, kann alle Füllen so umfassend wie Kṛṣṇa besitzen. Daher kommt Brahmā in der Brahma-saṁhitā zu dem Schluß, daß Śrī Kṛṣṇa der Höchste Persönliche Gott ist. Niemand kommt Ihm gleich oder steht über Ihm. Er ist der urerste Herr, Bhagavān; Er ist als Govinda bekannt, und Er ist die höchste Ursache aller Ursachen.

iśvaraḥ paramaḥ kṛṣṇaḥ sac-cid-ānanda-vigrahaḥ
anādir ādir govindaḥ sarva-kārana-kāraṇam

„Es gibt viele Persönlichkeiten, die die Eigenschaften Bhagavāns besitzen, aber Kṛṣṇa ist der Höchste, da niemand Ihn übertreffen kann. Er ist die Höchste Person, und Sein Körper ist ewig, voller Wissen und Glückseligkeit. Er ist der urerste Herr, Govinda, und die Ursache aller Ursachen.“ (Bs. 5.1)

Im Śrīmad-Bhāgavatam findet man ein Verzeichnis der vielen Inkarnationen des Höchsten Persönlichen Gottes, doch Kṛṣṇa wird als der ursprüngIiche Persönliche Gott beschrieben, von dem sich viele Inkarnationen und Persönlichkeiten Gottes erweitern.

ete cāṁśa-kalāḥ puṁsaḥ kṛṣṇas tu bhagavān svayam
indrāri-vyākulaṁ lokaṁ mṛḍayanti yuge yuge

„Alle Inkarnationen Gottes, die hier aufgeführt werden, sind entweder vollständige Erweiterungen oder Teile der vollständigen Erweiterungen des Höchsten Gottes, doch Kṛṣṇa ist der Höchste Persönliche Gott Selbst.“ (Bhāg. 1.3.28)

Daher ist Kṛṣṇa der ursprüngliche Höchste Persönliche Gott, die Absolute Wahrheit und die Quelle sowohl der Überseele wie auch des unpersönlichen Brahman.

In der Gegenwart des Höchsten Persönlichen Gottes war Arjunas Wehklagen um seine Verwandten gewiß unangebracht, und deshalb verwendete Kṛṣṇa das Wort kutas (woher), um Seine Verwunderung auszudrücken. Solche unmännlichen Gefühle erwartete man gewiß nicht von einer Person, die der zivilisierten Schicht der Männer, den Āryans, angehörte. Das Wort āryan ist auf die Menschen anwendbar, die den Wert des Lebens kennen und deren Zivilisation auf spiritueller Erkenntnis gründet. Menschen, die von der materiellen Auffassung des Lebens geleitet werden, wissen nicht, daß die Erkenntnis der Absoluten Wahrheit, die Erkenntnis Viṣṇus bzw. Bhagavāns, das Ziel des Lebens ist. Sie lassen sich von der äußeren Erscheinung der materiellen Welt fesseln und wissen deshalb nicht, was Befreiung ist. Menschen, die nicht wissen, was Befreiung von den Fesseln der Materie bedeutet, werden Nicht-Āryans genannt. Obwohl Arjuna ein kṣatriya war, wich er von seinen vorgeschriebenen Pflichten ab, als er sich weigerte zu kämpfen. Nach den Schriften ist ein solch feiges Verhalten eher das Kennzeichen der Nicht-Āryans. Ein derartiges Abweichen von der Pflicht dient nicht dem Fortschritt im spirituellen Leben; es verschafft einem nicht einmal die Möglichkeit, in dieser Welt zu Ruhm zu kommen. Śrī Kṛṣṇa war mit dem sogenannten Mitleid, das Arjuna für seine Verwandten empfand, nicht einverstanden.

VERS 3

क्लैब्यं मा स्म गमः पार्थ नैतत्त्वय्युपपद्यते ।
क्षुद्रं हृदयदौर्बल्यं त्यक्तवोत्तिष्ठ परंतप ॥३॥

klaibyaṁ mā sma gamaḥ pārtha
naitat tvayy upapadyate

kṣudraṁ hṛdaya-daurbalyaṁ
tyaktvottiṣṭha parantapa

klaibyam – Schwäche; – nicht; sma – nimm es; gamaḥ – gehe hinein; pārtha – O Sohn Pṛthās; na – niemals; etat – wie dies; tvayi – zu dir; upapadyate – ist angemessen; kṣudram – sehr wenig; hṛdaya – Herz; daurbalyam – Schwäche; tyaktvā – aufgebend; uttiṣṭha – erhebe dich; parantapa – O Bezwinger der Feinde.

ÜBERSETZUNG

O Sohn Pṛthās, gib dieser entwürdigenden Schwachheit nicht nach, denn sie ist dir nicht angemessen. Gib diese niedrige Schwäche des Herzens auf und erhebe dich, o Bezwinger der Feinde.

ERKLÄRUNG

Arjuna wurde als „Sohn Pṛthās“ angesprochen, da Pṛthā die Schwester von Kṛṣṇas Vater Vasudeva war. Arjuna war also ein Blutsverwandter Kṛṣṇas. Wenn sich der Sohn eines kṣatriya weigert zu kämpfen, ist er nur dem Namen nach ein kṣatriya, ähnlich wie der Sohn eines brāhmaṇa, der gottlos handelt, nur dem Namen nach ein brāhmaṇa ist. Solche kṣatriyas und brāhmaṇas sind unwürdige Söhne ihrer Väter; aus diesem Grunde wollte Kṛṣṇa nicht, daß Arjuna seine Pflicht als kṣatriya vernachlässigte. Arjuna war Kṛṣṇas vertrautester Freund, und daher gab Kṛṣṇa ihm auf dem Streitwagen direkte Anweisungen. Wenn Arjuna das Schlachtfeld jedoch verließe, würde er damit, trotz all dieser Vorteile, unehrenhaft handeln; deshalb sagte Kṛṣṇa, daß eine solche Haltung Arjunas Persönlichkeit nicht angemessen sei. Arjuna könnte nun erwidern, daß er an der Schlacht aufgrund seiner großmütigen Haltung gegenüber dem höchst ehrwürdigen Bhīṣma und seinen Verwandten nicht teilnehmen wolle, doch Kṛṣna war der Ansicht, daß die Anweisungen der Schriften diese Art von Großmütigkeit nicht gutheißen würden. Daher sollten Menschen, die sich wie Arjuna unter der direkten Führung Kṛṣṇas befinden, eine derartige Großmütigkeit oder sogenannte Gewaltlosigkeit aufgeben.

VERS 4

अर्जुन उवाच ।
कथं भीष्ममहं सङ्ख्ये द्रोणं च मधुसूदन ।
इषुभिः प्रतियोत्स्यामि पूजार्हावरिसूदन ॥४॥

arjuna uvāca
kathaṁ bhīṣmam ahaṁ saṅkhye
droṇaṁ ca madhusūdana

iṣubhiḥ pratiyotsyāmi
pūjārhāv arisūdana

arjunaḥ uvāca – Arjuna sagte; katham – wie; bhīṣmam – zu Bhiṣma; aham – ich; saṅkhye – im Kampf; droṇam – zu Droṇa; ca – auch; madhusūdana – der Vernichter Madhus; iṣubhiḥ – mit Pfeilen; pratiyotsyāmi – ich werde mich zur Wehr setzen; pūjā-arhau – diejenigen, die verehrungswürdig sind; arisūdana – O Vernichter der Feinde.

ÜBERSETZUNG

Arjuna sagte: O Madhusūdana, wie kann ich in der Schlacht den Angriff von Männern wie Bhīṣma und Droṇa erwidern, die doch meiner Verehrung würdig sind?

ERKLÄRUNG

Ehrwürdige Vorgesetzte wie Bhīṣma, der Großvater, und Droṇācārya, der Lehrer, sollten immer mit großem Respekt behandelt werden. Selbst wenn sie angreifen, sollte man sich ihnen nicht zur Wehr setzen, denn es ist ein ungeschriebenes Gesetz, daß man Höherstehende nicht einmal zu einem Wortgefecht herausfordern darf. Obwohl sie in ihrem Verhalten manchmal sehr rauh sein mögen, sollten sie dennoch nicht grob behandelt werden. Wie könnte Arjuna also ihren Angriff erwidern? Würde Kṛṣṇa jemals Seinen Großvater Ugrasena oder Seinen Lehrer Sāndīpani Muni angreifen? Dies waren einige der Argumente, die Arjuna Kṛṣṇa gegenüber vorbrachte.

VERS 5

गुरूनहत्वा हि महानुभावान्श्रेयो भोक्तुं भैक्षयमपीह लोके ।
हत्वार्थकामांस्तु गुरुनिहैव भुञ्जीय भोगान्रुधिरप्रदिग्धान् ॥५॥

gurūn ahatvā hi mahānubhāvān
śreyo bhoktuṁ bhaikṣyam apīha loke
hatvārtha-kāmāṁs tu gurūn ihaiva

bhuñjīya bhogān rudhira-pradigdhān

gurūn – die Lehrer; ahatvā – durch Töten; hi – sicherlich; mahā-anubhāvān – große Seelen; śreyaḥ – es ist besser; bhoktum – das Leben zu genießen; bhaikṣyam – bettelnd; api – sogar; iha – in diesem Leben; loke – in dieser Welt; hatvā – tötend; artha – Gewinn; kāmān – wenn man so verlangt; tu – aber; gurūn – Lehrer; iha – in dieser Welt; eva – gewiß; bhuñjīya – muß genießen; bhogān – angenehme Dinge; rudhira – Blut; pradigdhān – befleckt mit.

ÜBERSETZUNG

Es ist besser, vom Betteln zu leben, als auf Kosten der Leben großer Seelen, die meine Lehrer sind. Obwohl sie von Habsucht getrieben werden, sind sie dennoch meiner Verehrung würdig. Wenn sie getötet werden, wird unser Gewinn mit Blut befleckt sein.

ERKLÄRUNG

Nach den Anweisungen der Schriften muß man einen Lehrer ablehnen, wenn er eine abscheuliche Handlung begangen und sein Unterscheidungsvermögen verloren hat. Bhīṣma und Droṇa waren aufgrund Duryodhanas finanzieller Hilfe verpflichtet, sich auf seine Seite zu stellen, obwohl sie eine solche Position, die lediglich auf finanziellen Überlegungen beruhte, nicht hätten einnehmen sollen. An diesem Grund hatten sie ihr Ansehen als Lehrer verloren. Doch Arjuna glaubte, daß sie trotz alledem seiner Verehrung würdig waren und daß man daher mit Blut befleckte Gewinne genießen würde, wenn man sie tötete.

VERS 6

न चैतद्विद्मः कतरन्नो गरीयो यद्वा जयेम यदि वा नो जयेयुः ।
यानेव हत्वा न जिजीविषाम स्तेऽवस्थिताः प्रमुखे धार्तराष्ट्राः ॥६॥

na caitad vidmaḥ kataran no garīyo
yad vā jayema yadi vā no jayeyuḥ

yān eva hatvā na jijīviṣāmas
te’vasthitāḥ pramukhe dhārtarāṣṭrāḥ

na – auch nicht; ca – auch; etat – dies; vidmaḥ – wissen; katarat – was; naḥ – uns; garīyaḥ – besser; yat – was; – entweder; jayema – uns besiegen; yadi – falls; – oder; naḥ – uns; jayeyuḥ – besiegen; yān – diejenigen; eva – gewiß; hatvā – durch Töten; na – niemals; jijīviṣāmaḥ – wollen leben; te – sie alle; avasthitāḥ – befinden sich; pramukhe – vorne; dhārtarāṣṭrāḥ – die Söhne Dhṛtarāṣṭras.

ÜBERSETZUNG

Auch wissen wir nicht, was besser ist – die Söhne Dhṛtarāṣtras zu besiegen oder von ihnen besiegt zu werden. Wenn wir sie töteten, wäre es besser, nicht mehr zu leben. Nun stehen sie vor uns auf dem Schlachtfeld.

ERKLÄRUNG

Obwohl Kämpfen die Pflicht des kṣatriya ist, wußte Arjuna nicht, ob er kämpfen und damit wagen solle, unnötige Gewalt anzuwenden, oder ob es besser sei, sich zurückziehen und vom Betteln zu leben. Wenn er den Feind nicht besiege, sei Betteln sein einziges Mittel, für den Lebensunterhalt zu sorgen. Auch war der Sieg nicht sicher, da jede Seite aus der Schlacht siegreich hervorgehen könne. Selbst wenn sie Sieg erwarte (denn ihre Sache sei gerechtfertigt), würde es dennoch sehr schwierig sein, in der Abwesenheit der getöteten Söhne Dhṛtarāṣṭras zu leben. Unter diesen Umständen bedeute auch der Sieg eine Art von Niederlage. All diese Überlegungen Arjunas beweisen eindeutig, daß Arjuna nicht nur ein großer Gottgeweihter, sondern auch sehr erleuchtet war und vollkommene Kontrolle über seinen Geist und seine Sinne hatte. Sein Wunsch, sich durch Betteln am Leben zu erhalten, obwohl er in einer königlichen Familie geboren war, ist ein weiteres Zeichen seiner Entsagung. Er war sehr tugendhaft, wie diese Eigenschaften und sein Vertrauen in die unterweisenden Worte Śrī Kṛṣṇas (seines geistigen Meisters) zeigen. Man kann daraus schließen, daß Arjuna geeignet war, befreit zu werden. Solange die Sinne nicht unter Kontrolle sind, gibt es keine Möglichkeit, auf die Ebene des Wissens erhoben zu werden, und ohne Wissen und Hingabe ist es nicht möglich, befreit zu werden. Arjuna war also qualifiziert, transzendentales Wissen zu empfangen, von seinen überragenden Befähigungen auf der materiellen Ebene ganz zu schweigen.

VERS 7

कार्पण्यदोषोपहतस्वभावः पृच्छामि त्वां धर्मसंमूढचेताः ।
यच्छ्रेयः स्यान्निश्चितं ब्रूहि तन्मे शिष्यस्तेऽहं शाधि मां त्वां प्रपन्नम् ॥७॥

kārpaṇya-doṣopahata-svabhāvaḥ
pṛcchāmi tvāṁ dharma-saṁmūḍha-cetāḥ
yac chreyaḥ syān niścitaṁ brūhi tan me

śiṣyas te’haṁ śādhi māṁ tvāṁ prapannam

kārpaṇya – geizig; doṣa – Schwäche; upahata – verursacht durch; svabhāvaḥ – Kennzeichen; pṛcchāmi – ich frage; tvām – dich; dharma – Religion; sammūḍha – verwirrt; cetāh – im Herzen; yat – was; śreyaḥ – ganz und gar gut; syāt – mag sein; niścitam – im Vertrauen; brūhi – sagen; tat – das; me – mir; śiṣyaḥ – Schüler; te – Dir; aham – ich bin; śādhi – bitte unterweise; mām – mich; tvām – Dir; prapannam – hingegeben.

ÜBERSETZUNG

Ich weiß nicht mehr, was meine Pflicht ist, und habe aus Schwäche meine Fassung verloren. In diesem Zustand bitte ich Dich, mir eindeutig zu sagen, was das beste für mich ist. Jetzt bin ich Dein Schüler und eine Dir hingegebene Seele. Bitte unterweise mich.

ERKLÄRUNG

Alle Aktivitäten in der materiellen Welt sind die Ursache für Verwirrung. Bei jedem Schritt gibt es Verwirrung, und deshalb ist es für jeden notwendig, sich einem echten geistigen Meister zu nähern, der ihm die richtige Führung darin geben kann, den Sinn des Lebens zu erfüllen. Alle vedischen Schriften geben uns den Rat, uns einem echten geistigen Meister zu nähern, um von den Verwirrungen des Lebens frei zu werden, die ohne unseren Wunsch auftreten. Sie sind wie ein Waldbrandfeuer, das wütet, ohne von jemandem entfacht zu sein. Ähnlich sieht auch die Situation der Welt aus: Verwirrungen im Leben erscheinen automatisch, ohne daß wir uns ein solches Durcheinander wünschen. Niemand will, daß es brennt, aber dennoch geschieht es, und wir geraten außer Fassung. Das vedische Wissen rät daher, sich einem geistigen Meister zu nähern, der sich in der Nachfolge der geistigen Meister befindet, um die Verwirrungen des Lebens zu lösen und die Wissenschaft von ihrer Lösung zu verstehen. Wer einem echten geistigen Meister folgt, sollte eigentlich alles wissen. Man sollte deshalb nicht in materiellen Verwirrungen verstrickt bleiben, sondern einen geistigen Meister aufsuchen. Das ist der Sinn dieses Verses.

Wer ist nun solchen materiellen Verwirrungen ausgesetzt? Er ist derjenige, der die Probleme des Lebens nicht versteht. In der Garga Upaniṣad wird der verwirrte Mensch wie folgt beschrieben:

yo vā etad akṣaram gārgy aviditvāsmāl lokāt praiti sa kṛpaṇaḥ

„Er ist ein Geizhals, der die Probleme des Lebens nicht als Mensch löst und daher diese Welt wie die Katzen und Hunde verläßt, ohne die Wissenschaft der Selbstverwirklichung zu verstehen.“

Die menschliche Form des Lebens ist das kostbarste Geschenk für das Lebewesen, denn es kann sie zur Lösung der Probleme des Lebens nutzen; wer diese Gelegenheit nicht wahrnimmt, ist ein Geizhals. Auf der anderen Seite gibt es den brāhmaṇa, den Menschen, der intelligent genug ist, diesen Körper zur Lösung aller Probleme des Lebens zu nutzen.

Die kṛpaṇas oder Geizhälse verschwenden ihre Zeit aufgrund der materiellen Auffassung des Lebens in übermäßiger Zuneigung für Familie, Gesellschaft, Land usw. Die meisten Menschen haften am Familienleben – an Frau, Kindern und anderen Angehörigen – diese Anziehung auf der körperlichen Ebene wird „Hautkrankheit“ genannt. Der kṛpaṇa glaubt, daß er seine Familienmitglieder vor dem Tode schützen könne, oder, daß Familie oder Gesellschaft ihn vor dem Rachen des Todes retten könnten. Eine solche Familienanhaftung kann man selbst bei Tieren finden, die sich ebenfalls um ihre Kinder sorgen.

Da Arjuna intelligent war, konnte er verstehen, daß seine Zuneigung für die Familienangehörigen und sein Wunsch, sie vor dem Tode zu schützen, die Ursachen seiner Verwirrung waren. Obwohl er verstehen konnte, daß es seine Pflicht war zu kämpfen, konnte er dennoch aufgrund geiziger Schwäche seine Pflichten nicht erfüllen. Er bittet daher Śrī Kṛṣṇa, den höchsten geistigen Meister, eine eindeutige Lösung herbeizuführen. Er will nun Kṛṣṇas Schüler werden und freundschaftliche Gespräche beenden. Gespräche zwischen dem Meister und dem Schüler sind ernsthaft, und jetzt will Arjuna vor dem anerkannten geistigen Meister sehr ernsthaft sprechen. Kṛṣṇa ist deshalb der ursprüngliche geistige Meister, der die Wissenschaft der Bhagavad-gītā lehrt, und Arjuna ist der erste Schüler, der die Gītā versteht. Wie Arjuna die Bhagavad-gītā versteht, wird in der Gītā selbst erklärt. Und dennoch behaupten verblendete weltliche Gelehrte, daß es nicht notwendig sei, sich Kṛṣṇa als Person hinzugeben, sondern, daß man sich dem „Ungeborenen in Kṛṣṇa“ zuwenden solle. Es gibt keinen Unterschied zwischen Kṛṣṇas Innerem und Kṛṣṇas Äußerem. Wer dies nicht begreifen kann, erweist sich im Versuch, die Bhagavad-gītā zu verstehen, als der größte Dummkopf.

VERS 8

न हि प्रपश्यामि ममापनुद्याद्यच्छोकमुच्छोषणमिन्द्रियाणाम् ।
अवाप्य भूमावसपत्नमृद्धं राज्यं सुराणामपि चाधिपत्यम् ॥८॥

na hi prapaśyāmi mamāpanudyād
yac chokam ucchoṣaṇam indriyāṇām
avāpya bhūmāv asapatnam ṛddhaṁ

rājyaṁ surāṇām api cādhipatyam

na – nicht; hi – gewiß; prapaśyāmi – ich sehe; mama – mein; apanudyāt – sie können vertreiben; yat – das; śokam – Klagen; ucchoṣaṇam – austrocknend; indriyāṇām – der Sinne; avāpya – erreichend; bhūmau – auf der Erde; asapatnam – ohne Rivale; ṛddham – reich; rājyam – Königreich; surāṇām – der Halbgötter; api – sogar; ca – auch; ādhipatyam – Überlegenheit.

ÜBERSETZUNG

Ich kann kein Mittel finden, dieses Leid zu vertreiben, das meine Sinne austrocknet. Ich wäre nicht einmal fähig, davon frei zu werden, wenn ich ein unangefochtenes Königreich auf der Erde mit der Souveränität der Halbgötter im Himmel gewänne.

ERKLÄRUNG

Obwohl Arjuna so viele Argumente vorbrachte, die im Wissen von den Prinzipien der Religion und der Moralgesetze gründeten, erscheint es, daß er unfähig war, sein wirkliches Problem ohne die Hilfe des geistigen Meisters, Śrī Kṛṣṇa, zu lösen. Er konnte verstehen, daß sein sogenanntes Wissen ihm nicht half, die Probleme zu meistern, die sein ganzes Dasein austrockneten. Und es war für ihn unmöglich, solche Verwirrungen ohne die Hilfe eines geistigen Meisters wie Kṛṣṇa zu lösen. Akademisches Wissen, Gelehrtheit, eine hohe Position usw. sind wertlos, wenn es darum geht, die Probleme des Lebens zu lösen. Hilfe kann nur von einem geistigen Meister wie Kṛṣṇa gewährt werden. Daraus kann man die Schlußfolgerung ziehen, daß ein geistiger Meister, der zu einhundert Prozent Kṛṣṇa-bewußt ist, der echte geistige Meister ist, da er die Probleme des Lebens lösen kann. Śrī Caitanya sagte, daß ein Meister in der Wissenschaft des Kṛṣṇa-Bewußtseins, ungeachtet seiner sozialen Stellung, der wirkliche geistige Meister ist. Im Caitanya-caritāmṛta heißt es:

kibāvipra, kibā nyāsī, śūdra kene naya
yei kṛṣṇa-tattva-vettā, sei ‘guru’ haya

„Es ist gleichgültig, ob ein Mensch ein vipra ist (ein gelehrter Weiser im vedischen Wissen), ob er in einer niedrigen Familie geboren wurde oder ob er sich auf der Lebensstufe der Entsagung befindet – wenn er Meister in der Wissenschaft von Kṛṣṇa ist, ist er der vollkommene und echte geistige Meister.“ (Cc. Madhya 8.127)

Ohne ein Meister in der Wissenschaft des Kṛṣṇa-Bewußtseins zu sein, ist also niemand ein echter geistiger Meister. In den vedischen Schriften wird auch gesagt:

ṣaṭ-karma-nipuṇo vipro mantra-tantra-viśāradaḥ
avaiṣṇavo gurur na syād vaiṣṇavaḥ śvapaco guruḥ

„Ein gelehrter brāhmaṇa, der auf allen Gebieten des vedischen Wissens bewandert ist, kann nicht ein geistiger Meister werden, ohne ein Vaiṣṇava oder in der Wissenschaft des Kṛṣṇa-Bewußtseins erfahren zu sein. Doch ein Mensch, der in einer Familie geboren ist, die einer niedrigeren Kaste angehört, kann ein geistiger Meister werden, wenn er ein Vaiṣṇava oder Kṛṣṇa-bewußt ist.“

Den Problemen des materiellen Daseins – Geburt, Alter, Krankheit und Tod – kann nicht durch Anhäufung von Reichtum und durch wirtschaftlichen Fortschritt entgegengewirkt werden. In vielen Teilen der Welt gibt es Staaten, denen alle Annehmlichkeiten des Lebens zur Verfügung stehen, die sehr reich und wirtschaftlich fortgeschritten sind und die dennoch immer noch mit den Problemen des materiellen Daseins kämpfen. Sie suchen auf verschiedenen Wegen nach Frieden, aber sie können wirkliches Glück nur dann erreichen, wenn sie sich Kṛṣṇa zuwenden oder die Bhagavad-gītā und das Śrīmad-Bhāgavatam zu Rate ziehen, die die Wissenschaft von Kṛṣṇa beinhalten, oder wenn sie sich an den echten Repräsentanten Kṛṣṇas wenden, an den Menschen im Kṛṣṇa-Bewußtsein. Wenn wirtschaftlicher Fortschritt und materielle Annehmlichkeiten das Gejammer um familiäre, soziale, nationale oder internationale Trugbilder vertreiben könnten, hätte Arjuna nicht gesagt, daß selbst ein unangefochtenes Königreich auf Erden oder auch solche Souveränität wie die der Halbgötter auf den himmlischen Planeten nicht imstande seien, sein Leid zu vertreiben. Er suchte daher Zuflucht im Kṛṣṇa-Bewußtsein, und das ist der richtige Weg zu Frieden und Harmonie. Wirtschaftlicher Fortschritt oder Herrschaft über die Welt können in jedem Augenblick durch die Umwälzungen der materiellen Natur beendet werden. Selbst die Erhebung zu höheren Planeten – in der heutigen Zeit suchen die Menschen zum Beispiel einen Platz auf dem Mond – kann ebenfalls mit einem Schlag beendet werden. Die Bhagavad-gītā bestätigt dies:

kṣīṇe puṇye martyalokaṁ viśanti

„Wenn die Früchte frommer Aktivitäten aufgezehrt sind, fällt man von der Stufe höchsten Glücks wieder auf die niedrigste Stufe des Lebens herunter.“

Viele Politiker dieser Welt sind auf diese Weise bereits heruntergefallen. Ein solcher Fall verursacht nur weiteres Leid. Wenn wir daher Leid zum Guten wenden wollen, müssen wir, wie Arjuna, bei Kṛṣṇa Zuflucht suchen. Somit bat Arjuna Kṛṣṇa, seine Probleme ein für alle Mal zu lösen – das ist das Prinzip des Kṛṣṇa-Bewußtseins.

VERS 9

सञ्जय उवाच ।
एवमुक्त्वा हृषीकेशं गुडाकेशः परंतपः ।
न योत्स्य इति गोविन्दमुक्त्वा तूष्णीं बभूव ह ॥९॥

sañjaya uvāca
evam uktvā hṛṣīkeśaṁ
guḍākeśaḥ parantapaḥ

na yotsya iti govindam
uktvā tūṣṇīṁ babhūva ha

sañjayaḥ uvaca – Sañjaya sagte; evam – so; uktvā – sprechend; hṛṣīkeśam – zu Kṛṣṇa, dem Meister der Sinne; gudākeśaḥ – Arjuna, der Meister im Bezwingen der Unwissenheit; parantapaḥ – der Bezwinger der Feinde; na yotsye – ich werde nicht kämpfen; iti – so; govindam – zu Kṛṣṇa, der Quelle aller Freude; uktvā – sagend; tūṣṇīm – schweigsam; babhūva – wurde; ha – gewiß.

ÜBERSETZUNG

Sañjaya sagte: Da er so gesprochen hatte, sagte Arjuna, der Bezwinger der Feinde, zu Kṛṣṇa, „Govinda, ich werde nicht kämpfen“, und schwieg.

ERKLÄRUNG

Dhṛtarāṣtra muß sehr erfreut gewesen sein, als er hörte, daß Arjuna nicht kämpfen wollte und statt dessen beabsichtigte, das Schlachtfeld zu verlassen, um ein Bettler zu werden. Aber Sañjaya enttäuschte ihn erneut, als er ihm mitteilte, daß Arjuna dazu befähigt war, seine Feinde zu töten (parantapaḥ). Obwohl Arjuna aus Zuneigung für seine Familie zur Zeit von falschem Schmerz überwältigt war, gab er sich dennoch Kṛṣṇa, dem höchsten geistigen Meister, als Schüler hin. Das weist daraufhin, daß er schon bald von falschem Klagen, das aus Zuneigung für seine Familie entstanden war, frei sein und mit vollkommenem Wissen über Selbstverwirklichung bzw. Kṛṣṇa-Bewußtsein erleuchtet sein würde; dann wäre er sicherlich bereit zu kämpfen. Auf diese Weise wäre Dhṛtarāṣṭras Freude zunichte gemacht, denn Arjuna würde von Kṛṣṇa erleuchtet sein und bis zum letzten Blutstropfen kämpfen.

VERS 10

तमुवाच हृषीकेशः प्रहसन्निव भारत ।
सेनयोरुभयोर्मध्ये विषीदन्तमिदं वचः ॥१०॥

tam uvāca hṛṣīkeśaḥ
prahasann iva bhārata

senayor ubhayor madhye
viṣīdantam idaṁ vacaḥ

tam – zu ihm; uvāca – sagte; hṛṣīkeśah – der Meister der Sinne, Kṛṣṇa; prahasan – lächelnd; iva – wie das; bhārata – O Dhṛtarāṣṭra, Nachkomme Bharatas; senayoh – der Armeen; ubhayoḥ – beider Seiten; madhye – zwischen; viṣīdantam – zu dem Klagenden; idam – die folgenden; vacaḥ – Worte.

ÜBERSETZUNG

O Nachfahre Bharatas [Dhṛtarāṣṭra], daraufhin lächelte Kṛṣṇa und sprach in der Mitte beider Armeen zu dem niedergeschlagenen Arjuna folgende Worte.

ERKLÄRUNG

Das Gespräch wurde zwischen engen Freunden geführt, zwischen Hṛṣīkeśa und Guḍākeśa. Als Freunde befanden sie sich beide auf der gleichen Ebene, doch einer wurde freiwillig der Schüler des anderen. Kṛṣṇa lächelte, weil sich ein Freund entschlossen hatte, ein Schüler zu werden. Als Herr über alles und Meister eines jeden befindet Er Sich immer in der höheren Position, und dennoch akzeptiert der Herr jemanden, der ein Freund, ein Sohn, eine Geliebte oder ein Gottgeweihter sein will oder Ihn Selbst in einer solchen Rolle sehen möchte. Als Er daher als Meister akzeptiert wurde, nahm Er sofort diese Rolle an und sprach zu Arjuna wie ein Meister zu seinem Schüler – mit der erforderlichen Ernsthaftigkeit. Das Gespräch zwischen dem Meister und dem Schüler wurde öffentlich, in Anwesenheit beider Armeen geführt, so daß alle ihren Nutzen daraus ziehen konnten. Daher sind die Gespräche der Bhagavad-gītā nicht für einen besonderen Menschen, eine besondere Gesellschaft oder eine besondere Gemeinschaft, sondern für alle bestimmt, und Freunde wie auch Feinde haben gleichermaßen das Recht, sie zu hören.

VERS 11

श्रीभगवानुवाच ।
अशोच्यानन्वशोचस्त्वं प्रज्ञावादांश्च भाषसे ।
गतासूनगतासूंश्च नानुशोचन्ति पण्डिताः ॥११॥

śrī bhagavān uvāca
aśocyān anvaśocas tvaṁ

prajñā-vādāṁś ca bhāṣase
gatāsūn agatāsūṁś ca

nānuśocanti paṇḍitāḥ

śrī bhagavān uvāca – der Höchste Persönliche Gott sagte; aśocyān – das, was nicht der Klage wert ist; anvaśocaḥ – du jammerst; tvam – du; prajñā-vādāṇ – gelehrte Reden; ca – auch; bhāṣase – während du sprichst; gata – verloren; asūn – Leben; agata – nicht vergangenes; asūn – Leben; ca – auch; na – niemals; anuśocanti – beklagen; paṇḍitāḥ – der Gelehrte.

ÜBERSETZUNG

Der Höchste Herr sagte: Während du gelehrte Worte sprichst, betrauerst du, was des Kummers nicht wert ist. Die Weisen klagen weder um die Lebenden noch um die Toten.

ERKLÄRUNG

Der Herr nahm sofort die Position des Lehrers ein und strafte den Schüler, indem Er ihn indirekt einen Dummkopf nannte. Der Herr sagte: „Du sprichst wie ein Gelehrter, aber du weißt nicht, daß jemand, der wirklich gelehrt ist – der weiß, was Körper und was Seele ist – niemals um den Zustand des Körpers klagt, sei dieser nun lebendig oder tot.“ Wie in späteren Kapiteln noch deutlicher erklärt wird, bedeutet Wissen, die Materie, die spirituelle Natur und den Kontrollierenden dieser beiden zu kennen. Arjuna argumentierte, daß religiösen Prinzipien mehr Bedeutung beigemessen werden sollte als der Politik oder der Soziologie, aber er wußte nicht, daß Wissen über die Materie, die Seele und den Höchsten sogar noch wichtiger ist als religiöse Formeln. Und da es ihm an diesem Wissen mangelte, hätte er sich nicht als großer Gelehrter ausgeben sollen. Da er aber nun kein großer Gelehrter war, jammerte er um etwas, was des Klagens überhaupt nicht wert war. Der Körper wird geboren und ist dazu bestimmt, heute oder morgen zu vergehen; daher ist der Körper nicht so wichtig wie die Seele. Wer dies weiß, ist wirklich gelehrt, und für ihn gibt es keinen Grund zu klagen – gleichgültig in welchem Zustand der materielle Körper sich auch befindet.

VERS 12

न त्वेवाहं जातु नासं न त्वं नेमे जनाधिपाः ।
न चैव न भविष्यामः सर्वे वयमतः परम् ॥१२॥

na tv evāhaṁ jātu nāsaṁ
na tvaṁ neme janādhipāḥ

na caiva na bhaviṣyāmaḥ
sarve vayam ataḥ param

na – niemals; tu – aber; eva – gewiß; aham – ich; jātu – werden; na – niemals; āsam – existierte; na – es ist nicht so; tvam – du; na – nicht; ime – all diese; janādhipāḥ – Könige; na – niemals; ca – auch; eva – gewiß; na – nicht wie dies; bhaviṣyāmaḥ – werden existieren; sarve – wir alle; vayam – wir; ataḥ param – hiernach.

ÜBERSETZUNG

Niemals gab es eine Zeit, da Ich nicht existierte, noch du, noch all diese Könige; noch wird in Zukunft einer von uns aufhören zu sein.

ERKLÄRUNG

In den Veden, in der Kaṭha Upaniṣad und auch in der Śvetāśvatara Upaniṣad, wird gesagt, daß der Höchste Persönliche Gott der Erhalter unzähliger Lebewesen ist und sie je nach ihren unterschiedlichen Lebensumständen, entsprechend ihren individuellen Handlungen und der Reaktion auf dieses Handeln, versorgt. Dieser Höchste Persönliche Gott ist auch durch Seine vollständigen Teile im Herzen jedes Lebewesens gegenwärtig. Nur die Heiligen, die den gleichen Höchsten Herrn sowohl im Inneren als auch außerhalb wahrnehmen, können tatsächlich vollkommenen und ewigen Frieden erlangen.

nityo nityānāṁ cetanaś cetanānām
eko bahūnāṁ yo vidadhāti kāmān

tam ātmasthaṁ ye ’nupaśyanti dhīrās
teṣāṁ śāntiḥ śāśvatī netareṣām.

(Kaṭha 2.2.13)

Die gleiche vedische Wahrheit, die Arjuna verkündet wurde, wird allen Menschen in der Welt offenbart, die sich zwar als sehr gelehrt hinstellen, aber in Wirklichkeit nur über ein geringes Maß an Wissen verfügen. Śrī Kṛṣṇa sagt eindeutig, daß Er Selbst, Arjuna und all die Könige, die auf dem Schlachtfeld versammelt seien, ewige individuelle Wesen seien und daß Er in Ewigkeit der Erhalter der individuellen Lebewesen sei – sowohl in ihrem bedingten als auch in ihrem befreiten Leben. Der Höchste Persönliche Gott ist die höchste individuelle Person, und auch Arjuna, der ewige Gefährte des Herrn, und all die dort versammelten Könige sind individuelle ewige Personen. Man sollte nicht glauben, daß sie in der Vergangenheit nicht als Individuen existiert hätten oder daß sie nicht ewige Personen bleiben würden. Ihre Individualität existierte in der Vergangenheit, und ihre Individualität wird auch in der Zukunft ohne Unterbrechung weiterbestehen. Deshalb gibt es für niemanden einen Grund zu klagen.

Die Theorie der Māyāvādīs, daß die individuelle Seele nach der Befreiung – getrennt von der Bedeckung māyās (Illusion) – mit dem unpersönlichen Brahman verschmilzt und ihre individuelle Existenz verliert, wird hier von Śrī Kṛṣṇa, der höchsten Autorität, nicht bestätigt. Auch wird hier nicht die Theorie unterstützt, daß wir uns im bedingten Zustand Individualität nur einbilden. Kṛṣṇa sagt hier ganz deutlich, wie es auch die Upaniṣaden bestätigen, daß in der Zukunft sowohl die Individualität des Herrn als auch die der Lebewesen ewiglich weiterbestehen wird. Diese Erklärung Kṛṣṇas ist maßgebend, denn Kṛṣṇa kann niemals der Illusion unterliegen. Wenn Individualität nicht Wirklichkeit wäre, würde Kṛṣṇa nicht so sehr darauf verwiesen haben, wie es hier vor allem im Hinblick auf die Zukunft geschieht. Die Māyāvādīs mögen den Einwand erheben, daß die Individualität, von der Kṛṣṇa hier spreche, nicht spirituell, sondern materiell sei, doch selbst wenn man das Argument akzeptiert, daß diese Individualität materiell sei, wie wäre dann Kṛṣṇas Individualität zu verstehen? Kṛṣṇa bestätigt, daß Er in der Vergangenheit ein Individuum gewesen ist, und Er erklärt auch, daß Er in der Zukunft ein Individuum sein wird. Er hat Seine Individualität auf viele verschiedene Weisen beschrieben und erklärt, daß das unpersönliche Brahman Ihm untergeordnet ist. Kṛṣṇa war immer ein spirituelles Individuum. Wenn man glaubt, Er sei eine gewöhnliche, bedingte Seele mit individuellem Bewußtsein, dann ist Seine Bhagavad-gītā als maßgebende Schrift wertlos. Ein gewöhnlicher Mensch mit den vier Mängeln menschlicher Hinfälligkeit ist unfähig, etwas zu lehren, was wert ist, gehört zu werden. Die Gītā jedoch steht über solchen Schriften. Kein irdisches Buch kann mit der Bhagavad-gītā verglichen werden. Wenn man Kṛṣṇa für einen gewöhnlichen Menschen hält, verliert die Gītā jegliche Bedeutung. Die Māyāvādīs argumentieren, die Vielheit, von der in diesem Vers gesprochen werde, sei nichts Außergewöhnliches, und sie beziehe sich auf den Körper. Aber schon vor diesem Vers wird eine solche körperliche Auffassung zurückgewiesen. Wie könnte es für Kṛṣṇa möglich sein, eine gewöhnliche Meinung über den Körper zu vertreten, nachdem Er die körperliche Auffassung der Lebewesen bereits verurteilt hat? Daher besteht eine Individualität nur auf spiritueller Grundlage, wie es auch von großen ācāryas wie Śrī Rāmānuja und anderen bestätigt wird. Es wird an vielen Stellen der Gītā darauf hingewiesen, daß diese spirituelle Individualität nur von denen verstanden wird, die Geweihte des Herrn sind. Diejenigen, die Kṛṣṇa als Höchsten Persönlichen Gott beneiden, haben keinen Zugang zu dieser bedeutenden Schrift. Wenn sich ein Nicht-Gottgeweihter den Lehren der Gītā nähert, gleicht er einer Biene, die am Honigtopf leckt. Man kann den Geschmack des Honigs nicht erfahren, solange man den Topf nicht öffnet. In ähnlicher Weise kann auch das Geheimnis der Bhagavad-gītā nur von Gottgeweihten verstanden werden, und, wie im Vierten Kapitel des Buches bestätigt wird, von niemandem sonst. Auch ist die Gītā Menschen nicht zugänglich, die auf die bloße Existenz des Herrn neidisch sind. Daher ist die Māyāvādī-Auslegung der Gītā eine höchst irreführende Darstellung der gesamten Wahrheit. Śrī Kṛṣṇa Caitanya hat uns verboten, Kommentare der Māyāvādīs zu lesen, und Er warnt uns, daß derjenige, der sich der Philosophie der Māyāvādīs zuwende, jede Fähigkeit verliere, in das wirkliche Geheimnis der Gītā einzudringen. Wenn sich die Individualität nur auf das erfahrbare Universum bezöge, wäre es nicht notwendig, daß der Herr darüber lehrt. Der Unterschied zwischen der individuellen Seele und dem Herrn ist eine ewige Tatsache, und dies wird, wie oben erwähnt, von den Veden bestätigt.

VERS 13

देहिनोऽस्मिन्यथा देहे कौमारं यौवनं जरा ।
तथा देहान्तरप्राप्तिर्धीरस्तत्र न मुह्यति ॥१३॥

dehino’smin yathā dehe
kaumāraṁ yauvanaṁ jarā

tathā dehāntara-prāptir
dhīras tatra na muhyati

dehinaḥ – der verkörperten; asmin – in diesem; yathā – wie; dehe – im Körper; kaumāram – Kindheit; yauvanam Jugend; jarā – Alter; tathā – in ähnlicher Weise; dehāntara Wechsel des Körpers; prāptiḥ – Erlangung; dhīraḥ – der Besonnene; tatra – darüber; na – niemals; muhyati – getäuscht.

ÜBERSETZUNG

Wie die verkörperte Seele fortwährend, in diesem Körper von Kindheit zu Jugend und zu Alter, wandert, so geht sie auch beim Tode in einen anderen Körper ein. Die selbstverwirklichte Seele wird von einem solchen Wechsel nicht verwirrt.

ERKLÄRUNG

Da jedes Lebewesen eine individuelle Seele ist, wechselt es seinen Körper in jedem Augenblick und manifestiert sich manchmal als Kind, manchmal als Jugendlicher und manchmal als alter Mann. Dennoch ist die gleiche Seele vorhanden, denn sie ist keinem Wandel unterworfen. Diese individuelle Seele wechselt den Körper zum Zeitpunkt des Todes endgültig und geht in einen anderen Körper ein. Da sie mit Sicherheit bei der nächsten Geburt einen anderen Körper erhält – entweder einen materiellen oder einen spirituellen –, gab es für Arjuna keinen Grund, den Tod zu beklagen, – auch den Tod Bhīṣmas oder Droṇas nicht, über die er sich so viele Gedanken machte. Vielmehr sollte er sich darüber freuen, daß sie ihre alten Körper gegen neue tauschen und dadurch ihre Energie erneuern würden. Solche Wechsel des Körpers, die sich entsprechend unserer Handlungsweise im Leben vollziehen, bestimmen die vielfältigen Freuden oder Leiden des Lebewesens. Da Bhīṣma und Droṇa edle Seelen waren, würden sie sicherlich in ihrem nächsten Leben entweder spirituelle Körper oder zumindest ein Leben in himmlischen Körpern erhalten, in denen ein höherer Genuß des materiellen Daseins möglich wäre. In beiden Fällen gab es also keinen Grund zu klagen.

Jeder Mensch, der vollkommenes Wissen über die Beschaffenheit der individuellen Seele, der Überseele und der materiellen wie auch der spirituellen Natur besitzt, wird dhīra (ein höchst besonnener Mensch) genannt. Ein solcher Mensch wird niemals durch den Wechsel der Körper irregeführt. Die Māyāvādī-Theorie, nach der es nur eine Seele gibt, kann nicht damit begründet werden, daß die Seele nicht in fragmentarische Teile zerlegt werden kann und daß ein solches Zerlegen in verschiedene individuelle Seelen den Höchsten teilbar und wandelbar machen würde, was dem Prinzip widerspräche, daß die Höchste Seele unwandelbar ist.

Wie in der Gītā bestätigt wird, existieren die fragmentarischen Teile des Höchsten ewiglich (sanātana) und werden kṣara genannt, was bedeutet, daß sie die Neigung haben, in die materielle Natur herunterzufallen. Diese fragmentarischen Teile sind ewiglich so beschaffen, und selbst nach ihrer Befreiung bleibt die individuelle Seele das gleiche fragmentarische Teil. Aber einmal befreit, lebt sie zusammen mit dem Höchsten Persönlichen Gott ein ewiges Leben voller Glückseligkeit und Wissen. Am Beispiel der Reflexion kann man die Überseele verstehen, die als Paramātmā – vom individuellen Lebewesen verschieden – in jedem einzelnen individuellen Körper anwesend ist. Wenn der Nachthimmel im Wasser reflektiert wird, sind in der Spiegelung sowohl der Mond als auch die Sterne zu sehen. Die Sterne können mit den Lebewesen verglichen werden und der Mond mit dem Höchsten Herrn. Die individuelle, fragmentarische Seele wird von Arjuna repräsentiert und die Höchste Seele von Śrī Kṛṣṇa, dem Höchsten Persönlichen Gott. Wie zu Beginn des Vierten Kapitels deutlich wird, befinden sie sich nicht auf der gleichen Ebene. Wenn sich Arjuna auf der gleichen Ebene wie Kṛṣṇa befände und Kṛṣṇa nicht über Arjuna stände, würde ihre Beziehung als Lehrer und Schüler ihre Bedeutung verlieren. Wenn sie beide durch die illusionierende Energie (māyā) irregeführt wären, würde es nicht notwendig sein, daß der eine der Lehrer und der andere der Schüler ist. Solche Unterweisungen wären nutzlos, da niemand, der sich in der Gewalt māyās befindet, ein maßgebender Lehrer sein kann. Hier wird erklärt, daß Sich Śrī Kṛṣṇa, der Höchste Herr, in einer höheren Position befindet als das Lebewesen Arjuna, einer von māyā irregeführten, illusionierten Seele.

VERS 14

मात्रास्पर्शास्तु कौन्तेय शीतोष्णसुखदुःखदाः ।
आगमापायिनोऽनित्यास्तांस्तितिक्षस्व भारत ॥१४॥

mātrā-sparśās tu kaunteya
śītoṣṇa-sukha-duḥkha-dāḥ
āgamāpāyino ’nityās

tāṁs titikṣasva bhārata

mātrā – sinnlich; sparśāḥ – Wahrnehmung; tu – nur; kaunteya – O Sohn Kuntis; śīta – Winter; uṣṇa – Sommer; sukha – Glück; duḥkha-dāḥ – Schmerz zufügen; āgama – erscheinend; apāyinaḥ – verschwindend; anityāḥ – zeitweilig; tān – sie alle; titikṣasva – versuche, zu dulden; bhārata – O Nachkomme der Bhārata-Dynastie.

ÜBERSETZUNG

O Sohn Kuntīs, das zeitweilige Erscheinen von Glück und Leid und ihr Vergehen sind wie das Kommen und Gehen von Sommer und Winter. Sie entstehen durch Sinneswahrnehmung, o Nachkomme Bharatas, und man muß lernen, sie zu dulden, ohne sich verwirren zu lassen.

ERKLÄRUNG

Wenn man seine Pflicht in rechter Weise erfüllen will, muß man lernen, das zeitweilige Erscheinen und Vergehen von Glück und Leid zu dulden. Nach den vedischen Unterweisungen muß man selbst während des Monats Māgha (Januar – Februar) früh am Morgen sein Bad nehmen. Zu dieser Zeit ist es sehr kalt, aber trotzdem zögert ein Mann, der an den religiösen Prinzipien festhält, nicht, sein Bad zu nehmen. Dementsprechend zögert eine Frau nicht, während der Monate Juni und August – den heißesten des Sommers – in der Küche zu kochen. Man muß trotz ungünstigen Klimas seine Pflicht erfüllen. In ähnlicher Weise ist Kämpfen das religiöse Prinzip der kṣatriyas, und auch wenn man gegen einen Freund oder Verwandten kämpfen muß, sollte man nicht von seiner vorgeschriebenen Pflicht abweichen. Man muß den vorgeschriebenen Regeln und Regulierungen religiöser Prinzipien folgen, um zur Ebene des Wissens aufzusteigen, da man sich nur durch Wissen und Hingabe aus den Klauen māyas (Illusion) befreien kann.

Die beiden Namen, mit denen Arjuna angeredet wird, sind ebenfalls bedeutsam. Die Anrede „Kaunteya“ bezeichnet seine bedeutende Blutsverwandtschaft mit der Familie seiner Mutter; die Anrede „Bhārata“ bezeichnet seine Größe von Seiten seines Vaters. Von beiden Seiten hatte er also ein großes Erbe erhalten. Ein großes Erbe bringt die Verantwortung mit sich, in rechter Weise seine Pflichten zu erfüllen, und daher blieb ihm keine andere Wahl, als zu kämpfen.

VERS 15

यं हि न व्यथयन्त्येते पुरुषं पुरुषर्षभ ।
समदुःखसुखं धीरं सोऽमृतत्वाय कल्पते ॥१५॥

yaṁ hi na vyathayanty ete
puruṣaṁ puruṣarṣabha

sama-duḥkha-sukhaṁ dhīraṁ
so’mṛtatvāya kalpate

yam – jemand, der; hi – sicherlich; na – niemals; vyathayanti – fügen Leid zu; ete – all diese; puruṣam – einem Menschen; puruṣarṣabha – ist der beste unter den Menschen; sama – unverändert; duḥkha – Leid; sukham – Glück; dhīram – geduldig; saḥ – er; amṛtatvāya – für Befreiung; kalpate – gilt als fähig.

ÜBERSETZUNG

O Bester unter den Männern [Arjuna], wer von Glück und Leid nicht berührt wird, sondern immer ausgeglichen bleibt, kann ohne Zweifel Befreiung erlangen.

ERKLÄRUNG

Jeder, der mit stetiger Entschlossenheit nach der fortgeschrittenen Stufe spiritueller Verwirklichung strebt und standhaft die unerbittlichen Angriffe von Leid und Glück erträgt, kann gewiß befreit werden. In der varṇāśrama-Einrichtung führen die Menschen, die sich auf der vierten Stufe des Lebens befinden – das heißt auf der Stufe der Entsagung (sannyāsa) –, ein mühevolles Leben. Doch wer ernsthaft darum bemüht ist, sein Leben zu vervollkommnen, nimmt mit Sicherheit trotz aller Schwierigkeiten die sannyāsa-Stufe des Lebens an. Die Schwierigkeiten entstehen im allgemeinen daraus, daß man seine Familienbeziehungen abbrechen, das heißt die Verbindung zu Frau und Kindern aufgeben muß. Aber wenn jemand fähig ist, solche Schwierigkeiten zu ertragen, ist sein Weg zur spirituellen Verwirklichung sicherlich vollkommen. Daher wird auch Arjuna bei seiner Pflichterfüllung als kṣatriya der Rat gegeben durchzuhalten, auch wenn es für ihn schwierig ist, gegen seine Familienangehörigen oder andere nahestehende Menschen zu kämpfen. Śrī Kṛṣṇa Caitanya nahm im Alter von vierundzwanzig Jahren sannyāsa an, obwohl Seine Angehörigen, nämlich Seine junge Frau und Seine alte Mutter, außer Ihm niemanden hatten, der sich um sie kümmerte. Dennoch nahm Er um eines höheren Zieles willen sannyāsa an und war mit Entschlossenheit in der Erfüllung höherer Pflichten beschäftigt. Das ist der Weg, Befreiung von materieller Bindung zu erlangen.

VERS 16

नासतो विद्यते भावो नाभावो विद्यते सतः ।
उभयोरपि दृष्टोऽन्तस्त्वनयोस्तत्त्वदर्शिभिः ॥१६॥

nāsato vidyate bhāvo
nābhāvo vidyate sataḥ

ubhayor api dṛṣṭo’ntas
tv anayos tattva-darśibhiḥ

na – niemals; asataḥ – des Inexistenten; vidyate – gibt es; bhāvaḥ – Beständigkeit; na – niemals; abhāvaḥ – die sich wandelnde Beschaffenheit; vidyate – gibt es; sataḥ – des Ewigen; ubhayoḥ – der beiden; api – wahrlich; drsṭaḥ – beobachtet; antaḥ – Schlußfolgerung; tu – aber; anayoḥ – von ihnen; tattva – Wahrheit; darśibhiḥ – von den Sehern.

ÜBERSETZUNG

Die Weisen, die die Wahrheit sehen, haben erkannt, daß das Inexistente ohne Dauer und das Existente ohne Ende ist. Zu diesem Schluß sind die Weisen gekommen, nachdem sie das Wesen von beiden studiert hatten.

ERKLÄRUNG

Der materielle Körper ist dem fortwährenden Wandel unterworfen. Daß sich der Körper in jedem Augenblick durch die Aktionen und Reaktionen der verschiedenen Zellen verändert, wird von der modernen medizinischen Wissenschaft bestätigt; auf diese Weise finden Wachstum und Alter innerhalb des Körpers statt. Aber die Seele existiert ewiglich, und sie bleibt trotz aller Wandlungen des Körpers und des Geistes dieselbe. Das ist der Unterschied zwischen Materie und spiritueller Natur. Von Natur aus wandelt sich der Körper ständig, aber die Seele ist unvergänglich. Zu dieser Schlußfolgerung kommen alle Weisen – sowohl die Verfechter der Unpersönlichkeitslehre als auch die Anhänger des Persönlichen. Im Viṣṇu Purāṇa wird gesagt:

jyotīṁṣi viṣṇur bhavanāni viṣṇuḥ

„Viṣṇu und Seine Reiche sind von spiritueller Beschaffenheit und leuchten aus sich selbst heraus.“

Die Worte existent und inexistent beziehen sich einzig und allein auf spirituelle Natur und Materie. Das ist die Ansicht aller Weisen, die die Wahrheit sehen.

Hier beginnen die Unterweisungen, die der Herr den Lebewesen gibt, die durch den Einfluß der Unwissenheit verwirrt sind. Die Beseitigung der Unwissenheit bedeutet auch, daß die ewige Beziehung zwischen dem Verehrenden und dem Zu-Verehrenden wiederhergestellt wird und daß daher der Unterschied zwischen den Bestandteilen, den Lebewesen, und dem Höchsten Persönlichen Gott erkannt wird. Man kann das Wesen des Höchsten durch ein eingehendes Studium der eigenen Person verstehen, indem der Unterschied zwischen dieser und dem Höchsten als die Beziehung zwischen dem Teil und dem Ganzen verstanden wird. In den Vedānta-sūtras und ebenso im Śrīmad-Bhāgavatam wird der Höchste als der Ursprung aller Emanationen akzeptiert. Solche Emanationen sind von höherer und niederer Natur. Wie im Siebten Kapitel offenbart werden wird, gehören die Lebewesen zur höheren Natur. Obwohl kein Unterschied zwischen der Energie und dem Ursprung der Energie besteht, wird dennoch deutlich erklärt, daß der Ursprung der Energie der Höchste und die Energie oder Natur Ihm untergeordnet ist. Daher sind die Lebewesen immer dem Höchsten Herrn untergeben – wie der Diener dem Meister oder der Schüler dem Lehrer. Eine solche, klare Erkenntnis kann man unmöglich verstehen, solange man sich unter dem Zauber der Unwissenheit befindet. Um alle Lebewesen für alle Zeiten zu erleuchten und ihre Unwissenheit zu vertreiben, lehrt der Herr die Bhagavad-gītā.

VERS 17

अविनाशि तु तद्विद्धि येन सर्वमिदं ततम् ।
विनाशमव्ययस्यास्य न कश्चित्कर्तुमर्हति ॥१७॥

avināśi tu tad viddhi
yena sarvam idaṁ tatam
vināśam avyayasyāsya

na kaścit kartum arhati

avināśi – unvergänglich; tu – aber; tat – das; viddhi – wisse es; yena – durch das; sarvam – der gesamte Körper; idam – dies; tatam – verbreitet; vināśam – Zerstörung; avyayasya – der unvergänglichen; asya – von ihr; na – niemals; kaścit – niemand; kartum – zu tun; arhati – fähig.

ÜBERSETZUNG

Wisse, das, was den gesamten Körper durchdringt, ist unzerstörbar. Niemand kann die unvergängliche Seele töten.

ERKLÄRUNG

Dieser Vers erklärt noch deutlicher das wirkliche Wesen der Seele, das über den gesamten Körper verbreitet ist. Jeder kann verstehen, was über den gesamten Körper verbreitet ist: es ist Bewußtsein. Jeder ist sich der Schmerzen und Freuden bewußt, die entweder in einem Teil des Körpers oder im gesamten Körper empfunden werden. Diese Verbreitung des Bewußtseins beschränkt sich jedoch auf den eigenen Körper. Die Schmerzen und Freuden des einen Körpers sind dem anderen unbekannt. Daher ist jeder einzelne Körper die Verkörperung einer individuellen Seele, und das Symptom für die Anwesenheit der Seele wird als individuelles Bewußtsein erfahren. Aus den vedischen Schriften erfahren wir, daß die Seele so groß wie der zehntausendste Teil einer Haarspitze ist. Die Śvetāśvatara Upaniṣad bestätigt dies wie folgt:

bālāgra-śata-bhāgasya śatadhā kalpitasya ca
bhāgo jīvaḥ sa vijñeyaḥ sa cānantyāya kalpate.

„Wenn eine Haarspitze in hundert Teile und jedes dieser Teile in weitere hundert Teile zerlegt wird, dann entspricht eines dieser Teile der Größe der Seele.“ (Śvet 5.9)

Im Bhāgavatam wird diese Tatsache in ähnlicher Weise erklärt:

keśāgra-śata-bhāgasya śatāṁśaḥ sādṛśātmakaḥ
jīvaḥ sūkṣma-svarūpo’yam sankhyātīto hi cit-kaṇaḥ

„Es gibt unzählige winzig kleine, spirituelle Atome, und jedes von ihnen ist so groß wie der zehntausendste Teil einer Haarspitze.“

Daher ist die individuelle Seele ein spirituelles Atom, das kleiner ist als die materiellen Atome; es gibt eine unbegrenzte Anzahl solcher Atome. Dieser winzige kleine spirituelle Funke ist das grundlegende Prinzip des materiellen Körpers, und wie sich der Einfluß eines Medikaments im gesamten Körper zeigt, so ist der Einfluß eines solchen spirituellen Funkens über den ganzen Körper verbreitet. Diese Ausbreitung der Seele wird überall im Körper als Bewußtsein wahrgenommen, und das ist der Beweis für die Gegenwart der Seele. Jeder Laie kann verstehen, daß ein Körper ohne Bewußtsein ein toter Körper ist und daß dieses Bewußtsein im Körper durch keine materiellen Bemühungen wiederbelebt werden kann. Bewußtsein hat daher seinen Ursprung nicht in einer Verbindung materieller Elemente, sondern geht von der Seele aus. In der Muṇḍaka Upaniṣad wird das Ausmaß der winzigen Seele weiterhin erklärt:

eṣo’ṇurātmā cetasā veditavyo
yasmin prāṇaḥ pañcadhā samviveśa
prāṇaiś cittaṁ sarvam otam prajānām

yasmin viśuddhe vibhavaty eṣa ātmā.

„Die Seele ist winzig klein und kann nur durch vollkommene Intelligenz wahrgenommen werden. Diese winzig kleine Seele schwebt in fünf verschiedenen Luftarten (prāṇa, apāna, vyāna, samāna und udāna) innerhalb des Herzens und verbreitet ihren Einfluß über den gesamten Körper des verkörperten Lebewesens. Wenn die Seele von der Verschmutzung durch die fünf verschiedenen Arten materieller Luft gereinigt ist, entfaltet sich ihr spiritueller Einfluß.“ (Muṇḍ. 3.1.9)

Das haṭha-yoga-System ist dazu gedacht, die fünf Luftarten, die die reine Seele umkreisen, durch verschiedene Sitzstellungen zu kontrollieren. Das Ziel ist nicht materieller Gewinn, sondern die Befreiung der winzigen Seele aus der Verstrickung in die materielle Atmosphäre.

Die Beschaffenheit der winzigen Seele wird in allen vedischen Schriften beschrieben, und jeder geistig gesunde Mensch kann ihr Vorhandensein tatsächlich in seinem Leben erfahren. Nur ein Verrückter kann glauben, daß diese winzig kleine Seele das alldurchdringende Viṣṇu-tattva ist.

Der Einfluß der winzigen Seele kann vollständig über einen einzelnen Körper verbreitet werden. Nach der Aussage der Muṇḍaka Upaniṣad befindet sich eine solche winzige Seele im Herzen jedes Lebewesens, und da die Größe der unvorstellbar kleinen Seele jenseits der Reichweite der materiellen Wissenschaft liegt, behaupten einige verblendete Wissenschaftler, daß es keine Seele gebe. Es besteht kein Zweifel darüber, daß die individuelle, winzige Seele zusammen mit der Überseele im Herzen weilt und daß daher alle Energien, die zur Bewegung des Körpers benötigt werden, aus diesem Teil des Körpers kommen. Die roten Blutkörperchen, die den Sauerstoff aus der Lunge entnehmen, erhalten ihre Energie von der Seele. Wenn die Seele den Körper verläßt, kommen die Aktivitäten des Blutes und die energieerzeugenden Verbrennungsvorgänge zum Stillstand. Die medizinische Wissenschaft akzeptiert zwar die Bedeutung der roten Blutkörperchen, aber sie kann nicht herausfinden, daß die Quelle der Energie die Seele ist. Auf der anderen Seite aber gibt die medizinische Wissenschaft zu, daß das Herz das Zentrum aller Energien des Körpers ist.

Diese winzig kleinen Bestandteile des spirituellen Ganzen werden mit den Molekülen des Sonnenscheins verglichen. Im Sonnenschein gibt es unzählige strahlende Moleküle. In ähnlicher Weise sind auch die fragmentarischen Teile des Herrn winzige Funken in den Strahlen des Höchsten, die prabhā (höhere Energie) genannt werden. Weder das vedische Wissen noch die moderne Wissenschaft verleugnen die Existenz der spirituellen Seele im Körper, und die Wissenschaft von der Seele wird ausführlich vom Höchsten Persönlichen Gott Selbst in der Bhagavad-gītā erklärt.

VERS 18

अन्तवन्त इमे देहा नित्यस्योक्ताः शरीरिणः ।
अनाशिनोऽप्रमेयस्य तस्माद्युध्यस्व भारत ॥१८॥

antavanta ime dehā
nityasyoktāḥ śarīriṇaḥ

anāśino’prameyasya
tasmād yudhyasva bhārata

antavantaḥ – vergänglich; ime – all diese; dehāḥ – materiellen Körper; nitayasya – ewiglich bestehend; uktāḥ – es wird so gesagt; śarīriṇaḥ – die verkörperten Seelen; anāśinaḥ – können niemals zerstört werden; aprameyasya – unmeßbar; tasmāt – darum; yudhyasva – kämpfe; bhārata – O Nachkomme Bharatas.

ÜBERSETZUNG

Nur der materielle Körper des unzerstörbaren, unmeßbaren und ewigen Lebewesens kann vernichtet werden; darum kämpfe, o Nachkomme Bharatas.

ERKLÄRUNG

Der materielle Körper ist von Natur aus vergänglich. Schon im nächsten Augenblick kann er vergehen – oder erst in hundert Jahren. Es ist nur eine Frage der Zeit. Es gibt keine Möglichkeit, den Körper unbegrenzt lange zu erhalten. Die Seele jedoch ist so winzig, daß ein Feind sie nicht einmal sehen, geschweige denn töten kann. Wie schon im vorherigen Vers erklärt wurde, ist niemand in der Lage, ihre Größe zu messen. Von beiden Standpunkten aus gesehen gibt es also keinen Grund zu klagen, denn weder kann die spirituelle Seele getötet noch kann der materielle Körper, der nicht einmal eine Sekunde länger als vorgesehen erhalten werden kann, bleibend beschützt werden. Das winzige Bestandteil des spirituellen Ganzen entwickelt seinen Handlungen entsprechend einen materiellen Körper, und deshalb sollte man den religiösen Prinzipien folgen. In den Vedānta-sūtras wird das Lebewesen als Licht beschrieben, da es ein Bestandteil des höchsten Lichts ist. Wie das Sonnenlicht das gesamte Universum erhält, so erhält das Licht der Seele den materiellen Körper. Sobald die Seele den materiellen Körper verlassen hat, beginnt der Körper zu zerfallen; daher ist es die Seele, die den Körper erhält. Der Körper selbst ist unwichtig. Arjuna wurde daher der Rat gegeben, zu kämpfen und den materiellen Körper um der Religion willen zu opfern.

VERS 19

य एनं वेत्ति हन्तारं यश्चैनं मन्यते हतम् ।
उभौ तौ न विजानीतो नायं हन्ति न हन्यते ॥१९॥

ya enaṁ vetti hantāraṁ
yaś cainaṁ manyate hatam
ubhau tau na vijānīto

nāyaṁ hanti na hanyate

yaḥ – jeder; enam – dies; vetti – weiß; hantāram – der Mörder; yaḥ – jeder; ca – auch; enam – dies; manyate – denkt; hatam – tötete; ubhau – sie beide; tau – sie; na – niemals; vijānītaḥ – im Wissen; na – niemals; ayam – diese; hanti – tötet; na – noch; hanyate – wird getötet.

ÜBERSETZUNG

Wer glaubt, das Lebewesen töte oder werde getötet, befindet sich in Unwissenheit. Wer in Wissen gründet, weiß, daß das Lebewesen weder tötet noch getötet wird.

ERKLÄRUNG

Wenn der Körper durch tödliche Waffen verletzt wird, bedeutet dies jedoch nicht, daß das Lebewesen innerhalb des Körpers vernichtet wird. Wie aus den vorangegangenen Versen deutlich hervorgeht, ist die Seele so klein, daß es unmöglich ist, sie durch irgendeine materielle Waffe zu töten. Das Lebewesen kann aufgrund seiner spirituellen Beschaffenheit niemals vernichtet werden. Das, was vernichtet oder angeblich zerstört wird, ist nur der Körper. Dies soll aber keineswegs dazu auffordern, den Körper zu töten. Die vedische Unterweisung lautet: māhiṁsyāt sarva-bhūtāni. „Tue niemals irgend jemandem Gewalt an.“ Auch fordert die Erkenntnis, daß das Lebewesen nicht vernichtet werden kann, nicht dazu auf, Tiere zu schlachten. Den Körper irgendeines Lebewesens zu vernichten, ohne daß diese Handlung auf Autorität beruht, ist verabscheuungswürdig und wird sowohl vom Gesetz des Staates als auch vom Gesetz des Herrn bestraft. Arjuna jedoch soll für das Prinzip der Religion töten – und nicht nach seinem Gutdünken.

VERS 20

न जायते म्रियते वा कदाचिन्नायं भूत्वा भविता वा न भूयः ।
अजो नित्यः शाश्वतोऽयं पुराणो न हन्यते हन्यमाने शरीरे ॥२०॥

na jāyate mriyate vā kadācin
nāyaṁ bhūtvā bhavitā vā na bhūyaḥ
ajo nityaḥ śāśvato’yaṁ purāṇo

na hanyate hanyamāne śarīre

na – niemals; jāyate – wird geboren; mriyate – stirbt niemals; – entweder; kadācit – zu irgendeiner Zeit (Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft); na – niemals; ayam – dies; bhūtvā – wurde geboren; bhavitā – wird entstehen; – oder; na – nicht; bhūyaḥ – oder ist entstanden; ajaḥ – ungeboren; nityaḥ – ewig; śāśvataḥ – immerwährend; ayam – dies; purāṇaḥ – die älteste; na – niemals; hanyate – wird vernichtet; hanyamāne – vernichtet wird; śarīre – der Körper.

ÜBERSETZUNG

Für die Seele gibt es weder Geburt noch Tod. Auch hört sie – da sie einmal war – niemals auf zu sein. Sie ist ungeboren, ewig, immerwährend, unsterblich und urerst. Sie wird nicht getötet, wenn der Körper erschlagen wird.

ERKLÄRUNG

Der Qualität nach ist das winzig kleine fragmentarische Teil des Höchsten Spirituellen Wesens mit dem Höchsten eins. Im Gegensatz zum Körper ist es keinem Wandel unterworfen. Manchmal wird die Seele auch „die Immerwährende“ (kūṭastha) genannt. Der Körper unterliegt sechs Arten des Wandels. Er wird im Mutterleib geboren, bleibt dort für einige Zeit, wächst heran, zeugt Nachkommen, wird allmählich alt und sinkt schließlich in Vergessenheit. Die Seele jedoch ist solchen Wandlungen nicht unterworfen. Die Seele selbst wird nicht geboren, aber weil sie einen materiellen Körper annimmt, wird der Körper geboren. Die Seele wird nicht geboren, und die Seele stirbt nicht. Alles, was geboren wird, muß sterben. Und da die Seele nie geboren wurde, kennt sie weder Vergangenheit noch Gegenwart, noch Zukunft. Sie ist ewig, immerwährend und urerst – das heißt, es gibt in der Geschichte keine Spur ihrer Entstehung. Unter dem Einfluß der körperlichen Vorstellung suchen wir jedoch nach dem Zeitpunkt ihrer Geburt usw. Die Seele wird im Gegensatz zum Körper niemals alt. Daher fühlt der sogenannte alte Mann, daß er das gleiche spirituelle Wesen wie in seiner Kindheit oder Jugend ist. Die Seele wird von den Wandlungen des Körpers nicht berührt. Die Seele verkümmert nicht wie ein Baum oder irgend etwas anderes Materielles. Die Seele hat auch keine Nachkommen. Die Nebenprodukte des Körpers, die Kinder, sind auch verschiedene individuelle Seelen, und nur weil ihre Körper von anderen Körpern erzeugt wurden, erscheinen sie als Kinder bestimmter Eltern. Der Körper entwickelt sich, weil die Seele anwesend ist, aber weder hat die Seele Abkömmlinge noch unterliegt sie dem Wandel. Daher ist die Seele frei von den sechs Wandlungen des Körpers. In der Kaṭha Upaniṣad finden wir einen entsprechenden Vers:

na jāyate mriyate vā vipaścin
nāyam kutaścin na vibhūva kaścit

ajo nityaḥ śāśvato ’yam purāṇo
na hanyate hanyamāne śarīre.

(Kaṭha 1.2.18)

Die Übersetzung und Erklärung ist die gleiche wie die des Bhagavad-gītā-Verses. Aber hier in diesem Vers gibt es ein besonderes Wort, vipaścit; es bedeutet gelehrt oder mit Wissen.

Die Seele ist immer voller Wissen bzw. Bewußtsein. Daher ist Bewußtsein das Symptom der Seele. Selbst wenn man die Seele nicht im Herzen findet, so kann man doch ihre Gegenwart sehr einfach durch die Anwesenheit von Bewußtsein erkennen. Weil sich Wolken vor die Sonne geschoben haben, oder aus irgendeinem anderen Grund, können wir sie manchmal am Himmel nicht sehen; doch ihr Licht ist immer da, und daher wissen wir, daß es Tag ist. Sobald es frühmorgens ein wenig hell wird, können wir verstehen, daß die Sonne aufgegangen ist. In ähnlicher Weise können wir auch die Gegenwart der Seele verstehen, da in allen Körpern – gleichgültig ob Mensch oder Tier – Bewußtsein vorhanden ist. Dieses Bewußtsein der Seele unterscheidet sich jedoch vom Bewußtsein des Höchsten, da das höchste Bewußtsein allumfassendes Wissen über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft besitzt. Das Bewußtsein der individuellen Seele hat die Neigung zu vergessen. Wenn sie ihre wahre Natur vergißt, erhält sie aus den erhabenen Lehren Kṛṣṇas Erziehung und Erleuchtung. Aber Kṛṣṇa ist nicht wie die vergeßliche Seele; wenn Kṛṣṇa vergeßlich wäre, würden Seine Lehren in der Bhagavad-gītā nutzlos sein. Es gibt zwei Arten von Seelen: die winzig kleine Seele (aṇu-ātmā) und die Überseele (vibhu-ātmā). In der Kaṭha Upaniṣad finden wir einen ähnlichen Abschnitt; er lautet:

aṇor aṇīyān mahato mahīyān
ātmāsya jantor nihito guhāyām
tam akratuḥ paśyati vīta-śoko
dhātuḥ prasādān mahimānam ātmanaḥ

„Sowohl die Überseele (Paramātmā) als auch die winzig kleine Seele (jīvātmā) sitzen auf dem Baum des Körpers im Herzen des Lebewesens. Nur wer von allen materiellen Wünschen und Klagen frei geworden ist, kann durch die Gnade des Herrn die Herrlichkeit der Seele verstehen.“ (Kaṭha 1.2.20)

Kṛṣṇa ist auch der Ursprung der Überseele, wie in den folgenden Kapiteln enthüllt werden wird, und Arjuna ist die winzig kleine Seele, die ihre wahre Natur vergißt; daher ist es für sie notwendig, von Kṛṣṇa oder Seinem echten Repräsentanten (dem geistigen Meister) erleuchtet zu werden.

VERS 21

वेदाविनाशिनं नित्यं य एनमजमव्ययम् ।
कथं स पुरुषः पार्थ कं घातयति हन्ति कम् ॥२१॥

vedāvināśinaṁ nityaṁ
ya enam ajam avyayam
kathaṁ sa puruṣaḥ pārtha

kaṁ ghātayati hanti kam

veda – im Wissen; avināśinam – unzerstörbar; nityam – immer; yaḥ – jemand, der; enam – diese (Seele); ajam – ungeboren; avyayam – unveränderlich; katham – wie; saḥ – er; puruṣaḥ – Person; pārtha – O Pārtha (Arjuna); kam – jemanden; ghātayati – verletzt; hanti – tötet; kam – jemanden.

ÜBERSETZUNG

O Pārtha, wie kann ein Mensch, der weiß, daß die Seele unzerstörbar, ungeboren, ewig und unveränderlich ist, jemanden töten oder einen anderen veranlassen zu töten?

ERKLÄRUNG

Alles hat seinen bestimmten Nutzen, und ein Mensch, der in vollkommenem Wissen gründet, weiß, wie und wo etwas seine richtige Verwendung hat, und kennt daher auch die richtige Anwendung von Gewalt. Obwohl der Friedensrichter über einen Menschen, der wegen Mordes verurteilt ist, die Todesstrafe verhängt, kann gegen ihn kein Vorwurf erhoben werden, da er nach dem Gesetz handelt. In der Manu-saṁhitā, dem Gesetzbuch der Menschheit, wird bestätigt, daß ein Mörder zum Tode verurteilt werden sollte, damit er in seinem nächsten Leben für die große Sünde, die er begangen hat, nicht zu leiden braucht. Deshalb ist es tatsächlich von Vorteil, wenn der König einen Mörder hängen läßt. In ähnlicher Weise verhält es sich mit Kṛṣṇa: wenn Er den Befehl gibt zu kämpfen, muß man daraus schließen, daß diese Gewalt um höherer Gerechtigkeit willen notwendig ist. Deshalb sollte Arjuna der Anweisung folgen, da er wohl weiß, daß diese Gewalt, die im Kampf für Kṛṣṇa angewandt wird, keineswegs Gewalt ist; denn der Mensch oder vielmehr die Seele kann auf keinen Fall getötet werden. Zum Aufrechterhalten von Gerechtigkeit ist sogenannte Gewalt gestattet. Eine Operation soll den Patienten nicht töten, sondern heilen. Daher findet der Kampf, den Arjuna im Auftrag Kṛṣṇas ausführen soll, in vollständigem Wissen statt, und daher kann keine sündhafte Reaktion folgen.

VERS 22

वासांसि जीर्णानि यथा विहाय नवानि गृह्णाति नरोऽपराणि ।
तथा शरीराणि विहाय जीर्णान्यन्यानि संयाति नवानि देही ॥२२॥

vāsāṁsi jīrṇāni yathā vihāya
navāni gṛhṇāti naro’parāṇi

tathā śarīrāṇi vihāya jīrṇāny
anyāni saṁyāti navāni dehī

vāsāṁsi – Kleidungsstücke; jīrṇāni – alt und abgetragen; yathā – wie es ist; vihāya – indem er aufgibt; navāni – neue Kleidungsstücke; gṛhṇāti – annimmt; naraḥ – ein Mensch; aparāṇt – andere; tathā – in ähnlicher Weise; śartrāṇi – Körper; vihāya – indem er aufgibt; jīrṇāni – alte und unbrauchbare; anyāni – verschiedene; samyāti – annimmt; navāni – neue Garnituren; dehī – die verkörperte.

ÜBERSETZUNG

Wie ein Mensch neue Kleider anlegt und die alten ablegt, so nimmt die Seele neue materielle Körper an und gibt die alt und unbrauchbar gewordenen auf.

ERKLÄRUNG

Daß die winzig kleine individuelle Seele ihre Körper wechselt, ist eine anerkannte Tatsache. Selbst einige moderne Wissenschaftler, die nicht an die Existenz der Seele glauben, aber zur gleichen Zeit die Energiequelle des Herzens nicht erklären können, müssen die fortwährenden Wandlungen des Körpers von Säuglingszeit zu Kindheit, von Kindheit zu Jugend und von Jugend zu Alter anerkennen. Nach dem Tode geht die Seele in einen anderen Körper ein, in welchem die Wandlung fortgesetzt wird. Dies ist schon im vorangegangenen Vers erklärt worden.

Das Eingehen der winzig kleinen individuellen Seele in einen anderen Körper wird durch die Gnade der Überseele ermöglicht. Die Überseele erfüllt das Verlangen der winzigen Seele, wie jemand den Wunsch seines Freundes erfüllt. Die Veden, wie die Muṇḍaka Upaniṣad und die Śvetāśvatara Upaniṣad, vergleichen die Seele und die Überseele mit zwei befreundeten Vögeln, die auf dem gleichen Baum sitzen. Der eine Vogel (die individuelle, winzige Seele) ißt von den Früchten des Baumes, während der andere Vogel (Kṛṣṇa) Seinen Freund beobachtet. Von diesen beiden Vögeln – obwohl in ihrer Qualität eins – ist der eine von den Früchten des materiellen Baumes bezaubert, wohingegen der andere einfach nur Zeuge der Aktivitäten Seines Freundes ist. Kṛṣṇa ist der beobachtende Vogel, und Arjuna ist der essende Vogel. Obwohl sie Freunde sind, ist trotzdem der eine Meister und der andere Diener. Weil die winzige Seele diese Beziehung vergißt, wechselt sie von einem Baum bzw. Körper zum anderen. Die jīva-Seele kämpft sehr schwer auf dem Baum des materiellen Körpers, aber sobald sie sich damit einverstanden erklärt, den anderen Vogel als höchsten geistigen Meister zu akzeptieren – wie Arjuna einverstanden war, indem er sich Kṛṣṇa freiwillig hingab, um sich von Ihm unterweisen zu lassen – wird der untergeordnete Vogel augenblicklich frei von allem Leid. Sowohl die Kaṭha Upaniṣad wie auch die Śvetāśvatara Upaniṣad bestätigen dies:

samāne vṛkṣe puruṣo nimagno
’nīśayā śocati muhyamānaḥ

juṣṭaṁ yadā paśyaty anyam īśam asya
mahimānam iti vīta-śokaḥ

„Obwohl die beiden Vögel im gleichen Baum sitzen, ist der essende Vogel voller Angst und Unzufriedenheit, weil er die Früchte des Baumes genießen will. Aber wenn er sich aus irgendeinem Grund seinem Freund, dem Höchsten Herrn, zuwendet und dessen Herrlichkeit erkennt, wird der leidende Vogel sofort von allen Ängsten frei.“

Arjuna hat sich nun seinem ewigen Freund, Kṛṣṇa, zugewandt und hört Ihm zu, um von Ihm die Bhagavad-gītā zu verstehen. Und weil er von Kṛṣṇa hört, kann er die höchsten Herrlichkeiten des Herrn verstehen und von allem Leid frei werden. Arjuna wird hier vom Herrn der Rat gegeben, nicht um den Wechsel der Körper seines alten Großvaters und seines Lehrers zu jammern. Er soll vielmehr froh darüber sein, ihre Körper in einem gerechten Kampf zu töten, so daß sie von allen Reaktionen auf ihre verschiedenen körperlichen Aktivitäten gereinigt werden können. Wer sein Leben auf dem Opferaltar oder auf dem geeigneten Schlachtfeld läßt, wird sofort von allen körperlichen Reaktionen gereinigt und auf eine höhere Stufe des Lebens erhoben. Deshalb gab es für Arjuna keinen Grund zu klagen.

VERS 23

नैनं छिन्दन्ति शस्त्राणि नैनं दहति पावकः ।
न चैनं क्लेदयन्त्यापो न शोषयति मारुतः ॥२३॥

nainaṁ chindanti śastrāṇi
nainaṁ dahati pāvakaḥ
na cainaṁ kledayanty āpo

na śoṣayati mārutaḥ

na – niemals; enam – diese Seele; chindanti – können in Stücke schneiden; śastrāṇi – alle Waffen; na – niemals; enam – diese Seele; dahati – verbrennt; pāvakaḥ – Feuer; na – niemals; ca – auch; enam – diese Seele; kledayanti – benetzt; āpaḥ – Wasser; na – niemals; śoṣayati – trocknet; mārutaḥ – Wind.

ÜBERSETZUNG

Die Seele kann von keiner Waffe in Stücke geschnitten, noch kann sie von Feuer verbrannt, von Wasser benetzt oder vom Wind verdorrt werden.

ERKLÄRUNG

Alle Arten von Waffen, Schwerter, Flammen, Regenfälle, Wirbelstürme usw. sind nicht imstande, die Seele zu vernichten. Es scheint, daß es damals außer den modernen Feuerwaffen noch viele andere Arten von Waffen gab, die aus Erde, Wasser, Luft, Äther usw. bestanden. Selbst die Atomwaffen des heutigen Zeitalters werden zu den Feuerwaffen gezählt. In früheren Zeiten gab es andere Waffen, bei denen man sich der verschiedensten materiellen Elemente bediente. Feuerwaffen zum Beispiel bekämpfte man mit Wasserwaffen, die der modernen Wissenschaft unbekannt sind. Auch besitzen moderne Wissenschaftler kein Wissen über Wirbelsturmwaffen. Nichtsdestoweniger kann die Seele, ungeachtet wissenschaftlicher Erfindungen, niemals in Stücke geschnitten oder durch irgendwelche Waffen vernichtet werden.

Auch war es niemals möglich, die individuellen Seelen von der ursprünglichen Seele abzutrennen. Die Māyāvādīs können nicht beschreiben, wie die individuelle Seele aus der ursprünglichen Seele hervorging und folglich durch die illusionierende Energie bedeckt wurde. Weil die Lebewesen auf ewig (sanātana) winzige individuelle Seelen sind, neigen sie dazu, von der illusionierenden Energie bedeckt zu werden, und entfernen sich somit aus der Umgebung des Herrn. Sie ähneln den Funken des Feuers, die, obwohl sie der Qualität nach mit dem Feuer eins sind, verlöschen, wenn sie das Feuer verlassen. Im Varāha Purāṇa werden die Lebewesen als abgesonderte Bestandteile des Höchsten beschrieben. Sie sind es auf ewige Zeiten, wie auch von der Bhagavad-gītā bestätigt wird. Wie aus den Lehren des Herrn zu Arjuna ersichtlich ist, bleibt das Lebewesen also, selbst nachdem es von der Illusion befreit ist, eine individuelle Persönlichkeit. Arjuna wurde durch das Wissen, das er von Kṛṣṇa empfing, zwar befreit, aber er wurde niemals eins mit Kṛṣṇa.

VERS 24

अच्छेद्योऽयमदाह्योऽयमक्लेद्योऽशोष्य एव च ।
नित्यः सर्वगतः स्थाणुरचलोऽयं सनातनः ॥२४॥

acchedyo’yam adāhyo’yam
akledyo’śoṣya eva ca

nityaḥ sarva-gataḥ sthāṇur
acalo’yaṁ sanātanaḥ

acchedyaḥ – unzerbrechlich; ayam – diese Seele; adāhyaḥ – kann nicht verbrannt werden; ayam – diese Seele; akledyaḥ – unauflöslich; aśoṣyah – kann nicht getrocknet werden; eva – gewiß; ca – und; nityaḥ – immerwährend; sarva-gataḥ – alldurchdringend; sthāṇuḥ – unwandelbar; acalaḥ – unbeweglich; ayam – diese Seele; sanātanaḥ – ewig dieselbe.

ÜBERSETZUNG

Die individuelle Seele ist unzerbrechlich und unauflöslich und kann weder verbrannt noch ausgetrocknet werden. Sie ist immerwährend, alldurchdringend, unwandelbar, unbeweglich und ewiglich dieselbe.

ERKLÄRUNG

All diese Eigenschaften der winzigen Seele beweisen eindeutig, daß die individuelle Seele ewiglich das winzig kleine Bestandteil des spirituellen Ganzen ist und ewiglich ohne Veränderung dasselbe Atom bleibt. Es ist sehr schwierig, in diesem Falle die Theorie des Monismus anzuwenden, denn die individuelle Seele kann niemals mit allem Anderen eins und gleich werden. Nach Befreiung von der materiellen Verunreinigung mögen es manche winzigen Seele vorziehen, als Funken in den leuchtenden Strahlen des Höchsten Persönlichen Gottes zu bleiben, aber die intelligenten Seelen gehen in die spirituellen Planeten ein, um mit dem Persönlichen Gott zusammenzusein.

Das Wort sarva-gataḥ (alldurchdringend) ist von großer Bedeutung, da kein Zweifel darüber besteht, daß es überall in der Schöpfung Gottes Lebewesen gibt. Sie leben auf dem Land, im Wasser, in der Luft, in der Erde und sogar im Feuer. Die Ansicht, daß die Lebewesen im Feuer vernichtet würden, kann nicht akzeptiert werden, weil hier unmißverständlich gesagt wird, daß die Seele durch Feuer nicht verbrannt werden kann. Deshalb besteht kein Zweifel darüber, daß es auch im Sonnenplaneten Lebewesen gibt – sie besitzen lediglich einen geeigneten Körper, um dort leben zu können. Wäre die Sonne unbewohnt, dann würde das Wort sarva-gataḥ (überall gibt es Leben) seine Bedeutung verlieren.

VERS 25

अव्यक्तोऽयमचिन्त्योऽयमविकार्योऽयमुच्यते ।
तस्मादेवं विदित्वैनं नानुशोचितुमर्हसि ॥२५॥

avyakto’yam acintyo’yam
avikāryo’yam ucyate
tasmād evaṁ viditvainaṁ

nānuśocitum arhasi

avyaktaḥ – unsichtbar; ayam – diese Seele; acintyaḥ – unbegreiflich; ayam – diese Seele; avikāryaḥ – unveränderlich; ayam – diese Seele; ucyate – wird gesagt; tasmāt – daher; evam – wie dies; viditvā – da du dies weißt; enam – diese Seele; na – nicht; anuśocitum – klagen über; arhasi – du verdienst.

ÜBERSETZUNG

Es wird gesagt, daß die Seele unsichtbar, unbegreiflich und unveränderlich ist. Da du dies weißt, solltest du um den Körper nicht trauern.

ERKLÄRUNG

Wie schon zuvor beschrieben wurde, ist die Seele für unser materielles Vorstellungsvermögen so winzig klein, daß sie nicht einmal mit dem stärksten Mikroskop gesehen werden kann; daher ist sie unsichtbar. Die Existenz der Seele kann allein anhand der Autorität von śruti (der vedischen Weisheit) nachgewiesen werden, jedoch nicht durch wissenschaftliche Experimente. Wir müssen diese Wahrheit akzeptieren, weil es keine andere Quelle gibt, die Existenz der Seele zu verstehen – obwohl ihr Vorhandensein eine Tatsache ist. Es gibt viele Dinge, die wir allein aufgrund höherer Autorität akzeptieren müssen. Wenn die Mutter zum Beispiel sagt, wer der Vater ist, muß man ihrer Aussage Glauben schenken, denn außer der Mutter gibt es niemanden, der die Identität des Vaters kennt. In ähnlicher Weise gibt es keine andere Möglichkeit, die Seele zu verstehen, als die Veden zu studieren. Mit anderen Worten, die Seele kann durch das experimentelle Wissen der Menschen nicht begriffen werden. Die Seele ist sowohl Bewußtsein als auch bewußt – das ist auch die Aussage der Veden, und daher sollten wir sie akzeptieren. Anders als der Körper, der sich wandelt, bleibt die Seele stets gleich. Da sie ewiglich unveränderlich ist, bleibt die Seele im Vergleich zur unendlichen Höchsten Seele winzig klein. Die Höchste Seele ist unbegrenzt, wohingegen die winzige Seele unvorstellbar klein ist. Daher kann die winzig kleine Seele, da sie unveränderlich ist, niemals der unendlichen Seele oder dem Höchsten Persönlichen Gott gleichkommen. Um das Verständnis von der Seele zu festigen, wird diese Auffassung in den Veden auf verschiedene Weise wiederholt. Wiederholung ist notwendig, damit wir die Aussage richtig verstehen und keinem Irrtum unterliegen.

VERS 26

अथ चैनं नित्यजातं नित्यं वा मन्यसे मृतम् ।
तथापि त्वं महाबाहो नैनं शोचितुमर्हसि ॥२६॥

atha cainaṁ nitya-jātaṁ
nityaṁ vā manyase mṛtam

tathāpi tvaṁ mahā-bāho
nainaṁ śocitum arhasi

atha – wenn jedoch; ca – auch; enam – diese Seele; nitya-jātam – immer geboren; nityam – für immer; – entweder; manyase – so denken; mṛtam – tot; tathāpi – trotzdem; tvam – du; mahā-bāho – O Starkarmiger; na – niemals; enam – die Seele; śocitum – wehklagen; arhasi – wert sein.

ÜBERSETZUNG

O Starkarmiger, doch auch wenn du glaubst, die Seele werde ständig aufs neue geboren und sterbe immer wieder, gibt es für dich keinen Grund zu klagen.

ERKLÄRUNG

Es gibt immer Philosophen, die, ähnlich den Buddhisten, nicht glauben, daß die Seele eine vom Körper gesonderte Existenz besitzt. Als Śrī Kṛṣṇa die Bhagavad-gītā sprach, gab es Philosophen dieser Art, die als Lokāyatikas und Vaibhāṣīkas bekannt waren. Diese Philosophen vertraten die Auffassung, daß das Symptom des Lebens, die Seele, entstehe, wenn eine besonders günstige Verbindung materieller Elemente zustandekomme. Die modernen materialistischen Wissenschaftler und Philosophen denken ähnlich. Nach ihrer Ansicht ist der Körper eine Kombination physikalischer Elemente, und sie glauben, daß die Lebenssymptome auf einer gewissen Entwicklungsstufe durch die Wechselwirkung physikalischer und chemischer Elemente entstehen. Die Wissenschaft der Anthropologie gründet sich auf diese Philosophie. In neuerer Zeit sind viele Pseudo-Religionen entstanden – besonders in Amerika –, die sich dieser Philosophie und ebenso den nihilistischen, sich nicht hingebenden buddhistischen Sekten anschließen.

Auch wenn Arjuna nicht an die Existenz der Seele glaubte, wie es bei der Vaibhāṣika-Philosophie der Fall ist, hätte er dennoch keinen Grund zur Klage gehabt. Niemand jammert um den Verlust einer Masse Chemikalien und hört auf, seine vorgeschriebene Pflicht zu erfüllen. In der modernen Wissenschaft und im heutigen wissenschaftlichen Kriegsgeschehen werden sogar viele Tonnen Chemikalien verschwendet, um den Feind zu besiegen. Nach der Vaibhāṣika-Philosophie verschwindet die sogenannte Seele (der ātmā) beim Tod des Körpers. Arjuna hatte also in keinem Fall Grund zu klagen – ob er nun die Aussage der vedischen Schriften, die die Existenz der Seele bestätigten, akzeptierte oder nicht. Da nach der Theorie der Vaibhāṣikas in jedem Augenblick unendlich viele Lebewesen aus der Materie erzeugt werden und unendlich viele in jedem Augenblick sterben, ist es nicht notwendig, um ein solches Ereignis zu trauern. Weil Arjuna also nicht an die Wiedergeburt der Seele glaubte, gab es für ihn keinen Grund, sich vor sündhaften Reaktionen zu fürchten, die entstehen würden, wenn er seinen Großvater und seinen Lehrer tötete. Kṛṣṇa redete Arjuna hier spöttisch mit mahā-bāho (Starkarmiger) an, da zumindest Er die Theorie der Vaibhāṣikas nicht akzeptierte, die das vedische Wissen außer acht lassen. Als kṣatriya gehörte Arjuna der vedischen Kultur an, und daher war es seine Pflicht, weiterhin ihren Prinzipien zu folgen.

VERS 27

जातस्य हि ध्रुवो मृत्युर्ध्रुवं जन्म मृतस्य च ।
तस्मादपरिहार्येऽर्थे न त्वं शोचितुमर्हसि ॥२७॥

jātasya hi dhruvo mṛtyur
dhruvaṁ janma mṛtasya ca

tasmād aparihārye’rthe
na tvaṁ śocitum arhasi

jātasya – jemand, der geboren wurde; hi – sicherlich; dhruvaḥ – eine Tatsache; mṛtyuḥ – Tod; dhruvam – es ist auch eine Tatsache; janma – Geburt; mṛtasya – der Toten; ca – auch; tasmāt – daher; aparihārye – für das, was unvermeidlich ist; arthe – betreffend; na – nicht; tvam – du; śocitum – klagen; arhasi – verdienen.

ÜBERSETZUNG

Einem, der geboren wurde, ist der Tod sicher, und einem, der gestorben ist, ist die Geburt gewiß. Deshalb solltest du bei der unvermeidlichen Erfüllung deiner Pflicht nicht klagen.

ERKLÄRUNG

Die Aktivitäten des vorangegangenen Lebens bestimmen die nächste Geburt. Nachdem man einen Kreis von Lebensaktivitäten beendet hat, muß man sterben, um für den nächsten geboren zu werden. Auf diese Weise dreht sich das Rad von Geburt und Tod, ohne daß man sich davon befreien kann. Dieser Kreislauf von Geburt und Tod rechtfertigt jedoch nicht unnötiges Morden, Schlachten oder Krieg. Aber dennoch sind Gewalt und Krieg in der menschlichen Gesellschaft unvermeidliche Faktoren, um Gesetz und Ordnung aufrechtzuerhalten.

Die Schlacht von Kurukṣetra war ein unvermeidliches Ereignis, denn sie war der Wille des Höchsten, und es ist die Pflicht des kṣatriya, für die rechte Sache zu kämpfen. Warum sollte Arjuna den Tod seiner Verwandten fürchten oder darüber bekümmert sein, wenn er doch nur seine Pflichten erfüllte? Es paßte nicht zu ihm, das Gesetz zu brechen und dadurch den Reaktionen sündiger Handlungen unterworfen zu werden, die er so sehr fürchtete. Auch wenn er seine Pflicht nicht erfüllte, könnte er den Tod seiner Verwandten nicht verhindern, und da er falsch gehandelt hätte, würde er sein Ansehen verlieren.

VERS 28

अव्यक्तादीनि भूतानि व्यक्तमध्यानि भारत ।
अव्यक्तनिधनान्येव तत्र का परिदेवना ॥२८॥

avyaktādīni bhūtāni
vyakta-madhyāni bhārata
avyakta-nidhanāny eva

tatra kā paridevanā

avyaktādīni – am Anfang unmanifestiert; bhūtāni – alle, die erschaffen worden sind; vyakta – manifestiert; madhyāni – in der Mitte: bhārata – O Nachkomme Bharatas; avyakta – nicht manifestiert; nidhanāni – alle, die vernichtet werden; eva – es verhält sich alles so; tatra – daher; – was; paridevanā – klagen.

ÜBERSETZUNG

Alle erschaffenen Wesen sind am Anfang unmanifestiert, in ihrem Zwischenzustand manifestiert und wieder unmanifestiert, wenn sie vernichtet sind. Warum sollte man also klagen?

ERKLÄRUNG

Wenn man akzeptiert, daß es zwei Gruppen von Philosophen gibt – die einen, die an die Existenz der Seele glauben, und die anderen, die nicht an die Existenz der Seele glauben –, so gibt es in beiden Fällen keinen Grund zur Klage. Diejenigen, die nicht an die Existenz der Seele glauben, werden von den Anhängern der vedischen Weisheit Atheisten genannt. Selbst wenn wir um der Beweisführung willen die atheistische Theorie akzeptieren, gibt es dennoch keinen Grund zur Klage. Vor der Schöpfung sind die materiellen Elemente unmanifestiert, weil sie mit der Seele nicht verbunden sind. Aus diesem feinen Zustand der Nichtmanifestation entsteht Manifestation, ähnlich wie aus Äther Luft, aus Luft Feuer, aus Feuer Wasser und aus Wasser Erde entsteht. Aus der Erde gehen viele verschiedene Manifestationen hervor. Nehmen wir zum Beispiel einen Wolkenkratzer, der aus Erde manifestiert ist. Wenn er zerstört wird, geht er wieder in den unmanifestierten Zustand über, und letztlich bleiben nur Atome übrig. Das Gesetz der Energieerhaltung bleibt bestehen, nur sind die Dinge im Laufe der Zeit einmal manifestiert und ein anderes Mal unmanifestiert – darin liegt der Unterschied. Welchen Grund gibt es also, über den Zustand der Manifestation oder der Nichtmanifestation zu klagen? Auf irgendeine Weise sind die Dinge selbst im unmanifestierten Zustand nicht verloren. Sowohl am Anfang als auch am Ende bleiben alle materiellen Elemente unmanifestiert, und nur in ihrem Zwischenstadium sind sie manifestiert. Somit gibt es also auf der materiellen Ebene keinen wirklichen Unterschied.

Wenn wir die vedische Feststellung akzeptieren, die im achtzehnten Vers dieses Kapitels bestätigt wird (antavanta ime dehāḥ), daß nämlich die materiellen Körper im Laufe der Zeit vergänglich sind (nityasyoktāḥ śarīrīṇaḥ), daß aber die Seele ewig ist, dann sollten wir uns immer daran erinnern, daß der Körper wie ein Gewand ist – und warum sollte man den Wechsel eines Kleidungsstückes beklagen? Der materielle Körper besitzt im Verhältnis zur ewigen Seele keine wirkliche Existenz. Er ist so etwas wie ein Traum. Im Traum glauben wir vielleicht, daß wir in der Luft fliegen oder als König auf einem Streitwagen sitzen; doch wenn wir erwachen, sehen wir, daß wir weder fliegen noch auf einem Streitwagen sitzen. Die Veden fordern zur Selbstverwirklichung auf, wobei sie davon ausgehen, daß der materielle Körper nicht existiert. Daher gibt es in keinem Fall – ob man an die Existenz der Seele glaubt, oder ob man an die Existenz der Seele nicht glaubt – einen Grund, den Verlust des Körpers zu beklagen.

VERS 29

आश्चर्यवत्पश्यति कश्चिदेनमाश्चर्यवद्वदति तथैव चान्यः ।
आश्चर्यवच्चैनमन्यः शृणोति श्रुत्वाप्येनं वेद न चैव कश्चित् ॥२९॥

āścaryavat paśyati kaścid enam-
āścaryavad vadati tathaiva cānyaḥ

āścaryavac cainam anyaḥ śṛṇoti
śrutvāpy enaṁ veda na caiva kaścit

āścaryavat – wunderbar; paśyati – sehen; kaścit – einige; enam – diese Seele; āścaryavat – wunderbar; vadati – sprechen; tathā – dort; eva – gewiß; ca – auch; anyaḥ – andere; āścaryavat – wunderbar; ca – auch; enam – diese Seele; anyaḥ – andere; śṛṇoti – hören; śrutvā – gehört haben; api – selbst; enam – diese Seele; veda – wissen; na – niemals; ca – und; eva – gewiß; kaścit – irgend jemand.

ÜBERSETZUNG

Einige halten die Seele für wunderbar, einige beschreiben sie als wunderbar, und einige hören, sie sei wunderbar, wohingegen andere sie nicht im geringsten verstehen können, selbst nachdem sie von ihr gehört haben.

ERKLÄRUNG

Da die Gītopaniṣad weitgehend auf den Prinzipien der Upaniṣaden beruht, ist es nicht überraschend, diesen Vers auch in der Kaṭha Upaniṣad zu finden:

śravaṇāyāpi bahubhir yo na labhyaḥ
śṛṇvanto’pi bahavo yaḥ na vidyuḥ

āścaryo vaktā kuśalo ’sya labdhā
āścaryo jñātā kuśalānuśiṣṭaḥ

Die Tatsache, daß sich die winzig kleine Seele sowohl im Körper eines riesigen Tieres als auch im Körper eines mächtigen Banyanbaumes und sogar in den Mikroben befindet – von denen Millionen und Abermillionen nur einen Zentimeter Raum einnehmen –, ist zweifellos sehr erstaunlich. Menschen mit geringem Wissen und Menschen, die nicht enthaltsam sind, können das Wunder des individuellen, winzigen spirituellen Funkens nicht verstehen, obwohl es von der größten Autorität des Wissens erklärt wird, die selbst Brahmā, das erste Lebewesen im Universum, erleuchtete. Aufgrund einer groben, materiellen Auffassung der Dinge, können sich die meisten Menschen in diesem Zeitalter nicht vorstellen, wie ein solch kleines Bestandteil einmal so groß und ein anderes Mal so klein werden kann. Deshalb sehen die Menschen die Seele ganz richtig als etwas Wunderbares an, entweder weil sie ihre Beschaffenheit kennen oder weil diese ihnen beschrieben worden ist. Da die Menschen durch die materielle Energie in Illusion versetzt sind, sind sie so sehr mit der Befriedigung ihrer Sinne beschäftigt, daß sie sehr wenig Zeit finden, sich um Selbstverwirklichung zu bemühen, obwohl es eine Tatsache ist, daß ohne Selbstverwirklichung alle Aktivitäten im Kampf ums Dasein letzten Endes zum Scheitern verurteilt sind. Vielleicht wissen sie nicht, daß man über die Seele nachdenken und die materiellen Leiden beenden muß.

Manche Menschen, die daran interessiert sind, etwas über die Seele zu erfahren, mögen zwar Vorträge von autorisierten Sprechern hören, doch oft werden sie aufgrund ihrer Unwissenheit irregeführt und glauben, daß die Überseele und die winzig kleine Seele eins seien, ohne dabei hinsichtlich ihrer verschiedenen Größe zwischen ihnen zu unterscheiden. Es ist sehr schwierig, einen Menschen zu finden, der die Position der Seele, der Überseele, ihre betreffenden Funktionen, ihre Beziehungen zueinander und alle anderen größeren und kleineren Einzelheiten vollkommen versteht. Und es ist noch schwieriger, einen Menschen zu finden, der aus dem Wissen über die Seele wirklich vollen Nutzen gewonnen hat und die Position der Seele unter verschiedenen Gesichtspunkten beschreiben kann. Aber wenn jemand auf irgendeine Weise fähig ist, die Seele zu verstehen, ist sein Leben erfolgreich. Der einfachste Vorgang, das Selbst zu erkennen, besteht darin, die Aussagen der Bhagavad-gītā, die von der größten Autorität, Śrī Kṛṣṇa, gesprochen wurde, zu akzeptieren, ohne sich dabei von anderen Theorien ablenken zu lassen. Aber es erfordert auch ein hohes Maß an Bußen und Opfern, entweder in diesem Leben oder im vorangegangen, bevor man fähig ist, Kṛṣṇa als den Höchsten Persönlichen Gott zu akzeptieren. Kṛṣṇa kann jedoch durch die grundlose Barmherzigkeit des reinen Gottgeweihten als solcher erkannt werden – und auf keine andere Weise.

VERS 30

देही नित्यमवध्योऽयं देहे सर्वस्य भारत ।
तस्मात्सर्वाणि भूतानि न त्वं शोचितुमर्हसि ॥३०॥

dehī nityam avadhyo’yaṁ
dehe sarvasya bhārata

tasmāt sarvāṇi bhūtāni
na tvaṁ śocitum arhasi

dehī – der Besitzer des materiellen Körpers; nityam – ewiglich; avadhyaḥ – kann nicht getötet werden; ayam – diese Seele; dehe – im Körper; sarvasya – von jedem; bhārata – O Nachkomme Bharatas; tasmāt – daher; sarvāṇi – alle; bhūtāni – Lebewesen (die geboren sind); na – niemals; tvam – du selbst; śocitum – klagen; arhasi – verdient.

ÜBERSETZUNG

O Nachkomme Bharatas, die Seele im Körper ist ewig und kann niemals getötet werden. Daher brauchst du um kein Lebewesen zu trauern.

ERKLÄRUNG

Hiermit beendet der Herr Seine Unterweisungen über die unveränderliche Seele. Indem Er die unsterbliche Seele auf verschiedene Weise beschreibt, erhärtet Er die Tatsache, daß die Seele unsterblich und der Körper zweiteilig ist. Arjuna war ein kṣatriya, und deshalb sollte er nicht aus Furcht, daß sein Großvater und sein Lehrer – Bhīṣma und Droṇa – in der Schlacht sterben würden, seine Pflicht aufgeben. Man muß aufgrund der Autorität Śrī Kṛṣṇas glauben, daß es eine Seele gibt und daß diese Seele vom materiellen Körper völlig verschieden ist. Man sollte nicht eine Theorie akzeptieren, die besagt, daß es keine Seele gibt, und daß die Lebenssymptome auf einer gewissen Entwicklungsstufe durch die günstige Verbindung materieller Elemente entstehen. Obwohl die Seele unsterblich ist, wird Gewalt nicht befürwortet; doch es wird, wenn es wirklich notwendig ist, nicht davon abgeraten, sie im Krieg anzuwenden. Diese Notwendigkeit muß jedoch durch den Willen des Herrn gerechtfertigt werden, und nicht durch unser Gutdünken.

VERS 31

स्वधर्ममपि चावेक्ष्य न विकम्पितुमर्हसि ।
धर्म्याद्धि युद्धाच्छ्रेयोऽन्यत्क्षत्रियस्य न विद्यते ॥३१॥

svadharmam api cāvekṣya
na vikampitum arhasi

dharmyāddhi yuddhāc chreyo’nyat
kṣatriyasya na vidyate

svadharmam – die eigenen religiösen Prinzipien; api – auch; ca – tatsächlich; avekṣya – angesichts; na – niemals; vikampitum – zögern; arhasi – du verdienst; dharmyāt – von religiösen Prinzipien; hi – tatsächlich; yuddhāt – kämpfen; śreyaḥ – bessere Beschäftigung; anyat – irgend etwas anderes; kṣatriyasya – des kṣatriya; na – nicht; vidyate – existiert.

ÜBERSETZUNG

Angesichts deiner Pflicht als kṣatriya solltest du wissen, daß es für dich keine bessere Beschäftigung gibt, als auf der Grundlage religiöser Prinzipien zu kämpfen. Daher hast du keinen Grund zu zögern.

ERKLÄRUNG

Von den vier Einteilungen des sozialen Lebens wird die zweite Stufe, die für eine gute Verwaltung zuständig ist, kṣatriya genannt. Kṣat bedeutet Verletzung. Wer Schutz vor Unrecht gewährt, wird kṣatriya genannt (trayate – Schutz gewähren). Die kṣatriyas werden im Wald darin ausgebildet zu töten. Früher ging ein kṣatriya in den Wald und forderte einen Tiger heraus, um ihn mit seinem Schwert zu bekämpfen. Wenn der Tiger getötet war, wurde er entsprechend der königlichen Anordnung der Verbrennung übergeben. Dieses System ist bis zum heutigen Tage von den kṣatriya-Königen des Staates Jaipur beibehalten worden. Weil religiöse Gewalt manchmal notwendig ist, werden die kṣatriyas besonders darin ausgebildet, herauszufordern und zu töten. Deshalb sind kṣatriyas nicht dazu bestimmt, direkt die Stufe des sannyāsa (der Entsagung) anzunehmen. Gewaltlosigkeit kann in der Politik eine Diplomatie sein, aber sie ist niemals ein Faktor oder ein Prinzip. In den religiösen Gesetzbüchern wird dies bestätigt:

āhaveṣu mitho’nyonyaṁ jighāṁsanto mahīkṣitaḥ
yuddhamānāḥ paraṁ śaktyā svargaṁ yānty aparāṅmukhāḥ
yajñeṣu paśavo brahman hanyante satataṁ dvijaiḥ
saṁskṛtāḥ kila mantraiś ca te’pi svargam avāpnuvan.

„Auf dem Schlachtfeld kann ein König oder kṣatriya, der in einer gerechten Sache gegen einen anderen König kämpft, durch seinen Tod die himmlischen Planeten erreichen. In ähnlicher Weise können auch die brāhmaṇas die himmlischen Planeten erreichen, indem sie Tiere im Opferfeuer opfern.“

Wenn daher in einer Schlacht auf der Grundlage religiöser Prinzipien getötet wird, oder wenn Tiere im Opferfeuer getötet werden, gilt dies keinesfalls als Gewalttat; denn jeder der Beteiligten zieht aus den mit einbezogenen religiösen Prinzipien seinen Nutzen. Das geopferte Tier erhält augenblicklich die menschliche Form des Lebens, ohne sich dem allmählichen Evolutionsprozeß von einer Lebensform zur anderen unterziehen zu müssen, und wie die brāhmaṇas, die dieses Opfer darbringen, so erreichen auch die kṣatriyas, die auf dem Schlachtfeld getötet werden, die himmlischen Planeten.

Es gibt zwei Arten von svadharmas (besonderen Pflichten). Solange man nicht befreit ist, muß man, um Befreiung zu erlangen, die Pflichten erfüllen, die dem jeweiligen Körper, in dem man sich befindet, in Entsprechung zu den religiösen Prinzipien vorgeschrieben sind. Wenn man befreit ist, wird die svardharma – die besondere Pflicht – spirituell und befindet sich nicht mehr auf der Ebene des materiellen Körpers. Auf der körperlichen Ebene gibt es sowohl für die brāhmaṇas als auch für die kṣatriyas besondere Pflichten, und diese Pflichten sind unvermeidlich. Svardharma ist vom Herrn festgelegt, und dies wird im Vierten Kapitel deutlicher erklärt werden. Auf der körperlichen Ebene wird svardharma varṇāśrama-dharma genannt, das Sprungbrett des Menschen zu spirituellem Verstehen. Menschliche Zivilisation beginnt erst auf der Ebene des varṇāśrama-dharma, das heißt dann, wenn die Pflichten ausgeführt werden, die sich nach den jeweiligen Erscheinungsweisen der Natur richten, in denen sich der Körper befindet. Erfüllt man auf jedem Gebiet des Handelns seine besondere Pflicht in Übereinstimmung mit dem varṇāśrama-dharma, wird man auf eine höhere Stufe des Lebens gehoben.

VERS 32

यदृच्छया चोपपन्नं स्वर्गद्वारमपावृतम् ।
सुखिनः क्षत्रियाः पार्थ लभन्ते युद्धमीदृशम् ॥३२॥

yadṛcchayā copapannaṁ
svarga-dvāram apāvṛtam

sukhinaḥ kṣatriyāḥ pārtha
labhante yuddham īdṛśam

yadṛcchayā – von sich aus; ca – auch; upapannam – angekommen; svarga – himmlischer Planet; dvāram – Tor; apāvṛtam – weit offen; sukhinaḥ – sehr glücklich; kṣatriyāḥ – die Mitglieder des königlichen Standes; pārtha – O Sohn Pṛthās; labhante – erreichen; yuddham – Krieg; īdṛśam – wie dieser.

ÜBERSETZUNG

O Pārtha, glücklich sind die kṣatriyas, denen sich unverhofft solche Gelegenheiten zum Kampf bieten, da sie ihnen die Tore der himmlischen Planeten öffnen.

ERKLÄRUNG

Als höchster Lehrer verurteilt Śrī Kṛṣṇa die Haltung Arjunas, der sagte: „Ich sehe in diesem Kampf nichts Gutes. Ewiger Aufenthalt in der Hölle wird die Folge sein.“ Solche Äußerungen Arjunas waren einzig und allein die Folge seiner Unwissenheit. Er wollte bei der Erfüllung seiner besonderen Pflicht keine Gewalt anwenden. Für einen kṣatriya ist es eine törichte Philosophie, auf dem Schlachtfeld zu sein und nicht zu kämpfen. In der Parāśara-smṛti, den religiösen Gesetzen, die von Parāśara, dem großen Weisen und Vater Vyāsadevas, verfaßt wurden, wird gesagt:

kṣatriyo hi prajā rakṣan śastra-pāṇiḥ pradaṇḍayan
nirjitya parasainyādi kṣitiṁ dharmeṇa pālayet
.

„Es ist die Pflicht des kṣatriya, die Bürger vor allen auftretenden Schwierigkeiten zu schützen, und aus diesem Grunde muß er in manchen Fällen Gewalt anwenden, um Gesetz und Ordnung aufrechtzuerhalten. Daher hat er die Pflicht, die Soldaten schlechter Könige zu besiegen, um daraufhin auf der Grundlage religiöser Prinzipien zu regieren.“

Wenn man alle Gesichtspunkte in Betracht zieht, gab es für Arjuna keinen Grund, sich vom Kampf zurückzuziehen. Wenn er seine Feinde besiegte, würde er sich des Königreichs erfreuen können, und wenn er in der Schlacht sterben sollte, würde er zu den himmlischen Planeten erhoben werden, deren Tore ihm weit offen standen. Zu kämpfen würde ihm also in jedem Falle nur Gewinn bringen.

VERS 33

अथ चेत्त्वमिमं धर्म्यं संग्रामं न करिष्यसि ।
ततः स्वधर्मं कीर्त्तिञ्च हित्वा पापमवाप्स्यसि ॥३३॥

atha cet tvam imaṁ dharmyaṁ
saṅgrāmam-na kariṣyasi

tataḥ svadharmaṁ kīrtiṁ ca
hitvā pāpam avāpsyasi

atha – daher; cet – wenn; tvam – du; imam – diese; dharmyam – religiöse Pflicht; saṅgrāmam – indem du kämpfst; na – nicht; kariṣyasi – ausführen; tataḥ – dann; svadharmaṁ – deine religiöse Pflicht; kīrtim – Ruf; ca – auch; hitvā – verlierst du; pāpam – sündhafte Reaktion; avāpsyasi – gewinn.

ÜBERSETZUNG

Wenn du jedoch in diesem religiösen Krieg nicht kämpfst, wirst du ganz sicher Sünden auf dich laden, da du deine Pflichten nicht erfüllst, und so wirst du deinen Ruf als Kämpfer verlieren.

ERKLÄRUNG

Arjuna war als Kämpfer sehr berühmt, da er viele mächtige Halbgötter – selbst Śiva – im Kampfe besiegt hatte. Weil er gegen Śiva, der als Jäger verkleidet gewesen war, gekämpft und ihn besiegt hatte, hatte Arjuna den Halbgott erfreut und als Belohnung eine Waffe erhalten, die pāśupata-astra genannt wird. Jeder wußte, daß er ein großer Krieger war. Selbst Droṇācārya segnete ihn und gab ihm eine besondere Waffe, mit der er sogar ihn selbst töten konnte. Deshalb wurde er von vielen Autoritäten, sogar von seinem Adoptivvater Indra, dem König des Himmels, mit vielen militärischen Auszeichnungen geehrt. Aber wenn er die Schlacht verließe, würde er nicht nur seine Pflicht als kṣatriya vernachlässigen, sondern auch seinen guten Namen verlieren und auf diese Weise seinen Abstieg in die Hölle vorbereiten. Mit anderen Worten, Arjuna würde nicht zur Hölle fahren, weil er gekämpft, sondern weil er sich von der Schlacht zurückgezogen hätte.

VERS 34

अकीर्त्तिञ्चापि भूतानि कथयिष्यन्ति तेऽव्ययाम् ।
सम्भावितस्य चाकीर्त्तिर्मरणादतिरिच्यते ॥३४॥

akīrtiṁ cāpi bhūtāni
kathayiṣyanti te’vyayām

sambhāvitasya cākīrtir
maraṇād atiricyate

akīrtim – Ehrlosigkeit; ca – auch; api – darüber hinaus; bhūtāni – alle Menschen; kathayiṣyanti – werden sprechen; te – von dir; avyayām – für alle Zeiten; sambhāvitasya – für einen ehrbaren Mann; ca – auch; akīrtiḥ – der schlechte Ruf; maraṇāt – als der Tod; atiricyate – wird mehr als.

ÜBERSETZUNG

Die Menschen werden immer von deiner Ehrlosigkeit reden, und für jemanden, der einmal geehrt worden ist, ist Schande schlimmer als der Tod.

ERKLÄRUNG

Als Freund und auch als Philosoph fällt Śrī Kṛṣṇa nun Sein endgültiges Urteil über die Absicht Arjunas, nicht zu kämpfen. Der Herr sagt: „Arjuna, wenn du das Schlachtfeld verläßt, werden dich die Menschen schon vor deiner eigentlichen Flucht einen Feigling nennen. Und wenn du meinst, daß die Menschen dich ruhig beschimpfen können, du aber lieber dein Leben rettest, indem du vom Schlachtfeld fliehst, so rate ich dir, lieber in der Schlacht zu sterben. Für einen ehrbaren Mann wie dich ist Schande schlimmer als der Tod. Deshalb solltest du nicht aus Angst um dein Leben fliehen, sondern lieber in der Schlacht sterben. Das wird dich vor der Schande bewahren, Meine Freundschaft mißbraucht zu haben, und dein Ansehen in der Gesellschaft retten.“

Das endgültige Urteil des Herrn bedeutete für Arjuna also, in der Schlacht zu sterben, und nicht, sich von ihr zurückzuziehen.

VERS 35

भयाद्रणादुपरतं मंस्यन्ते त्वां महारथाः ।
येषाञ्च त्वं बहुमतो भूत्वा यास्यसि लाघवम् ॥३५॥

bhayād raṇād uparataṁ
maṁsyante tvāṁ mahā-rathāḥ

yeṣāṁ ca tvaṁ bahu-mato
bhūtvā yāsyasi lāghavam

bhayāt – aus Furcht; raṇāt – vom Schlachtfeld; uparatam – beendet; maṁsyante – werden denken; tvām – du; mahā-rathāḥ – die großen Generäle; yeṣām – von denen, die; ca – auch; tvam – du; bahu-mataḥ – in hoher Wertschätzung; bhūtvā – werden; yāsyasi – werden gehen; lāghavam – Wert verlieren.

ÜBERSETZUNG

Die großen Generäle, die deinen Namen und Ruhm hoch geehrt haben, werden denken, du habest das Schlachtfeld nur aus Furcht verlassen, und dich deshalb einen Feigling nennen.

ERKLÄRUNG

Śrī Kṛṣṇa fährt fort, Arjuna Seine Entscheidung zu erklären: „Glaube nicht, daß die großen Generäle wie Duryodhana, Karṇa und andere denken werden, du habest das Schlachtfeld aus Mitleid mit deinen Brüdern und deinem Großvater verlassen. Sie werden glauben, du seist aus Angst um dein Leben geflohen, und so wird ihre hohe Wertschätzung deiner Persönlichkeit ins Gegenteil umschlagen.“

VERS 36

अवाच्यवादांश्च बहून्वदिष्यन्ति तवाहिताः ।
निन्दन्तस्तव सामर्थ्यं ततो दुःखतरं नु किम् ॥३६॥

avācya-vādāṁś ca bahūn
vadiṣyanti tavāhitāḥ

nindantas tava sāmarthyaṁ
tato duḥkhataraṁ nu kim

avācya – unfreundlich; vādān – erlogene Worte; ca – auch; bahūn – viele; vadiṣyanti – werden sagen; tava – deine; ahitāḥ – Feinde; nindantaḥ – während sie herabwürdigen; tava – deine; sāmarthyam – Fähigkeit; tataḥ – danach; duḥkhataram – schmerzlicher; nu – selbstverständlich; kim – was ist dort.

ÜBERSETZUNG

Deine Feinde werden schlecht über dich reden und deine Fähigkeiten verspotten. Was könnte schmerzlicher für dich sein?

ERKLÄRUNG

Śrī Kṛṣṇa war zu Anfang über Arjunas ungerufenes Mitleid verwundert und sagte, sein Mitleid sei den Nicht-Āryans angemessen. Mit vielen Worten hat Er Seine Einwände gegen Arjunas sogenanntes Mitleid erläutert.

VERS 37

हतो वा प्रप्स्यसि स्वर्गं जित्वा वा भोक्ष्यसे महीम् ।
तस्मादुत्तिष्ठ कौन्तेय युद्धाय कृतनिश्चयः ॥३७॥

hato vā prāpsyasi svargaṁ
jitvā vā bhokṣyase mahīm

tasmād uttiṣṭha kaunteya
yuddhāya kṛta niścayaḥ

hataḥ – getötet werden; – entweder; prāpsyasi – du gewinnst; svargam – das himmlische Königreich; jitvā – indem du besiegst; – oder; bhokṣyase – du genießt; mahīm – die Welt; tasmāt – daher; uttiṣṭha – erhebe dich; kaunteya – O Sohn Kuntīs; yuddhāya – zu kämpfen; kṛta – Entschlossenheit; niścayaḥ – Ungewißheit.

ÜBERSETZUNG

O Sohn Kuntīs, entweder wirst du auf dem Schlachtfeld getötet werden und die himmlischen Planeten erreichen, oder du wirst siegen und so das irdische Königreich genießen. Erhebe dich daher, und kämpfe mit Entschlossenheit.

ERKLÄRUNG

Obwohl es nicht sicher war, daß Arjunas Seite siegen würde, mußte er dennoch kämpfen; denn wenn er getötet würde, konnte er zumindest zu den himmlischen Planeten erhoben werden.

VERS 38

सुखदुःखे समे कृत्वा लाभालाभौ जयाजयौ ।
ततो युद्धाय युज्यस्व नैवं पापमवाप्स्यसि ॥३८॥

sukha-duḥkhe same kṛtvā
lābhālābhau jayājayau

tato yuddhāya yujyasva
naivaṁ pāpam avāpsyasi

sukha – Glück; duḥkhe – im Leid; same – in Gleichmut; kṛtva – indem du so handelst; lābhālābhau – bei Verlust und Gewinn; jayājayau – bei Niederlage und Sieg; tataḥ – danach; yuddhāya – um des Kampfes willen; yujyasva – kämpfe; na – niemals; evam – auf diese Weise; pāpam – sündhafte Reaktion; avāpsyasi – du wirst gewinnen.

ÜBERSETZUNG

Kämpfe um des Kampfes willen, und laß dich von Glück oder Leid, Verlust oder Gewinn, Sieg oder Niederlage nicht beirren. Auf diese Weise wirst du keine Sünde auf dich laden.

ERKLÄRUNG

Śrī Kṛṣṇa sagte zu Arjuna ganz offen, er solle um des Kampfes willen kämpfen, da die Schlacht Sein Wille sei. Bei Aktivitäten im Kṛṣṇa-Bewußtsein fragt man nicht nach Glück oder Leid, Verlust oder Gewinn, Sieg oder Niederlage. Transzendentales Bewußtsein bedeutet, daß alle Handlungen für Kṛṣṇa ausgeführt werden; auf diese Weise folgen keine Reaktionen auf materielle Aktivitäten. Ein Mensch, der in der Erscheinungsweise der Reinheit oder Leidenschaft versucht, seine eigenen Sinne zu befriedigen, ist den guten oder schlechten Reaktionen ausgeliefert. Aber einer, der sich den Aktivitäten im Kṛṣṇa-Bewußtsein vollkommen hingegeben hat, ist niemandem mehr verpflichtet, noch muß er irgendeine Schuld begleichen, wie es bei den Aktivitäten im materiellen Leben üblich ist. Es wird gesagt:

devarṣi-bhūtāpta-nṛṇāṁ pitṝṇāṁ
na kiṅkaro nāyamṛṇī ca rājan

sarvātmanā yaḥ śaraṇaṁ śaraṇyaṁ
gato mukundam parihṛtya kartam

„Jeder, der sich Kṛṣṇa, Mukunda, vollkommen hingegeben und alle anderen Pflichten aufgegeben hat, ist niemandem mehr verpflichtet oder irgend jemandem etwas schuldig – weder den Halbgöttern noch den Weisen, noch den Mitmenschen, noch den Verwandten, noch der Menschheit, noch den Vorvätern.“ (Bhāg. 11.5.41)

Das ist der indirekte Hinweis, den Kṛṣṇa Arjuna in diesem Vers gibt, und in den folgenden Versen wird dies eingehender erklärt werden.

VERS 39

एषा तेऽभिहिता साङ्ख्ये बुद्धिर्योगे त्विमां शृणु ।
बुद्ध्या युक्तो यया पार्थ कर्मबन्धं प्रहास्यसि ॥३९॥

eṣā te’bhihitā sāṅkhye
buddhir yoge tv imāṁ śṛṇu

buddhyā yukto yayā pārtha
karma-bandhaṁ prahāsyasi

eṣā – all diese; te – dir; abhihitā – beschrieben; śāṅkhye – durch analytisches Studium; buddhiḥ – Intelligenz; yoge – Arbeit ohne fruchttragendes Ergebnis; tu – aber; imām – dies; śṛṇu – höre nur; buddhyā – durch Intelligenz; yuktaḥ – in Einklang gebracht; yayā – durch was; pārtha – O Sohn Pṛthās; karma-bandham – Fessel der Reaktion; prahāsyasi – du kannst befreit werden von.

ÜBERSETZUNG

Bisher habe Ich dir das analytische Wissen von der sāṅkhya-Philosophie erklärt. Höre nun von dem yoga, bei dem man auf die Früchte seiner Arbeit verzichtet. O Sohn Pṛthās, wenn du mit solcher Intelligenz handelst, kannst du dich von der Fessel der Reaktionen befreien.

ERKLÄRUNG

Nach dem Nirukti, dem vedischen Wörterbuch, bedeutet saṅkhya: das, was die Erscheinungen in allen Einzelheiten beschreibt; diese saṅkhya-Philosophie beschreibt die wahre Natur der Seele. Yoga bedeutet Kontrolle über die Sinne. Arjunas Entschluß, nicht zu kämpfen, hatte seine Ursache in dem Verlangen nach Sinnesbefriedigung. Er vergaß seine Pflicht und wollte aufhören zu kämpfen, denn er glaubte, er werde glücklicher, wenn er seine Familienangehörigen und Verwandten nicht tötete, als wenn er sich eines Königreiches erfreute, für das er seine Vettern und Brüder – die Söhne Dhṛtarāṣṭras – töten müßte. In beiden Fällen handelte er mit dem Ziel, seine Sinne zu befriedigen. Glück, das man erfährt, wenn man die Verwandten besiegt, und Glück, das man erfahren wird, wenn man sie lebend sieht, befindet sich auf der Ebene persönlicher Sinnesbefriedigung, da man dabei weises Handeln und die Erfüllung der Pflicht aufgibt. Deshalb wollte Kṛṣṇa Arjuna erklären, daß er die Seele nicht töten würde, wenn er den Körper seines Großvaters erschlüge, und Er machte ihm klar, daß alle individuellen Personen, einschließlich des Herrn Selbst, ewige Individuen seien – sie seien Individuen in der Vergangenheit gewesen, sie seien Individuen in der Gegenwart, und sie würden auch in der Zukunft Individuen bleiben; denn wir alle sind ewiglich individuelle Seelen und wechseln nur unser körperliches Gewand auf verschiedene Weise. Aber selbst nachdem wir von den Fesseln des materiellen Körpers befreit sind behalten wir unsere Individualität bei. In einem analytischen Studium ist das Wesen der Seele und des Körpers von Śrī Kṛṣṇa bereits sehr sorgfältig erklärt worden. Und dieses Wissen, das die Seele und den Körper von verschiedenen Gesichtspunkten her beschreibt, ist in Übereinstimmung mit dem Nirukti-Wörterbuch hier als sāṅkhya bezeichnet worden. Dieser sāṅkhya hat mit der sāṅkhya-Philosophie des Atheisten Kapila nichts zu tun. Lange bevor der Betrüger Kapila seine sāṅkhya-Philosophie aufstellte, war die sāṅkhya-Philosophie, wie im Śrīmad-Bhāgavatam beschrieben wird, von dem wirklichen Kapila, einer Inkarnation Śrī Kṛṣṇas, seiner Mutter Devahūti ausführlich erklärt worden. Es wird von Ihm eindeutig erklärt, daß der Puruṣa (der Höchste Herr) aktiv ist und daß Er erschafft, indem Er über die prakṛti (die materielle Natur) blickt. Diese Wahrheit wird in den Veden und in der Gītā akzeptiert. Die Beschreibung in den Veden deutet darauf hin, daß der Herr über die prakṛti blickte und sie mit zahllosen individuellen Seelen schwängerte. All diese Individuen handeln in der materiellen Welt, um ihre Sinne zu befriedigen, und unter dem Zauber der materiellen Energie glauben sie zu genießen. Diese Geisteshaltung findet ihren Höhepunkt in dem Wunsch nach Befreiung, wenn das Lebewesen mit dem Höchsten Herrn eins werden will. Das ist die letzte Falle māyās, der Illusion, die Sinne befriedigen zu können, und nur nach vielen, vielen Leben, die mit einer solchen, illusorischen Sinnesbefriedigung verschwendet wurden, gibt sich eine große Seele Vāsudeva, Kṛṣṇa, hin und gelangt so an das Ende ihrer Suche nach der endgültigen Wahrheit.

Arjuna hat Kṛṣṇa bereits als seinen geistigen Meister akzeptiert, da er sich Ihm hingegeben hat: śiṣyas te ’haṁ śādhi māṁ tvāṁ prapannam. Daher will Kṛṣṇa ihn nun die Prinzipien des buddhi-yoga bzw. karma-yoga lehren, oder mit anderen Worten: Er will ihn im hingebungsvollen Dienen unterweisen, bei dem es das einzige Ziel ist, die Sinne des Herrn zufriedenzustellen. Im zehnten Vers des Zehnten Kapitels wird deutlich erklärt, daß buddhi-yoga die direkte Verbindung mit dem Herrn bedeutet, der als Paramātmā im Herzen jedes Lebewesens weilt. Eine solche Verbindung kann jedoch nicht ohne hingebungsvolles Dienen stattfinden. Wer daher im hingebungsvollen bzw. transzendentalen liebenden Dienst des Herrn verankert oder, mit anderen Worten, Kṛṣṇa-bewußt ist, erreicht durch die besondere Gnade des Herrn diese Stufe des buddhi-yoga. Der Herr sagt deshalb, daß Er nur diejenigen mit dem reinen Wissen der liebenden Hingabe beschenkt, die Ihm in transzendentaler Liebe hingegeben dienen. Auf diese Weise kann der Gottgeweihte Ihn sehr leicht im ewig glückseligen Königreich Gottes erreichen.

Somit bedeutet der buddhi-yoga, von dem in diesem Vers die Rede ist, hingebungsvolles Dienen für den Herrn; das Wort sāṅkhya, das hier erwähnt ist, hat nichts mit dem atheistischen sāṅkhya-yoga zu tun, der vom Betrüger Kapila aufgestellt wurde. Man sollte daher den sāṅkhya-yoga, der hier erwähnt wird, auf keinen Fall mit dem atheistischen sāṅkhya verwechseln. Auch hatte diese Philosophie in der damaligen Zeit überhaupt keinen Einfluß, und Śrī Kṛṣṇa würde niemals solche gottlosen philosophischen Spekulationen erwähnt haben.

Wirkliche sāṅkhya-Philosophie wird von Kapila, dem Herrn, im Śrīmad-Bhāgavatam beschrieben, aber selbst dieser sāṅkhya hat nichts mit den hier behandelten Themen zu tun. Hier bedeutet sāṅkhya die analytische Beschreibung des Körpers und der Seele. Śrī Kṛṣṇa gab eine analytische Beschreibung der Seele, um Arjuna zu buddhi-yoga bzw. bhakti-yoga hinzuführen. Deshalb ist Śrī Kṛṣṇas sāṅkhya und Kapilas sāṅkhya, wie er im Bhāgavatam beschrieben wird, ein und dasselbe. Beides ist bhakti-yoga. Kṛṣṇa sagt daher, daß nur die weniger intelligenten Menschen zwischen sāṅkhya-yoga und bhakti-yoga unterscheiden würden.

Natürlich hat atheistischer sāṅkhya-yoga nichts mit bhakti-yoga zu tun, aber dennoch behaupten unintelligente Menschen, die Bhagavad-gītā beziehe sich auf den atheistischen sāṅkhya-yoga. Man sollte daher wissen, daß buddhi-yoga bedeutet, seine Aktivitäten im Kṛṣṇa-Bewußtsein auszuführen, das heißt in der vollkommenen Glückseligkeit und dem allumfassenden Wissen des hingebungsvollen Dienens. Wer ausschließlich für die Zufriedenstellung des Herrn handelt, ganz gleich wie schwierig seine Tätigkeit auch sein mag, handelt daher nach den Prinzipien des buddhi-yoga und befindet sich somit immer in transzendentaler Glückseligkeit. Durch solche transzendentalen Aktivitäten erreicht ein solcher Mensch durch die Gnade des Herrn automatisch alle transzendentalen Eigenschaften, und daher ist seine Befreiung in sich selbst vollkommen, ohne daß dabei außergewöhnliche Anstrengungen zum Erreichen von Wissen erforderlich wären. Es besteht ein großer Unterschied zwischen Aktivitäten im Kṛṣṇa-Bewußtsein und Arbeit um der Früchte willen; besonders, wenn das Ziel Sinnesbefriedigung bzw. familiäres oder materielles Glück ist. Die transzendentalen Aktivitäten, die wir ausführen, werden daher buddhi-yoga genannt.

VERS 40

नेहाभिक्रमनाशोऽस्ति प्रत्यवायो न विद्यते ।
स्वल्पमप्यस्य धर्मस्य त्रायते महतो भयात् ॥४०॥

nehābhikrama-nāśo’sti
pratyavāyo na vidyate

svalpam apy asya dharmasya
trāyate mahato bhayāt

na – es gibt nicht; iha – in dieser Welt; abhikrama – Bemühung; nāśaḥ – Verlust; asti – es gibt; pratyavāyaḥ – Nachlassen; na – niemals; vidyate – es gibt; svalpam – wenig; api – obwohl; asya – daran; dharmasya – von dieser Beschäftigung; trāyate – befreit; mahataḥ – von sehr großer; bhayāt – von Gefahr.

ÜBERSETZUNG

Bei diesem Bemühen gibt es keinen Verlust und kein Nachlassen, und schon ein wenig Fortschritt auf diesem Pfad kann einen Menschen vor der größten Gefahr bewahren.

ERKLÄRUNG

Aktivität im Kṛṣṇa-Bewußtsein, das heißt für das Wohl Kṛṣṇas zu handeln, ohne Sinnesbefriedigung zu erwarten, ist die höchste transzendentale Tätigkeit. Schon eine kleine Bemühung in solcher Aktivität kann weder aufgehalten werden noch auf irgendeiner Stufe jemals wieder verloren gehen. Jede Arbeit, die auf der materiellen Ebene begonnen wird, muß zu Ende geführt werden, denn sonst ist das ganze Unternehmen ein Fehlschlag. Aber jede Tätigkeit, die im Kṛṣṇa-Bewußtsein angefangen wird, hat eine für immer andauernde Wirkung, selbst wenn sie nicht zu Ende geführt wird. Wer eine solche Arbeit verrichtet, verliert daher nichts dabei, selbst wenn sie unvollendet bleibt. Selbst wenn man nur ein Prozent der Aktivität im Kṛṣṇa-Bewußtsein ausführt, sind bleibende Ergebnisse die Folge, so daß man das nächste Mal bei zwei Prozent weitermachen kann, wohingegen es bei materiellen Aktivitäten ohne hundertprozentigen Erfolg keinen Gewinn gibt. Ajāmila führte seine Pflicht nur zu einem kleinen Teil im Kṛṣṇa-Bewußtsein aus, aber das Ergebnis, an dem er sich durch die Gnade des Herrn am Ende erfreuen konnte, war ein hundertprozentiger Erfolg. In diesem Zusammenhang findet man im Śrīmad-Bhāgavatam einen sehr schönen Vers:

tyaktvā sva-dharmaṁ caraṇāmbujaṁ harer
bhajan na pakko ’tha patet tato yadi

yatra kva vābhadram abhūd amuṣya kiṁ
ko vārtha āpto ’bhajatāṁ sva-dharmataḥ

„Wenn jemand es aufgibt, der Befriedigung seiner Sinne nachzujagen, im Kṛṣṇa-Bewußtsein handelt und daraufhin wieder zurückfällt, weil er seine Arbeit nicht zu Ende geführt hat, verliert er nichts dabei. Wer jedoch nicht im Kṛṣṇa Bewußtsein handelt, kann nichts gewinnen – auch wenn er seine materiellen Aktivitäten in vollkommener Weise ausführt.“ (Bhāg. 1. 5. 17)

Oder wie es die Christen ausdrücken: „Was nützte es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewänne, aber an seiner ewigen Seele Schaden nähme?“

Materielle Aktivitäten und ihre Ergebnisse enden mit dem Körper. Aktivitäten im Kṛṣṇa-Bewußtsein jedoch führen einen Menschen, selbst nachdem er seinen gegenwärtigen Körper aufgegeben hat, wieder zum Kṛṣṇa-Bewußtsein zurück. Zumindest ist es sicher, daß man in seinem nächsten Leben entweder in der Familie eines hochgebildeten brāhmaṇa oder in einer reichen aristokratischen Familie wieder als Mensch geboren wird, wodurch man eine weitere Gelegenheit erhält, Fortschritte zu machen. Dies ist die einzigartige Eigenschaft der Arbeit, die im Kṛṣṇa-Bewußtsein verrichtet wird.

VERS 41

व्यवसायात्मिका बुद्धिरेकेह कुरुनन्दन ।
बहुशाखा ह्यनन्ताश्च बुद्धयोऽव्यवसायिनाम् ॥४१॥

vyavasāyātmikā buddhir
ekeha kuru-nandana

bahu-śākhā hy anantāś ca
buddhayo’vyavasāyinām

vyavasāyātmikā – entschlossenes Kṛṣṇa-Bewußtsein; buddhiḥ – Intelligenz; ekā – nur eines; iha – in dieser Welt; kuru-nandana – O geliebtes Kind der Kurus; bahu-śākhāḥ – verschiedene Zweige; hi – tatsächlich; anantāḥ – unbegrenzt; ca – auch; buddhayaḥ – Intelligenz; avyavasāyinām – von denen, die nicht im Kṛṣṇa-Bewußtsein sind.

ÜBERSETZUNG

Diejenigen, die sich auf diesem Pfad befinden, sind entschlossen in ihrem Vorhaben, und ihr Ziel ist eins. O geliebtes Kind der Kurus, die Intelligenz der Unentschlossenen jedoch ist vielverzweigt.

ERKLÄRUNG

Festes Vertrauen im Kṛṣṇa-Bewußtsein und die Gewißheit, daß man zur höchsten Vollkommenheit des Lebens erhoben werden wird, wird vyavasāyātmikā-Intelligenz genannt. Im Caitanya-caritāmṛta heißt es:

‘śraddhā’-śabde viśvāsa kahe sudṛdha niścaya
kṛṣṇe bhakti kaile sarva-karma kṛta haya

„Glaube bedeutet unerschütterliches Vertrauen in etwas Erhabenes. Wenn man die Pflichten im Kṛṣṇa-Bewußtseins erfüllt, braucht man nicht den Verpflichtungen nachzukommen, die man in der materiellen Welt gegenüber der Familie, der Menschheit oder der Nation hat.“

Fruchtbringende Aktivitäten sind die Handlungen, die aus den Reaktionen auf gute oder schlechte Taten des vorangegangenen Lebens hervorgehen. Wenn man Kṛṣṇa-bewußt ist, braucht man sich bei seinen Aktivitäten nicht länger um gute Ergebnisse zu bemühen. Wenn man im Kṛṣṇa-Bewußtsein verankert ist, befinden sich alle Aktivitäten auf der absoluten Ebene, da sie nicht länger Dualitäten wie gut und schlecht unterworfen sind. Die höchste Vollkommenheit des Kṛṣṇa-Bewußtseins bedeutet, der materiellen Lebensauffassung zu entsagen. Wenn man Fortschritte im Kṛṣṇa-Bewußtsein macht, wird diese Stufe automatisch erreicht. Die Entschlossenheit eines Menschen im Kṛṣṇa-Bewußtsein beruht auf der Erkenntnis, daß Vāsudeva bzw. Kṛṣṇa die Wurzel aller manifestierten Ursachen ist (,,Vāsudevaḥ sarvam iti sa mahātmā sudurlabhaḥ“). Ähnlich wie man den Blättern und Zweigen eines Baumes dient, wenn man die Wurzel begießt, so kann man allen Menschen – sich selbst, der Familie, der Gesellschaft, dem Land usw. – den höchsten Dienst erweisen, wenn man durch seine Handlungen Kṛṣṇa zufriedenstellt.

Das Dienen im Kṛṣṇa-Bewußtsein kann jedoch am besten unter der wissenden Führung eines geistigen Meisters, der ein echter Repräsentant Kṛṣṇas ist, ausgeführt werden. Er kennt das Wesen seines Schülers und kann ihn so führen, daß er im Kṛṣṇa-Bewußtsein handelt. Daher muß man, um im Kṛṣṇa-Bewußtsein Fortschritte zu machen, festentschlossen handeln, dem Repräsentanten Kṛṣṇas, dem echten geistigen Meister, folgen und seine Unterweisung als Lebensaufgabe ansehen. Śrīla Viśvanātha Cakravartī Thākura lehrt uns in seinen berühmten Gebeten zum geistigen Meister:

yasya prasādād bhagavat-prasādo
yasyāprasādānna gatiḥ kuto’pi

dhyāyaṁ stuvams tasya yaśas tri-sandhyam
vande guroḥ śrī-caraṇāravindam.

„Wenn man den geistigen Meister zufriedenstellt, wird der Höchste Persönliche Gott erfreut. Wenn man den geistigen Meister jedoch nicht zufriedenstellt, ist es nicht möglich, auf die Ebene des Kṛṣṇa-Bewußtseins erhoben zu werden. Ich sollte daher über meinen geistigen Meister meditieren, dreimal täglich um seine Barmherzigkeit bitten und ihm meine respektvollen Ehrerbietungen darbringen.“

Der Vorgang des hingebungsvollen Dienens hängt jedoch vom vollkommenen Wissen von der Seele ab, das transzendental zum körperlichen Bewußtsein ist. Dieses Wissen kann nur verwirklicht werden, wenn man nicht mehr versucht, die Sinne durch fruchtbringende Aktivitäten zu befriedigen. Wer den Geist jedoch nicht kontrollieren kann, wird von den unterschiedlichsten Arten fruchtbringender Handlungen angezogen und abgelenkt.

VERS 4243

यामिमां पुष्पितां वाचं प्रवदन्त्यविपश्चितः ।
वेदवादरताः पार्थ नान्यदस्तीति वादिनः ॥४२॥

कामात्मानः स्वर्गपरा जन्मकर्मफलप्रदाम् ।
क्रियाविशेषबहुलां भोगैश्वर्यगतिं प्रति ॥४३॥

yām imāṁ puṣpitāṁ vācaṁ
pravadanty avipaścitaḥ

veda-vāda-ratāḥ pārtha
nānyad astīti vādinaḥ

kāmātmānaḥ svarga-parā
janma-karma-phala-pradām

kriyā-viśeṣa-bahulāṁ
bhogaiśvarya-gatiṁ prati

yām imām – all diese; puṣpitām – blumigen; vācam – Worte; pravadanti – sagen; avipaścitaḥ – Menschen mit einem geringen Maß an Wissen; veda-vāda-ratāḥ – diejenigen, die angeblich den Veden folgen; pārtha – O Sohn Pṛthās; na – niemals; anyat – irgend etwas anderes; asti – gibt es; iti – dieses; vādinaḥ – befürworten; kāma-ātmānaḥ – begierig nach Sinnesbefriedigung; svarga-parāḥ – danach streben, himmlische Planeten zu erreichen; janma-karma-phala-pradām – woraus sich fruchtbringende Handlungen, eine gute Geburt usw. ergeben; kriyā-viśeṣa – pompöse Zeremonien; bahulām – verschiedene; bhoga – Sinnesgenuß; aiśvarya – Reichtum; gatim – Fortschritt; prati – hin zu.

ÜBERSETZUNG

Menschen mit geringem Wissen lassen sich von den blumigen Worten der Veden betören, die ihnen verschiedene fruchtbringende Aktivitäten zur Erhebung zu höheren Planeten empfehlen, wo eine gute Geburt, Macht und himmlische Freuden auf sie warten. Da sie nach Sinnesbefriedigung und einem Leben in Hülle und Füße begehren, sagen sie, es gebe nichts, was darüber hinausgehe.

ERKLÄRUNG

Die meisten Menschen sind nicht sehr intelligent, und aufgrund ihrer Unwissenheit haften sie sehr an fruchtbringenden Aktivitäten, die im karma-kāṇda Teil der Veden empfohlen werden. Sie wünschen nichts mehr als die Erfüllung ihres Verlangens, die Sinne in einem Leben auf himmlischen Planeten zu genießen, wo ihnen viel Wein und Frauen zur Verfügung stehen und materieller Überfluß selbstverständlich ist. In den Veden werden viele Opfer, darunter ganz besonders die jyotiṣṭoma-Opferungen empfohlen, durch die man zu den himmlischen Planeten aufsteigen kann. Es wird dort gesagt, daß jeder, der zu den himmlischen Planeten erhoben werden will, diese Opferung ausführen muß, und Menschen mit geringem Wissen glauben, dies sei der Sinn und Zweck der vedischen Weisheit. Solchen unerfahrenen Menschen fällt es sehr schwer, die Entschlossenheit aufzubringen, im Kṛṣṇa-Bewußtseins zu handeln. Wie Toren von den Blüten giftiger Bäume angezogen werden, ohne die Folgen solcher Reize zu kennen, so werden auch verblendete Menschen vom himmlischen Überfluß und der damit verbundenden Sinnesfreude verlockt.

Im karma-kāṇḍa-Teil der Veden wird gesagt, daß diejenigen, die sich die vier monatlichen Bußen auferlegen, die Gelegenheit erhalten, den somarasa-Saft zu trinken, der sie für immer unsterblich und glücklich machen soll. Selbst auf der Erde sind einige Menschen sehr bestrebt, diesen somarasa-Trank zu bekommen, damit sie stark und gesund werden, um ihre Sinne nach Herzenslust genießen zu können. Solche Menschen glauben nicht an die Befreiung von der materiellen Verstrickung und haften sehr an den pompösen Zeremonien der vedischen Opferungen. Im allgemeinen sind sie sehr sinnlich und wollen nichts anderes als die himmlischen Freuden des Lebens genießen. Es gibt auf den himmlischen Planeten Gärten, die nandana-kānana genannt werden, und dort bieten sich genügend Gelegenheiten, mit wunderschönen, engelsgleichen Frauen zusammenzusein und im Überfluß somarasa-Wein zu trinken. Ohne Zweifel ist ein solch körperliches Glück sinnlich – daher sind dort ausschließlich diejenigen anzutreffen, die als die Herren der materiellen Welt in materielles, zeitweiliges Glück verstrickt sind.

VERS 44

भोगैश्वर्यप्रसक्तानां तयापहृतचेतसाम् ।
व्यवसायात्मिका बुद्धिः समाधौ न विधीयते ॥४४॥

bhogaiśvarya-prasaktānāṁ
tayāpahṛta-cetasām

vyavasāyātmikā buddhiḥ
samādhau na vidhīyate

bhoga – materieller Genuß; aiśvarya – Reichtum; prasaktānām – Menschen, die angehaftet sind; tayā – an solche Dinge; apahrta-cetasām – verwirrt im Geist; vyavasāyātmikā – feste Entschlossenheit; buddhiḥ – hingebungsvolles Dienen für den Herrn; samādhau – im kontrollierten Geist; na – niemals; vidhīyate – findet statt.

ÜBERSETZUNG

Wer zu sehr am Sinnesgenuß und am materiellen Reichtum haftet und von solchen Dingen verwirrt ist, kann nicht den festen Entschluß fassen, dem Höchsten Herrn in Hingabe zu dienen.

ERKLÄRUNG

Samādhi bedeutet festverankerter Geist. Das vedische Wörterbuch Nirukti erklärt dazu:

samyag ādhīyate ’sminn ātmatattva-yāthātmyam

„Wenn der Geist fest darauf gerichtet ist, das Selbst zu verstehen, wird dieser Zustand samādhi genannt.“

Für Menschen, die am materiellen Sinnesgenuß interessiert sind, und ebenso für diejenigen, die von solchen zeitweiligen Dingen verwirrt werden, ist es niemals möglich, in samādhi zu sein. Sie sind der materiellen Natur ausgeliefert.

VERS 45

त्रैगुण्यविषया वेदा निस्त्रैगुण्यो भवार्जुन ।
निर्द्वन्द्वो नित्यसत्त्वस्थो निर्योगक्षेम आत्मवान् ॥४५॥

traiguṇya-viṣayā vedā
nistraiguṇyo bhavārjuna

nirdvandvo nitya-sattva-stho
niryoga-kṣema ātmavān

traiguṇya – die sich auf die drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur beziehen; viṣayāḥ – über das Thema; vedāḥ – vedische Schriften; nistraiguṇyaḥ – in einem reinen Zustand spiritueller Existenz; bhava – sei; arjuna – O Arjuna; nirdvaṅdvaḥ – frei von den Qualen der Gegensätze; nitya-sattvasthaḥ – indem du immer in sattva (Reinheit) bleibst; niryoga-kṣemaḥ – frei von (dem Gedanken an) Gewinn und Sicherheit; ātmavān – im Selbst verankert.

ÜBERSETZUNG

Die Veden handeln hauptsächlich von den drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur. Erhebe dich über diese Erscheinungsweisen, o Arjuna. Sei transzendental zu ihnen. Befreie dich von allen Dualitäten und aller Sorge um Gewinn und Sicherheit, und sei im Selbst verankert.

ERKLÄRUNG

Alle materiellen Aktivitäten rufen Aktionen und Reaktionen in den drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur hervor. Sie werden mit der Absicht ausgeführt, Früchte zu ernten, die jedoch die Ursache für die Bindung an die materielle Welt sind. Die Veden handeln hauptsächlich von fruchtbringenden Aktivitäten, um die Menschen allmählich vom Bereich der Sinnesbefriedigung auf die transzendentale Ebene zu erheben. Arjuna wird als einem Schüler und Freund Kṛṣṇas der Rat gegeben, sich auf die transzendentale Ebene der Vedānta-Philosophie zu erheben, in der am Anfang brahma-jijñāsā-Fragen über die Höchste Transzendenz gestellt werden. Alle Lebewesen in der materiellen Welt kämpfen sehr schwer um ihre Existenz. Ihnen gab der Herr nach der Schöpfung der materiellen Welt das vedische Wissen, um sie darin zu unterweisen, wie sie in der materiellen Verstrickung leben und sich gleichzeitig daraus befreien können. Wenn ein Mensch die Aktivitäten zur Sinnesbefriedigung – das karma-kāṇḍa-Kapitel – hinter sich gelassen hat, wird ihm in Form der Upaniṣaden die Möglichkeit zur spirituellen Verwirklichung angeboten. Die Upaniṣaden sind Teile verschiedener Veden, wie auch die Bhagavad-gītā ein Teil des fünften Veda, des Mahābhārata, ist, und bilden den Anfang des transzendentalen Lebens.

Solange der materielle Körper existiert, verursacht er Aktionen und Reaktionen in den materiellen Erscheinungsweisen. Man muß lernen, die Dualitäten wie Glück und Leid oder Kälte und Hitze zu ertragen, und indem man diese Dualitäten duldet, wird man frei von aller Sorge um Gewinn oder Verlust. Diese transzendentale Ebene wird erreicht, wenn man völlig Kṛṣṇa-bewußt ist, das heißt, wenn man in jeder Beziehung von Kṛṣṇas Wohlwollen abhängt.

VERS 46

यावानर्थ उदपाने सर्वतः संप्लुतोदके ।
तावान्सर्वेषु वेदेषु ब्राह्मणस्य विजानतः ॥४६॥

yāvān artha udapāne
sarvataḥ samplutodake

tāvān sarveṣu vedeṣu
brāhmaṇasya vijānataḥ

yāvān – all das; arthaḥ – ist dazu bestimmt; udapāne – in einem Brunnen; sarvataḥ – in jeder Hinsicht; sampluta-udake – in einem großen Wasserbecken; tāvān – in ähnlicher Weise; sarveṣu – in allen; vedeṣu – vedischen Schriften; brāhmaṇasya – von dem Menschen, der das Höchste Brahman kennt; vijānataḥ – von jemandem, der über vollkommenes Wissen verfügt.

ÜBERSETZUNG

Alle Aufgaben, die ein kleiner Brunnen nach und nach erfüllt, kann ein großer See sofort erfüllen. Ähnlich kann alle Früchte der Veden erhalten, wer das Ziel der Veden kennt.

ERKLÄRUNG

Die Rituale und Opfer, die im karma-kāṇḍa-Teil der vedischen Schriften erwähnt werden, sollen die Menschen ermutigen, allmählich nach Selbstverwirklichung zu streben. Der Sinn der Selbstverwirklichung wird im fünfzehnten Vers des Fünfzehnten Kapitels der Bhagavad-gītā deutlich erklärt: das Ziel des Studiums der Veden besteht darin, Śrī Kṛṣṇa, die Urerste Ursache allen Seins, zu erkennen. Selbstverwirklichung bedeutet also, Kṛṣṇa und unsere ewige Beziehung zu Ihm zu verstehen. Die Beziehung der Lebewesen zu Kṛṣṇa wird im Fünfzehnten Kapitel der Bhagavad-gītā erwähnt. Die Lebewesen sind Bestandteile Kṛṣṇas. Wenn das individuelle Lebewesen daher sein Kṛṣṇa-Bewußtsein wiedererweckt, erreicht es die höchste Vollkommenheit des vedischen Wissens. Dies wird im Śrīmad-Bhāgavatam bestätigt:

aho bata śvapaco ’to garīyān
yaj-jihvāgre vartate ṅāma tubhyam
tepus tapas te juhuvuḥ sasnur āryā

brahmānūcur nāma gṛṇanti ye te.

„O mein Herr, ein Mensch, der Deinen heiligen Namen chantet, befindet sich auf der höchsten Ebene der Selbstverwirklichung, selbst wenn er in einer niedrigen Familie wie der eines caṇdāla (Hundeesser) geboren ist. Ein solcher Mensch muß alle Arten von Bußen und Opfern in Übereinstimmung mit den vedischen Ritualen ausgeführt und viele, viele Male die vedischen Schriften studiert haben, nachdem er an allen heiligen Pilgerstätten gebadet hatte. Daher muß er als der Vortrefflichste der Āryan-Familie angesehen werden.“ (Bhāg. 3.33.7)

Man muß deshalb intelligent genug sein, das Ziel der Veden zu verstehen. Man darf nicht einzig und allein an den Ritualen haften und danach verlangen, zu den himmlischen Königreichen erhoben zu werden, um eine höhere Form der Sinnesbefriedigung zu genießen. Es ist in diesem Zeitalter für den gewöhnlichen Menschen nicht möglich, alle Regeln und Regulierungen der vedischen Rituale und die Anweisungen des Vedānta und der Upaniṣaden zu befolgen, denn es erfordert viel Zeit, Energie, Wissen und Mittel, die Forderungen der Veden zu erfüllen.

Das höchste Ziel der vedischen Kultur wird jedoch erfüllt, wenn man den heiligen Namen des Herrn chantet, wie es auch von Śrī Caitanya, dem Befreier aller gefallenen Seelen, empfohlen wird. Als Śrī Caitanya von dem großen vedischen Gelehrten Prakāśānanda Sarasvatī gefragt wurde, warum Er, anstatt die Veden zu studieren, wie ein sentimentaler Träumer die heiligen Namen des Herrn chante, antwortete der Herr, daß Sein geistiger Meister Ihn für einen großen Dummkopf halte und Ihn daher gebeten habe, den heiligen Namen Śrī Kṛṣṇas zu chanten. Śrī Caitanya folgte diesem Rat und befand sich von da an in ständiger Ekstase, so daß Ihn die Menschen für verrückt hielten. Im Zeitalter des Kali ist der größte Teil der Menschen verdummt und nicht genügend gebildet, um die Vedānta-Philosophie zu verstehen, doch der Sinn und Zweck der Vedānta-Philosophie wird erfüllt, wenn man den heiligen Namen des Herrn ohne Vergehen chantet. Der Vedānta bildet die letzte Stufe des vedischen Wissens, und der Verfasser und Kenner der Vedānta-Philosophie ist Śrī Kṛṣṇa Selbst. Und ein Meister des Vedānta ist die große Seele, die mit Freude den heiligen Namen des Herrn chantet. Dieses Chanten ist das endgültige Ziel aller vedischen Mystik.

VERS 47

कर्मण्येवाधिकारस्ते मा फलेषु कदाचन ।
मा कर्मफलहेतुर्भुर्मा ते सङ्गोऽस्त्वकर्मणि ॥४७॥

karmaṇy evādhikāras te
mā phaleṣu kadācana

mā karma-phala-hetur bhūr
mā te saṅgo’stv akarmaṇi

karmaṇi – vorgeschriebene Pflichten; eva – gewiß; adhikāraḥ – richtig; te – von dir; – niemals, phaleṣu – an den Früchten; kadācana – zu irgendeiner Zeit; – niemals; karma-phala – auf das Ergebnis der Arbeit; hetuḥ – Ursache; bhūḥ – werden; – niemals; te – von dir; saṅgaḥ – Anhaftung; astu – dort sein; akarmaṇi – indem du nicht tust.

ÜBERSETZUNG

Du hast das Recht, deine vorgeschriebene Pflicht zu erfüllen, doch die Früchte deiner Handlung stehen dir nicht zu. Halte dich niemals für die Ursache der Ergebnisse, die deinen Aktivitäten entspringen, noch trachte danach, deine Pflicht nicht zu erfüllen.

ERKLÄRUNG

In diesem Vers werden drei Dinge behandelt: vorgeschriebene Pflichten, launenhafte Arbeit und Untätigkeit. Unter vorgeschriebenen Pflichten versteht man Aktivitäten, die ausgeführt werden müssen, solange man sich unter dem Einfluß der Erscheinungsweisen der materiellen Natur befindet. Unter launenhafter Arbeit versteht man Handlungen, die ohne Einwilligung einer Autorität ausgeführt werden, und Untätigkeit bedeutet, seine vorgeschriebenen Pflichten nicht zu erfüllen. Der Herr gab Arjuna den Rat, nicht untätig zu sein, sondern seine vorgeschriebenen Pflichten zu erfüllen, ohne am Ergebnis zu haften. Wer an der Frucht seiner Arbeit haftet, ist damit auch die Ursache der Handlung und muß daher das Ergebnis genießen oder erleiden.

Es gibt drei Arten vorgeschriebener Pflichten: routinemäßige Arbeit, Arbeit, die im Notfall ausgeführt werden muß, und begehrte Aktivitäten. Routinemäßige Arbeit, die den Anordnungen der Schriften entspricht, wird ohne Verlangen nach Ergebnissen ausgeführt. Obligatorische Arbeit befindet sich in der Erscheinungsweise der Reinheit, weil man zu ihrer Ausführung genötigt ist. Arbeit um der Früchte willen wird zur Ursache für weitere Verstrickung in die materielle Welt; deshalb ist diese Arbeit nicht vorteilhaft. Jeder hat das Recht, seine vorgeschriebenen Pflichten zu erfüllen, doch er sollte handeln, ohne am Ergebnis zu haften. Solche uneigennützigen, obligatorischen Pflichten führen den Ausführenden ohne Zweifel auf den Pfad der Befreiung.

Kṛṣṇa gab Arjuna deshalb den Rat, aus reiner Pflichterfüllung zu kämpfen und nicht am Ergebnis zu haften. Würde er an der Schlacht nicht teilnehmen, wäre dies eine andere Art der Anhaftung. Ein solches Anhaften führt niemals auf den Pfad der Befreiung. Jedes Anhaften – ob positiv oder negativ – ist die Ursache für Bindung an die materielle Welt. Untätigkeit ist sündhaft. Daher war Kämpfen aus reiner Pflichterfüllung für Arjuna der einzige Weg zur Befreiung.

VERS 48

योगस्थः कुरु कर्माणि सङ्गं त्यक्त्वा धनञ्जय ।
सिद्ध्यसिद्ध्योः समो भूत्वा समत्वं योग उच्यते ॥४८॥

yoga-sthaḥ kuru karmāṇi
sañgaṁ tyaktvā dhatiañjaya

siddhy-asiddhyoḥ samo bhūtvā
samatvaṁ yoga ucyate

yoga-sthaḥ – standhaft im yoga; kuru – führe aus; karmāṇi – deine Pflicht; saṅgam – Anhaftung; tyaktvā – nachdem du aufgegeben hast; dhaṅañjaya – O Dhanañjaya; siddhi-asiddhyoḥ – bei Erfolg und Mißerfolg; samaḥ – das gleiche; bhūtvā – nachdem es geworden ist; samatvam – Ausgeglichenheit des Geistes; yogaḥ – yoga; ucyate – wird genannt.

ÜBERSETZUNG

Sei fest im yoga verankert, O Arjuna. Erfülle deine Pflicht, und gib jede Anhaftung an Erfolg oder Mißerfolg auf. Eine solche Ausgeglichenheit des Geistes wird yoga genannt.

ERKLÄRUNG

Kṛṣṇa rät Arjuna, in yoga zu handeln. Yoga bedeutet, den Geist auf den Höchsten zu konzentrieren, indem man die ständig störenden Sinne kontrolliert. Der Höchste ist der Herr, und da Er Selbst Arjuna den Rat gibt zu kämpfen, hat Arjuna mit den Ergebnissen des Kampfes nichts zu tun. Gewinn und Sieg sind allein Kṛṣṇas Angelegenheit. Arjuna wird lediglich der Rat gegeben, nach den Anweisungen Kṛṣṇas zu handeln.

Den Anweisungen Kṛṣṇas zu folgen ist wirklicher yoga, und dies wird in einem Vorgang praktiziert, den man Kṛṣṇa-Bewußtsein nennt. Nur durch Kṛṣṇa-Bewußtsein kann man den falschen Anspruch auf Besitz aufgeben. Man muß der Diener Kṛṣṇas oder der Diener des Dieners von Kṛṣṇa werden. So werden die Pflichten in rechter Weise im Kṛṣṇa-Bewußtsein erfüllt, und dies allein kann einem Menschen helfen, in yoga zu handeln.

Arjuna ist kṣatriya und gehört als solcher zur Einrichtung des varṇāśrama-dharma. Es wird im Viṣṇu Purāṇa gesagt, daß es das einzige Ziel des varṇāśrama-dharma ist, Viṣṇu zufriedenzustellen. Niemand sollte sich selbst zufriedenstellen, wie es in der materiellen Welt die Regel ist, sondern man sollte Kṛṣṇa zufriedenstellen. Solange man also nicht Kṛṣṇa zufriedenstellt, kann den Prinzipien des varṇāśrama-dharma nicht in rechter Weise gefolgt werden. Arjuna wurde also indirekt der Rat gegeben, nach Kṛṣṇas Anweisungen zu handeln.

VERS 49

दूरेण ह्यवरं कर्म बुद्धियोगाद्धनञ्जय ।
बुद्धौ शरणमन्विच्छ कृपणाः फलहेतवः ॥४९॥

dūreṇa hy avaraṁ karma
buddhi-yogād dhanañjaya

buddhau śaraṇam anviccha
kṛpaṇāḥ phala-hetavaḥ

dūreṇa – für immer aufgeben; hi – sicherlich; avaram – verabscheuungswürdig; karma – Aktivitäten; buddhi-yogāt – auf die Kraft des Kṛṣṇa-Bewußtseins; dhanañjaya – O Gewinner von Reichtum; buddhau – in diesem Bewußtsein; śaraṇam – vollkommen hingeben; anviccha – begehren; kṛpaṇāḥ – die Geizhälse; phala-hetavaḥ – diejenigen, die nach fruchtbringendem Handeln streben.

ÜBERSETZUNG

O Dhanañjaya, befreie dich von allen fruchtbringenden Aktivitäten durch hingebungsvolles Dienen, und gib dich diesem Bewußtsein völlig hin. Diejenigen, die die Früchte ihrer Arbeit genießen wollen, sind Geizhälse.

ERKLÄRUNG

Wer seine wesenseigene Position als ewiger Diener des Herrn wirklich verstanden hat, gibt alle anderen Beschäftigungen außer den Tätigkeiten im Kṛṣṇa-Bewußtsein auf. Wie schon erklärt wurde, bedeutet buddhi-yoga, sich dem Herrn im transzendentalen liebevollen Dienen hinzugeben. Solch hingebungsvolles Dienen ist die wirkliche Aktivität des Lebewesens. Nur Geizhälse wollen die Frucht ihrer Arbeit genießen, wodurch sie nur noch mehr in die materielle Welt verstrickt werden. Außer der Arbeit im Kṛṣṇa-Bewußtsein sind alle anderen Handlungen verabscheuungswürdig, da sie den Handelnden immer wieder an den Kreislauf von Geburt und Tod binden. Man sollte daher niemals danach streben, selbst die Ursache seiner Arbeit zu sein. Alles im Kṛṣṇa-Bewußtsein sollte zur Zufriedenstellung Kṛṣṇas getan werden. Geizhälse wissen nicht, wie sie die Reichtümer verwenden sollen, die sie durch Zufall oder harte Arbeit erlangt haben. Man sollte alle Energien benutzen, um im Kṛṣṇa-Bewußtsein zu arbeiten, denn auf diese Weise wird man sein Leben zur Vollkommenheit führen. Unglückselige Menschen stellen, wie die Geizhälse, ihre menschliche Energie nicht in den Dienst des Herrn.

VERS 50

बुद्धियुक्तो जहातीह उभे सुकृतदुष्कृते ।
तस्माद्योगाय युज्यस्व योगः कर्मसु कौशलम् ॥५०॥

buddhi-yukto jahātīha
ubhe sukṛta-duṣkṛte

tasmād yogāya yujyasva
yogaḥ karmasu kauśalam

buddhi-yuktaḥ – jemand, der im hingebungsvollen Dienen beschäftigt ist; jahāti – kann loskommen von; iha – in diesem Leben; ubhe – in beiden; sukṛta-duṣkṛte – in guten und schlechten Ergebnissen; tasmāt – deshalb; yogāya – um des hingebungsvollen Dienens willen; yujyasva – sei so beschäftigt; yogaḥ – Kṛṣṇa-Bewußtsein; karmasu – in allen Aktivitäten; kauśalam – Kunst.

ÜBERSETZUNG

Ein Mensch, der im hingebungsvollen Dienen beschäftigt ist, befreit sich bereits in diesem Leben sowohl von guten als auch von schlechten Reaktionen. Daher, o Arjuna, versuche in yoga zu handeln, der Kunst aller Arbeit.

ERKLÄRUNG

Schon seit unvordenklichen Zeiten hat jedes Lebewesen die verschiedenen Reaktionen, die seinen guten und schlechten Handlungen folgen, in seinem Herzen angesammelt. So ist es zu erklären, daß es sich in fortwährender Unwissenheit über seine wirkliche, wesenseigene Position befindet. Diese Unwissenheit kann durch die Unterweisungen der Bhagavad-gītā beseitigt werden, die uns völlige Hingabe zu Śrī Kṛṣṇa lehrt, so daß wir von den Bestrafungen frei werden, an die wir durch Aktion und Reaktion Geburt auf Geburt gekettet sind. Arjuna wird deshalb der Rat gegeben, im Kṛṣṇa-Bewußtsein zu handeln, dem Vorgang, durch den man sich von den Reaktionen auf vorangegangene Handlungen befreien kann.

VERS 51

कर्मजं बुद्धियुक्ता हि फलं त्यक्त्वा मनीषिणः ।
जन्मबन्धविनिर्मुक्ताः पदं गच्छन्त्यनामयम् ॥५१॥

karma-jaṁ buddhi-yuktā hi
phalaṁ tyaktvā manīṣiṇaḥ

janma-bandha-vinirmuktāḥ
padaṁ gacchanty anāmayam

karma-jam – aufgrund fruchtbringender Aktivitäten; buddhi-yuktāḥ – im hingebungsvollen Dienen ausgeführt; hi – gewiß; phalam – Ergebnisse; tyaktvā – indem sie aufgeben; manīṣiṇaḥ – Gottgeweihte, die große Weise sind; janma-bandha – die Fessel von Geburt und Tod; vinirmuktāḥ – befreite Seelen; padam – Position; gacchanti – erreichen; anāmayam – ohne Leiden.

ÜBERSETZUNG

Die Weisen, die im hingebungsvollen Dienen beschäftigt sind, suchen beim Herrn Zuflucht und befreien sich vom Kreislauf der Geburten und Tode, indem sie den Früchten ihres Handelns entsagen. Auf diese Weise erreichen sie den Ort, der jenseits aller Leiden liegt.

ERKLÄRUNG

Die befreiten Lebewesen suchen nach dem Ort, an dem es keine materiellen Leiden gibt. Das Bhāgavatam erklärt:

samāśritā ye padapallava-plavaṁ
mahat-padaṁ puṇya-yaśo murāreḥ

bhāvambudhir vatsa-padaṁ paraṁ padaṁ
paraṁ padaṁ yad vipadāṁ na teṣām

„Für den, der das Boot der Lotusfüße des Herrn bestiegen hat, der die Zuflucht der kosmischen Manifestation und der berühmt als Mukunda ist (derjenige, der mukti gewährt), für den ist der Ozean der materiellen Welt wie das Wasser im Hufabdruck eines Kalbes. Sein Ziel ist param padam oder Vaikuṇṭha, wo es keine materiellen Leiden gibt, und nicht der Ort, an dem bei jedem Schritt Gefahr lauert.“ (Bhāg. 10.14.58)

Aufgrund ihrer Unwissenheit wissen die Menschen nicht, daß die materielle Welt ein Ort des Leids ist, an dem bei jedem Schritt Gefahr droht. Nur aus Unwissenheit versuchen weniger intelligente Menschen, sich der Situation anzupassen, indem sie fruchtbringende Aktivitäten ausführen; sie glauben, daß die Ergebnisse dieser Handlungen sie glücklich machen würden. Sie wissen nicht, daß ihnen kein materieller Körper innerhalb des Universums ein Leben ohne Leiden geben kann. Die Leiden des Lebens, nämlich Geburt, Alter, Krankheit und Tod, treten überall in der materiellen Welt auf. Wer aber seine wirkliche, wesenseigene Position als ewiger Diener Kṛṣṇas versteht und somit auch die Position des Höchsten Persönlichen Gottes erkennt, beschäftigt sich im transzendentalen liebevollen Dienst des Herrn. Folglich wird er befähigt, in die Vaikuṇṭha-Planeten einzugehen, wo es weder ein materielles, leidvolles Leben noch den Einfluß von Zeit und Tod gibt. Kennt man seine wesenseigene Position, erkennt man auch die erhabene Position des Herrn. Wer fälschlich glaubt, die Position des Lebewesens und die Position des Herrn befänden sich auf gleicher Ebene, ist von tiefster Dunkelheit umgeben und deshalb unfähig, dem Herrn hingebungsvoll zu dienen. Er wird selbst zum „Herrn“ und ebnet sich so den Weg zum sich wiederholenden Kreislauf der Geburten und Tode. Wer jedoch versteht, daß es seine Position ist zu dienen, stellt sich in den Dienst des Herrn und wird sofort befähigt, in Vaikuṇṭhaloka einzugehen. Dienst im Interesse des Herrn wird karma-yoga bzw. buddhi-yoga oder, in einfachen Worten, hingebungsvoller Dienst für den Herrn genannt.

VERS 52

यदा ते मोहकलिलं बुद्धिर्व्यतितरिष्यति ।
तदा गन्तासि निर्वेदं श्रोतव्यस्य श्रुतस्य च ॥५२॥

yadā te moha-kalilaṁ
buddhir vyatitariṣyati

tadā gantāsi nirvedaṁ
śrotavyasya śrutasya ca

yadā – wenn; te – deine; moha – illusionierend; kalilam – finsterer Wald; buddhiḥ – transzendentales Dienen mit Intelligenz; vyatitariṣyati – überwindet; tadā – zu dieser Zeit; gantāsi – du wirst gehen; nirvedam – Gleichgültigkeit; śrotavyasya – alles, was gehört werden muß; śrutasya – alles, was bereits gehört worden ist; ca – auch.

ÜBERSETZUNG

Wenn deine Intelligenz aus dem finsteren Wald der Illusion herausgetreten ist, wirst du gleichgültig werden gegenüber allem, was gehört worden ist und noch gehört werden wird.

ERKLÄRUNG

Es gibt viele Beispiele großer Gottgeweihter, denen die Rituale der Veden gleichgültig wurden, weil sie dem Herrn in Hingabe dienten. Wenn ein Mensch Kṛṣṇa und seine Beziehung zu Kṛṣṇa wirklich versteht, werden ihm natürlicherweise die Rituale fruchtbringender Aktivitäten völlig gleichgültig – selbst wenn er ein erfahrener brāhmaṇa ist. Śrī Mādhavendra Puri, ein großer Gottgeweihter und ācārya in der Nachfolge der Gottgeweihten, sagt:

sandhyā-vandana bhadram astu bhavato bhoḥ snāna tubhyaṁ namo
bho devāḥ pitaraś ca tarpaṇa-vidhau nāham kṣamaḥ kṣamyatām

yatra kvāpi niṣadya yādava-kulottamasya kaṁsa-dviṣaḥ
smāraṁ smāram aghaṁ harāmi tad alaṁ manye kim anyena me.

„O mein Herr, in meinen Gebeten preise ich dreimal täglich Deinen höchsten Ruhm. Während ich mein Bad nehme, bringe ich Dir meine Ehrerbietungen dar. O Halbgötter! O Vorväter! Bitte entschuldigt meine Unfähigkeit, euch länger meine Achtung zu erweisen. Nun kann ich mich, wo immer ich auch sitze, an den großen Nachkommen der Yadu-Dynastie (Kṛṣṇa), den Feind Kaṁsas, erinnern, und so kann ich mich von allen sündhaften Bindungen befreien. Ich denke, daß dies für mich ausreichend ist.“

Die vedischen Riten und Rituale sind für den Neuling unbedingt notwendig: er soll dreimal am Tage alle Gebete sprechen, frühmorgens ein Bad nehmen, den Vorvätern seine Achtung erweisen usw. Aber für einen Menschen, der vollkommen Kṛṣṇa-bewußt und im transzendentalen liebevollen Dienen beschäftigt ist, werden all diese regulierenden Prinzipien nebensächlich, weil er die Vollkommenheit bereits erreicht hat. Wenn jemand durch Dienst für den Höchsten Herrn Śrī Kṛṣṇa die Ebene des Wissens erlangt, braucht er nicht länger die verschiedenen Bußen und Opfern auszuführen, die in den offenbarten Schriften empfohlen werden. Wenn man jedoch nicht verstanden hat, daß Kṛṣṇa das Ziel der Veden ist und daher nur Rituale usw. vollzieht, verschwendet man mit solchen Beschäftigungen unnötigerweise seine Zeit. Menschen im Kṛṣṇa-Bewußtsein überschreiten die Grenze des śabda-brahma, das heißt den Bereich der Veden und Upaniṣaden.

VERS 53

श्रुतिविप्रतिपन्ना ते यदा स्थास्यति निश्चला ।
समाधावचला बुद्धिस्तदा योगमवाप्स्यसि ॥५३॥

śruti-vipratipannā te
yadā sthāsyati niścalā

samādhāv acalā buddhis
tadā yogam avāpsyasi

śruti – vedische Offenbarung; vipratipannā – ohne von den Früchten der Veden beeinflußt zu werden; te – dein; yadā – wenn; sthāsyati – bleibt; niścalā – unbewegt; samādhau – im transzendentalen Bewußtsein oder Kṛṣṇa-Bewußtsein; acalā – unerschütterlich; buddhiḥ – Intelligenz; tadā – zu dieser Zeit; yogam – Selbstverwirklichung; avāpsyasi – du wirst erreichen.

ÜBERSETZUNG

Wenn dein Geist nicht länger von der blumigen Sprache der Veden verwirrt ist und fest in der Trance der Selbstverwirklichung verankert bleibt, hast du das göttliche Bewußtsein erreicht.

ERKLÄRUNG

Daß jemand in samādhi ist, bedeutet, daß er Kṛṣṇa-Bewußtsein vollständig verwirklicht hat. Das heißt: einer, der sich völlig in samādhi befindet, hat Brahman, Paramātmā und Bhagavān verwirklicht. Die höchste Vollkommenheit der Selbstverwirklichung ist die Erkenntnis, daß man der ewige Diener Kṛṣṇas ist und daß die einzige Aufgabe darin besteht, seine Pflichten im Kṛṣṇa-Bewußtsein zu erfüllen. Ein Kṛṣṇa-bewußter Mensch, das heißt ein unerschütterlicher Gottgeweihter, sollte nicht von der blumigen Sprache der Veden verwirrt werden. Auch sollte er sich nicht mit fruchtbringenden Aktivitäten beschäftigen, die ihm Zutritt zum himmlischen Königreich verschaffen sollen. Im Kṛṣṇa-Bewußtsein kommt man direkt mit Kṛṣṇa in Verbindung, und so können auf dieser transzendentalen Ebene alle Anordnungen Kṛṣṇas verstanden werden. Es ist sicher, daß man durch solche Aktivitäten Ergebnisse erhält und wirkliches Wissen erlangt. Man muß nur die Unterweisungen Kṛṣṇas oder Seines Repräsentanten, des geistigen Meisters, ausführen.

VERS 54

अर्जुन उवाच ।
स्थितप्रज्ञस्य का भाषा समाधिस्थस्य केशव ।
स्थितधीः किं प्रभाषेत किमासीत व्रजेत किम् ॥५४॥

arjuna uvāca
sthita-prajñasya kā bhāṣā
samādhi-sthasya keśava

sthita-dhīḥ kiṁ prabhāṣeta
kim āsīta vrajeta kiṁ

arjunaḥ uvāca – Arjuna sagte; sthita-prajñasya – von jemandem, der fest in Kṛṣṇa-Bewußtsein verankert ist; – was; bhāṣā – Sprache; samādhi-sthasya – von jemandem, der in Trance ist; keśava – O Kṛṣṇa; sthita-dhīḥ – jemand, der im Kṛṣṇa-Bewußtsein gefestigt ist; kim – was; prabhāṣeta – sprechen; kim – wie; āsīta – sitzen; vrajeta – gehen; kim – wie.

ÜBERSETZUNG

Arjuna sagte: O Keśava, welche Merkmale weist ein Mensch auf, dessen Bewußtsein in die Transzendenz eingegangen ist? Wie und worüber spricht er? Wie sitzt er, und wie geht er?

ERKLÄRUNG

Wie jeder einzelne Mensch ganz besondere, ihn kennzeichnende Züge aufweist, so hat auch ein Gottgeweihter sein besonderes Wesen – er spricht, geht, denkt, fühlt usw. auf eine ganz bestimmte Art und Weise. Ein reicher Mann zeigt bestimmte Merkmale, die ihn als Reichen ausweisen, ein Kranker hat gewisse Symptome, die ihn als krank kennzeichnen, und auch ein Gelehrter hat seine Besonderheiten. In ähnlicher Weise hat auch ein Gottgeweihter im Kṛṣṇa-Bewußtsein ganz besondere Kennzeichen, die in seinen verschiedenen Verhaltensweisen deutlich werden. Diese bestimmten Merkmale kann man aus der Bhagavad-gītā erfahren. Es ist sehr wichtig, wie ein Gottgeweihter spricht, denn Reden ist die wichtigste Eigenschaft des Menschen. Man sagt, daß ein Esel unentdeckt bleibt, solange er nicht redet, und erst recht ein gut gekleideter Esel wird nicht erkannt, bevor er spricht; doch sobald er den Mund öffnet, offenbart er seine wirkliche Natur. Bei einem Kṛṣṇa-bewußten Menschen tritt augenblicklich ein besonderes Kennzeichen auf: er spricht nur über Kṛṣṇa und über Inhalte, die mit Kṛṣṇa verbunden sind. Andere Kennzeichen entwickeln sich automatisch, wie in den folgenden Versen beschrieben wird.

VERS 55

श्रीभगवानुवाच ।
प्रजहाति यदा कामान्सर्वान्पार्थ मनोगतान् ।
आत्मन्येवात्मना तुष्टः स्थितप्रज्ञस्तदोच्यते ॥५५॥

śrī bhagavān uvāca
prajahāti yadā kāmān

sarvān pārtha mano-gatān
ātmany evātmanā tuṣṭaḥ

sthita-prajñas tadocyate

śrī bhagavān uvāca – der Höchste Persönliche Gott sagte; prajahāti – gibt auf; yadā – wenn; kāmān – Verlangen nach Sinnesbefriedigung; sarvān – aller Arten; pārtha – O Sohn Pṛthās; manaḥ-gatān – gedanklicher Überlegung; ātmani – im reinen Zustand der Seele; eva – gewiß; ātmanā – durch den gereinigten Geist; tuṣṭaḥ – zufriedengestellt; sthita-prajñaḥ – in der Transzendenz verankert; tadā – zu dieser Zeit; ucyate – man sagt.

ÜBERSETZUNG

Der Höchste Herr sagte: O Pārtha, wenn ein Mensch alle Arten von Sinnesbegehren aufgibt, die gedanklichen Überlegungen entspringen, und allein im Selbst Zufriedenheit findet, sagt man von ihm, er sei im reinen transzendentalen Bewußtsein verankert.

ERKLÄRUNG

Das Bhāgavatam bestätigt, daß ein Mensch alle guten Eigenschaften der großen Weisen besitzt, wenn er völlig Kṛṣṇa-bewußt ist und dem Herrn in Hingabe dient. Ein Mensch jedoch, der nicht in der Transzendenz verankert ist, hat keine guten Eigenschaften, weil er sich mit Sicherheit in seine eigenen Spekulationen flüchten muß. Folglich wird hier ganz richtig gesagt, daß man alle Arten von Sinnesbegehren aufgeben muß, die gedanklichen Überlegungen entspringen. Man kann solche Sinnesverlangen nicht künstlich aufgeben, doch wenn man im Kṛṣṇa-Bewußtsein beschäftigt ist, lassen diese Sinnesbegehren allmählich von selbst nach, ohne daß dazu außergewöhnliche Anstrengungen erforderlich wären. Deshalb muß man, ohne zu zögern, im Kṛṣṇa-Bewußtsein handeln, da man durch solches hingebungsvolles Dienen augenblicklich auf die Ebene des transzendentalen Bewußtseins gehoben wird. Eine völlige Kṛṣṇa-bewußte Seele bleibt immer in sich selbst zufrieden, da sie erkennt, daß sie der ewige Diener des Höchsten Herrn ist. Ein auf diese Weise in der Transzendenz verankerter Weiser hat keine Sinnesbegehren, die dem niedrigen Materialismus entspringen. Vielmehr ist er immer voller Glückseligkeit, da er sich als der ewige Diener des Herrn in seiner natürlichen Position befindet.

VERS 56

दुःखेष्वनुद्विग्नमनाः सुखेषु विगतस्पृहः ।
वीतरागभयक्रोधः स्थितधीर्मुनिरुच्यते ॥५६॥

duḥkheṣv anudvigna-manāḥ
sukheṣu vigata-spṛhaḥ

vīta-rāga-bhaya-krodhaḥ
sthita-dhīr munir ucyate

duḥkheṣu – in den dreifachen Leiden; anudvigṅa-manāḥ – ohne im Geist beunruhigt zu sein; sukheṣu – in Glück; vigata-spṛhaḥ – ohne zu sehr interessiert zu sein; vīta – frei von; rāga – Anhaftung; bhaya – Angst; krodhaḥ – Ärger; sthita-dhīḥ – jemand, der stetig ist; muniḥ – der Weise; ucyate – wird genannt.

ÜBERSETZUNG

Wer trotz der dreifachen Leiden nicht verwirrt ist, nicht von Freude überwältigt wird, wenn er Glück erfährt, und frei von Anhaftung, Angst und Ärger ist, wird ein Weiser mit stetigem Geist genannt.

ERKLÄRUNG

Das Wort muni bezeichnet einen Menschen, der seinen Geist mit den verschiedensten gedanklichen Spekulationen aufrührt, ohne zu einer wirklichen Schlußfolgerung zu kommen. Man sagt, daß jeder muni einen anderen Standpunkt hat, und wenn sich ein muni nicht von anderen munis unterscheidet, kann man ihn strenggenommen nicht einen muni nennen. Nāsau munir yasya matam na binnam. Ein sthita-dhī muni jedoch unterscheidet sich von einem gewöhnlichen muni. Der sthita-dhī-muni befindet sich immer im Kṛṣṇa-Bewußtsein, denn er hat jegliche Spekulation aufgegeben. Er hat die Stufe der gedanklichen Spekulationen hinter sich gelassen und ist zu dem Schluß gekommen, daß Śrī Kṛṣṇa bzw. Vāsudeva alles ist. Man nennt denjenigen einen sthita-dhī-muni, dessen Geist immer stetig ist. Ein solch völlig Kṛṣṇa-bewußter Mensch wird in keiner Weise durch die Angriffe der dreifachen Leiden beunruhigt, denn er akzeptiert jedes Leid als die Barmherzigkeit des Herrn, da er weiß, daß er aufgrund seiner vergangenen schlechten Taten eigentlich um ein Vielfaches mehr leiden müßte. Er erkennt, daß seine Leiden durch die Gnade des Herrn bis auf ein Mindestmaß verringert sind. Auch wenn er glücklich ist, schreibt er dies dem Herrn zu und denkt, daß er dieses Glück nicht verdient hat. Er erkennt, daß er sich einzig und allein durch die Gnade des Herrn in einer solch günstigen Lage befindet und daher dem Herrn besser dienen kann. Und um dem Herrn zu dienen, ist er immer unerschrocken und aktiv und wird nicht durch Anhaftung oder Ablehnung beeinflußt. Anhaftung bedeutet, Dinge für seine eigene Sinnesbefriedigung zu akzeptieren, und Gleichgültigkeit bedeutet, das Fehlen einer solchen sinnlichen Anhaftung. Wer aber im Kṛṣṇa-Bewußtsein verankert ist, kennt weder Anhaftung noch Entsagung, da er sein Leben dem Dienst des Herrn geweiht hat. Folglich ist er niemals ärgerlich – auch dann nicht, wenn seine Bemühungen erfolglos bleiben.

VERS 57

यः सर्वत्रानभिस्नेहस्तत्तत्प्राप्य शुभाशुभम् ।
नाभिनन्दति न द्वेष्टि तस्य प्रज्ञा प्रतिष्ठिता ॥५७॥

yaḥ sarvatrānabhisnehas
tat tat prāpya śubhāśubham
nābhinandati na dveṣṭi

tasya prajñā pratiṣṭhitā

yaḥ – jemand, der; sarvatra – überall; anabhisnehaḥ – ohne Zuneigung; tat – dieses; tat – dieses; prāpya – wenn er erreicht; śubha – Gutes; aśubham – Schlechtes; na – niemals; abhinandati – betet; na – niemals; dveṣṭi – beneidet; tasya – sein; prajñā – vollkommenes Wissen; pratiṣṭhita – gefestigt.

ÜBERSETZUNG

Wer frei von Anhaftung ist und nicht frohlockt, wenn ihm Gutes widerfährt, noch jammert, wenn ihm Übles geschieht, ist fest im vollkommenen Wissen verankert.

ERKLÄRUNG

In der materiellen Welt finden fortwährend Veränderungen statt – mögen sie nun gut oder schlecht sein. Wer von solchen materiellen Veränderungen nicht beunruhigt wird und von Gut und Schlecht unberührt bleibt, ist wirklich im Kṛṣṇa-Bewußtsein verankert. Solange man sich in der materiellen Welt befindet, wird es immer Gutes und Schlechtes geben, denn diese Welt ist voller Dualität. Wer jedoch im Kṛṣṇa-Bewußtsein verankert ist, wird von Gut und Schlecht nicht beeinflußt, da er ständig an Kṛṣṇa denkt – der ganz und gar gut und absolut ist. Ein solches in Kṛṣṇa ruhendes Bewußtsein verankert den Gottgeweihten in eine vollkommene, transzendentale Position, die samādhi genannt wird.

VERS 58

यदा संहरते चायं कूर्मोऽङ्गानीव सर्वशः ।
इन्द्रियाणीन्द्रियार्थेभ्यस्तस्य प्रज्ञा प्रतिष्ठिता ॥५८॥

yadā saṁharate cāyaṁ
kūrmo’ṅgānīva sarvaśaḥ
indriyāṇīndriyārthebhyas

tasya prajñā pratiṣṭhitā

yadā – wenn; saṁharate – zurückzieht; ca – auch; ayam – all diese; kūrmaḥ – Schildkröte; aṅgāni – Gliedmaßen; iva – wie; sarvaśaḥ – zusammen; indriyāni – Sinne; indriya-arthebhyaḥ – von den Sinnesobjekten; tasya – sein; prajñā – Bewußtsein; pratiṣṭhitā – gefestigt.

ÜBERSETZUNG

Wer, gleich einer Schildkröte, die ihre Gliedmaßen in den Panzer einziehen kann, imstande ist, seine Sinne von den Sinnesobjekten zurückzuziehen, gründet in wirklichem Wissen.

ERKLÄRUNG

Um ein wirklicher yogī, das heißt ein Gottgeweihter bzw. eine selbstverwirklichte Seele zu sein, muß man die Sinne kontrollieren können. Die meisten Menschen jedoch sind Diener ihrer Sinne und daher gezwungen, dem Diktat ihrer sinnlichen Begierden zu folgen. Das ist die Antwort auf die Frage nach der Position des yogī. Die Sinne werden mit giftigen Schlangen verglichen, denn sie wollen zügellos und ohne jede Einschränkung aktiv sein. Der yogī bzw. der Gottgeweihte muß daher sehr stark sein, um die Schlangen – wie ein Schlangenbeschwörer – kontrollieren zu können. Er gestattet ihnen niemals, unabhängig aktiv zu werden. Die offenbarten Schriften beinhalten viele Unterweisungen, von denen einige sagen, was man tun, und andere, was man lassen soll. Solange man nicht fähig ist, den Geboten und Verboten zu folgen und seinen Sinnesgenuß einzuschränken, ist es nicht möglich, fest im Kṛṣṇa-Bewußtsein verankert zu sein. Das beste Beispiel in diesem Zusammenhang ist die Schildkröte. Die Schildkröte kann augenblicklich ihre Gliedmaßen einziehen und diese zu jeder Zeit für bestimmte Zwecke wieder ausstrecken. In ähnlicher Weise werden die Sinne eines Kṛṣṇa-bewußten Menschen nur für einen bestimmten Zweck im Dienste des Herrn benutzt und sind sonst zurückgezogen. Wie man die Sinne immer im Dienst des Herrn beschäftigen kann, wird an dem Vergleich der Schildkröte deutlich, die ihre Gliedmaßen im Panzer zurückhalten kann.

VERS 59

विषया विनिवर्त्तन्ते निराहारस्य देहिनः ।
रसवर्जं रसोऽप्यस्य परं दृष्ट्वा निवर्त्तते ॥५९॥

viṣayā vinivartante
nirāhārasya dehinaḥ

rasa-varjaṁ raso’py asya
paraṁ dṛṣṭvā nivartate

viṣayāḥ – Objekte des Sinnesgenusses; vinivartante – werden geübt, sich zu enthalten; nirāhārasya – durch Einschränkungen; dehinaḥ – für die verkörperte Seele; rasa-varjam – indem man den Geschmack aufgibt; rasaḥ – die Neigung, zu genießen; api – obwohl es gibt; asya – sein; param – weitaus höhere Dinge; dṛṣṭvā – durch Erfahrung; nivartate – läßt ab von.

ÜBERSETZUNG

Die verkörperte Seele kann zwar von Sinnesfreuden zurückgehalten werden, doch der Geschmack für die Sinnesobjekte bleibt; wenn sie jedoch solche Neigungen aufgibt, da sie einen höheren Geschmack erfährt, ist sie im transzendentalen Bewußtsein gefestigt.

ERKLÄRUNG

Solange man nicht in der Transzendenz verankert ist, ist es nicht möglich, vom Sinnesgenuß abzulassen. Der Vorgang, durch den man durch Regeln und Regulierungen den Genuß der Sinne einschränken kann, wird mit einem Heilverfahren verglichen, bei dem einem Kranken bestimmte Speisen verboten werden. Der Patient jedoch liebt solche Einschränkungen nicht, noch verliert er seinen Geschmack für diese Speisen. In ähnlicher Weise wird für die weniger intelligenten Menschen, die über kein besseres Wissen verfügen, Sinneseinschränkung durch einen spirituellen Vorgang wie aṣṭānga-yoga empfohlen. (Aṣṭāṅga-yoga beinhaltet yama, niyama, āsana, prāṇāyāma, pratyāhāra, dharaṇā, dhyāna und samādhi.) Wer aber durch seinen Fortschritt im Kṛṣṇa-Bewußtsein die Schönheit des Höchsten Herrn Śrī Kṛṣṇa erfahren hat, verliert den Geschmack an toten, materiellen Dingen. Daher sind diese Einschränkungen für die weniger intelligenten Neulinge im spirituellen Leben gedacht, doch sind solche Vorschriften nur dann vorteilhaft, wenn man ein wirkliches Interesse am Kṛṣṇa-Bewußtsein hat. Wenn man tatsächlich Kṛṣṇa-bewußt ist, verliert man von allein den Geschmack an faden Dingen.

VERS 60

यततो ह्यपि कौन्तेय पुरुषस्य विपश्चितः ।
इन्द्रियाणि प्रमाथीनि हरन्ति प्रसभं मनः ॥६०॥

yatato hy api kaunteya
puruṣasya vipaścitaḥ

indriyāṇi pramāthīni
haranti prasabhaṁ manaḥ

yatataḥ – während er sich darum bemüht; hi – gewiß; api – trotz; kaunteya – O Sohn Kuntīs; puruṣasya – des Menschen; vipaścitaḥ – voller unterscheidenden Wissens; indriyāṇi – die Sinne; pramāthīni – erregt; haranti – schleudert gewaltsam; prasabhaṁ – mit Macht; manaḥ – der Geist.

ÜBERSETZUNG

Die Sinne sind so stark und ungestüm, o Arjuna, daß sie sogar den Geist eines Menschen hinwegreißen, der Unterscheidungsvermögen besitzt und bemüht ist, sie zu beherrschen.

ERKLÄRUNG

Es gibt viele gelehrte Weise, Philosophen und Transzendentalisten, die versuchen, die Sinne zu besiegen, doch trotz ihrer Bemühungen fallen manchmal selbst die größten von ihnen dem materiellen Sinnesgenuß zum Opfer, da ihr Geist erregt worden ist. Selbst Viśvāmitra, ein großer Weiser und vollkommener yogī, wurde von Menakā zum sexuellen Genuß verleitet, obwohl er sich bemühte, mit harten Bußen und durch yoga-Übungen seine Sinne zu kontrollieren. Selbstverständlich gibt es noch viele andere, ähnliche Beispiele in der Geschichte. Daraus kann man ersehen, daß es sehr schwierig ist, den Geist und die Sinne zu kontrollieren, wenn man nicht völlig Kṛṣṇa-bewußt ist. Solange man seine Gedanken nicht in Kṛṣṇa versenkt, kann man nicht von materiellen Beschäftigungen ablassen. Śrī Yāmunācārya, ein großer Heiliger und Gottgeweihter, gibt ein praktisches Beispiel dafür, wie man seine Sinne im Kṛṣṇa-Bewußtsein kontrollieren kann. Er sagt: „Seit mein Geist im Dienst der Lotusfüße Kṛṣṇas steht, genieße ich fortwährend immer neue transzendentale Glückseligkeit. Immer wenn ich an ein sexuelles Zusammensein mit einer Frau denke, wende ich mich daher augenblicklich ab und speie auf diesen Gedanken.“

Kṛṣṇa-Bewußtsein ist so transzendental und wunderbar, daß materieller Genuß automatisch jeden Geschmack verliert. Es ist so, als hätte ein hungriger Mann seinen Hunger mit einer ausreichenden Menge nahrhafter Speisen gestillt. Mahārāja Ambarīsa besiegte Durvāsā Muni, einen großen yogī, einfach dadurch, daß sein Geist im Kṛṣṇa-Bewußtsein versenkt war.

VERS 61

तानि सर्वाणि संयम्य युक्त आसीत मत्परः ।
वशे हि यस्येन्द्रियाणि तस्य प्रज्ञा प्रतिष्ठिता ॥६१॥

tāni sarvāṇi saṁyamya
yukta āsīta mat-paraḥ

vaśe hi yasyendriyāṇi
tasya prajñā pratiṣṭhitā

tāni – diese Sinne; sarvāṇi – alle; saṁyamya – unter Kontrolle halten; yuktaḥ – beschäftigt sein; āsīta – so verankert sein; mat-paraḥ – in Beziehung zu Mir; vaśe – in völliger Unterwerfung; hi – sicherlich; yasya – jemand, dessen; indriyāṇi – Sinne; tasya – sein; prajñā – Bewußtsein; pratiṣṭhitā – gefestigt.

ÜBERSETZUNG

Wer seine Sinne beherrscht und sein Bewußtsein fest auf Mich richtet, ist ein Mensch von stetiger Intelligenz.

ERKLÄRUNG

In diesem Vers wird eindeutig gesagt, daß Kṛṣṇa-Bewußtsein die höchste Stufe in der Vollendung des yoga ist. Solange man nicht Kṛṣṇa-bewußt ist, ist es ganz und gar unmöglich, die Sinne zu kontrollieren. Wie oben erwähnt wurde, fing der große Weise Durvāsā Muni mit Mahārāja Ambarīṣa einen Streit an, und weil er sehr stolz war, wurde er unnötigerweise wütend und konnte deshalb seine Sinne nicht mehr beherrschen. Obwohl der König kein so mächtiger yogī wie der Weise war, sondern ein Geweihter des Herrn, ertrug er geduldig all die Ungerechtigkeiten des Weisen und ging dadurch siegreich aus dem Streit hervor. Der König war fähig, seine Sinne zu kontrollieren, weil er die folgenden Qualifikationen besaß, die im Śrīmad-Bhāgavatam erwähnt werden:

sa vai manaḥ kṛṣṇa-padāravindayor
vacāṁsi vaikuṇṭha-guṇānavarṇane
karau harer mandira-mārjanādiṣu
śrutiṁ cakārācyuta-sat-kathodaye

mukunda-liṅgālaya-darśane dṛśau
tad-bhṛtya-gātra-sparśe'ṅga-saṅgamam
ghrāṇaṁ ca tat-pāda-saroja-saurabhe
śrīmat-tulasyā rasanāṁ tad-arpite

pādau hareḥ kṣetra-padānusarpaṇe
śiro hṛṣīkeśa-padābhivandane
kāmaṁ ca dāsye na tu kāma-kāmyayā
yathottamaśloka-janāśrayā ratiḥ

„König Ambarīṣa richtete seinen Geist fest auf die Lotusfüße Śrī Kṛṣṇas, mit seinen Worten beschrieb er das Reich des Herrn, mit seinen Händen reinigte er den Tempel des Herrn, mit seinen Ohren hörte er über die transzendentalen Spiele des Herrn, mit seinen Augen sah er die Gestalt des Herrn, mit seinem Körper berührte er die Körper der Geweihten des Herrn, mit seiner Nase roch er den Duft der Blumen, die den Lotusfüßen des Herrn geopfert waren, mit seiner Zunge schmeckte er die tulasī-Blätter, die dem Herrn geopfert waren, mit seinen Beinen pilgerte er zu den heiligen Stätten, an denen Tempel des Herrn errichtet waren, mit seinem Haupt brachte er dem Herrn Ehrerbietungen dar, und mit seinen Wünschen erfüllte er die Wünsche des Herrn. All diese Qualifikationen befähigten ihn, ein mat-paraḥ Geweihter des Herrn zu werden.“ (Bhāg. 9.4.18–20)

Das Wort mat-paraḥ ist in diesem Zusammenhang von größter Bedeutung. Wie man ein mat-paraḥ werden kann, wird am Beispiel Mahārāja Ambarīṣas verdeutlicht. Śrī Baladeva Vidyābhūṣaṇa, ein großer Gelehrter und ācārya in der Nachfolge der mat-paraḥ, bemerkt dazu:

mad-bhakti-prabhāvena sarvendriya-vijaya-
pūrvikā svātma dṛṣṭiḥ sulabheti bhāvaḥ

„Die Sinne können einzig und allein durch die Kraft des hingebungsvollen Dienens für Kṛṣṇa vollständig kontrolliert werden.“

Manchmal wird auch das Beispiel des Feuers angeführt: „Wie Feuer alle Gegenstände in einem Raum verbrennt, so verbrennt auch Śrī Viṣṇu, der im Herzen des yogī weilt, alle Arten von Unreinheiten.“ Auch im Yoga-sūtra wird die Unterweisung gegeben, über Viṣṇu zu meditieren, und nicht über die Leere. Die sogenannten yogīs, die nicht über die Gestalt Viṣṇus meditieren, sondern über irgend etwas anderes, verschwenden lediglich ihre Zeit mit der vergeblichen Suche nach Trugbildern. Wir müssen Kṛṣṇa-bewußt sein – dem Höchsten Persönlichen Gott hingegeben. Das ist das Ziel des wirklichen yoga.

VERS 62

ध्यायतो विषयान्पुंसः सङ्गस्तेषूपजायते ।
सङ्गात्संजायते कामः कामात्क्रोधोऽभिजायते ॥६२॥

dhyāyato viṣayān puṁsaḥ
saṅgas teṣūpajāyate

saṅgāt sañjāyate kāmaḥ
kāmāt krodho’bhijāyate

dhyāyataḥ – während er betrachtet; viṣayān – Sinnesobjekte; puṁsaḥ – des Menschen; saṅgaḥ – Anhaftung; teṣu – an die Sinnesobjekte; upajāyate – entwickelt; saṅgāt – Anhaftung; sañjāyate – entwickelt; kāmaḥ – Begierde; kāmāt – von Begierde; krodhaḥ – Zorn; abhijāyate – entsteht.

ÜBERSETZUNG

Beim Betrachten der Sinnesobjekte entwickelt ein Mensch Anhaftung; aus solcher Anhaftung entwickelt sich Lust, und aus Lust geht Zorn hervor.

ERKLÄRUNG

Wer nicht Kṛṣṇa-bewußt ist, erliegt materiellen Begierden, während er die Objekte der Sinne betrachtet. Die Sinne fordern nach Betätigung, und wenn sie nicht im transzendentalen liebevollen Dienst für den Herrn beschäftigt sind, werden sie sich mit Sicherheit eine Beschäftigung im Dienste des Materialismus suchen. In der materiellen Welt ist jeder, selbst Śiva und Brahmā – von anderen Halbgöttern auf den himmlischen Planeten ganz zu schweigen – dem Einfluß der Sinnesobjekte unterworfen, und die einzige Möglichkeit, dieser Verwirrung des materiellen Daseins zu entkommen, besteht darin, Kṛṣṇa-bewußt zu werden.

Śiva befand sich in tiefer Meditation, doch als Pārvatī ihn reizte, mit ihr Sinnesfreude zu genießen, erklärte er sich mit diesem Vorschlag einverstanden, und als Folge ihrer Vereinigung wurde Kārtikeya geboren. Haridāsa Ṭhākura, ein Geweihter des Herrn, wurde in seiner Jugend auf ähnliche Weise von der Inkarnation Māyā Devīs versucht, aber aufgrund seiner reinen Hingabe zu Śrī Kṛṣṇa bestand Haridāsa diese Prüfung mit Leichtigkeit.

Wie von Śrī Yāmunācārya im oben erwähnten Vers deutlich gemacht wird, vermeidet ein ernsthafter Gottgeweihter jeden materiellen Sinnesgenuß, da er in der spirituellen Freude, im Zusammensein mit dem Herrn, einen höheren Geschmack erfährt. Das ist das Geheimnis des Erfolges. Wer nicht Kṛṣṇa-bewußt ist, wird letztlich mit Sicherheit scheitern – gleichgültig, wie gut er seine Sinne durch künstliche Verdrängung beherrschen mag – denn schon der geringste Gedanke an Sinnesfreude wird ihn dazu treiben, seine Begierden zu befriedigen.

VERS 63

क्रोधाद्भवति सम्मोहः सम्मोहात्स्मृतिविभ्रमः ।
स्मृतिभ्रंशाद्बुद्धिनाशो बुद्धिनाशात्प्रणश्यति ॥६३॥

krodhād bhavati saṁmohaḥ
saṁmohāt smṛti-vibhramaḥ

smṛti-bhraṁśād buddhi-nāśo
buddhi-nāśāt praṇaśyati

krodhād – aus Zorn; bhavati – entsteht; saṁmohaḥ – völlige Illusion; saṁmohāt – aus Illusion; smṛti – der Erinnerung; vibhramaḥ – Verwirrung; smṛti-bhraṁśāt – nach Verwirrung der Erinnerung; buddhi-nāśaḥ – Verlust der Intelligenz; buddhi-nāśāt – und aus Verlust der Intelligenz; praṇaśyati – fällt herunter.

ÜBERSETZUNG

Aus Zorn entsteht Täuschung, und der Täuschung folgt die Verwirrung der Erinnerung. Wenn die Erinnerung verwirrt ist, geht die Intelligenz verloren, und wenn man die Intelligenz verloren hat, fällt man wieder in den materiellen Sumpf zurück.

ERKLÄRUNG

Wenn man im Kṛṣṇa-Bewußtsein Fortschritte gemacht hat, weiß man, daß alles im Dienst des Herrn verwendet werden kann. Diejenigen, die kein Wissen vom Kṛṣṇa-Bewußtsein haben, versuchen auf künstliche Weise, materielle Sinnesobjekte zu meiden, und erreichen folglich, obwohl sie von der materiellen Fessel befreit werden wollen, nicht die vollkommene Stufe der Entsagung. Im Gegensatz dazu weiß ein Kṛṣṇa-bewußter Mensch, wie er alles im Dienste Kṛṣṇas verwenden kann; deshalb fällt er dem materiellen Bewußtsein nicht zum Opfer. Nach der Meinung der Unpersönlichkeitsanhänger kann der Herr bzw. das Absolute nicht essen, denn sie halten die Absolute Wahrheit für unpersönlich. Während ein Unpersönlichkeitsanhänger bemüht ist, wohlschmeckende Speisen zu vermeiden, weiß der Gottgeweihte, daß Kṛṣṇa der höchste Genießende ist und daß Er alles ißt, was Ihm mit Hingabe geopfert wird. Nachdem er dem Herrn schmackhafte Speisen dargebracht hat, ißt der Gottgeweihte die Überreste der Opferung, die prasādam genannt werden. Auf diese Weise wird die Nahrung spiritualisiert, und daher läuft er nicht Gefahr, ins materielle Bewußtsein zurückzufallen. Der Gottgeweihte im Kṛṣṇa-Bewußtsein ißt prasādam, was der Nicht-Gottgeweihte als etwas Materielles ablehnt. Der Unpersönlichkeitsanhänger kann daher aufgrund seiner künstlichen Entsagung das Leben nicht genießen, und deshalb zieht ihn schon die geringste Erregung des Geistes wieder in den Sumpf des materiellen Daseins herunter. Obwohl eine solche Seele vielleicht sogar bis zur Stufe der Befreiung aufsteigt, fällt sie wieder herunter, wenn ihr nicht durch hingebungsvolles Dienen geholfen wird.

VERS 64

रागद्वेषविमुक्तैस्तु विषयानिन्द्रियैश्चरन् ।
आत्मवश्यैर्विधेयात्मा प्रसादमधिगच्छति ॥६४॥

rāga-dveṣa-vimuktais tu
viṣayān indriyaiś caran

ātma-vaśyair vidheyātmā
prasādam adhigacchati

rāga – Anhaftung; dveṣa – Entsagung; vimuktaiḥ – von jemandem, der von solchen Dingen frei gewesen ist; tu – aber; viṣayān – Sinnesobjekte; indriyaiḥ – durch die Sinne; caran – handelnd; ātma-vaśyaiḥ – jemand, der Kontrolle hat über; vidheyātmā – jemand, der regulierter Freiheit befolgt; prasādam – die Barmherzigkeit des Herrn; adhigacchati – erreicht.

ÜBERSETZUNG

Wer seine Sinne beherrschen kann, indem er den regulierenden Prinzipien der Freiheit folgt, kann die Barmherzigkeit des Herrn erlangen und somit von aller Anhaftung und Abneigung frei werden.

ERKLÄRUNG

Es wurde bereits erklärt, daß man die Sinne durch einen künstlichen Vorgang zwar oberflächlich kontrollieren kann, daß aber, solange die Sinne nicht im transzendentalen Dienst des Herrn beschäftigt sind, immer die Möglichkeit besteht, wieder zurückzufallen. Auch wenn es so erscheinen mag, als befände sich ein völlig Kṛṣṇa-bewußter Mensch auf der sinnlichen Ebene, entspricht dies dennoch nicht den Tatsachen, denn aufgrund seines Kṛṣṇa-Bewußtseins haftet er nicht an sinnlichen Aktivitäten. Der Kṛṣṇa-bewußte Mensch hat nur ein Ziel: er will Kṛṣṇa zufriedenstellen. Deshalb verhält er sich transzendental zu aller Anhaftung. Wenn Kṛṣṇa es will, kann der Gottgeweihte alles tun, was normalerweise als unangenehm angesehen wird, und wenn Kṛṣṇa es nicht will, tut er nichts, was er normalerweise zu seiner eigenen Zufriedenstellung getan hätte. Er hat Handeln und Nicht-Handeln unter Kontrolle, da seine Handlungen unter der Führung Kṛṣṇas stehen. Dieses Bewußtsein ist die grundlose Barmherzigkeit des Herrn, die der Gottgeweihte selbst dann erfahren kann, wenn er sich noch auf der sinnlichen Ebene befindet.

VERS 65

प्रसादे सर्वदुःखानां हानिरस्योपजायते ।
प्रसन्नचेतसो ह्याशु बुद्धिः पर्यवतिष्ठते ॥६५॥

prasāde sarva-duḥkhānāṁ
hānir asyopajāyate

prasanna-cetaso hy āśu
buddhiḥ paryavatiṣṭhate

prasāde – wenn man die grundlose Barmherzigkeit des Herrn erfährt; sarva – alle; duḥkhānām – materielle Leiden; hāniḥ – Zerstörung; asya – sein; upajāyate – findet statt; prasanna-cetasaḥ – des Glücklichen; hi – sicherlich; āśu – sehr bald; buddhiḥ – Intelligenz; pari – ausreichend; avatiṣṭhate – gefestigt.

ÜBERSETZUNG

Wer im göttlichen Bewußtsein gründet, ist von den dreifachen Leiden des materiellen Daseins befreit; in diesem glücklichen Zustand wird seine Intelligenz sehr bald stetig.

VERS 66

नास्ति बुद्धिरयुक्तस्य न चायुक्तस्य भावना ।
न चाभावयतः शान्तिरशान्तस्य कुतः सुखम् ॥६६॥

nāsti buddhir ayuktasya
na cāyuktasya bhāvanā

na cābhāvayataḥ śāntir
aśāntasya kutaḥ sukham

na asti – dort kann nicht sein; buddhiḥ – transzendentale Intelligenz; ayuktasya – von jemandem, der nicht verbunden ist (mit Kṛṣṇa-Bewußtsein); na – weder; ca – und; ayuktasya – von jemandem, der nicht Kṛṣṇa-bewußt ist; bhāvanā – der Geist, der im Glück verankert ist; na – weder; ca – und; abhāvayataḥ – jemand, der nicht gefestigt ist; śāntiḥ – Friede; aśāntasya – von jemanden, der keinen Frieden hat; kutaḥ – wo ist; sukham – Glück.

ÜBERSETZUNG

Wer nicht im transzendentalen Bewußtsein gründet, kann weder einen kontrollierten Geist noch stetige Intelligenz besitzen, ohne die es unmöglich ist, Frieden zu erlangen. Und wie kann es Glück ohne Frieden geben?

ERKLÄRUNG

Solange man nicht Kṛṣṇa-bewußt ist, kann man unmöglich in Frieden leben. Deshalb wird im neunundzwanzigsten Vers des Fünften Kapitel bestätigt, daß man nur dann wirklichen Frieden finden kann, wenn man versteht, daß Kṛṣṇa der einzige Genießende aller guten Ergebnisse von Opfern und Bußen, der Eigentümer aller universalen Manifestationen und der wirkliche Freund aller Lebewesen ist. Wenn man nicht Kṛṣṇa-bewußt ist, kann der Geist auch kein endgültiges Ziel haben. Solange ein endgültiges Ziel fehlt, treten Störungen auf, doch wenn man mit Sicherheit weiß, daß Kṛṣṇa der Genießende, Eigentümer und Freund jedes Wesens und aller Dinge ist, kann man mit ungestörtem Geist Frieden finden. Es ist daher gleichgültig, wie sehr sich ein Mensch bemüht vorzugeben, Frieden und spirituellen Fortschritt im Leben erlangt zu haben, denn solange er nicht in Beziehung zu Kṛṣṇa handelt, ist er dem Leid unterworfen und findet keinen Frieden. Kṛṣṇa-Bewußtsein ist ein friedvoller Zustand, der nur in Beziehung zu Kṛṣṇa erreicht werden kann.

VERS 67

इन्द्रियाणां हि चरतां यन्मनोऽनुविधीयते ।
तदस्य हरति प्रज्ञां वायुर्नावमिवाम्भसि ॥६७॥

indriyāṇāṁ hi caratāṁ
yan mano’nuvidhīyate

tad asya harati prajñāṁ
vāyur nāvam ivāmbhasi

indriyāṇām – der Sinne; hi – sicherlich; caratām – während man darüber wacht; yat – dieser; manaḥ – Geist; anuvidhīyate – wird ständig beschäftigt; tat – das; asya – sein; harati – trägt davon; prajñām – Intelligenz; vāyuḥ – Wind; nāvam – ein Boot; iva – wie; ambhasi – auf dem Wasser.

ÜBERSETZUNG

Gleich einem Boot auf dem Wasser, das von einem Sturm hinweggerissen wird, kann die Intelligenz des Menschen schon von einem der Sinne davongetragen werden, auf den der Geist sich richtet.

ERKLÄRUNG

Solange nicht alle Sinne im Dienst des Herrn verwendet werden, kann schon ein einziger der Sinne, der mit seiner eigenen Befriedigung beschäftigt ist, den Gottgeweihten vom Pfad der transzendentalen Verwirklichung abbringen. Wie am Beispiel Mahārāja Ambarīṣas verdeutlicht wurde, müssen alle Sinne im Kṛṣṇa-Bewußtsein beschäftigt sein, denn dies ist die richtige Methode, den Geist zu kontrollieren.

VERS 68

तस्माद्यस्य महाबाहो निगृहीतानि सर्वशः ।
इन्द्रियाणीन्द्रियार्थेभ्यस्तस्य प्रज्ञा प्रतिष्ठिता ॥६८॥

tasmād yasya mahā-bāho
nigṛhītāni sarvaśaḥ

indriyāṇīndriyārthebhyas
tasya prajñā pratiṣṭhitā

tasmāt – deshalb; yasya – von seinen; mahā-bāho – O Starkarmiger; nigṛhītāni – so bezwungen; sarvaśaḥ – alle; indriyāṇi – die Sinne; indriya-arthebhyaḥ – um der Sinnesobjekte willen; tasya – seine; prajñā – Intelligenz; pratiṣṭhitā – gefestigt.

ÜBERSETZUNG

Daher, o Starkarmiger, verfügt der, dessen Sinne von ihren Objekten zurückgezogen sind, über stetige Intelligenz.

ERKLÄRUNG

Wie Feinde nur durch überlegene Stärke überwunden werden können, so können auch die Sinne nicht durch irgendwelche menschlichen Bemühungen bezwungen werden, sondern nur, indem man sie ständig im Dienst des Herrn beschäftigt. Wer verstanden hat, daß man nur durch Kṛṣṇa-Bewußtsein in der Intelligenz gefestigt werden kann, und daß man diese Kunst unter der Führung eines echten geistigen Meisters ausüben sollte, wird sādhaka genannt – jemand, der geeignet ist, befreit zu werden.

VERS 69

या निशा सर्वभूतानां तस्यां जागर्त्ति संयमी ।
यस्यां जाग्रति भूतानि सा निशा पश्यतो मुनेः ॥६९॥

yā niśā sarva-bhūtānāṁ
tasyāṁ jāgarti saṁyamī

yasyāṁ jāgrati bhūtāni
sā niśā paśyato muneḥ

– was; niśā – Nacht ist; sarva – alle; bhūtānām – der Lebewesen; tasyām – in diesem; jāgarti – wach; saṁyamī – der Selbstkontrollierte; yasyām – worin; jāgrati – wach; bhūtāni – alle Wesen; – das ist; niśā – Nacht; paśyataḥ – für den nach innen gewandten; muneḥ – Weisen.

ÜBERSETZUNG

Was Nacht ist für alle Wesen, ist die Zeit des Erwachens für den Selbstkontrollierten, und was die Zeit des Erwachens ist für alle Wesen, ist Nacht für den nach innen gekehrten Weisen.

ERKLÄRUNG

Es gibt zwei Arten von intelligenten Menschen. Die einen sind intelligent, soweit es materielle Aktivitäten zur Sinnesbefriedigung betrifft, und die anderen sind nach innen gewandt und sich der Notwendigkeit bewußt, nach Selbstverwirklichung zu streben. Die Aktivitäten des nach innen gekehrten Weisen oder nachdenklichen Menschen sind „Nacht“ für Menschen, die in die Materie versunken sind. Materialistische Menschen schlafen in einer solchen „Nacht“, da sie von Selbstverwirklichung nichts wissen. Der nach innen gewandte Weise jedoch ist in der „Nacht“ der materialistischen Menschen wach. Der Weise erfährt transzendentale Freude, weil er allmählich spirituellen Fortschritt macht, wohingegen der Mensch, der mit materiellen Aktivitäten beschäftigt ist, seine Selbstverwirklichung verschläft, von Sinnesfreuden aller Art träumt und sich im schlafenden Zustand einmal glücklich und das andere Mal traurig wähnt. Der nach innen gekehrte Weise wird vom materiellen Glück oder Leid nicht berührt. Ungestört von materiellen Reaktionen geht er den Aktivitäten nach, die ihn zur Selbstverwirklichung führen.

VERS 70

आपूर्यमाणमचलप्रतिष्ठं समुद्रमापः प्रविशन्ति यद्वत् ।
तद्वत्कामा यं प्रविशन्ति सर्वे स शान्तिमाप्नोति न कामकामी ॥७०॥

āpūryamāṇam acala-pratiṣṭhaṁ
samudram āpaḥ praviśanti yadvat

tadvat kāmā yaṁ praviśanti sarve
sa śāntim āpnoti na kāma-kāmī

āpūryamāṇam – immer angefüllt; acala-pratiṣṭham – ungestört; samudram – der Ozean; āpaḥ – Wasser; praviśanti – münden; yadvat – wie; tadvat – so; kāmāḥ – Wünsche; yam – zu einem Menschen; praviśanti – münden; sarve – alle; saḥ – dieser Mensch; śāntim – Friede; āpnoti – erreicht; na – nicht; kāma-kāmī – jemand, der seine Wünsche befriedigen möchte.

ÜBERSETZUNG

Nur wer von der unaufhörlichen Flut von Wünschen nicht beeinflußt wird – die wie Flüsse sind, die in den Ozean münden, der ständig angefüllt wird, doch immer ruhig bleibt – kann Frieden erlangen, und nicht derjenige, der versucht, diese Verlangen zu befriedigen.

ERKLÄRUNG

Obwohl der riesige Ozean bereits mit Wasser gefüllt ist, wird er immer noch weiter angefüllt – vor allem während der Regenzeit. Doch der Ozean bleibt, wie er ist – unbewegt; er wird niemals beunruhigt noch tritt er jemals über seine Ufer. Dieses Beispiel trifft auch auf einen Menschen zu, der im Kṛṣṇa-Bewußtsein verankert ist. Solange man sich im materiellen Körper befindet, werden die Forderungen des Körpers nach Sinnesbefriedigung niemals aufhören; doch ein Gottgeweihter wird von solchen Verlangen nicht beeinflußt, da er in sich selbst zufrieden ist. Ein Kṛṣṇa-bewußter Mensch kennt keinen Mangel, denn der Herr sorgt für all seine materiellen Bedürfnisse. Daher ist er immer ruhig wie der Ozean. Obgleich die Verlangen auf ihn einwirken mögen wie die Flüsse, die in den Ozean fließen, bleibt er dennoch stetig in seinen Aktivitäten und ist nicht im geringsten von Verlangen nach Sinnesbefriedigung gestört. Einen Kṛṣṇa-bewußten Menschen erkennt man daran, daß er jeden Wunsch nach Befriedigung seiner materiellen Sinne verloren hat, obgleich solche Begierden noch vorhanden sind. Da er im transzendentalen liebevollen Dienst des Herrn die höchste Glückseligkeit findet, kann er ungestört wie der Ozean bleiben und daher vollkommenen Frieden genießen. Andere, die ihre Begierden bis zum Gipfel der Befreiung hin zu stillen versuchen, können niemals Frieden erlangen. Die fruchtbringenden Arbeiter, die Menschen, die nach Befreiung streben, und ebenso die yogīs, die sich um mystische Kräfte bemühen, bleiben unglücklich, weil ihre Wünsche nicht erfüllt werden. Der Mensch im Kṛṣṇa-Bewußtsein jedoch ist im Dienst des Herrn glücklich; er hat keine Begierden, die nach Erfüllung verlangen. Er wünscht sich nicht einmal Befreiung von der sogenannten materiellen Fessel. Die Geweihten Kṛṣṇas haben keine materiellen Verlangen, und so befinden sie sich in vollkommenem Frieden.

VERS 71

विहाय कामान्यः सर्वान्पुमांश्चरति निःस्पृहः ।
निर्ममो निरहङ्कारः स शान्तिमधिगच्छति ॥७१॥

vihāya kāmān yaḥ sarvān
pumāṁś carati niḥspṛhaḥ

nirmamo nirahaṅkāraḥ
sa śāntim adhigacchati

vihāya – nachdem er aufgegeben hat; kāmān – alle materiellen Verlangen nach Sinnesbefriedigung; yaḥ – der Mensch; sarvān – alle; pumān – ein Mensch; carati – lebt; nihṣpṛhaḥ – wunschlos; nirmamaḥ – ohne einen Anspruch auf Eigentum; nirahaṅkāraḥ – ohne falsches Ich; saḥ – alle; śāntim – vollkommener Friede; adhigacchati – erreicht.

ÜBERSETZUNG

Nur wer alle Verlangen nach Befriedigung der Sinne aufgegeben hat, frei von Begierden ist, keinen Anspruch auf Besitz erhebt und ohne falsches Ich ist, kann wirklichen Frieden erlangen.

ERKLÄRUNG

Frei von Verlangen zu sein bedeutet, nichts mehr für die Befriedigung der eigenen Sinne zu begehren. Mit anderen Worten, sich zu wünschen, Kṛṣṇa-bewußt zu werden, ist wahre Wunschlosigkeit. Wer seine wirkliche Position als ewiger Diener Kṛṣṇas versteht, sich nicht länger fälschlich mit dem materiellen Körper identifiziert und jeden falschen Besitzanspruch in dieser Welt aufgibt, befindet sich auf der vollkommenen Ebene des Kṛṣṇa-Bewußtseins. Wer in diesem Bewußtsein fest verankert ist, weiß, daß alles Kṛṣṇa gehört und daß daher alles zu Seiner Zufriedenstellung verwendet werden muß. Arjuna weigerte sich zu kämpfen, weil er seine eigenen Sinne befriedigen wollte, doch als er völlig Kṛṣṇabewußt wurde, kämpfte er, weil Kṛṣṇa es von ihm verlangte. Er selbst hatte kein Verlangen zu kämpfen, aber für Kṛṣṇa kämpfte der gleiche Arjuna so gut, wie es in seinen Kräften stand. Das Verlangen, Kṛṣṇa zufriedenzustellen, bedeutet, wirklich ohne Verlangen zu sein; es ist kein künstlicher Versuch, Verlangen aufzugeben. Das Lebewesen kann niemals ohne Verlangen oder ohne Sinne sein; es muß jedoch das Objekt seines Begehrens wechseln. Ein Mensch, der kein materielles Verlangen mehr hat, weiß genau, daß alles Kṛṣṇa gehört (īśāvāsyam idaṁ sarvam), und daher beansprucht er nichts für sich selbst. Dieses transzendentale Wissen gründet in Selbstverwirklichung; es bedeutet, vollständig zu verstehen, daß jedes Lebewesen in seiner wirklichen spirituellen Identität ein ewiges Bestandteil Kṛṣṇas ist und sich daher niemals in der gleichen Position wie Kṛṣṇa befinden kann – und auch nicht großer sein kann als Er. Diese Erkenntnis im Kṛṣṇa-Bewußtsein bildet die Grundlage wahren Friedens.

VERS 72

एषा ब्राह्मी स्थितिः पार्थ नैनां प्राप्य विमुह्यति ।
स्थित्वास्यामन्तकालेऽपि ब्रह्मनिर्वाणमृच्छति ॥७२॥

eṣā brāhmī sthitiḥ pārtha
naināṁ prāpya vimuhyati

sthitvāsyām anta-kāle’pi
brahma-nirvāṇam ṛcchati

eṣā – dies; brāhmī – spirituell; sthitiḥ – Situation; pārtha – O Sohn Pṛthās; na – niemals; enām – dies; prāpya – nachdem er erreicht hat; vimuhyati – verwirrt; sthitvā – so verankert; asyām – da er so ist; anta-kāle – am Ende des Lebens; api – auch; brahma-nirvāṇam – das spirituelle Königreich Gottes; ṛcchati – erreicht.

ÜBERSETZUNG

Dies ist das göttliche, spirituelle Leben – wenn man es erreicht hat, ist man nicht mehr verwirrt. Ist man selbst zur Stunde des Todes in diesem Bewußtsein verankert, kann man in das Königreich Gottes eintreten.

ERKLÄRUNG

Man kann Kṛṣṇa-Bewußtsein bzw. göttliches Leben augenblicklich erlangen – innerhalb einer Sekunde – oder nicht einmal nach Millionen von Geburten. Es hängt einzig und allein davon ab, ob man es versteht und akzeptiert. Khaṭvāṅga Mahārāja erreichte diese Stufe des Lebens erst Minuten vor seinem Tode, indem er sich Kṛṣṇa hingab.

Nirvāṇa bedeutet, das materialistische Leben zu beenden. Nach der Philosophie des Buddhismus erwartet den Menschen nach der Beendigung seines materiellen Lebens die Leere, doch die Lehren der Bhagavad-gītā lauten anders. Wirkliches Leben beginnt erst nach der Beendigung des materiellen Lebens. Die überzeugten Materialisten geben sich mit der Erkenntnis zufrieden, daß man sterben muß; doch für Menschen, die spirituell fortgeschritten sind, gibt es nach dem materialistischen Leben noch ein anderes Leben. Wenn man vor dem Tod das Glück hat, Kṛṣṇa-bewußt zu werden, erreicht man augenblicklich die brahma-nirvāṇa-Stufe. Es besteht kein Unterschied zwischen dem Königreich Gottes und dem hingebungsvollen Dienst des Herrn. Da sich beides auf der absoluten Ebene befindet, hat man das spirituelle Königreich bereits erreicht, wenn man im transzendentalen liebevollen Dienst des Herrn beschäftigt ist. In der materiellen Welt dienen alle Aktivitäten der eigenen Sinnesbefriedigung, wohingegen in der spirituellen Welt alle Aktivitäten im Kṛṣṇa-Bewußtsein ausgeführt werden. Wenn man Kṛṣṇa-Bewußtsein erreicht, befindet man sich schon in diesem Leben auf der Ebene des Brahman, und deshalb ist ein Mensch, der im Kṛṣṇa-Bewußtsein verankert ist, bereits in das Königreich Gottes eingetreten.

Brahman ist das genaue Gegenteil von Materie. Daher bedeutet brāhmī sthitiḥ: „nicht auf der Ebene materieller Aktivitäten“. Wenn ein Mensch dem Herrn in Hingabe dient, befindet er sich nach den Lehren der Bhagavad-gītā im befreiten Zustand. Daher bedeutet brāhmī sthitiḥ Befreiung von der materiellen Fessel.

Śrīla Bhaktivinoda Ṭhākura hat erklärt, daß dieses Zweite Kapitel der Bhagavad-gītā die Zusammenfassung des gesamten Textes ist. In der Bhagavad-gītā werden karma-yoga, jñāna-yoga und bhakti-yoga behandelt. Im Zweiten Kapitel sind karma-yoga und jñāna-yoga ausführlich besprochen worden, und als Zusammenfassung der gesamten Gītā wurde auch bhakti-yoga kurz erwähnt.

So enden die Erklärungen Bhaktivedantas zum Zweiten Kapitel der
Śrīmad-Bhagavad-gītā, genannt „Inhalte der Gītā zusammengefaßt“.

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Bhagavad-gītā (1. Auflage 1974):  [PDF] (60 MB, Bilder, Sanskrit, Lesezeichen)
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